Barrierefreiheits-Experten überlegen immer, wie sie Unzugängliches barrierefrei machen können. Es geht aber auch andersherum, Ideen aus der Barrierefreiheit können Menschen helfen, die keine Behinderung haben, aber trotzdem vor ähnlichen Problemen stehen.
Der Überall-Dolmetscher
Das Sozial-Unternehmen VerbaVoice hat vor einigen Jahren einen Service gestartet, der es ermöglicht, via Internet einen Schrift- oder Gebärdendolmetscher in ein Gespräch einzuschalten. Für Gehörlose ist es schwierig, einen Gebärdendolmetscher aufzutreiben, zudem fallen Anfahrtskosten und vieles mehr an, was finanziell kaum tragbar ist.Schwerhörige können nur in bestimmten kommunikativen Situationen Schwierigkeiten haben, wo ihnen ein Schriftdolmetscher helfen kann.
Vor ganz ähnlichen Problemen können Touristen oder Flüchtlinge stehen. Einen Dolmetscher in einer exotischen Sprache aufzutreiben ist schwierig. Doch selbst wenn man die Sprache des Gastlandes spricht ist man manchmal überfordert. Da würde es doch helfen, wenn man sich bei Bedarf einfach einen Dolmi übers Smartphone zuschalten könnte. Das Schöne am VerbaVoice-System ist, dass es völlig egal ist, wo der Kunde oder der Dolmi ist, Hauptsache, beide haben Kamera, Mikro und Internet.
Eine Sprache für fast alle
Die Unterstützte Kommunikation (UK) ist eine Methodik, um Menschen die Kommunikation zu ermöglichen, die sich aus irgendeinem Grund nicht oder nicht verständlich verbal äußern können: Aphasie, geistige Behinderung, Erkrankungen des Stimm-Apparats und so weiter. Eine Basis-Methode ist die Verwendung von Piktogrammen, die einzeln oder kombiniert dazu verwendet werden, um sich zu äußern. So gibt es ein Piktogramm für „Ich habe Hunger“ und ein weiteres für das, was ich essen möchte. Oder ich bin krank und kann mittels Piktogramm vermitteln, wo und wie ich mich nicht wohl fühle.
Solche Piktogramme ließen sich relativ einfach dafür verwenden, eine Art universeller Sprache auf Basis von Piktogrammen aufzubauen. Den Aspekt, das Blinde daran nicht teilhaben können, lasse ich hier außen vor. Was wir dafür benötigen ist ein universaler Satz von Piktogrammen, die am besten unter einer Creative-Commons-Lizenz stehen sollten.
Die meisten universellen Sprachen scheitern daran, dass sie wie die Verbal-Sprache alles abdecken wollen. Die Sprache, die mir vorschwebt müsste hingegen nur ganz bestimmte Fälle abdecken. 90 Prozent aller Kommunikation mit Service-Personal lässt sich nämlich mit ein paar Standard-Formeln abdecken. Ich werde den Herren beim Burger King sicher nicht fragen, wie spät es ist oder wie es seinen Kindern geht, die Dame am Flugschalter möchte sicher nicht meine Schuhgröße abfragen.
Die UK kann insofern als Basis dienen, da sie auf leicht erkennbare, intuitiv verständliche oder leicht erlernbare Symbole setzt. Es ist erstaunlich, wie viel sich mit ein paar Piktos ausdrücken lässt. Natürlich sollten sie auch international verständlich sein.
Be my ears
Die App „Be my Eyes“ ist gerade durch die Zeitungslandschaft gegeistert. Es geht darum, dass blinde Menschen über ihr Smartphone mit Sehenden Kontakt aufnehmen können, um kleinere visuelle Aufgaben für sie zu lösen, zum Beispiel eine Aufschrift auf einer Dose entziffern.
Ich hatte schon vor längerer Zeit die Idee eines zuschaltbaren Service. Für Blinde ist es relativ einfach, mit Bus und Bahn von Punkt a nach Punkt B zu kommen. Schwierig ist immer die „letzte Meile“, das heißt, der Weg von der Haltestelle zum Endziel. Daneben gibt es immer schwierige oder gar gefährliche Situationen, zum Beispiel den Bonner Busbahnhof, der vermutlich von einem Blinden-Hasser entworfen wurde, um das Blinden-Problem endgültig zu lösen. Für Blinde wäre es hilfreich, wenn sie auf dieser „letzte Meile“ einen Assistenten zuschalten könnten, der ihnen den Weg beschreibt. Natürlich würde dieser Service kostenpflichtig sein, aber der Blinde würde zum Beispiel die Kosten für ein Taxi einsparen.
Der Service könnte aber natürlich auf andere Gruppen ausgedehnt werden. Du hast Probleme, deinen Ikea-Schnickschnack zusammenzubauen? Du weißt nicht, wie du dein Smartphone einrichten kannst? Und wie zum Teufel soll man Eigelb und Eiweiß trennen? Frag den Experten via Internet.
Die Idee ist auch nicht ganz neu, es gibt einige Plattformen wie den „Mechanical Turk“ von Amazon, die genau darauf setzen, kleinere Aufgaben wie das Freistellen von Bild-Objekten zu übernehmen. Ein Großteil der Aufgaben einer Arbeitsplatz-Assistenz von Blinden ließe sich mit solchenServices abdecken.
Darf man damit Geld verdienen
Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass es in der Barrierefreiheit eine Menge Schätze zu heben gibt. Die übliche Frage, vor allem von Behinderten ist, ob man mit solchen Leistungen Geld verdienen darf. Ich antworte darauf, dass es auch für uns von Vorteil sein kann, wenn jemand damit Geld verdient.
Die Ausdehnung solcher universeller Services hat auch für Behinderte mehrere Vorteile:
- Die Technik wird besser. Es ist zum Beispiel leichter, mit einer Smartglass eine Umgebung zu filmen als mit einem Smartphone
- Ein kostenpflichtiger Service ist eher bedacht, seine Leistungen stetig zu verbessern und die Qualität aufrecht zu erhalten
- Ein Service mit einem funktionierenden Geschäftsmodell wird vermutlich seine Arbeit nicht von heute auf morgen einstellen. Bei „Be my Eyes“ entstehen Kosten, die sich im Laufe der Zeit erhöhen werden, gleichzeitig haben sie meines Wissens keine Einnahmequellen.
- Der Behinderte wird zum Auftraggeber statt zum Klienten. Viele der großen Dienstleister werden direkt vom Kostenträger bezahlt und der Behinderte wird nicht ernst genommen.