Sollte man sich selbst in Veranstaltungen für Blinde beschreiben?

Bei englischen Veranstaltungen zum Thema Behinderung hört man häufiger, dass sich Personen beschreiben: Ethnische Gruppe bzw. Hautfarbe, Alter, Größe, Haarfarbe und so weiter. Das soll Blinden oder Sehbehinderten helfen. In Deutschland ist das bislang selten.
Ich habe einmal in meiner Blinden-Bubble gefragt, wie sie das sehen. Wie zu erwarten gehen hier die Meinungen auseinander. Einige wollen es gerne wissen, einige finden es gut, brauchen es aber nicht unbedingt, andere finden es komplett verzichtbar. Ich zähle mich zu denen, die es zwar interessiert, aber nicht unbedingt brauchen.
Als Blinder versucht man normalerweise, solche Faktoren an der Stimme auszumachen. Das ist allerdings schwierig. Zumindest bei Männern kann man das ungefähre Alter häufig an der Stimme ausmachen, weil sie je nach Alter doch variiert. Bei Frauen, gerade wenn sie hohe Stimmen haben ist das deutlich schwieriger. Andere Faktoren lassen sich kaum ausmachen, es sei denn, es sind Besonderheiten wie ein offensichtlich nicht-deutscher Name oder ein starker Akzent vorhanden.
Die Frage poppt übrigens auch bei Bild-Beschreibungen häufiger auf. Soll man zum Beispiel beschreiben, was das für Personen auf dem Foto sind oder reichen Basis-Infos wie Geschlecht und eine ungefähre Einstufung wie Erwachsener, Jugendlicher, Kind etc?
Und bei Veranstaltungen: Soll eine Moderatorin die Personen beschreiben oder sollen das die Sprechenden selbst erledigen? Sowohl Fremd- als auch Selbst-Beschreibungen können schnell peinlich werden.
Schließlich wird die Frage auch schnell politisch: Ist es wirklich relevant, dass jemand Rössler heißt, aber vietnamesische Vorfahren hat? Sollte es nicht, tut es aber. Sehende können sozusagen nicht das Gesagte von dem Aussehen des Sprechenden differenzieren, das zeigen etwa die Forschungen im Bereich Geschlechter-Wahrnehmung. Es kann also tatsächlich sein, dass ich das Gesagte anders wahrnehme, wenn ich weiß, wie die Person aussieht.
Weiteres Problem ist, dass wir recht schnell in eine Interpretation reingehen. Mit Mitte 40 gehöre ich noch nicht zu den „Älteren“, habe allerdings schon ordentlich graue Haare. Was ist eigentlich älter, was ist sportlich, was ist dunkelhäutig?
Ein weiteres Problem politischer Natur ist das demonstrative Zur-Schau-Stellen von Diversität: Da sieht man eine Firmen-Website mit vielen unterschiedlichen Personen auf den Fotos, die dann auch entsprechend beschrieben werden. Und besucht man die Firma, merkt man, dass sie keineswegs so divers ist.
Mein Fazit: Naturgemäß interessieren sich Menschen dafür, wie ihre Gesprächs-Partner:Innen aussehen. Das gilt auch für vollblind Geborene, so meine Einschätzung. Auch wenn man nie eine Person gesehen hat, hat man doch tausende von Beschreibungen etwa in Büchern oder über Hörspiele wahrgenommen, das geht nicht spurlos an dir vorbei. Bei Radio- oder Synchronsprecher:Innen frage ich mich tatsächlich oft, wie sie aussehen bei letzteren auch, ob sie Ähnlichkeit mit den Personen haben, deren Stimme sie im Deutschen übernehmen. Das tun sie fast nie, soweit ich weiß.
Wahrscheinlich rührt ein Gutteil der Zoom-Fatigue daher, dass die Leute häufig ihre Kamera ausgeschaltet lassen. Dadurch fehlt die visuelle Kommunikation, also das Aussehen, aber auch die Mimik.
Das heißt: Wenn sich Leute gerne selbst beschreiben, dann sollten sie es selbst tun. Sie sollten sich einfach selbst entscheiden, was sie beschreiben wollen. Bei einem fremden Publikum gehe ich immer kurz auf meine sichtbare Behinderung ein, weil ich weiß, dass die Sehenden sich entsprechende Fragen stellen. Auf meinen ethnischen Hintergrund gehe ich nicht ein, weil ich das in der Tat für irrelevant halte.
Wenn die Referierenden das nicht mögen, sollte man sie auch nicht dazu zwingen. Aber warum sollte das auf Veranstaltungen mit Bezug zu Behinderung und Diversität beschränkt bleiben? Eventuell kann man das auch so vorbereiten, dass es witzig und nicht zu überspannt rüberkommt.
Schön wäre es natürlich, wenn wir das neutral hinbekommen würden: Eine Audiodeskription für Veranstaltungen wäre doch nett, wo eine neutrale Moderation auch solche Faktoren kurz und knapp beschreibt.

5 Gedanken zu „Sollte man sich selbst in Veranstaltungen für Blinde beschreiben?“

  1. Mein Gefühl ist, dass Blinde immer eine Extrawurst wollen. Man soll alles für sie beschreiben, als ob sie die einzigen im Plenum werden.

  2. Finde ich komplett überflüssig, wenn sich Leute selbst beschreiben, nimmt nur Zeit weg.

    Gruß Stardreck Entenscheiß

  3. Einer der Vorteile von Blindheit ist, dass ich nicht sehe, wie mein gegenüber aussieht und ich das Gesagte unvoreingenommen wahrnehme und gerade bei einer Podiumsdiskussion ist es völlig irrelevant

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