Redundanz in Texten sinnvoll

Es muss so um die 15 Jahre her sein, dass ich meinen letzten Schulaufsatz abgegeben habe. Damals war alles klar: die oberste Regel der Lehrer lautete: keine Wiederholungen. Das zieht sich dann durch von der Uni bis zur Redakteurs-Ausbildung, keine Wiederholung. Pardon, jetzt habe ich in diesem Absatz drei mal keine Wiederholung geschrieben.
Der Hintergrund ist klar, ein durchschnittlicher Schulausatz oder Zeitungs-Bericht umfasst vielleicht 100 Zeilen und da nerven Wiederholungen im Ausdruck. So suchen tausende von Schülern und Journalisten jeden Tag nach Synonymen oder mehr oder weniger passenden umständlichen Umschreibungen, anstatt zwei Mal hintereinander den selben Ausdruck zu verwenden. Im Print-Bereich mag das noch sinnvoll sein.
Bei Texten im Web sieht das anders aus. Nehmen wir zum Beispiel die Häufig gestellten Fragen (FAQ), die für viele überflüssig scheinen. Wenn ich Leuten, die für Webportale verantwortlich sind, aber für das Internet kein besonderes Interesse haben, eine FAQ vorschlage, schauen sie mich nur blöd an. „Die Informationen stehen ja schließlich auf unseren Seiten.“ Aber tun sie das wirklich?

Informationsstrukturen auf großen Websites

Jeder Website-Betreiber weiß, wie schwierig es schon auf einem kleinen Webauftritt sein kann, die Inhalte aller Seiten im Blick zu behalten. Hattte ich nicht vor zwei Jahren einen Beitrag über Design und Bewußtsein geschrieben? Bei einem mittelgroßen Webauftritt von einigen hundert Seiten gehen beim Wechsel des Personals, des Redaktionssystems oder einem Relaunch öfter mal Informationen verloren.
Vor allem staatliche Einrichtungen scheinen ein Faible dafür zu haben, bei einer Renovierung gleich die komplette Linkstruktur umzubauen, so dass Lesezeichen nicht mehr funktionieren und selbst Google ins Schwitzen kommt. Immerhin kann es bei großen Websites doch einige Zeit dauern, bis alle Seiten neu indiziert und wieder auffindbar sind. Gerade diese Websites haben aber auch oft genug eine schlechte Informationsstruktur, so dass man sich dort nicht lange aufhalten möchte. Es ist ein großes Rätsel der Menschheit, warum diese Behörden nicht in der Lage sind, die alte Linkstruktur aufrecht zu erhalten, eine ordentliche 301-Umleitung zu bauen oder halbwegs brauchbare 404-Fehlermeldungen auszugeben. Wenn aber Linkstrukturen umgebaut werden, ist der Gedanke zumindest naheliegend, dass auch einzelne Seiten verloren gehen – oder man sie schlicht nicht mehr findet.

Öfter mal aufs Frontend gucken

Abgesehen davon gibt es einen Effekt, den man vielleicht Betriebsblindheit im anderen Sinne nennen kann. Man schaut immer seltener auf die eigene Website. Ich arbeite im Redaktionssystem, dass außer bei Drupal in fast allen Redaktionssystemen vollkommen anders aussieht als das Frontend. Ich stelle ab und an einen neuen Text ein und prüfe im Frontend, ob der Text auch korrekt übernommen wurde, die Zeilenumbrüche stimmen und keine Tippfehler drin sind. So kann es sein, dass vollkommen fremde Menschen sich intensiver mit meiner Seite beschäftigen als ich selber. Und damit auch genauer über meine Inhalte Bescheid wissen als ich. Oftmals weiß man also gar nicht, was alles auf der eigenen Website ist – und vor allem weiß man nicht, was nicht drauf ist, aber sein sollte.

Scannen und skimmen

Nur die frommsten Webgestalter glauben noch daran, dass der Nutzer sich durch die Website wie durch ein Buch bewegt. Brav wird zuerst die Einleitung, anschließend der Hauptteil und dann der krönende Abschluß von vorne bis hinten durchgelesen. Das Gegenteil dürfte für die meisten Leute zutreffender sein. Texte werden quergelesen, der erst beste vielversprechende Link, der die Erlösung von der Unwissenheit zu bringen scheint, wird angeklickt und weiter gehts. Im Fernsehen würde man das Zapping nennen, im Web heißt es Scannen und Skimmen. Das heißt faktisch, dass die Informationsaufnahme im Web bzw. am Bildschirm generell wesentlich schlechter ist als bei Druckmedien. Deswegen kann intelligente Redundanz – nicht stupide Wiederholung – den Nutzern auf die Sprünge helfen.
Wie ich an anderer Stelle schrieb, ist es extrem wichtig, dem Besucher verschiedene Zugänge zur Website anzubieten. Ob das nun verschiedene Klickpfade oder unterschiedliche Zusammenstellungen von Informationen sind. Web-Puristen würden das als Redundanz bezeichnen. Ich nenne es Service. Man kann es nennen wie man will: Factsheet, Zusammenfassung, eine ordentlich gepflegte Zusammenstellung aller wichtigen Informationen kurz und knackig erspart dem Leser viel Zeit und auch dem Betreiber der Site, der dann ein paar Mails weniger bekommt.
Redundancy makes texts more understandable