Kritik am BITV-Test

Der BITV-Test hat sich zum Standardinstrument für die Messung der Standardkonformität aka Barrierefreiheit entwickelt. Zugleich wirkt er aber aus der Zeit gefallen. Dieser Beitrag ist eine formale Kritik am BITV-Test, zur inhaltlichen Kritik am BITV-Test. Wir sprechen jetzt nur noch vom „DIAS-Test“, da der Name BITV- oder WCAG-Test eine Neutralität suggeriert, die nicht da ist.
Da das große Testen im Zuge der aktuellen EU-Richtlinie 2102 bald losgeht und der BITV-Test aktuell das einzige auf Deutsch verfügbare Instrument ist, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, das Verfahren anzupassen. Zudem gibt es mit der Einführung der WCAG 3.0 und der Überarbeitung der EN 301 549 auch eine große Chance, das Verfahren umfassend zu überarbeiten.
Update: Der DIAS-Prüfverbund hat erkennen lassen, dass man an einem Update, mehr Offenheit, Beteiligung behinderter Menschen und Transparenz nicht interessiert ist. Wir raten daher vom Einsatz des DIAS-Tests nach aktuellem Stand ab.
Interessant ist auch, dass die DIAS GmbH bzw. die Seite zum Prüfverfahren den eigenen Test nicht bestehen würde. Aber sie halten sich für kompetent, andere Einrichtungen zur Barrierefreiheit zu beraten.

Offene Diskussion

Meines Wissens wurde der BITV-Test ursprünglich im Auftrag eines Bundesministeriums entwickelt.
Heute wird er von einer Handvoll Personen weiterentwickelt. Man kann viel darüber spekulieren, wer an der Entwicklung beteiligt ist: Sicher die DIAS GmbH und einige Personen, die auch offizielle Tester sind. Mir ist nicht bekannt, ob behinderte Menschen oder deren Selbstvertretungen eingebunden sind.
Hier geht das Problem aber schon los: Das Verfahren und seine Entwicklung sind nicht transparent.
Wie es anders geht, zeigt das Verfahren der Web Accessibility Initiative. Hier wissen wir, wer an der Entwicklung der Richtlinien und weiterer Dokumente beteiligt ist. Die Richtlinien stehen offen zur Diskussion. Der BITV-Test hingegen wirkt wie ein Privat-Projekt. Auch hier können Fehler gemacht werden. Beispiel dafür ist das Language Attribut.
Das heißt auch, dass dem BITV-Test jegliche Legitimität fehlt. Es wird von keiner öffentlichen Einrichtung beauftragt, keine öffentliche Einrichtung ist beteiligt und eine öffentliche Diskussion ist nicht möglich. Es handelt sich auch um keine Industrie-Norm, dann wäre die Legitimität auf solidere Füße gestellt. Dass man den WAI-Empfehlungen zur Entwicklung von Testverfahren gefolgt ist, ist zwar schön, trägt aber auch nicht zur Legitimität des Verfahrens bei.
Es sei an dieser Stelle auch klar gesagt: Die Gesetze schreiben zwar vor, dass Webseiten und Inhalte barrierefrei bereit gestellt werden sollen. Maßstab hierfür sind die EN 301 549 und damit die WCAG. Der BITV-Test hingegen ist in keinem Gesetz als Maßstab verankert. Barrierefreiheit und ein erfüllter BITV-Test sind also nicht synonym. Aktuell ist es einfach nur ein Projekt der DIAS GmbH und der Leute, denen die DIAS Zugang erlaubt. Warum gibt es kein GitHub-Repository dazu? Alternativ könnte die DIAS auch kommunizieren, dass es ihr Privatprojekt ist, dann würde keiner auf die Idee kommen, das Verfahren als Gütesiegel zu betrachten.
Auch halte ich die Tandem-Prüfung in der jetzigen Form nicht für sinnvoll. Der abschließende BITV-Test soll durch zwei Prüfer:Innen durchgeführt werden. Ist es aber wahrscheinlich, dass zwei erfahrene Prüfer:Innen zu stark unterschiedlichen Bewertungen kommen? Für mich ist völlig unverständlich, warum nicht eine der Prüfer:Innen eine für digitale Barrierefreiheit relevante Behinderung haben sollte. Es wirkt so, als ob man behinderte Menschen von einem lukrativen Betätigungsfeld ausschließen möchte.

Mangelnde Einbindung behinderter Menschen

Nichts über uns ohne uns ist einer der wichtigsten Slogans der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung. Leider sehe ich nicht, dass behinderte Menschen von BIK aktiv eingebunden werden. Ich habe im Gegenteil den Eindruck, sie meinen, es besser als die Betroffenen zu wissen, siehe die Diskussion um das Language Attribut.
Dass in irgendeiner der beteiligten Organisationen der eine oder andere behinderte Mensch arbeitet, ändert nichts an der Kritik. Es heißt ja nicht automatisch, dass diese Person auch aktiv eingebunden wird.

Undurchsichtige Verflechtung

Die Website zum BITV-Test wird von der DIAS betrieben. Das gibt dem Verfahren ein Geschmäckle, um es vorsichtig auszudrücken. Einerseits soll es ein offenes Verfahren sein, andererseits wird schon die Website nicht unabhängig betrieben.
Endgültig schwierig wird es dadurch, dass der BITV-Test direkt auf der gleichen Seite beauftragt werden kann. Das sagt mir indirekt: Schaffst es eh nicht, lass uns das machen. Und es birgt zusätzlich das Stigma der mangelnden Unabhängigkeit.

Kritik der Präsentation

Es mag auf den ersten Blick nicht so wichtig erscheinen, aber auch die Website zum BITV-Test ist nicht attraktiv. Sieht irgendwie nach dem Geschmack der 2010er Jahre aus. Für uns stehen Inhalte im Vordergrund, aber wer möchte es Designer:Innen und Entwickler:Innen verdenken, dass sie schon das Layout unattraktiv finden? Wie soll man diese Personen davon überzeugen, dieses Instrument zu nutzen oder Barrierefreiheit attraktiv zu finden?
Auch sind viele Prüfschritte offenbar nicht Korrektur gelesen worden. Da sind einige Klopper drin, die eine anständige Rechtschreibprüfung gefunden hätte. Übrigens ein weiterer Grund, warum man eine offene Diskussion bräuchte.

Zusammenfassung

Lassen Sie mich die Hauptpunkte der Kritik am BITV-Test zusammenfassen:

  • Es ist nicht klar, welche Personen an dessen Entwicklung beteiligt sind. Es ist außerdem nicht klar, ob und inwieweit behinderte Menschen oder ihre Vertretungen eingebunden sind.
  • Das Verfahren hat unabhängig davon nicht einmal indirekte Legitimität, da es nicht offen diskutiert wird.
  • Das Verfahren enthält Fehler: Siehe die Diskussion um das Language Attribut.
  • Kritik behinderter Expert:Innen wird vom Prüfverbund nicht ernst genommen.

Mein Eindruck ist nebenbei gesagt auch, dass die Zahl der Tester:Innen künstlich knapp gehalten wird. Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass sich nur eine Handvoll Agenturen und Freelancer:Innen dort bewerben.
Nun kann man argumentieren, dass es eben kein offenes Verfahren sein will, sondern ein geschütztes Verfahren im Eigentum von DIAS. Das kann man akzeptieren, obwohl es ursprünglich aus einer öffentlichen Förderung entstanden ist. Allerdings sollte man das dann auch so kommunizieren und nicht so tun, als ob es ein öffentliches und legitimiertes Verfahren wäre.
Meines Erachtens wird die DIAS GmbH ihrer Verantwortung nicht gerecht. Einerseits hat sie den BITV-Test als neutrales Instrument etablieren wollen. Andererseits behandelt sie den Test so, als ob er ihr gehören würde.
Zudem ist die DIAS GmbH und der anhängende Prüfverbund beratungs-resistent und nicht bereit, auf Kritik Betroffener einzugehen. Im Kern halte ich die DIAS GmbH und den BITV-Prüfverbund für behindertenfeindlich.

11 Gedanken zu „Kritik am BITV-Test“

  1. Entspricht auch meiner Erfahrung. Wir hatten einen BITV-Test von dieser DIAS AG bekommen, war total unverständlich und ich hatte nicht den Eindruck, dass die das sehr kompetent gemacht haben. Auch kein Verständnis dafür, dass man z.B. zwischen Redakteur/Entwickler etc. unterscheiden sollte und keine konkreten Verbesserungsvorschläge. Also weniger als hilfreich und richtige Geldverschwendung.

  2. Der BITV-Test erhält ab 1. März eine Reform, die als Grundlage den Anhang A der EN301 549 hat: https://www.bitvtest.de/bitv_test/das_testverfahren_im_detail/vertiefend/ueberarbeitung/2021.html
    Und außerdem wurde Ihr Appell erhört:
    „Die Weiterentwicklung des BITV-Tests erfolgt in einem von DIAS moderierten öffentlichen Austausch mit Barrierefreiheits-Expertinnen und -Experten auf der Plattform GitHub. Neben Verbänden und Organisationen von Menschen mit Behinderungen nehmen an dem Austausch auch Hochschulen, kompetente Webagenturen, Überwachungsstellen und qualifizierte Einzelpersonen teil.“
    Siehe: https://www.bitvtest.de/bitv_test/das_testverfahren_im_detail/vertiefend/infothek/artikel0/lesen/bfweb_bsvh0010063300001000011000.html

  3. Dem kann ich nur zustimmen, die DIAS hat kein Interesse daran, den Test freizugeben, sonst könnten ja auch andere Agenturen ihn einsetzen.

  4. Typisch Behinderte, immer nur kritisieren, statt sich darüber zu freuen, dass es so ein gutes Instrument gibt.

  5. Ich würde der Dias AG recht geben. Was bringtder Test mit Behinderten, die haben doch keine Ahnung von Barrierefreiheit. Nur ein Expertentest führt zu brauchbaren Ergebnissen. Was von Behinderten kommt, ist in der Regel nicht brauchbar.

  6. Ich finde das gut, was die DIAS macht, der BITV-Test ist das einzige Instrument, um Barrierefreiheit neutral zu messen, Behinderte testen immer nur subjektiv. Und wenn die DIAS den Test entwickelt hat, kann sie damit machen, was sie will.

  7. Ich finde den BITV-Test super. Ist doch egal, dass er der DIAS gehört, solange es nichts Besseres gibt.

  8. Die DIAS ist halt noch eine Organisation aus dem alten Integrations-Paradigma der 80er. Man muss sich ja nur das Personal da angucken, kaum wer Behindertes und die Webinare werden immer von einer Nicht-Behinderten gehalten. Also eine Nicht-Behinderte, die Nicht-Behinderten die Welt der Behinderten erklärt. Muss man mehr dazu sagen?

  9. Nun ja, eine Behinderung macht noch keinen Experten. DieDIAS macht das schon gut, indem sie richtige Experten einsetzt statt irgendwelche Behinderten, die Kompetenz vorgaukeln wie der Schreiber hier.

  10. Schlimm, so was zu lesen. Wir werden keinen BITVtest mehr beauftragen, solange die Verhältnisse so exkulusiv sind. Denen gehte es wohl nur darum, möglichst viel Geld mit dem Leiden Behinderter zu scheffeln.

  11. Ja gut, man muss ja sagen, dass der BITV-Test für DIAS GmbH eine Cash Cow ist, kaum was investiert, aber ein echter Goldesel. Ist doch klar, dass man die Gans nicht schlachtet, die goldene Eier legt. Und mal ehrlich, glaub jemand, dass die BRK noch mal in den Lpfen dieser Leute ankommt?

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