User Research mit Blinden – ein Interview mit der Wissenschaftlerin Nathalie Kuhn


In diesem Interview spreche ich mit der Forscherin Nathalie Kuhn über Blinde und User-Experience-Forschung. Wie immer gehen alle Ungenauigkeiten und Tippfehler auf mein Konto.

DO: Herzlich Willkommen zu einem neuen Podcast zur digitalen Barrierefreiheit. Heute habe ich wieder einen Gast dabei, nämlich die Nathalie Kuhn, die eine Arbeit, eine Masterarbeit über das Thema Blindheit und User Experience geschrieben hat, was ich ganz interessant fand, und deswegen habe ich sie zu einem Interview eingeladen. Erstmal vielen Dank, dass sie sich die Zeit heute nehmen für den Podcast. Vielleicht stellen sie sich einfach allgemein den Zuhörenden vor, Frau Kuhn.

Frau Kuhns Hintergrund

NK: Ja, sehr gerne. Also ja, wie schon gesagt, mein Name ist Natalie Kuhn, ich habe Medieninformatik studiert im Bachelor und Master und ja, wie gerade schon gesagt, meine Masterarbeit dann entsprechend zum Thema User Experience und Barrierefreiheit geschrieben. Und ich habe auch so nach meinem Bachelor auch angefangen an der Hochschule in Köln zu arbeiten, am Campus Gummersbach und bin da auch im Bereich Mensch-Computer-Interaktion tätig. Also wie es der Name sagt, Die Kommunikation zwischen Mensch und Technologie und da ist auch der Bereich der User Experience, also Benutzerfreundlichkeit, angesiedelt. Und damit beschäftige ich mich größtenteils, also viel in der Lehre, heißt ich, helfe Studierenden, unterstütze diese, bringe ihnen neue Themen bei. Aber versuche auch in der Forschung voranzukommen und da im Bereich User Experience zu arbeiten.

Blindheit in der User Experience

DO: Ja, vielen Dank. Wie sind Sie speziell auf das Thema Blindheit und User Experience gekommen.

NK: Weil ich sowieso in diesem Bereich arbeite und wollte mich dann dementsprechend auch in der Masterarbeit damit beschäftigen, um natürlich auch in der Forschung ein bisschen voranzukommen. Und ich habe dann erstmal so nach den aktuellen Themen im Bereich User Experience gesucht und da ist mir besonders das Thema der Barrierefreiheit entgegengekommen. Ich habe auch gesehen, dass gerade dieses Thema sehr ausführlich diskutiert wird, aber Es gibt tatsächlich noch gar nicht so viele Informationen, was ich auch feststellen musste bei meiner Recherche. Und dann fand ich dieses Thema recht interessant und wollte mich ihm widmen.

DO: Die User Experience kennt ganz viele Methoden bei der Forschung, also natürlich auch die praktische User Experience-Forschung generell. Welche Methoden haben Sie dann für ihre Arbeit ausgesucht?

NK: Mehrere, also. In erster Linie habe ich erstmal eine ausführliche Literaturrecherche betrieben, weil ich selber auch kaum Erfahrung hatte mit Barrierefreiheit und ich habe mich auch speziell auf Sehbehinderung und Blindheit konzentriert. Ich selbst habe niemanden in meinem Bekanntenkreis, der betroffen ist. Deswegen musste ich mich da erst mal ein bisschen reinarbeiten. Ich habe mal geschaut, welche Erkrankungen Es gibt, die Zu einer Sehbehinderung oder Blindheit führen können. Mit welchen Einschränkungen man dann umgehen muss, weil teilweise bei Sehbehinderung hat man vielleicht noch einen Tunnelblick, da muss man dann gegebenenfalls andere Einschränkungen betrachten. Farben-Blindheit hatte ich dann dementsprechend auch noch berücksichtigt, weil ich auch mitbekommen habe, dass auch gerade was Farben und Kontraste angeht, da auch noch recht viele Barrieren auf Webseiten bestehen.
Ich habe mich auch mal in die Webcontent Accessibility Guidelines reingearbeitet, die Vorgaben geben, um Webseiten oder Apps barrierefrei zu machen.
Und um diese Recherche dann noch zu unterstützen habe ich mal Personen befragt, die eine Sehbehinderung oder Blindheit haben und die habe ich gefunden, indem ich Facebook Gruppen gesucht habe und dort aktiv Personen angeschrieben habe oder habe auch Foren im Internet, die sich viel mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftigen. Und diese Personen habe ich dann auch unter anderem befragt, mit welchen Einschränkungen sie zu leben haben. Also im Bezug jetzt auf Webseiten, also welchen Barrieren sie dort immer mal wieder Begegnen und habe auch schon mal versucht herauszufinden, Was sich diese Personen wünschen.
Ich habe mich speziell auf Onlineshops konzentriert, was sie (Blinde und Sehbehinderte) brauchen, um da besser klarzukommen.
Und danach habe ich mich dann noch einer Analyse gewidmet und habe mich dabei auf die Webseite Otto konzentriert. Das ist ein Unternehmen, das eigentlich recht viele Produkte vertreibt. Und ich habe speziell diese Webseite genommen, weil das auch viele Personen im Interview gesagt haben, dass sie diese gerne nutzen aufgrund dieser verschiedenen Möglichkeiten. Und da habe ich auch dann schon rausgehört, dass gerade diese Seite noch nicht gut barrierefrei ist, was ich dann auch feststellen musste durch einen Google Lighthouse Scan, der hilft dabei, um schon mal zu gucken, wie ist die Barrierefreiheit so. Und das ist jetzt auch nur eine Punktzahl von 69 bei rausgekommen. 100 ist so die höchste Punktzahl. Und daran sieht man dann, dass diese Seite noch barrierefrei gemacht werden muss und dann noch viel zu tun ist. Und ich habe diesen Scan benutzt.
Dann habe ich mich noch mit einem anderen Scan beschäftigt, einfach mal, um abzugleichen ob die gleichen Barrieren gefunden werden können oder vielleicht darüber hinaus noch andere. Ich selbst habe aber tatsächlich auch einfach mal eine Sprachausgabe quasi ausprobiert, und zwar vom Mac und bin tatsächlich selber mal mit verschiedenen Tastenkombinationen, dann noch die Webseite durchlaufen, um zu gucken, ob diese Scans auch wirklich alles finden oder ob ich selber noch was aufdecken kann. Diese Barrieren habe ich mir dann notiert und versucht, anhand dieser Lösungsvorschläge von meinen Interview Partnern, aber auch aus Recherche diese Seite noch zu verbessern. Also ich bin diese unterschiedlichen Barrieren angegangen und habe dann entweder im Code oder design Technik dann versucht diese Barriere zu umgehen beziehungsweise zu lösen.

DO: Haben sie das als strukturierten Fragebogen gemacht oder haben sie die Leute sozusagen mündlich frei interviewt?

NK: Der Fragebogen war halb strukturiert also ich habe mich mit den Personen über Zoom getroffen, weil auch gerade noch wegen Corona und die Person kam habe auch von etwas weiter Weg. Und ich selbst habe mir ein paar Fragen aufgeschrieben, einfach, damit ich auch eine Orientierung habe und nichts Wichtiges vergesse. Aber es gab von Seiten der Interviewpartner immer die Möglichkeit, noch neue Ideen mit einzubringen, was ich auch sehr hilfreich fand, weil man vielleicht nicht immer alles irgendwie abdeckt oder an alles denkt.

DO: Gab es in ihrer Arbeit Erkenntnisse, die sie selbst überrascht haben. sie haben wahrscheinlich durch ihre Recherche schon einige Erkenntnisse erwartet, aber gab es Dinge, die auch für Sie neu waren?

NK: Also ja, ich fand es auf jeden Fall sehr überraschend, wie viele Personen mit einer Sehbehinderung oder Blindheit tatsächlich online Shops nutzen und wie viele Vorteile das tatsächlich auch haben kann. Also ich wusste zwar, dass es noch Lücken in dem Thema Barrierefreiheit in Onlineshops gibt, aber ich war trotzdem überrascht, wie lückenhaft auch diese Scans [gemeint sind die automatischen Prüf-Tools für Barrierefreiheit] noch sind, weil ich teilweise zwar mit diesen Scans die Webseite durchlaufen habe und da wurde dann zwar angegeben: Es sind alle Bilder beschriftet. Aber ich habe dann. Mal mit einer Sprachausgabe die Seite durchlaufen und da wurde mir dann zum Beispiel bei manchen Bildern einfach nur gesagt als alternativ Text Bild, was jetzt auch nicht viel aussagt über das jeweilige Bild und.
Das heißt, das sehr wenigen tatsächlich Bewusst ist, dass man sich nicht nur auf diese Scans verlassen sollte, sondern auf jeden Fall auch die Benutzergruppe mit einbezieht, mit einbeziehen sollte oder aber auch mal vielleicht selber schaut mit einem Screenreader oder ähnlichem, was man noch für Barrieren aufdecken kann. Also da ist auf jeden Fall noch sehr viel Bedarf, der gedeckt werden muss. Und das hat mich sehr überrascht, dass dies tatsächlich so weit hintenangestellt ist, weil das Thema Barrierefreiheit ist, ja An sich nichts Neues.

Tipps für User Research

DO: Auf jeden Fall. Meine nächste Frage hätte 2 Teile, und zwar einmal würde mich interessieren. Welche Tipps würden sie anderen Forschenden geben, wenn sie auch im Bereich mit Blinden und sehbehinderten arbeiten wollen würden.

NK: Eigentlich das, was ich auch eben schon gesagt habe, also definitiv die Benutzergruppe mit einbeziehen. Also wenn es jetzt beispielsweise darum geht, man entwickelt eine komplett neue Webseite, beispielsweise möchte diese barrierefrei gestalten. Fände ich persönlich immer super, wenn man direkt Personen an der Hand hat, die eine Sehbehinderung oder Blindheit haben. Die kann man wie ich mal auf Facebook, in Foren oder ähnlichem finden. Ich habe auch gemerkt, dass viele Personen da auch sehr gerne weiterhelfen. Und das wäre habe so das, was ich mitgeben würde, dass man die auf jeden Fall mit einbezieht. Also natürlich sind die Scans auch gut, die kann man natürlich auch verwenden, aber ich finde dadurch, dass die habe, noch nicht alles aufdeckt können, wäre es habe meiner Meinung nach schon wichtig, dass man habe auch die Personen mit einer Sehbehinderung oder Blindheit befragt, miteinbezieht und das ganze Mal aus. Deren Blickwinkel quasi betrachtet.

DO: Hätten Sie spezielle Tipps für Personen, die UX-Forschung nicht wissenschaftlich, sondern in der Wirtschaft machen?

NK: Nee, da würde ich eigentlich theoretisch genau das Gleiche sagen. Also Recherche hilft auch viel weiter, ich habe nämlich bei meiner Recherche auch gesehen, dass es schon einige Studien gibt, die sich damit beschäftigen. Aber in diesen Studien findet man auch immer wieder noch ein Paar. Lücken, die jetzt selbst noch nicht gelöst werden konnten. Aus gewissen Gründen. Und ich finde da kann dann eigentlich nur die Benutzergruppe weiterhelfen, denn die können ihre Wünsche äußern, oder Ihre Erwartungen an ein gewisses Produkt. Daher ja, würde ich genau auch das Gleiche sagen.

DO: Alles klar? Genau die abschließende Frage, Sie sind weiterhin an der Hochschule tätig, dass hatten sie, glaube ich, auch in der Einleitung gesagt, an welche Themen arbeiten sie aktuell?

NK: Also ich bin wie gesagt hauptsächlich im Bereich Human Computer Interaction und habe somit auch UX-Design und das Thema Barrierefreiheit findet tatsächlich jetzt auch an unserer Hochschule am Campus Gummersbach immer mehr statt, sage ich mal. Und aktuell betreue ich 3 Gruppen von Studierenden, die sich mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftigen und verschiedene Anwendungen konzipieren und auch implementieren, die das Leben von Menschen mit einer Behinderung erleichtern können. Zwei Gruppen konzentrieren sich auch auf Sehbehinderung und Blindheit. Und eine Gruppe versucht tatsächlich auch noch andere Behinderungen mit zu berücksichtigen, wie zum Beispiel Personen, Die Probleme mit dem Hören haben oder tatsächlich komplett taub sind. Sprache. Kognitive Behinderungen und ähnliches, das ist natürlich auch sehr wichtig, hätte ich auch super gerne in meiner Masterarbeit berücksichtigt, aber das hätte dann den Umfang ein bisschen gesprengt.

DO: Ja, superspannend. Ich habe ehrlich gesagt gar nicht mitbekommen, dass an den Hochschulen so viel zum Thema Barrierefreiheit läuft, das kriegt man von außen nicht immer so mit. Aber ja, finde ich großartig. vielen Dank, dass sie sich die Zeit für das Interview genommen haben. Und wir drücken Ihnen auf jeden Fall die Daumen, dass die Forschungsprojekte weiterhin gut laufen.
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