Sprachauszeichnungen und Sprachwechsel – wie der BITV-Test Barrieren errichtet

Für Screenreader und Vorlese-Software ist es wichtig, dass die Hauptsprache eines Dokuments im Code festgelegt wird. Hintergrund ist, dass die Software die korrekten Aussprache-Regeln anwenden muss. Auch für Phrasen oder einzelne Absätze in Fremdsprachen wird die Sprachauszeichnung empfohlen, wobei ich hier nicht ganz den Sinn sehe, die Erklärung folgt weiter unten. Bei einzelnen Wörtern halte ich jedoch die Sprachauszeichnung für störend und muss mich darüber wundern, dass der deutsch-sprachige BITV-Test das empfiehlt.

Der Irrtum der BITV-Tester

In Prüfschritt 3.1.2a des BITV-Tests heißt es:

Anderssprachige Wörter und Abschnitte ausgezeichnet
Wenn innerhalb einer Seite Wörter und Textabschnitte in einer anderen Sprache vorkommen, müssen diese mithilfe des lang-Attributs ausgezeichnet werden.

Quelle
Das bezieht sich auf das WCAG-Kriterium 3.1.2

Success Criterion 3.1.2 Language of Parts
The human language of each passage or phrase in the content can be programmatically determined except for proper names, technical terms, words of indeterminate language, and words or phrases that have become part of the vernacular of the immediately surrounding text.

Quelle
Hier liegt eine Fehlinterpretation oder falsche Übersetzung des WCAG-Kriteriums vor. Im Erfolgskriterium heißt es phrase oder passage, von Wörtern ist nicht die Rede.
Jeder blinde Sprachausgaben-Nutzer wird Ihnen sagen, dass die Auszeichnung einzelner Begriffe als fremdsprachig störend sein kann und das Verstehen sogar einschränken kann.
Leider ist die Organisation hinter dem BITV-Test – BIK alias Barrierefrei informieren und kommunizieren – an dem Feedbak blinder Menschen nicht interessiert und insofern beratungsresistent. Offenbar glauben sie paternalistisch, als Sehende besser beurteilen zu können, was Blinde brauchen. Das ist übrigens ein klarer Verstoß gegen die Behindertenrechtskonvention, die eine Beteiligung behinderter Menschen in die sie betreffenden Angelegenheiten vorsieht. Der federführenden DIAS GmbH ist das Feedback behinderter Menschen anscheinend völlig egal. Als Sehende wissen sie halt, was für uns Blinde gut ist.

Die überschätzte Hauptsprache

Die Hauptsprache eines Dokumentes gehört zu den am meisten überschätzten Kriterien von WCAG und BITV. Ihr einziger Vorteil ist, dass sie im Web oder für PDFs leicht umgesetzt werden kann.
Wie oben erwähnt schalten viele Screenreader-Nutzer die automatische Sprachumschaltung aus, unter anderem wegen übereifriger BITV-Tester und falsch verstandener WCAG-Regeln.
Im anglo-amerikanischen Bereich dürften 99 Prozent der Dokumente, die man liest in der eigenen Muttersprache verfasst sein. Diese Dokumente enthalten in den meisten Fällen gar keine fremdsprachigen Passagen. Deswegen spielt das Thema dort auch keine Rolle.
Im Deutschen dürfte es nicht wesentlich anders sein. Bis auf eine Handvoll Blinder dürfte kaum jemand englisch oder anders-sprachige Dokumente lesen. und wenn er es doch tut, ist er durchaus in der Lage, die richtige Sprache selbst zu aktivieren.
Umgekehrt kann man aber nicht davon ausgehen, dass ein Blinder, der nur Deutsch spricht in der Lage ist, den Sprachwechsel auszuschalten oder ausgezeichnete Begriffe zu verstehen.

Integrierte Wörterbücher

Zunächst einmal verfügen moderne Screenreader über Wörterbücher, in denen auch die Aussprache gängiger Fremdwörter festgelegt ist.
Das Wort Detail wird nicht deutsch ausgesprochen, es klingt eher wie Detai, das L am Ende bleibt praktisch stumm. Der Screenreader kann das inzwischen richtig ohne Nachhilfe aussprechen, ebenso wie Chance, Restaurant und viele andere Wörter.
Bei Desktop-Screenreadern können Blinde die Aussprache über eigene Regeln und Wörterbücher steuern.
Das ist aber nicht der einzige Grund, von Sprachauszeichnungen abzusehen. Vor einer ganzen Weile konnte ich eine bestimmte Zeitung im Netz nicht mehr aufsuchen, Weil der Screenreader automatisch auf Englisch vorlas, wohlgemerkt: er las deutschen Text auf Englisch vor und zwar die gesamte Website. Das Erste, was ich bei der Neu-Konfiguration eines Screenreaders tue ist, den automatischen Sprachwechsel abzuschalten und bei Bedarf die Sprache manuell zu wechseln. Leider geht das nur bei Desktop-Screenreadern, mit Voiceover oder Talkback ist mir das bisher nicht gelungen.

Änderung der Stimme unangenehm

Außerdem ist die Sprachumstellung nicht gerade angenehm, wenn nur einzelne Wörter geändert werden. Bei mobilen Screenreadern wie Voiceover ändert sich häufig nicht nur die Stimme, sondern auch das Geschlecht: Zumindest werden bei mir arabische Wörter mit einer männlichen Stimme vorgelesen, obwohl ich als Standard eine weibliche Stimme eingestellt habe.
Außerdem ändern sich Stimmlage, Intonation und weniger fassbare Aspekte der Sprachausgabe, was bestenfalls eine unangenehme Überraschung auslöst und einen schlimmstenfalls aus dem Lesefluss reißt. Das heißt, wenn die Sprachausgabe mitten im Satz auf amerikanisches Englisch, britisches Englisch, kastillianisches Spanisch oder französisches Französisch umschaltet, dann ist sehr wahrscheinlich, dass der Zuhörer diese überraschende Wendung kognitiv gar nicht oder nur verzögert nachvollzieht. Bis das passiert ist, hat die Sprachausgabe auf die Ursprungs-Sprache zurückgeschwenkt und man hat wieder einen halben Satz verpasst.
Das heißt, der eigentliche Zweck des Sprachwechsels wird komplett verfehlt, der Mensch am anderen Ende der Leitung hat das Wort gar nicht verstanden, weil er eben das Französisch der Muttersprachler nicht verstehen kann oder weil er die Umschaltung kognitiv nicht mitgemacht hat.

Hohes Tempo für die Muttersprache

Hinzu kommt, dass viele Blinde ihre Sprachausgabe auf ein hohes Tempo eingestellt haben. Allerdings können sie oft nur ihre eigene Sprache in diesem Tempo verstehen, während sie für fremdsprachige Texte das Tempo niedriger schalten würden. Beim automatischen Sprachwechsel ist es allerdings nicht möglich, das Tempo für die Fremdsprache anzupassen.

Fazit

Die Sprachauszeichnung für einzelne Wörter oder kurze Phrasen ist also gänzlich überflüssig, die Redakteure sollten sich auf andere Faktoren wie gute Zwischenüberschriften konzentrieren. Ähnliches gilt auch für die Auszeichnung von Acronymen und Abkürzungen. Hier sollte man sich eher überlegen, ob man abkürzungen wie z. B., usw. oder Abk. nicht lieber ausschreibt oder sie komplett vermeidet.
How the Language Attribute is demaging Accessibility