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Digitale Barrierefreiheit – mit Konponenten-Tests zu besseren Ergebnissen

Oft sind die Kosten für Barrierefreiheits-Tests recht hoch. Auch wenn das aus Dienstleister-Perspektive erst einmal positiv erscheint, kann es sich für beide Seiten negativ auswirken. Für den Kunden erhöhen sich die Kosten. Das kann zur Folge haben, dass er sich ganz gegen einen Test entscheidet oder halt einen anderen Dienstleister beauftragt, der Dumping-Preise anbietet. Zur Wortklärung: Website steht für das gesamte Angebot, eine Webseite ist eine Seite des Angebots.

Zunächst erscheint es logisch, dass möglichst viele Seiten geprüft werden sollen, um möglichst viele Probleme zu finden. Bislang noch üblich ist der Seiten-basierte Test. Kundin oder Dienstleister suchen bestimmte Seiten heraus, die geprüft werden sollen. Kosten werden pro zu prüfender Seite berechnet. Das hat auch Nachteile für die Qualität der Prüfung.

Probleme der Seiten-basierten Prüfung

Fehler hängen oft von Zufällen ab. Zum Beispiel kann es passieren, dass eine Komponente durch die Redakteurin falsch eingesetzt wurde. Es kann etwa sein, dass eine Überschrift statt einer Absatzformatierung verwendet wurde. Das ist ein Fehler in der Barrierefreiheit, der aber nicht auf die Komponente zurückgeht, sondern auf deren einmaligen falschen Einsatz. Wenn dieser Fehler nur einmal passiert bzw. immer durch den gleichen Redakteur verursacht wird, macht es wenig Sinn, das zu dokumentieren. Da es aber defacto ein Fehler ist, muss man es als Testerin dokumentieren, auch wenn es für die Anwendung eigentlich nicht relevant ist.

Es geht in einem sinnvollen Prüfverfahren nicht darum, einzelne Fehler zu finden. Oft sind Prüfberichte einfach die Anhäufung solcher einmaliger kleiner Fehler, ein Beispiel sind fehlende Sprach-Auszeichnungen. Vielmehr sollte das Ziel sein, systemische Probleme zu finden, also Probleme, die mit den eingesetzten Komponenten strukturell zu tun haben. Fehler, die von den Redakteurinnen gemacht werden, sind nicht irrelevant, sie sind aber eher ein Problem der QS. Man braucht keine Consultants für 200 € je Stunde, um sie zu finden und zu dokumentieren. Faule Consultants mögen diese seiten-basierten Tests, da man mit relativ geringem Aufwand viele Findings hat und somit seine Rechnung noch besser rechtfertigen kann.

Ein weiteres Problem besteht dann, wenn eine komplette Strecke getestet werden soll. Ein eLearning-Angebot kann aus vielen Unterseiten bestehen. In der Regel werden aber nur wenige Komponenten immer wieder verwendet: Fragebögen, Media-Player, bestimmte Lernformate wie Karten, die umgedreht werden müssen. Meistens gibt es nur wenige Content- und interaktive Komponenten. Aus ökonomischer Sicht ist es nicht sinnvoll für den Kunden, die gesamte Strecke zu testen.

Komponenten statt Unterseiten

Moderne Websites basieren ebenso wie Apps häufig auf Komponenten, die von den Online-Redakteurinnen – wenn man sie so nennen möchte – kombiniert werden. Die klassische HTML-Website, die im Grunde nur mit Inhalt befüllt wird gibt es noch, ist aber nach meiner Beobachtung ein Auslauf-Model auf komplexen Web-Auftritten.

Bei einem Test ausgewählter Unterseiten kann es also passieren, dass man eher unwichtige Komponenten testet und die wichtigen oder komplexen Komponenten durchrutschen, weil sie auf den ausgesuchten Seiten nicht vorhanden sind.

Ebenso wenig ist es sinnvoll, Seiten zu prüfen, die auf dem gleichen Template basieren. Es kommt sehr häufig vor, dass man zwei bis drei Seiten bekommt, die exakt die gleichen Komponenten in unterschiedlichen Konstellationen enthalten oder auf dem gleichen Seitentyp basieren. Finden wird man immer etwas, relevant ist das selten. Das muss keine böse Absicht sein: Als Consultant kann man nicht wissen, wie die Systeme der Kundin funktionieren. Auch wenn Seiten oberflächlich gleich aussehen können sie dennoch auf unterschiedlichen Vorlagen basieren.

Es kann allerdings auch vorkommen, dass Komponenten gleich aussehen, aber unterschiedlich programmiert sind. Das kann die Kundin zusammen mit ihrer Entwicklerin herausfinden. Für einen externen Consultant kann das schwierig sein.

Fake-Seiten als Lösung

Wie kann man komponenten-basiert prüfen? Man bittet den Kunden, eine oder mehrere Unterseiten mit allen vorhandenen Komponenten zusammenzubauen. Navigationen sind dabei als eigene Komponenten zu betrachten, die in der Regel nicht auf jeder Seite, aber in ihren verschiedenen Zuständen geprüft werden müssen.

Es ist korrekt, dass die Prüfung dieser einzelnen Fake-Seiten teurer sein kann als die Prüfung von tatsächlich publizierten Webseiten. Da aber insgesamt weniger Unterseiten geprüft werden müssen, sinken in der Regel die Kosten für die gesamte Prüfung. Folgende Komponenten könnten aus meiner Sicht für die Prüfung sinnvoll sein.

  • Startseite
  • Inhaltsseite mit allen Text-Bild-Komponenten und Tabellen-Typen
  • Formular-Seite mit allen Formular-Elementen
  • Navigation als eigene Komponente in den verschiedenen Zuständen wie aufgeklappt, zugeklappt und so weiter

Diese Maßnahme wird nicht immer zu einer Kostensenkung für die Prüfung führen. Schließlich kann es sein, dass eine Website sehr viele Komponenten hat oder das auch Komponenten geprüft werden, die selten oder gar nicht genutzt werden. Das sollte der Kunde vermeiden. Aus meiner Sicht ist aber eindeutig, dass dieses Vorgehen die relevanteren Probleme ermitteln kann.

Mögliche Probleme

Es besteht die realistische Gefahr, dass der Kunde sich bei solchen Fake-Seiten besonders viel Mühe gibt, sie barrierefrei zu gestalten. Schließlich möchte er sich in einem besonders guten Licht darstellen.

In der Regel kann man ihn aber von solchen Ambitionen abbringen. Es geht bei einem Test gerade darum, mögliche Probleme zu finden. Nicht der Kunde wird beurteilt, sondern sein Produkt. Der Accessibility Consultant sollte wie eine Ärztin betrachtet werden. Sie fangen auch nicht eine Woche vor dem Besuch Ihrer Zahnärztin damit an, sich die Zähne zu putzen.

Immer konstruktiv bleiben – Ausgabe 7-2024

Recht haben und sich richtig verhalten ist nicht immer das Gleiche. Das sieht man an der aktuellen Kritik an der Tageschau in einfacher Sprache, dazu unten mehr. Da gibt es die übliche Kritik der Sprach-Puristen, die den Sinn von Leichter Sprache nicht verstanden haben oder alles blöd finden, was nach Goethe kam. Aber auch aus der Leichte-Sprache-Community kommt Kritik, die im Ton unangemessen scheint.

Inhaltliche Kritik an dem Konzept ist natürlich in Ordnung. Das Produkt ist ein Experiment. Mit geschriebener Leichter Sprache gibt es viel Erfahrung, mit gesprochener weniger. Doch der Ton macht die Musik und er scheint oft unangemessen scharf. Es sind wenige Individuen, die sich so äußern, deren Beiträge aber auch gerne geteilt oder mit einem Daumen hoch versehen werden.

In Zeiten wie diesen halten wir es für geboten, respektvoll miteinander und mit Anderen umzugehen. Echte Profis haben es nicht nötig, mit ihrem Wissen anzugeben und mit harten Worten zu kritisieren. Wir auf jeden Fall gratulieren der Tageschau zu diesem Schritt und wünschen viel Erfolg mit dem Format.

Gute Nachrichten des Monats

Der Browser Mozilla Firefox soll in Zukunft automatische Alternativtexte hinzufügen können. Eine Funktion wird im Augenblick getestet. Zwar bieten das auch andere Browser. Mozilla legt aber besonderen Wert auf Transparenz und Datenschutz.

Experimenting with local alt text generation in Firefox Nightly

Wie in der Einleitung beschrieben hat die Tageschau jetzt eine Nachrichten-Sendung in Leichter Sprache gestartet. Es ist natürlich mehr eine Mischung aus Leichter und Einfacher Sprache. Wir sind gespannt, wie erfolgreich das Projekt sein wird.

Tageschau in einfacher Sprache

In England wurde eine Initiative gestartet, um mehr Menschen mit Behinderung in die Fintech-Industrie zu bekommen.

From Conversation to Action: Project Nemo Leads Fintech’s Disability Inclusion Drive

Mattel plant, 80 Prozent seiner Spiele für Farben-Blinde zugänglich zu machen.

Mattel plans to make 80% of games catalog colorblind accessible by the end of 2024

Interessante Beiträge

Kleidung ist oft nicht barrierefrei, zum Beispiel für Menschen im Rollstuhl. Dass sie barrierefrei und modisch sein kann zeigt die Mode-Designerin Claire Common.

Inklusive und barrierefreie Mode – ein Gespräch mit Claire Common

ChatGPT kann insbesondere für Newbies für Recherchen zur digitalen Barrierefreiheit hilfreich sein.

ChatGPT und Co. für Barrierefreiheits-Recherchen nutzen

Personas sind ein Konzept in der User Experience. Realistische Biographien werden verwendet, um Software besser zu konzipieren. Auch behinderte Personas können nützlich sein. Worauf Sie bei deren Konzeption achten sollten, zeigt ein aktualisierter Beitrag.
Personas mit Behinderung

Disabled Buttons sind aktuell ein wenig in Verruf geraten, zu Unrecht.

Ein Plädoyer für Disabled Buttons

Weiter gehts auf Englisch: Neuropathie ist eine weit verbreitete Problematik. Dieser Guide soll beim Design für diese Gruppe helfen.

Guide to Digital Accessibility for Neuropathy

Die Firma Appt hat ihr kostenloses Handbuch zu App-Barrierefreiheit im Mai 2024 aktualisiert.

Appt Accessibility Handbook

Dieser Kurs hilft Ihnen, zugänglichere Dokumentationen zu schreiben.

Tech Writing for Accessibility self-study

Statistik des Monats

Eine Studie der BITKOM Research zum Digitaltag 2024. Es geht nicht um Barrierefreiheit behinderter Menschen, sondern um die digitale Teilhabe aller Menschen. Telefonisch. Befragt wurden 1004 Menschen.

  • 85 Prozent stimmen zu, dass digitale Geräte und Dienste das Leben erleichtern.
  • 74 Prozent stimmen zu, dass digitale Technik den Zugang zu Informationen und Bildung erleichter.

Aber:

  • 62 Prozent sagen, dass reiche Menschen einen besseren Zugang haben.
  • 44 Prozent haben Angst davor,der Entwicklung nicht folgen zu können.
  • 34 Prozent sind wegen der Digitalisierung besorgt.
  • Immerhin 33 Prozent der 30 49-jährigen fühlt sich regelmäßig überfordert. Über alle Altersgruppen hinweg sind es 49 Prozent.

Barrierefreiheit und UX sind nebenbei bemerkt auch Teil des Online-Zugangs-Gesetzes.

Quelle

Weitere Artikel

Die Tagesschau in einfacher Sprache – eine Einordnung der Kritik aus der Leichte-Sprache-Community

Mein LinkedIn-Feed ist in letzter Zeit überflutet worden von Kritik an der Tagesschau-Version in einfacher Sprache. Das ist wieder ein Thema, zu dem ich mich eigentlich nicht äußern wollte. Ich tue mich schwer damit, Texte in Leichter Sprache zu lesen oder mir anzuhören und deren Qualität zu beurteilen. Deshalb habe ich mir die Tagesschau in einfacher sprache nicht angesehen und werde dies vermutlich auch nicht tun, ebenso wie ich mir die konventionelle Tagesschau nicht anschaue. Ich kann daher keine inhaltliche Kritik am Angebot üben. Dennoch möchte ich die Kritik aus der Leichte-Sprache-Bubble kurz einordnen, da ich wieder mal den Eindruck extremer Einseitigkeit habe.
Wie ich an anderer Stelle geschrieben habe gibt es in der Leichte-Sprache-Community eine klare Konflikt-Linie zwischen der eher wissenschaftlichen Linie – repräsentiert überwiegend durch die Forschungsstelle Leichte Sprache der Uni Hildesheim – und der eher aktivistischen Gruppe (mangels anderer Begriffe nenne ich sie mal so), die aus der sozialarbeiterischen Richtung kommt, repräsentiert unter anderem durch das Netzwerk Leichte Sprache. Das ist eine vereinfachte Darstellung: Da ich nicht Teil der Community bin, weiß ich nicht, welche weiteren Differenzierungen möglich wären. Generell kann man aber sagen, dass die Aktivistinnen alles doof finden, was von der Forschungsstelle kommt. Vielleicht ist es umgekehrt auch so. Der Konflikt scheint der Hauptgrund dafür zu sein, dass die Spec für Leichte Sprache nur langsam vorankommt.
Die Forschungsstelle hat die Tagesschau bei der Entwicklung der Sendung beraten. Ich glaube, dass es der Kern des Problems. Liest man die Kritiken von namentlich Uwe Roth, Andrea Halbritter oder Gidon Wagner, geht es eigentlich darum, dass diese Leute meinen, es besser zu können. Warum die und nicht wir, steht im Prinzip in jeder Zeile der Kritik. Namentlich Halbritter und Roth wirken auf mich äußerst arrogant und besserwisserisch.
Interessant daran ist, dass keiner der Kritikerinnen dadurch aufgefallen ist, dass sie schon einmal eine Nachrichten-Sendung in Leichter sprache produziert hätten. Sie verstehen nichts von der Arbeit von Nachrichten-Redaktionen oder der Produktion von gesprochenen -Beiträgen. Sie sind Texterinnen, das ist etwas Anderes als gesprochene Beiträge zu produzieren. Man sollte die eigenen Fähigkeiten schon korrekt einschätzen können, das fehlt bei diesen Leuten offensichtlich. Ich verstehe auch nichts davon, aber zumindest kenne ich den Unterschied. Auch Dolmetschen in Leichte Sprache ist etwas Anderes als Nachrichten-Beiträge zu sprechen.
Zu der Tagesschau: Das Angebot nennt sich vermutlich Tagesschau in einfacher Sprache, weil in der gesprochenen Sprache keine klare Abggrenzung zwischen leicht und einfach ohne Weiteres nicht sauber möglich ist, zumindest nicht bei jedem Beitrag und jedem Thema. Zudem ist das Projekt noch in einer Experimentier-Phase, die vielleicht sehr lange dauern wird. Es gibt halt noch nicht so viel Erfahrung mit Sendungen in dieser Sprachform. Die Forschungsstelle ist offensichtlich als Partnerin ausgewählt worden, weil man eine wissenschaftliche Begleitung wünschte, auch das können die Aktivistinnen nicht leisten.
Kann man die konventionelle Tagesschau verständlicher machen? Mit Sicherhheit. Kann man die Tagesschau komplett in einfacher Sprache produzieren? Gute Frage, das muss man ausprobieren. Bei allen Themen wird das sicherlich nicht funktionieren. Eine Nachrichten-Sendung kann aber nicht die Aufgabe haben, Informationen im Detail einzuordnen. Man kann zum Beispiel sagen, dass X Bundeskanzlerin werden möchte. Man kann aber in einer Nachrichten-Sendung nicht erklären, was die Bundeskanzlerin macht, mal abgesehen davon, dass das schnell zu langen Sendungen mit entsprechendem Informations-Overload führt.
Wie ich an anderer Stelle schrieb, ist konstruktive Kritik natürlich vollkommen legitim und wäre auch für die Macherinnen der Sendung sicherlich hilfreich. Aber die Penetranz, mit der die Kritikerinnen argumentieren grenzt schon ans Manische: Im Prinzip wird unter jedem Beitrag zu diesem Thema immer das Gleiche wiederholt. Uwe Roth wiederholt wie eine kapuutte Schallplatte ständig die DIN für einfache Sprache, als ob eine DIN alle Fragen endgültig für alle Zeiten beantworten könnte, eine DIN, die in erster Linie für Texte gedacht ist und nicht für gesprochene Sprache. Kann es sein, dass diese Personen chronisch unterbeschäftigt sind und nichts Sinnvolles zu tun haben? Anders ist das eigentlich kaum erklärbar.
Ich habe eine Konsequenz gezogen und alle Leute aus meinem LinkedIn-Netzwerk entfernt, die das teilen, liken oder anderweitig unterstützen. Diese Form der toxischen Kommunikation ist aus meiner Sicht mit nichts zu rechtfertigen. Mich würde interessieren, wie die eigentliche Zielgruppe das Angebot aufnimmt. Aber falls es solche Kommentare gibt, geht das in diesem Lärm unter. Ich hoffe darauf, dass es dazu einen Bericht von der Forschungsstelle oder von Anderen geben wird.
Das Scheitern der Barrierefreiheits-Veteraninnen

Atlas digitale Barrierefreiheit – der Unterschied zwischen gut gemeint und gut gemacht

Ursprünglich wollte ich den Atlas digitale Barrierefreiheit über die digitale Barrierefreiheit deutscher Kommunen ignorieren. Man muss nicht jeden Quatsch kommentieren, dann käme man nicht mehr zu etwas Sinnvollem. Aber wie es so ist, wenn sich Quatsch unwidersprochen verbreitet, hilft das niemandem.
Ich hatte mir ja vorgenommen, konstruktiver zu kritisieren, deshalb verzichte ich auf die Seitenhiebe. Ich denke mal, die Fakten sprechen für sich.
Der Atlas digitale Barrierefreiheit hat automatisiert und mit behinderten Menschen die Barrierefreiheit – oder irgendwas Anderes – von 11000 Kommunen, also allen deutschen Kommunen, überprüft. Sie haben Glück, dass die meisten Leute sich das Studiendesign nicht anschauen. Aber was wurde nun eigentlich geprüft?

Beim Test stand nicht die technische Analyse der Internetseiten im Mittelpunkt, sondern das individuelle Erleben der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DasDies. Wie nehmen Sie als Menschen mit Behinderung die Internetseite wahr, wie gut konnten sie mit der Seite umgehen, sie erfassen und wie schnell fanden sie die benötigten Informationen? Wie erreichten Sie ihr Recht auf Information? Ein digitaler Praxistest aus menschlicher Sicht. Quelle

Also doch nicht digitale Barrierefreiheit, das ist was Anderes als das subjektive Erleben von behinderten Menschen.
Fünf Fragen wurden geprüft:

  • Kann man die Schriftgröße ändern?
  • Gibt es eine Vorlesefunktion?
  • Gibt es ein Angebot in leichter Sprache?
  • Wird das Thema Barrierefreiheit auf der Seite erwähnt?
  • Kann man in wenigen Minuten erfahren, wo man einen Termin zur Verlängerung seines Personalausweises vereinbaren kann?

Eine Vorlese-Funktion ist weder vorgeschrieben noch notwendig. Wenn die Website des Atlas ein Beispiel sein kann, dann dafür, wie man es nicht macht. Ein Vorlese-Button vor jedem Absatz, das ist für Blinde nervig und für Andere kaum hilfreich. Soll man zehn Mal klicken, um sich eine komplette Unterseite vorlesen zu lassen?
Die letzte Frage nach dem Personalausweis ist sicherlich wichtig, hat aber eigentlich nichts mit Barrierefreiheit zu tun.
Die Frage nach der Vergrößerbarkeit der Schrift ist berechtigt, aber vermutlich geht es hier um auf die Seite eingebettete Icons und nicht die Zoom-Funktion des Browsers, die ist ja per se vorhanden. Auch solche integrierten Icons sind nicht vorgeschrieben. Die Zoom-Funktion des Browsers ist ausreichend und sogar besser.
Die anderen Punkte – Leichte Sprache und ein Punkt zur Barrierefreiheit – sind zwar vorgeschrieben. Aber dafür muss man keinen behinderten Menschen bemühen. Das erinnert mich ein wenig an Arbeitsbeschaffung. Früher haben sie in der Werkstatt Kugelschreiber zusammengeschraubt, heute schauen sie auf Webseiten, ob da irgendwo ein Icon zu Leichter Sprache oder Barrierefreiheit ist. Hätte man das nicht automatisiert über die Suche nach Zeichenketten prüfen können?
Wie dem auch sei: Für jede Frage wurde ein Punkt gegeben, wenn die Funktion vorhanden war. Es wurde angeblich auch eine automatische Prüfung durchgeführt. Deren Ergebnis ist wohl ein Geheimnis, ebenso wie das verwendete Tool. Transparenz sieht anders aus.
Leider sind die Ergebnisse, wie die ganze Website, schlecht aufbereitet. 3 Prozent hatten alle fünf Anforderungen erfüllt. 7 Prozent hatten 0 Punkte, also keine Anforderung erfüllt. Am häufigsten wurde die Frage nach dem Personalausweis erfüllt. Am seltensten wurde die Frage nach Leichter Sprache erfüllt. Eine Gesamt-Übersicht der Ergebnisse ist nicht zu finden. Auch hier wieder ein Mangel an Transparenz.
Und warum machen sie das?

Wir wollen kommunale Entscheider unterstützen. Deshalb haben wir als Arbeitsgemeinschaft die Gesellschaft für inklusive Kommunikation (GfiK) gebildet, um ein Beratungsangebot zu machen, mit dem wir Kommunen die Erfahrungen aus unserer übergreifenden Untersuchung zugänglich machen. Wir können auch Ihnen helfen, aufgeräumte, klar strukturierte Seiten zu erschaffen. Und wir werden eine KI-basierte, kostengünstige Übersetzung von kommunalen Seiten in Leichte Sprache anbieten. Die Anwendung wird so günstig sein, dass Geld kein Grund mehr sein kann, leichte Sprache anzubieten. Quelle wie oben

Es ist wohl kein Zufall, dass alle geprüften Funktionen über ein Overlay angeboten werden können. Ist das Ganze vielleicht eine verkappte PR-Kampagne für ein eigenes Overlay-Tool, finanziert durch Fördergelder der Aktion Mensch?

Fazit

Es ist schwierig, hier ein positives Fazit zu ziehen. Die Idee, eine so große Menge an Websites durch BM untersuchen zu lassen ist sicherlich interessant. Das man hierbei keine seitenlangen Fragebögen ausfüllen kann ist klar, das wäre sehr umfangreich. Sicherlich ist auch einiges an Arbeit eingeflossen.
Problematisch ist die wilde Vermischung aus Barrierefreiheit und User Experience. Hätte man auf den Begriff digitale Barrierefreiheit verzichtet, wäre es deutlich besser gewesen. So kann man leider nicht darauf vertrauen, dass diese Organisation ihre Kunden korrekt berät. Die Ergebnisse und die Methodik sind nicht sauber und transparent dargestellt.
Mein Fazit ist leider negativ: Mit einer ordentlichen Methodik und Fragestellung wäre der Erkenntnis-Gewinn durchaus interessant gewesen. So ist es einfach nur eine subjektive Anhäufung von Informationen. Das Mindestmaß wäre eine ordentliche Aubereitung der Ergebnisse. Auch über die BM, die den Test durchgeführt haben, erfährt man so gut wie nichts. Haben sie ein spezielles Training erhalten, welche Behinderungen waren vertreten, welche assistiven Technologien haben sie verwendet, wie viele waren es überhaupt? Und sind sie vernünftig entlohnt worden?
Kurz: Diese Erhebung ist ein Beispiel für Junk-Studien in der digitalen Barrierefreiheit. Sie ist auf Kommunikation der Ergebnisse ausgelegt und eine verkappte PR-Kampagne für die durchführende Einrichtung. Es ist wohl kein Zufall, dass drei der fünf geprüften Fragen durch Overlays bedient werden können. Schade um das Geld, man hätte die eingesetzten behinderten Menschen mit einer sinnvollen Methodik viel besser einsetzen können. Hofffen wir mal, dass die fördernde Organisation das nächste Mal besser hinschaut.

Inklusive und barrierefreie Mode – ein Gespräch mit Claire Common

Das ist das Transkript des Podcasts. Alle Fehler und Ungenauigkeiten gehen auf mein Konto.

Domingos: So herzlich Willkommen zu einem neuen Podcast zur digitalen Barrierefreiheit. Heute habe ich wieder einen spannenden Gast dabei, die Claire Common. Claire kümmert sich um das Thema barrierefreie Mode. Was das genau ist, das werden wir gleich von ihr erfahren, aber erstmal vielen Dank, dass du dir die Zeit für den Podcast nimmst. Stelle dich gerne einmal vor.

Claires Hintergrund

Claire: Mein Name ist Claire und ich beschreib mich auch einfach mal. Also ich bin 28, wohne in Mannheim und bin so ein verwuschelter Lockenkopf, der gefühlt immer durch die Gegend irrt und ständig 10000 Ideen im Kopf hat. Und die meisten Leute übersieht, weil ich einfach ständig mit meinen Gedanken, überall woanders bin deswegen, wenn mich jemand sieht, bitte mehrmals ansprechen.

das beschreibt mich ehrlich gesagt auch ziemlich gut, weil. Ja, ich finde. Dass es super wichtig ist, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die einen auch ein bisschen aus der Komfortzone rausholen. Und so bin ich tatsächlich auch zu diesem Thema gekommen. Thema Inklusion, Barrierefreiheit, weil ich persönlich habe keine Behinderung und. Befasse mich aber trotzdem damit und setze mich sehr stark dafür ein und hatte tatsächlich auch Mode studiert und immer sehr spannende Themen mit reingebracht, die alles andere als. Mit Mode zu tun hatten, sondern wirklich Themen der Gesellschaft. Und mein Ziel ist es, sozusagen mit der Mode aufzuklären, um Themen greifbarer zu machen und halt nicht wie im Frontalunterricht, dass da jemand steht an der Tafel und einem irgendwas erklärt, wo man eh nicht zuhört, sondern dass man plötzlich etwas in der Hand hat, etwas fühlen kann, etwas spüren kann, was riechen kann etc. Und einfach eine andere emotionale Verbindung zum Thema bekommen, das bin so ich.

Domingos: Was genau lernt man denn, wenn man Mode, studiert? Ist das Design, oder Was Anderes?

Claire: Genau also das ist Design hauptsächlich. Wir sagen tatsächlich auch, wir studieren Mode und nicht Modedesign, weil Mode kommt tatsächlich auch so ein bisschen aus dem lateinischen Modus und ist sozusagen ein Spiegel der Gesellschaft. Das bedeutet? Gesellschaftsrelevante Themen beeinflussen uns, kreative Gestalter und wir setzen das dann um in eine textile Sprache. So wird das zumindest bei der Hochschule verstanden, an der ich studiert hab, das ist Pforzheim, die Hochschule. Und deswegen gehen wir da sehr kreativ ran. Wir haben dann wirklich das Thema Malerei, aber auch Skulptur, wir machen ganz viel mit den Händen und lassen etwas entstehen und nähen natürlich auch alles selbst, aber lassen da auch dann tatsächlich neue Materialien entstehen, indem wir Dinge zusammenfügen, die vielleicht auf den ersten Blick gar nicht so zusammen gehören, um einfach zu zeigen, hey, es gibt hier keine Grenzen, es gibt kein normal und das hat mich tatsächlich auch schon von Anfang an geprägt.

Ihr Weg zur inklusiven und barrierefreien Mode

Domingos: Interessant. Und wie bist du dann zum Thema inklusive und barrierefreie Mode gekommen? Hattest du ein Schlüsselerlebnis oder gab es ein anderes Ereignis dazu?

Claire: Tatsächlich immer die Meistgestellte Frage, weil das alle immer brennend interessiert. Und es ist einfach so eine langweilige Antwort. Es war einfach nur ein Zeitungsartikel, der mich irgendwie zum Nachdenken gebracht hat und in diesem Zeitungsartikel ging es um eine Fußballmannschaft, deren Mitspieler ein Bein verloren hatten und der Sport sie wieder dazu gebracht hat mit Teamgeist mehr Selbstbewusstsein aufzubauen, weil man einfach unter sich war und sich gegenseitig unterstützen konnte. Und da habe ich selbst gemerkt, dass ich mich um viele Diversitätsmerkmale kümmere wie das Thema Migrationsbiografie oder um soziale Herkunft oder das Thema LGBT plus Szene. Aber mit dem Thema Behinderung habe ich mich einfach de facto noch nie auseinandergesetzt. Es war jetzt nicht so, dass ich. Die Menschen ignoriert habe oder darüber gelästert hab oder sonst irgendwie n Urteil gefällt hab. Aber. Ich habe sie nie mit einbezogen und das fand ich tatsächlich dann auch nicht so schön und hab gemerkt, nee, das will ich ändern. So hat das angefangen.

Was heißt barrierefreie Mode

Domingos: Was bedeutet barrierefreie Mode eigentlich. Also warum muss Kleidung und für wen muss Kleidung eigentlich barrierefrei sein, warum ist das überhaupt relevant?

Claire: Also ich finde, dass das sehr stark unterschätzt wird. Das ist ja, glaube ich, bei räumlicher und digitaler Barrierefreiheit genauso. Es haben sehr viele Menschen einen Vorteil davon, es gibt meiner Meinung nach mehrere Ebenen, die das Thema Mode betrifft.

Wir haben einerseits die Thematik An und Ausziehen oder ausgezogen werden, wenn man zum Beispiel eine Assistenz hat, aber da fängt es auch schon an, wenn man irgendwie Muskelkater hat, wenn man Sport gemacht hat und dann ganz schwer irgendwie in die Jacke reinkommt, weil die viel zu eng ist. Da hat es tatsächlich schon mal der erste Klick kam. Und dann ging’s natürlich weiter. Ein Freund von mir, der hat Spastik und für den ist es gar nicht so einfach, in Kleidung reinzukommen, weil natürlich sein Muskeltonus wesentlich erhöhter ist. Und da fängt man dann halt wirklich an zu überlegen, OK, welche Stoffe muss ich auswählen, welche verschlusstechnik muss ich auswählen, wenn die Feinmotorik nicht ganz so ausgeprägt ist wie bei anderen. Das heißt habe ich magnetknöpfe, habe ich noch eine extra Lasche an dem Reißverschluss. Kann ich überhaupt solche Dinge nutzen, darf ich Knöpfe überhaupt nutzen und das ist so die erste Stelle.

Und dann geht es meiner Meinung nach auch weiter zu dem Thema schnitt, das ist sozusagen die Form eines Bekleidungsstückes, das bedeutet, wenn ich im Rollstuhl sitze. Und mein T-Shirt ist ganz normal lang fällt es auf, zum Beispiel, dass vorne am Bauch der ganze Stoff aufbauscht. Das bedeutet, dass die Operation sich verändert, der Bauch wird wesentlich voluminöser, genauso wie der ganze Oberkörper, und lässt die Beine noch Maler erscheinen, das heißt, wir haben hier nicht nur den praktischen Hintergrund, sondern auch wirklich den visuellen Hintergrund, und da geht es meiner Meinung nach einfach um barrierefreie Optik und ich finde, das ist auch sehr relevant. Und dann ist. Es meiner Meinung nach auch ein ganz wichtiger Punkt bei Mode. Klar, ich kann es natürlich zu mir nach Hause schicken, wie ist das aber, wenn ich die Sachen dann nicht ganz easy zurückschicken kann oder was passiert, wenn ich dann eher doch der Einzelhandels-Mensch bin, kann ich mit einem Rollstuhl, kann ich mit einem Blindenstock in jedes ganz normale Kaufhaus reingehen und kann gut beraten werden, das ist dann für mich die dritte und letzte Ebene, die ganz wichtig ist, weil hier kann ich fühlen oder spüren was für eine Farbe das ist oder wie der Schnitt ist, passt der wirklich zu mir? Und das sind dann so Themen, die natürlich noch ein bisschen mehr Details erfordern.

Gemeinsamer Prozess der Entwicklung

Domingos: Wenn du solche Kleidungsstücke entwickelst, das tust du ja mit Menschen mit Behinderung gemeinsam. Wie ist da der Ablauf? Wie kann man? Das sich vorstellen.

Claire: Mhm, also das war tatsächlich auch der allererste Schritt, den ich damals gemacht hab. Ich hab diesen Zeitungsartikel gelesen, es war ein Donnerstag und ich weiß noch ganz genau, dass ich dann mich am Freitag hingesetzt hab und gemerkt hab, OK, das ist das Thema, mit dem ich mich befassen will, hab ich mal recherchiert und. Hab das nennt sich Arbeitsgemeinschaft Barrierefreiheit Rhein Neckar und die Sitzen hier bei mir in Mannheim und die achten wie gesagt genau darauf, dass öffentliche Orte, die Straßenbahn et cetera wirklich barrierefrei ist und das wirklich auf sehr viele Dimensionen beachtet.

Und die habe ich einfach angeschrieben, habe gesagt, Hallo ich. Claire, ich habe die Idee gehabt, mich mit dem Thema Inklusion und Barrierefreiheit auseinanderzusetzen, hab aber gar keine Ahnung. Können wir uns mal treffen und dann hat sich tatsächlich der damalige Geschäftsführer mit mir getroffen im café und hat mir jede Frage beantwortet und das war auch einfach ein schönes, schönes Erlebnis, weil ich so gemerkt habe, ich muss gar keine Angst haben vor Fragen, natürlich muss ich dir respektvoll stellen, aber ich kann wirklich einfach drauflos fragen, weil die Person mir gegenüber es auch schätzt, dass ich interessiert bin, dass ich neugierig bin, dass ich erfahren will, wie es dieser Person im Alltag geht.

Und so ging es dann an, dass ich viele Kontakte geknüpft habe und diese Menschen regelmäßig getroffen habe, Fragen gestellt habe, wie zum Beispiel, was stört dich denn an den Kleidungsstücken, die du so im Schrank hast oder was ist dein lieblings Produkt und warum ist das dein Lieblingsprodukt, was muss sich gut anfühlen, was ist wichtig.

Und. Dann sind halt Themen rausgekommen, wie eben das. Dass, wenn man dauerhaft sitzt, aufgrund eines Rollstuhls zum Beispiel, dass die Nieren sehr schnell auskühlen, wenn hinten das Produkt zu kalt ist, aber vorne halt diese ganzen Falten entstehen. So kam das, dann hab ich einfach mal wild drauf los geschnitten und die ersten Produkte gemacht und hab sie dann zum Testen abgegeben. Hab mit den Leuten dann einfach ein paar Stunden verbracht. Sie hatten das an. Und haben mal geguckt, was ist praktisch was sind die Ärmel zu lang, hängen die dann im Reifen drin oder ist es dann mit Blindenstock blöd, weil man nicht mehr greifen kann, weil die Schlaufe sich irgendwie verhängt oder was auch immer?

Ganz viele Themen haben wir dann so ein bisschen abgetastet und dann hab ich sozusagen wieso n Detailkatalog aufgebaut, der sich bewährt hat und daraus entstanden dann die wichtigen Details, die dann auch später Platz gefunden haben in den Produkten.

Domingos: Ja, super spannend. Und ja auch sehr komplex. Also wie ist das für dich und wie ist es für die Teilnehmenden, ist das anstrengend oder habt ihr Spaß dabei?

Claire: Also ich hoffe doch, dass alle Spaß dabei haben. Also ich muss gestehen, für mich war es ganz am Anfang gar nicht so einfach, weil ich einfach gemerkt habe, dass das Feld ist, dass wir auch im Studium Nie Gesprochen haben und es sehr schade ist, weil wenn man sich einmal diese Mühe macht. Als Unternehmen kann man einfach wesentlich mehr Menschen erreichen und wesentlich mehr Menschen die Möglichkeit bieten, sich selbst zu verwirklichen, weil man muss auch einfach eingestehen, dass für viele Mode und Kommunikationsmittel ist, mit denen sie zeigen, wer sie sind, wie sie drauf sind, was ihnen wichtig ist et cetera.

Und dann ist es halt irgendwie schade, wenn nicht jeder daran teilhaben kann und deswegen ganz am Anfang war das schon vom Kopf her für mich eine schwierige Sache, aber es hat einfach Spaß gemacht, bei den Menschen, so herzlich sind die auch einfach. Natürlich ihre Geschichten mit mir geteilt haben, wo ich dann auch zwischendrin da saß und mich gefragt hab, wie böse kann diese Welt eigentlich sein und wie herablassen kann man andere Menschen behandeln.

Und ja, das waren aber glaub ich eher so diese persönlichen Geschichten hinten dran, die einen so ein bisschen auch emotional ergriffen haben, aber so von der Sache ist es schon richtig spaßig, wir machen so eine Art Modenschau. Probieren mal was aus, die Leute gucken so neugierig, kommmen mal her und fragen nach und plötzlich entsteht ein viel größerer Austausch und das Macht es auch einfach spannend.

Warum sollte Kleidung modisch sein

Domingos: Das klingt super. Eine etwas ketzerische frage. Das Kleidung barrierefrei sein muss leuchtet ein. Aber warum sollte sie modisch sein?

Claire: Tatsächlich antworte ich immer gerne mit einer Situation, die man sich in der Schule auch sehr gut vorstellen kann, die vielleicht einige auch erlebt haben, dass wenn man vielleicht einen bestimmten Stil oder bestimmte Marken nicht getragen hat, dass man von seinen Mitmenschen auch ein bisschen ausgelacht wurde oder gehänselt wurde, und das ist definitiv kein schönes Gefühl und dieser Spruch, Kleider machen Leute, ist halt leider irgendwie eine gewisse Wahrheit.

Und genauso wie ich es gerade eben meinte, dass für viele Mode ein Ausdrucksmittel ist, indem sie sich selber zeigen, weil sie vielleicht auch sonderbar sind zum Beispiel, und das ihre Möglichkeit ist, sich auszudrücken und zu zeigen, ich sehe Farben, ich mag Muster, ich kann tolle Sachen kombinieren, da kommen so schöne Sachen daraus und deswegen finde ich einfach, das Mode vor allem barrierefrei und inklusive Kleidung Auch modisch sein soll, weil es gibt so viele junge Frauen und Männer da draußen, die Wert auf ne Optik legen und die nicht auffallen wollen.

Das heißt, natürlich ist ein Rollstuhl ein Indiz dafür, dass man eine körperliche Behinderung hat, aber man möchte auch an manchen Stellen einfach wie alle anderen sein und auch irgendwie modisch sein und das kann ich auch auf ein Stück weit verstehen und möchte einfach nicht immer der Sonderling oder irgendwie anders sein in einem Raum und. Ist das auch einfach eine Art und Weise, deshalb barrierefreie Mode .

Claire folgen

Domingos: Wo kann man denn dir folgen, wenn man sich weiterhin für das Thema interessiert?

Claire: Genau, also ich bin tatsächlich auf Instagram unterwegs, merke aber immer wieder, dass ich da auch einfach so ein bisschen auf Hürden stoße, auch was das Thema Barrierefreiheit tatsächlich angeht. Da berichte ich auch immer recht aktiv aus meinem Alltagsleben, auch was ich gerade mache. Dass ich gerade neue Sachen ausprobiere zum Beispiel oder so.

Und dann bin ich sehr stark auf linkedin aktiv, weil ich einfach den Austausch mit den anderen Menschen sehr wichtig finde. Weil das hab ich vorhin gar nicht angesprochen. Ich lasse ja auch inklusiv produzieren, das bedeutet, meine Produkte werden von Menschen mit Behinderung einer Inklusionswerkstatt hergestellt und da war es mir halt sehr, sehr wichtig, dass die Menschen versicherungspflichtig auf dem ersten Arbeitsmarkt sind, um auch einfach zu zeigen, ein Stück weit so Hey, Menschen mit Behinderung können genauso viel wie Menschen ohne Behinderung, und nur, weil man eine Behinderung hat, heißt es nicht, dass Personen irgendwie weniger Leistung bringen können oder schlechter sind. Und dabei setz ich mich halt auch sehr stark für dieses Thema ein und möchte auch einfach aufklären und Unternehmen zeigen, dass Inklusion und ein inklusives Team wirklich auch ein Erfolgsfaktor sind, weil plötzlich mehrere Blickwinkel gesehen werden und dadurch auch Produkte zum Beispiel vielschichtiger werden und besonderer werden und das auch für den Endkunden am Ende einfach spannend ist. Und deswegen bin ich auch auf linkedin. Und ein Freund und ich, der Bastian. Wir haben tatsächlich auch einen Podcast, der ist auch überall erhältlich, da kann man uns auch ein bisschen kennenlernen, weil da sprechen wir auch eher über Alltagsthemen und zeigen da einmal den Blickwinkel von einer Person mit Behinderung, einmal den Blickwinkel von einer Person ohne Behinderung sprechen zum Beispiel über so Themen wie wie kocht man, wenn man spastiker ist oder noch zu demonstrieren, wie wichtig ist es, sich für die Umsetzung der UN-behindertenrechtskonvention einzusetzen etc.

Zum Weiterlesen

Ein bisschen Barrierefreiheit – Perfektion sollte nicht das Ziel sein

Es ist kein Geheimnis, dass ich kein großer Freund der vollen Konformität bin. Das Konzept der vollen Konformität ist schwer zu verstehen, schwer zu erklären und schwer umzusetzen. Volle Konformität heißt, dass eine bestimmte Norm zur Barrierefreiheit vollständig erfüllt wurde. In der EU ist das die EN 301549, soweit sie für das Produkt oder die Dienstleistung bzw. dessen Anbieter greift.

Es ist richtig, dass Barrierefreiheit relativ leicht umsetzbar ist, wenn man sie von Anfang an beachtet. Aber zumindest bei komplexeren Projekten und einem unerfahrenen Team geht das nicht ohne einen gut eingebundenen Barrierefreiheits-Profi. Und sie oder er ist selbstverständlich nicht zum Nulltarif zu haben. In der Regel hat man es aber eben nicht mit komplett neuen Projekten zu tun, sondern mit bestehenden Systemen und knappen Ressourcen.

Über-Komplexe Regeln helfen niemandem

Harte Regeln sind dort sinnvoll, wo relativ wenig Spielraum ist. Wenn ich einen Rollstuhl-Zugang zu schmal mache, dann wird es sehr teuer bis unmöglich, ihn nachträglich umzubauen. Auch bei Hardware gilt das. Der Entwurf eines eBook-Readers ist aufwendig und man kann ihn schlecht hinterher noch mal barrierefrei machen.

Anders sieht es bei Software aus, auch bei der Software, die auf Hardware wie Lese-Geräten oder Bank-Automaten läuft. Hier ändern sich Designs, Programmier-Techniken und auch die Anforderungen an die Barrierefreiheit relativ schnell. Insofern sind hier sehr harte Regeln oft nicht sinnvoll.

Von Natur aus dogmatisch

In jeder Szene kann man klar zwischen zwei Gruppen unterscheiden: Den Dogmatischen und den Pragmatischen. Denken Sie an eine beliebige Szene, die Sie gut kennen und Ihnen werden sofort Personen einfallen, die Sie der einen oder der anderen Gruppe zuordnen können. In der Regel ist das Verhältnis ausgeglichen. In der Barrierefreiheit ist das anders: Die Dogmatischen machen den Großteil der Szene aus.

Volle Konformität zwingt zum Dogmatismus: Viele Expertinnen erscheinen als in der Wolle gefärbte Radikale. Manchmal sehe ich sie vor mir: Personen, die sich gegenseitig WCAG-Regeln wie Bibelzitate an den Kopf werfen und sich bis aufs Blut bekämpfen. Dem Vernehmen nach ist diese harte Auslegung und der Mangel an Kompromiss-Bereitschaft der Grund dafür, warum es mit der Weiter-Entwicklung der WCAG-Standards lange dauert. In Deutschland sieht man das an der DIN Spec Leichte Sprache, die sich dem Vernehmen nach wegen interner Konflikte so lange hinzieht. Der Lieblings-Spruch der WCAG-Nerds ist „Ein bisschenBarrierefreiheit geht nicht“. Manche bedrucken ihre T-Shirts mit diesem Ausspruch.

Vielleicht liegt das in der Natur der Sache. Die meisten dieser Menschen haben keine Behinderung und somit keine praktische Erfahrung. Veganerinnen ernähren sich vegan, aber Barrierefreiheits-Profis sind mangels Behinderung nicht auf Barrierefreiheit angewiesen. Ich habe tatsächlich festgestellt, dass einige behinderte Expertinnen entspannter sind als Nicht-Behinderte. Aber auch die Jüngeren sind bei der Interpretation der Regeln oft entspannter als die Veteraninnen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Vor allem die reinen Testerinnen sind unnötig kritisch und wählen immer die für das Objekt schlechteste Interpretation, eine Art Existenz-Rechtfertigung für sie und ihr Verffahren. Der Kunde könnte schlißlich mißtrauisch werden, wenn er tausende Euro bezahlt und bei der Prüfung nur wenig herauskommt.

Dogmatismus wäre vielleicht zu rechtfertigen, wenn die WCAG nicht auch viele Lücken und Interpretations-Spielraum ließe. Die volle Konformität hängt nicht nur von den Regeln, sondern von deren Interpretation und der persönlichen Meinung der Expertinnen ab. Deswegen sind auch Zertifizierungen Unsinn, weil sie am Ende immer auf solchen Faktoren basieren und eine Moment-Aufnahme sind. Aus meiner Sicht ist das eine Verschwendung von Ressourcen. Die Mikro-Optimierungen dienen häufig dem einzigen Zweck, volle Konformität in den Augen des Testers herzustellen, ob die Maßnahmen im Einzelfall sinnvoll sind, darf man nicht fragen, weil die Konformität rechtlich festgelegt ist. Ein Beispiel ist 4.1.1. Parsing. Sie ist in der WCAG 2.1 rückwirkend abgeschafft worden, muss aber immer noch erfüllt werden, weil sie in der EN enthalten ist. Das heißt, obwohl wir wissen, dass sie überflüssig ist, müssen wir sie anmeckern.

Dabei sagt die WAI selbst, dass die WCAG nicht erschöpfend ist. Die BITV 2.0 fordert, dass der Stand der Technik zu beachten sei. Verfahren wie der BITV-Test und die volle Konformität ignorieren das komplett.

Volle Konformität garantiert keine gute Benutzbarkeit für behinderte Menschen. Auch das kommt bei vielen Barrierefreiheits-Veteraninnen leider nicht an.

Ich glaube auch, dass das viele interessierte Personen von der Barrierefreiheit abschreckt. Wer will da schon mitmachen, wenn er an den Perfektions-Ansprüchen scheitert?

Manche können es sich nicht leisten

besser nichts als 100 Prozent barrierefrei. Das spricht so niemand aus, aber denken und handeln nicht viele aus unseren Kreisen so? Und denken nicht vor allem die alten Hasen, dass sie die Einzigen sind, die alles richtig machen?

Aber was ist mit dem lokalen Frauenhaus, dass sich keinen Barrierefreiheits-Test leisten könnte. Was ist mit dem kleinen Museum, das von einem Web-Entwickler verarscht wurde, der behauptet hat, er könne Barrierefreiheit? Was ist mit dem Verein, dem ein gefälschter PAC-Test vorgelegt wurde. Das sind alles Dinge, die ich in meiner Karriere nicht nur einmal erlebt habe.

Für diese Einrichtungen ist 100 Prozent zu teuer, auch 50 Prozent. Aber 10 Prozent Barrierefreiheit, da würde jede Dogmatikerin den Hörer auflegen. Nach unserer Logik brauchen sie gar nicht erst anzufangen, wenn sie nicht 100 Prozent AA anstreben. Wenn sie sich das nicht leisten können, haben sie Pech gehabt.

Nicht Anything goes, sondern something goes

Natürlich besteht die Gefahr, dass Anbieter ohne harte Regeln irgendwas umsetzen (z.B. ein Overlay einsetzen) und das dann als barrierefrei verkaufen. Ich glaube aber, dass die Chance, dass jemand mit ein bisschen Barrierefreiheit anfängt und sie dann ausbaut nicht so gering ist. Es ist manchmal sogar leichter: Verantwortliche können nach und nach Barrierefreiheit in die Projekte einschmuggeln: Erst ins Design, dann in die Entwicklung und schließlich in die Redaktion, erst in die Design-, dann in die Entwicklungs-Bibliothek und abschließend in das Redaktions-Handbuch. Die Beteiligten haben viel mehr Zeit, es umzusetzen und sind am Ende vielleicht besser als jene, die der WCAG hart folgen. Denn diese Leute wollen die Regeln 1:1 umsetzen und kein Stück mehr machen als das, wozu sie verpflichtet sind. Ihr Ziel ist nicht Zugänglichkeit, sondern Compliance, was eben nicht das Gleiche ist.

Weniger harte Regeln, mehr Empfehlungen

Die WCAG und die EN 301549 drohen, zu einem undurchführbaren Konvolut an Regeln zu werden. 120, 150 oder 200 Regeln – alles scheint möglich. Das dürfte selbst für Expertinnen irgendwann so komplex werden, dass es kaum noch umsetzbar ist. Ebenso wie der Datenschutz – gute Idee, schlechte Umsetzung – bremst es den Fortschritt und die digitale Barrierefreiheit aus, weil die Vollendung von Anwendungen sich unendlich verzögert. Die flächen-deckende Umsetzung von PDF UA – meines Wissens rechtlich nirgendwo verankert – ist ähnlich wie Gold aus Dung machen, fast unmöglich.

Meines Erachtens reichen wenige Must-Have-Regeln. Dazu gehört zum Beispiel die Bedienbarkeit per Tastatur, also im Wesentlichen das, was in der WCAG 2.x A steht. Den Rest würde ich tatsächlich als Empfehlungen erster Stufe (AA) und zweiter Stufe (AAA) umsetzen. Empfehlung heißt, es ist wünschenswert, dass es umgesetzt wird, aber es ist nicht zwingend, um Barrierefreiheit zu erreichen.

Kommunikation nach außen

Der Begriff Barrierefreiheit ist anders als das Konzept Konformität nicht fest definiert. In der Kommunikation nach außen ist es daher sinnvoll, entweder eine Stufe der WCAG als Ziel der eigenen Bemühungen zu kommunizieren oder die konkreten Maßnahmen, die man durchgeführt hat. Sagt man zum Beispiel „Wir haben darauf geachtet, dass unsere Website vollständig per Tastatur bedienbar ist“ oder „Wir haben unsere Dokumente mit den Möglichkeiten von Office barrierefrei gestaltet“ ist das eine einfache, überprüfbare Aussage, die nicht suggeriert, man hätte eine vollständige Konformitätsstufe erfüllt.

In den meisten Fällen wäre das vollkommen ausreichend. Behinderte Menschen haben hier, wenn man ihnen das Problem erklärt mehr Verständnis als die WCAG-Nerds. Sie interessiert nur, ob sie es verwenden können, wofür die Erfüllung der WCAG eine gute, aber nicht die einzige Voraussetzung ist.

Zum Weitelesen

Barrierefreiheit – ein Plädoyer für Disabled Buttons –

Newsletter-Formular von Silta mit ausgegrautem Button

Vor einigen Monaten gab es einen längeren kritischen Artikel zur Barrierefreiheit von Disabled Buttons. Tenor war, dass diese Buttons vermieden werden sollten. Um den Artikel zu lesen, muss man ein Medium-Mitglied sein. Wie der alte Groucho Marx möchte ich nicht in einem Club Mitglied sein, das mich als Mitglied aufnehmen würde, deshalb habe ich auf die Lektüre des Beitrags „Never, ever disable buttons — Requirements for an accessible solution“ verzichtet, dafür gibt es auch keinen Link.

Disabled heißt in dem Kontext, dass Buttons zwar im User Interface vorhanden, aber nicht anklickbar sind, visuell sind sie in der Regel ausgegraut und in der Accessibility API werden sie als Element mit der richtigen Rolle, also zum Beispiel „Button“, aber als nicht aktivierbar ausgegeben. NVDA sagt zum Beispiel „nicht verfügbar“.

Rein technisch gibt es mit der Barrierefreiheit kein Problem. Selbst Olles HTML bietet den State Disabled. Das Gegen-Argument lautet dass man erst am Ende eines Formulars feststellt, dass das Formular nicht verschickt werden kann. Allerdings ist meines Erachtens ein gewichtigeres Problem vorhanden, wenn der Button trotz Fehlern aktiviert werden kann. Die Screenreader-Nutzerin merkt erst nach dem Abschicken und dem Neu-Rendern der Seite durch den Screenreader, dass es ein Problem gab, ärgerlich vor allem bei umfangreichen Seiten. Stellen wir uns etwa ein Newsletter-Formular vor, welches relativ am Ende einer Unterseite ist. Auch besteht die Gefahr, dass die Nutzerin bei statischen Formularen gar nicht merkt, dass ein Fehler aufgetreten ist. Wie oft schickt man ein Formular ab und geht nicht noch mal sicher – oder bekommt keine Bestätigung – dass es geklappt hat? Aus meiner Sicht ist das ein Argument für Disabled Buttons und deren Zugänglichkeit.

Etwas anders ist die Situation bei dynamisch validierten Formularen. Hier kann man die Nutzerin bei Klick auf den Button mit einer Meldung auf das Problem hinweisen und den Fokus auf das eventuell falsche Formular-Element legen. Bei Newslettern ist das häufig die Checkbox zum Datenschutz.

Formular der Deutschen Bahn zur Bestellung einer Mobilitätshilfe.

Das Problem beginnt hier buchstäblich gesprochen schon früher in schlechtem Formular-Design. Wenn Fehler automatisch festgestellt werden können, müssen die Nutzerinnen spätestens darauf hingewiesen werden, wenn sie das jeweilige Formular-Element verlassen. Ich bin ja generell kein Fan des User-Interfaces der Deutschen Bahn, aber zumindest kriegen sie das gut hin. Sie machen das in dem Interface, in welchem man eine Mobilitätshilfe online anfordern kann.
Verlässt man ein Pflichtfeld ohne oder mit falscher Angabe, wird man sofort darauf hingewiesen. Entscheidend ist also nicht der Disabled Button, sondern ein gutes Fehlermanagement im Formular. Dazu gehört die dynamische Validierung von Eingabenund die korrekte Ausweisung von Pflichtfeldern. Das erreicht man, indem man zum Beispiel „Pflichtfeld“ in das Label schreibt und ARIA required verwendet.

Natürlich wird es immer noch Leute geben, die das Formular falsch ausfüllen. Aber wie oben gesagt kann man das durch ein vernünftiges Fehler-Management reduzieren und dann ist der Button nicht mehr disabled, wenn man ihn erreicht.

Auch spricht nichts dagegen, vor bzw. auf dem Disabled Button Informationen dazu zu geben, warum der Button nicht aktiviert werden kann.

Zum Weiterlesen

ChatGPT und Co. für Barrierefreiheits-Recherchen nutzen

Ich gebe es zu, ich bin auch dem Hype verfallen und probiere mich ChatGPT herum. Neben dem üblichen Small Talk (Wie geht’s dir, wie ist das Wetter bei euch, wann wird die Menschheit sich selbst vernichten) kann man es auch für nützliche Dinge verwenden, zum Beispiel für Recherchen zur digitalen Barrierefreiheit. ChatGPT steht hier stellvertretend für generative Technologien, Sie können ebenso Gemini verwenden (nach meiner Erfahrung bisher wenig zuverlässig) oder Perplexity.ai oder eine andere generative Technologie Ihres Vertrauens.

Generell sind zwei Szenarien zu unterscheiden:

  • Richtige Kriterien und Anforderungen zu bestimmten Problemen finden
  • Sich komplizierte Anforderungen erklären lassen

Passende Kriterien und Anforderungen finden

Für einfache Elemente wie Select-Boxen ist es recht einfach, die entsprechenden Informationen zu finden. Ich greife meistens auf das Mozilla Developer Network zurück, aber es gibt zahlreiche weitere zuverlässige Quellen wie Stack Overflow oder die W3 Schools. Schwierig wird es für komplexe Elemente wie Multiselect Dropdowns oder ähnliche zusammengesetzte Elemente, für die es kein HTML-Äquivalent oder einfaches ARIA gibt. Eine einfache Google-Recherche hilft manchmal nicht weiter, weil hier oft wenige bis keine oder veraltete Artikel angezeigt werden.

Man fragt also ChatGPT oder die GenAI des Vertrauens: „Worauf muss ich achten, wenn ich Multiselect Dropdowns“ barrierefrei gestalten will?“. Bitte beachten Sie dabei, dass zumindest die kostenlose Version von ChatGPT aktuell auf Anfang 2022 eingefroren ist und somit zum Beispiel keine Anforderungen aus der endgültigen WCAG 2.2 aus Herbst 2023 berücksichtigen kann.

Ich erspare Ihnen die Antwort von ChatGPT, das können Sie gerne selbst ausprobieren. Praktisch dabei ist, dass direkt auch ein beispielhafter Code angezeigt wird. Den Code bitte nicht einfach übernehmen, da er generisch ist, enthält er eine Menge DIVs.

Im zweiten Schritt können Sie optional eine weitere GenAI befragen, zum Beispiel Gemini von Google oder perplexity.ai. Die Antworten sollten Sie abgleichen. Sind die Antworten gleich, sind wir auf einem guten Weg. Manche GenAIs geben auch Quellen zu den Ergebnissen aus, die Sie studieren können. Das tut zum Beispiel der Copilot von Bing oder Perplexity.

Im dritten Schritt würde ich nach Fach-Artikeln zum Thema recherchieren und die Antworten der GenAIs damit abgleichen. Achten Sie darauf, dass die Artikel aktuell sind, von namhaften Quellen stammen und auf die angewendeten WCAG-Kriterien eingehen.

Haben wir wirklich Zeit gespart, wenn wir all diese Schritte gehen, stupid? Nicht unbedingt, aber die Chance, korrekte Antworten zu bekommen und das Element richtig umzusetzen sind gestiegen. Die Alternative wäre gewesen, den erstbesten Artikel von Google zu nehmen und ihn zu verwenden. Als Novize kann ich aber nicht wissen, inwiefern dieser Artikel korrekt oder aktuell ist.

Auch bei ARIA kann GenAI sinnvolle Antworten liefern. Allerdings würde ich auch bei diesem Thema die Recherche nach aktuellen Beiträgen empfehlen. Bei ARIA ist die Entwicklungs-Dynamik größer als bei der WCAG,, die relativ wenig geändert wird.

GenAIs lassen sich natürlich auch dafür verwenden, sich Artikel zusammenfassen zu lassen. Die Zusammenfassung ist dabei umso besser, je kürzer der Artikel ist. So ab 6000 Zeichen wird die Zusammenfassung nach meiner Erfahrung sehr rudimentär. Auch hier können Sie natürlich tricksen, indem Sie eine bestimmte Teilmenge des Textes in das Chat-Fenster kopieren, 3000 Zeichen sollten nach meiner Erfahrung gut funktionieren.

Eine weitere Möglichkeit, die ich gerne für die Vor-Recherche verwende ist, ChatGPT nach den WCAG-Kriterien zu fragen, die für ein bestimmtes Element gelten. Auch hierbei ist es meiner Erfahrung nach recht zuverlässig, auch wenn man wie gesagt die Antworten immer prüfen sollte. Bei der EN 301549 funktioniert es leider aktuell nicht, auch hier werden nur die WCAG-Kriterien genannt, nicht aber die Anforderungen aus anderen Kapiteln.

Wie immer bei GenAIs gilt, dass spezifische Fragen besser beantwortet werden als generische. Fragen Sie zum Beispiel nicht: „Was soll ich bei barrierefreiem Design“ beachten, diese Frage könnte auch ein Mensch kaum sinnvoll beantworten. Fragen Sie liber: Was sollte ich bei Farben in der barrierefreien Gestaltung beachten“. Die Konversation kann mit den Antworten von ChatGPT weiter vertieft werden, wenn Sie zu einzelnen Aspekten mehr Informationen benötigen. Oder lassen Sie sich gleich passende Artikel empfehlen. Für diesen Zweck funktioniert Perplexity.ai recht gut.

Relativ nervig ist die Geschwätzigkeit der GenAIs, die meistens bei der ersten Antwort zum Tragen kommt. Wenn man nach Farben in der Barrierefreiheit fragt muss man wohl nicht mehr erfahren, warum barrierefreies Webdesign wichtig ist.

Über Barrierefreiheits-Probleme diskutieren

Sie kennen das sicher: Sie haben eine Frage zur Barrierefreiheit einer speziellen Komponente – zum Beispiel einer eingebundenen Karte – und haben niemanden, mit dem Sie darüber diskutieren können oder brauchen schnell mal um Mitternacht einen Rat bzw. verschiedene Argumente pro und contra. Dafür sind GPTs tatsächlich perfekt geeignet. Stellen Sie Ihre Frage und lassen Sie sich die verschiedenen Argumente auflisten.

Wohlgemerkt sagen wir nicht, dass Sie sich auf die Einschätzung Ihrer Lieblings-GPT verlassen sollten. Das könnte Ihnen oder dem Kunden schaden. Aber Sie können sich wie gesagt Argumente holen und eventuell Artikel empfehlen lassen, die das Thema diskutieren. Auf dieser Basis können Sie dann eine Entscheidung treffen. Wie immer kann auch hier hilfreich sein, sich die Quellen für die Aussagen/Diskussionen nennen zu lassen.

Regeln erklären lassen

ChatGPT kann ebenfalls dabei helfen, komplizierte Regeln erklären zu lassen. Es gibt Regeln, die man bisher selten anwenden muss wie etwa 2.5.4 Motion Actuation. Hier kann ChatGPT helfen, indem man etwa um eine Erklärung dieser Regel bittet und sich vielleicht Beispiele nennen lässt. Daneben ist es auch hilfreich, um zwei Regeln zu vergleichen und voneinander abzugrenzen, die von der Begrifflichkeit sehr ähnlich klingen. Zum Beispiel habe ich mir einmal 3.3.8 Accessible Authentication und 3.3.9 Accessible Authentication (Enhanced) erklären und vergleichen lassen. Wie nicht oft genug erwähnt werden kann sollte man die Antworten überprüfen.

Wie oben gesagt kann es sein, dass ChatGPT die aktuellen Regeln aus der EN 301549 nicht kennt. Dabei und auch bei anderen Verordnungen oder Gesetzen kann ChatGPT helfen, indem man einfach den Text des jeweiligen Absatzes reinkopiert und um eine verständliche Erklärung bittet. Dabei muss man sich allerdings darauf verlassen, dass die Erklärung plausibel klingt, da es bislang kaum vertieftes Material zum BFSG oder zur EN gibt, zumindest ist mir noch nichts untergekommen, was nicht sehr oberflächlich ist. Aus meiner Sicht wäre ein ChatGPT für digitale Barrierefreiheit sehr wünschenswert.

Interne und beschränkte Ressourcen

Die kommerzielle Version von GenAIs erlaubt häufig zwei Dinge, die für die interne Anwendung interessant sein können. Zum Einen gibt es die Möglichkeit, dass auf interne Ressourcen zugegriffen wird. Nehmen wir an, Sie haben ein internes Wiki sowie eine Bibliothek, dann könnte die GenAI so eingestellt werden, dass sie spezifische Antworten für die jeweilige Organisation gibt. Das ist wichtig für große Organisationen mit komplexen Designs oder mehreren Bibliotheken. Für die BF-Profis mag das nicht relevant sein, weil sie diese Dokumente kennen oder vielleicht sogar selbst erstellt haben. Aber wir wollen ja auch andere Personen oder vielleicht sogar externe Dienstleisterinnen die Arbeit erleichtern.

Es kann aber auch eine Überlegung wert sein, die externen Ressourcen, die für die Generierung verwendet werden zu begrenzen. Wenn Sie zum Beispiel sagen, Sie wollen nur seriöse oder frei zugängliche Ressourcen für die GenAI heranziehen, dann ist auch das möglich. Der Index kann ja bei Bedarf erweitert oder reduziert werden.

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Barrierefreiheit im Gesundheits-Wesen – ein Interview mit Ines Olmos

Domingos: So herzlich Willkommen zu einem neuen Podcast zur digitalen Barrierefreiheit. Heute habe ich wieder einen spannenden Gast dabei, mit Ines Olmos spreche ich über das Thema Barrierefreiheit im Gesundheitssystem. Erstmal vielen Dank Ines, dass du dir die Zeit nimmst für diesen Podcast.

Ines: Ja, vielen Dank für die Einladung und auch für deine Zeit.

Ines Hintergrund

Domingos: Sehr gerne. Wir fangen, wie immer damit an, dass du dich den Zuhörenden einmal kurz vorstellst.

Ines: Ich bin Ines Olmos, ich bin von Hause aus Physiotherapeutin, ich war viele Jahre auch praktisch tätig, dann habe ich ein Studium als gesundheits-Wissenschaftlerin gemacht. Dort jetzt hauptberuflich in meinem Hauptjob, arbeite ich mit den Themen Prävention und Gesundheitsförderung. Das heißt, ich habe als Physiotherapeutin mit einzelnen Personen mit den Individuen gearbeitet und jetzt habe ich die Bevölkerung im Blick oder bestimmte Personengruppen.

Und ja, nebenberuflich bin ich selbständig im Bereich Gesundheit, barrierefreie Gesundheitskommunikation. Und ja, dort fließen auch noch mal alle meine Herzensthemen zusammen. Neben der Prävention, Gesundheitsförderung auch das Thema inklusive Gesundheit. Die Kommunikation und das Thema Gesundheitskompetenz, was damit auch sehr eng in Verbindung steht. Und Gesundheitskompetenz? Ich weiß nicht, ob dir das, was sagt oder ob ich dazu noch mal ein 2 Worte sagen soll.

Die Bedeutung von Gesundheits-Kompetenz

Domingos: Ja, sehr gerne.

Ines: Ja, also Gesundheitskompetenz ist die Fähigkeit eines Menschen, aktiv Gesundheits-bezogene Informationen, aber auch Dienstleistungen zum Beispiel oder mit gesundheitsbezogenen Herausforderungen umzugehen. Und durch eine starke Gesundheitskompetenz ist man dann auch selber fähig, sich um die Gesundheit, die eigene Gesundheit, das eigene Wohlbefinden zu kümmern. Aber man kann sich dann auch um das Wohlbefinden anderer kümmern und hat sehr viel mit der Gesundheitskommunikation zu tun und bedingt sich auch gegenseitig, weil das die Teilhabe auch unterstützt und die Selbstbestimmung über die eigene Gesundheit.

Domingos: Ja, auf jeden Fall ein superspannendes Thema. Wie bist du denn auf das Thema Gesundheits-Kompetenz, Barrierefreiheit, Wenn du aus dem Thema Physiotherapie kommst. Da sieht man jetzt keine unmittelbare Verbindung.

Ines: Doch eigentlich schon. Das Thema Gesundheit und Barrierefreiheit hat eigentlich so ein Bezug zu meiner Biografie und aber auch zu meiner ganzen beruflichen Laufbahn. es ist einfach so, dass viele Gesundheitsinformationen häufig zu schwierig sind. Im Alltag haben viele Menschen große Herausforderungen, die zu verstehen und auch dann, wenn ich sie nicht verstehe, kann ich auch Gesundheitsinformationen nicht anwenden und dieses Problem habe ich in meiner beruflichen Laufbahn oder auch in meiner Biografie selber spüren können. Ich bin in Bolivien geboren und aufgewachsen und bin dann mit 20 Jahren alleine nach Deutschland gekommen. Nach Berlin. Und da habe ich das erste Mal so diese Barriere im Gesundheitssystem selber an mir gespürt, nämlich ich wusste gar nicht, wie dieses Gesundheitssystem funktioniert. Ich wusste auch gar nicht, dass ich ein Recht habe auf eine Krankenversicherung, aber wusste auch nicht, wo bekomme ich überhaupt eine Krankenversicherung und wie ist das überhaupt, zum Arzt zu gehen, und das hat zum Beispiel auch mit Gesundheitskompetenzen zu tun.

Und weil du meintest, gerade die Physiotherapie. Hat vielleicht jetzt nicht so einen starken Zusammenhang, doch sehr stark, weil ich als Physiotherapeutin zum Beispiel sehr oft die Ansprechperson für Patientinnen war mit Fragen, die die Menschen mitbrachten, aus dem Arzt Kontakt, den sie hatten. Dann irgendwelche Rezepte in die Hand gedrückt bekommen, wo Sie nicht wussten. Was mache ich denn jetzt damit oder irgendwelche Befunde mitgebracht, die der Arzt kurz angeschaut hat und dann? Ja, zwei – drei Worte dazu gesagt hat in einer Fachsprache und sie konnten aber nichts damit anfangen oder Medikamenten Beipackzettel, die sie dann auch nicht verstehen können und nicht wissen was mache ich jetzt damit. und ja, da konnte ich als Physiotherapeutin mit dem Kontakt zu unterschiedlichen Menschen auch viele Barrieren kennenlernen im Gesundheitsbereich, nämlich zum Beispiel auch kulturelle Barrieren, die es gibt in der medizinischen Versorgung oder im Kontakt dann sprachliche Barrieren. Aber auch ein wichtiges Thema, infrastrukturelle Barrieren, zum Beispiel ein älterer Herr, der mit einem Rollator in die Praxis kommen möchte, aber die Physiotherapie Praxis ist im 3. Stock ohne Fahrstuhl. Aber auch so körperliche oder geistige Beeinträchtigungen.

Physische Barrieren

Domingos: Ja, superspannend. Dann fangen wir doch mit den verschiedenen Facetten der Barrierefreiheit an. Du hast ja jetzt gerade das Thema Barrierefreiheit der Räumlichkeiten angesprochen. Und da gibt es ja durchaus auch einen Genderaspekt, sagen wir mal. Also das ist ja für Frauen mit Behinderung zum Beispiel besonders schwierig ist, passende Ärzte zu finden für die unterschiedlichen Themen, die sie Halt haben. Sowas wie Schwangerschaft, aber auch Frauenärzte generell, ist das auch deine Erfahrung.

Ines: Ja, also. Barrierefreiheit in Arzt-Praxen gibt es einmal in diesen Bereichen, wie du jetzt gerade gesagt hast, in den baulichen oder in den medizinischen Geräten, die es gibt, und da ist der Besuch beim Frauenarzt ein wichtiger, immer wieder genannter. Barriere Aspekt, weil der Behandlungs-Stuhl einfach schwer ist dort drauf zu kommen, wenn ich zum Beispiel in einem Rollstuhl sitze oder bestimmte Spastiken habe in den unteren Extremitäten, aber dann gibt es auch ganz einfach liegen, die nicht höhenverstellbar sind, das ist auch oft eine Barriere, die dann gar nicht so richtig berücksichtigt wird. Oder andere medizinische Geräte, die auch nicht richtig barrierefrei sind. Für alle Personengruppen beim Hals-Nasen-Ohrenarzt zum Beispiel oder beim Augenarzt. Oder beim Zahnarzt. Da gibt es ganz viele Dinge.

Kommunikations-Barrieren

Aber weg von diesen baulichen Barrieren gibt es natürlich auch Probleme. Zum Beispiel Formulare, die ich beim Arzt ausfüllen muss, wenn ich zum Beispiel als neue Patientin irgendwo ankomme, bekomme ich einen Zettel in die Hand gedrückt, wenn die Praxis etwas Technik verbundener ist, kriegt man ein Tablet in die Hand gedrückt und muss erstmal ein Formular ausfüllen. Und dieses Formular ist aber in schwerer Sprache, sage ich jetzt mal. Es gibt keine Version in einer leicht verständlichen Sprache. Das ist eine ganz große Barriere meines Erachtens, denn es nimmt mir einfach, wenn ich das dann nicht ausfüllen kann, die Freiheit, selbstbestimmt darüber zu entscheiden, was für Informationen gebe ich oder welche Informationen bekomme ich? Oder? Ja, da gibt es natürlich auch dann Formulare, die sind wahrscheinlich dann auch nicht Für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung erstellt und solche Dinge. Da hast du vielleicht auch Erfahrungen schon gemacht.

Domingos: Ich muss sagen, ich war lange Zeit nicht mehr im Krankenhaus, deswegen weiß ich nicht, wie es dort ist. Aber tatsächlich hab ich bisher Glück gehabt. Also mein Hausarzt, den ich bekommen habe, als ich nach Bonn gezogen bin, der hat mir gar nicht erst das Formular die Hand gedrückt, sondern wir haben das zusammen ausgefüllt, er hat mich halt gefragt und dann haben wir das gemeinsam ausgefüllt und ich meine, das war auch bei den meisten anderen Ärzten so.

Ines: Ja, es ändern sich ja auch immer dann die Datenschutzbestimmungen und so weiter oder vielleicht wird es dann direkt in der Patientenarztkommunikation geregelt. Das gibt es auch, aber das wäre zum Beispiel auch noch mal eine Barriere die gesprochene Sprache. Es gibt leider immer noch Ärztinnen oder medizinisches Personal, dass viel zu viel in der Fachsprache spricht und dass es dann halt nicht verständlich ist. Oder dass sie dann auch nicht genügend Raum geben, um Fragen zu stellen, weil einfach auch keine Zeit mehr ist, um im Dialog zu kommen, oder man bekommt keine Informationen, Informationsblätter zum Beispiel, die dann auch mehrsprachig sind oder in leichter Sprache oder einfacher Sprache. Das sind auch noch wichtige Barrieren. Neben den baulichen Barrieren.

Domingos: Ja, ich kann mich erinnern, also auch aus meiner Vergangenheit. Wir sind ganz oft mit unseren Eltern zum Arzt gegangen, damit wir unseren Eltern halt erste Generation, die nach Deutschland eingewandert ist, damit wir denen erklären können, was die Ärzt:Innen eigentlich sagen, und das kann ich auch von ganz anderen, ganz vielen anderen Familien mit so einem Migrationshintergrund. Das ist auch die erste Generation, die noch nicht so gut Deutsch versteht. Also im Alltag funktioniert es gut, aber gerade so, wenn es um Papierkram geht oder Gespräche. Das ist einfach sehr kompliziert, aber extrem wichtig auch, dass man, wenn man zum Beispiel Diabetes hat oder so, dass man dann eine vernünftige Information bekommt.

Ines: Ja, das stimmt, habe ich auch in der Physiotherapie oft erlebt, dass dann die Oma mit dem Enkel kam, der dann aber vielleicht erst 10 oder 12 Jahre alt war und übersetzen musste. Und dann sind es halt so Begriffe, das kann man in dem Alter vielleicht dann auch gar nicht genau interpretieren oder wissen. Ja, stimmt.

Aber das gibt es auch, zum Beispiel. Ich habe viele Jahre in der Gesundheitsförderung und Prävention für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und mehrfach Behinderung gearbeitet. Und dort habe ich das auch oft erlebt, dass dann. Ja man davon ausgeht. OK, die Person versteht mich jetzt sowieso nicht, ich rede jetzt eher mit der Begleitperson und adressiere nicht den Patienten direkt. Und versuche es dann so verständlich zu machen, dass es dann alle verstehen.

Domingos: Ja, auf jeden Fall ein spannendes Thema. Ein großer Trend in der Gesundheitsversorgung ist ja auch das Thema Digitalisierung. Dieses Jahr kam ja dieses ganze Thema E Rezept ganz groß raus und das soll ja noch viel mehr digitalisiert werden. Ich weiß nicht, inwiefern du damit schon Berührungspunkte hattest, beziehungsweise mit den Herausforderungen, welche sich den Leuten da stellen, die vielleicht nicht so digital affin sind.

Ines: Ja, das ist ein sehr großes, aber auch ein sehr, sehr wichtiges Thema, was ich auch beobachten konnte. Durch die Arbeit, was ich vorhin erwähnt hatte, mit Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen während der Pandemie, weil ja auch alles digital war, und da war es eine große Herausforderung gewesen, das einmal eine geringe digitale Gesundheitskompetenz vorhanden war. Aber auch der Zugang zu Technik erschwert war. Viele haben heutzutage leider immer noch nicht ein Tablet oder ein Laptop. Meistens haben schon fast alle Menschen ein Smartphone, würde ich jetzt mal so behaupten. Du kannst gerne mir widersprechen. Ich habe dann oft erfahren, dass das Datenvolumen dann nicht ausreichend war. Oder man war immer auf WLAN dann angewiesen und hatte nicht immer einen Internetzugriff und das ist glaube ich auch noch mal so eine große Herausforderung. Erstmal der Zugang zu Technik zu gewähren neben den. Ja, digitalen Gesundheitskompetenzen jetzt in meinem Bereich.

Ja, und dann gibt es natürlich noch viele andere Herausforderungen, weil ich ja auch mit Gesundheitskommunikation arbeite. Gibt es die Herausforderung zum Beispiel oder ich gehe noch mal einen Schritt zurück, das Internet würde ich jetzt auch mal behaupten, ist die wichtigste Informationsquelle heutzutage, wenn ich mich über Krankheit oder Gesundheit informieren möchte. Und ich würde jetzt auch einfach mal behaupten, dass fast jeder weiß, wie man etwas auf in irgendeiner Suchmaschine sucht. Dann gibt es auch noch welche, die Nutzen dann auch noch KIS wie zum Beispiel ChatGPT oder sowas, wo sie dann auch noch mal mehr und gebündelt Informationen bekommen. Und das gibt den Anschein, dass man gut informiert ist. Gegebenenfalls bekommt man dann auch noch zusätzliche Informationen, die der Arzt dann. Gegeben hat. Und da besteht dann die Herausforderung, nämlich an Fehlinformationen. Oder Falschinformationen. Oder? Da auch zu viele Informationen, man muss ja das ja dann auch irgendwie fil

tern können. Und ganz wichtig im Gesundheitsbereich ist dann auch noch, welche Informationen sind wirklich verlässlich?

Welche sind qualitative Informationen und wissenschaftlich belegte Informationen, auf die ich mich dann wirklich stützen kann? Das sehe ich als eine sehr, sehr große Herausforderung, in der dann auch. Ja, noch viel Arbeit geleistet werden muss und. Ja, dann hast du ja auch gerade noch die digitalen Anwendungen genannt, wie zum Beispiel das E Rezept oder die elektronische Patientenakte auch. Die eingeführt Wird oder Gesundheitsapps. Ich glaube heutzutage haben viele schon eine Gesundheits-App benutzt und da habe ich halt auch oft gesehen, dass sie nicht barrierefrei gestaltet sind.

Das ist ja jetzt auch eher so dein Arbeitsbereich und ich weiß nicht, ob du schon mit dem E Rezept. Berührungspunkte hattest du und da schon eine Einschätzung geben kannst, wie barrierefrei das überhaupt ist.

Digitalisierung im Gesundheits-Wesen

Domingos: Ehrlich gesagt Nein. Also ich war tatsächlich dieses Jahr noch nicht beim Arzt, ich bin ja faul, Was solche Sachen angeht. Ich habe mir glaub ich die. Ich hatte mir letztes Jahr diese App zum Thema elektronische Patientenakte angeguckt, weil ich ja auch bei einer Firma arbeite, die in diesem Bereich Gesundheitsbranche sehr aktiv ist Aber ich war irgendwie genervt, weil da viele aus meiner Sicht unnötige Sachen gemacht werden mussten. eine Registrierung, das war ja doch OK, aber dann sollte man in die Geschäftsstelle gehen und sich verifizieren lassen und da war ich schon Total genervt und dann habe ich mir die E Rezepte App gar nicht erst angeguckt, weil ich gesehen hab OK du kannst doch mit der Gesundheitskarte Rezepte einlösen, Dann Habe ich mir diese App erspart, obwohl ich sehr Technik-affin bin. Habe ich, das dann
erst mal sein gelassen und habe jetzt auch keine unmittelbaren Vorteile dieser EPA, also der Gesundheitsakte für mich gesehen, dass ich das jetzt unbedingt nutzen muss.

Ines: Na ja, aber das, was du beschreibst, ist ja eigentlich schon der Staat. In dieser Akte ist schon eine Barriere. So dass man dann quasi startet und es gleich liegen lässt. Also ja, es ist nicht wirklich dann barrierefrei. Noch nicht.

Komplizierte Sprache

Domingos: Du hast das Thema Kommunikation ja, schon ein bisschen angedeutet. Also ich sag mal, neben der physiologischen Barrierefreiheit der Praxisräume und der digitalen Barrierefreiheit der Kommunikation ist ja auch das Thema Kommunikation generell auch zwischen Ärztinnen und Patienten wichtig. Was sind da die großen Herausforderungen auf der Seite des medizinischen Personals? Wo siehst du da die großen Herausforderungen?

Ines: Naja, man kann sagen, dass jeder Kontakt zu einem Patienten oder einem Nutzenden aus dem Gesundheitssystem eine Barriere darstellen kann. Da gibt es sehr viele Barrieren. In der Kommunikation ist es so, dass das medizinische Personal, der Trend kommt jetzt langsam, dass wir auch immer mehr geschult werden in der Kommunikation mit Patientinnen, mit Beeinträchtigungen zum Beispiel. Oder mit Patienten mit einer geringen Gesundheitskompetenz, um diese zu fördern, damit sie dann auch der Behandlung folgen, den Anweisungen folgen oder zum Beispiel die Medikamente so einnehmen, wie sie genommen werden müssen. Und da gibt es bestimmte Gesprächstechniken, die man zum Beispiel anwenden kann. Aber das muss man auch erst mal lernen.

Dann hatte ich ja schon angesprochen, dass Gesundheitsinformationen schwierig sind, dass Informationen zu Gesundheit und Krankheit oft sehr komplex sind und man lernt auch nicht wirklich, in der Ausbildung oder im Studium diese so herunterzubrechen, dass sie für alle verständlich sind und diese dann so anzupassen an bestimmte Situationen. Genau da gibt es nämlich noch sehr viel Nachholbedarf.

Positive Beispiele

Domingos: Das ist wahrscheinlich schwierig, weil es ja ein breites Thema ist. Aber gibt es gute Beispiele für barrierefreie Gesundheits-Kommunikation?

Ines: Ja, es gibt gute Beispiele. Es gibt zum Beispiel eine Organisation, ein gemeinnütziges Unternehmen, die kostenfrei Übersetzungen zu medizinischen befunden in leicht verständliche Sprache machen, das heißt, „was habe ich?“. Da kann man über die Webseite die Leute anschreiben, den Befund hinschicken und dort arbeiten dann ehrenamtlich Medizin,-Studierende oder auch schon fertige Mediziner, die dann das zum Beispiel an die Patienten wieder so weitergeben, dass sie es dann auch verstehen. Das finde ich eine ganz tolle Initiative. Dann gibt es unterschiedliche Fortbildungen, auch zum Thema Leichtverständlich kommunizieren, zum Beispiel bei mir oder unter anderem auch bei diversen Fachgesellschaften. Es gibt auch eine sehr schöne Webseite, die ich auch mitgestalten durfte. Das ist die erste Webseite zu Gesundheitsinformationen in leichter Sprache. Die heißt „Gesundheit leicht verstehen“ und dort. Sind Gesundheitsinformationen in leichter Sprache gebündelt? Ja, dargestellt. Alle Informationen oder alle Bro. Blätter, die dort hochgeladen sind oder verlinkt sind, müssen kostenfrei sein und in leichter Sprache. Und ja, das ist so ein Tool, was man auch nutzen kann, auch wenn ich zum Beispiel bestimmte Krankheiten behandle in meinem Alltag oder bestimmte Themen habe, dass man da vielleicht Auf da hinweist und die Patienten dann unterstützt. Dann gibt es zum Beispiel die Sprachmittlung. Ich weiß nicht, ob du das kennst.

Domingos: Nee, sagt mir jetzt nichts.

Ines: Die Sprach-Vermittlung ist ganz speziell für Menschen, die. Die Gesundheitsleistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetz in Anspruch nehmen und das ist dann eine Person, die dann übersetzt und die Leute dann begleitet und sozusagen eine Dolmetscherfunktion hat.

Dann gibt es auch schöne Literatur. Es gibt eine sehr schöne Buchreihe Med Guide. Das ist so ein medizinischer Sprachführer zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen wie zum Beispiel Schwangerschaft oder Geburtshilfe, psychische Störungen oder Allgemeinmedizin. Wo man dann auch ja nachschlagen kann und das wirklich auch verlässliche und gute Übersetzungen beinhaltet. Patienten Arztinteraktionen und dann gibt es zum Beispiel Piktogramm-Hefte, die man einsetzen kann für die Kommunikation ohne Worte. Ja, dass, um einige Beispiele zu nennen als Hilfen oder Tools.

Forbildung für Gesundheits-Personal

Domingos: da gibt es ja doch schon einiges. Aber auch wenn es dann noch mehr bedarf. Was können Leute aus der Gesundheitsbranche konkret tun, um sich diesbezüglich weiterzubilden? Das kommt ja im Studium oder in der Ausbildung noch nicht vor, gibt es da aber Weiterbildungen zum Beispiel von dir oder anderen Leuten, die diese interessierten Personen besuchen können, zum Beispiel?

Ines: Ja, es gibt Unterschiedliche Fortbildungsangebote. Zum Beispiel von den Fachgesellschaften oder Verbänden, Für Zahnärzte gibt es Angebote von der Zahnärztekammer. Dann gibt es die Gesellschaft für Medizin für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Ich krieg den Namen jetzt gerade nicht genau hin, DGMGPGB ist es, die bieten auch Fortbildung an zu ja leicht verständlich sprechen,
wenn man Interesse hat, kann man sich auch im Internet diese Regelwerke zu leichter Sprache anschauen. Die sind ja auch frei verfügbar. Und die kann man sich anschauen und die Regeln, Die dort aufgelistet sind zum Schreiben von Texten kann man auch in der gesprochenen Sprache anwenden. Nicht alle, aber viele, wie zum Beispiel kurze Sätze, einfache Wörter nutzen. Fachwörter erklären. Und so weiter.

Etwas würde ich allen Menschen ans Herz legen. Begegnung mit Menschen, zum Beispiel mit Menschen mit Beeinträchtigungen zu haben. Ich bin ehrenamtlich tätig in einem Gesundheitsprogramm für Physiotherapie von Special Olympics Deutschland. Dort bin ich die bundesweite Leiterin für das Physiotherapie-Programm. während Sport angeboten oder anderen Auf Veranstaltungen bieten wir zu unterschiedlichen Themen ich jetzt speziell zur körperlichen Fitness Untersuchungen an. Für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen und geben dann dort Weiterempfehlungen und Tipps, wie man sich im Alltag mehr bewegen kann. Oder wenn man selber schon Sport macht, wie kann ich meinen Trainingsplan verbessern und da unterstützen mich und meine Kollegen dann ehrenamtliche Therapeutinnen oder Sportwissenschaftler oder Ärzte, die dann kommen und dort dann auch eine Art Schulung durchlaufen. Sie werden vorher dann nochmal geschult im Umgang mit Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen zu speziellen Bedürfnissen und Bedarfen der Zielgruppe. Aber auch, wie sie dann am besten kommunizieren können.

Und das Highlight ist natürlich dann immer der praktische Teil. in den Untersuchungen mit den Teilnehmenden, weil das so bereichernd ist, einfach auch mal diese Berührungsängste abzubauen, die viele haben. Ich habe Ärztinnen getroffen, die 20-30 Jahre schon im Dienst sind und vor so einer Veranstaltung sehr nervös waren und sehr unsicher waren, was kommt auf sie zu. Und. Ja, Begegnungen schaffen, voneinander lernen, miteinander reden. Gegebenenfalls bekommt man dann auch gleich ein Feedback. Ja, das ist sehr, sehr bereichernd. Wenn man sich dort fortbilden möchte und wenn man sich sensibilisieren möchte, auch für leicht verständlich kommunizieren, kann ich empfehlen.

Es gibt ja mittlerweile schon viele Zeitungen oder Nachrichtensender, aber auch Museen, die Audioguides in leichter Sprache anbieten. Und dass man direkt, wenn ich jetzt zum Beispiel das Nächste Mal zum Museum geht, sich einen Audioguide in leichter Sprache zu nehmen und das anzuhören, selber einmal ausprobieren, um ein Gefühl für leicht verständliche Sprache zu bekommen. Das Würde ich dann auch noch mal so ans Herz legen.

Domingos: Ja, vielen Dank für diese Insights. Ein superspannendes Thema. auf jeden Fall vielen Dank. Ich denke du bist auch eine gute Ansprechpartnerin, wenn man weitere Fragen zu dem Thema hat.

Ines: Na klar, sehr gerne. Ja, vielen, vielen Dank für die Einladung. Danke auch für deine Zeit.

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Animationen und Bewegungen – Trigger-Warnungen in der digitalen Barrierefreiheit


Unerwünschte Effekte in Web-Applikationen und Videos sind relativ häufig und manchmal unvermeidbar. Trigger-Warnungen kommen nach meinem Wissen in der digitalen Barrierefreiheit bisher nicht vor. Ich möchte hier diskutieren, wann sie sinnvoll sein können und wie sie umsetzbar sind.

Was können Trigger sein?

In der Praxis gibt es zahllose Anfalls-Erkrankungen bzw. Störungen, die durch zahllose Trigger ausgelöst werden können. Epilepsie ist sicher die bekannteste Erkrankung. Daneben gibt es zum Beispiel Autismus oder bestimmte Formen von Migräne. Parallax-Effekte stehen zum Beispiel im Verdacht, dass sie in bestimmten Fällen Migräne auslösen können, was aber meines Wissens bislang nicht empirisch belegt ist.
Bei Epilepsie gelten vor allem Blitzen und Flackern als Trigger. Es gibt das berühmte Beispiel eines japanischen Animations-Films aus den 90er Jahren, der bei zahlreichen Kindern epileptische Anfälle ausgelöst hat. Interessant ist daran auch, dass viele Personen Anfälle bekommen können, bei denen bisher keine Epilepsie erkannt wurde. Effekte können also unbeabsichtigt den ersten epeleptischen Anfall bei einer Person auslösen.
Beim Thema Autismus ist es ein wenig komplizierter. Trigger-Warnungen sind in diesem Fall weniger sinnvoll aus zwei Gründen:

  • Es gibt die verschiedensten Trigger, weil sehr individuell ist, was als Trigger wirkt: Es kann eine bestimmte Farb-Kombination, bestimmte Effekte in Videos oder auch Bewegungen von Bedien-Elementen sein, das ist nicht vorhersagbar.
  • Die Betroffenen wissen selbst am besten, was sie triggert und haben wenn möglich Strategien oder Anpassungen entwickelt, um sie möglichst zu reduzieren.

Ebenfalls auslassen können wir die Gruppe der Aufmerksamkeits-Störungen. Zwar wirken sich für sie Störungen negativ auf die Aufmerksamkeit aus, sie führen aber nicht dazu, dass sie die Anwendung beenden müssen und können mit den anderen hier genannten Optionen bereits abgedeckt werden.
Daher lautet die Empfehlung, sich an die WCAG zu halten, was die Identifikation möglicher Trigger angeht.

Das Thema in der WCAG

Es gibt vor allem zwei Kriterien in der WCAG 2.2, die auf das Thema eingehen. Zunächst ist da 2.2.2 Pause, stop, hide, hier in der Übersetzung mit DeepL:

Für sich bewegende, blinkende, scrollende oder automatisch aktualisierende Informationen treffen alle der folgenden Punkte zu:
Für alle sich bewegenden, blinkenden oder scrollenden Informationen, die (1) automatisch starten, (2) länger als fünf Sekunden dauern und (3) parallel zu anderen Inhalten dargestellt werden, gibt es einen Mechanismus, mit dem der Nutzer sie anhalten, stoppen oder ausblenden kann, es sei denn, das Bewegen, Blinken oder Scrollen ist Teil einer Aktivität, für die es unerlässlich ist; und
Automatische Aktualisierung
Für jede sich automatisch aktualisierende Information, die (1) automatisch startet und (2) parallel zu anderen Inhalten dargestellt wird, gibt es einen Mechanismus, mit dem der Benutzer sie anhalten, stoppen oder ausblenden oder die Häufigkeit der Aktualisierung kontrollieren kann, es sei denn, die automatische Aktualisierung ist Teil einer Aktivität, für die sie unerlässlich ist.

Quelle: Understanding SC 2.2.2:
Das oben genannte Kriterium bezieht sich auf Animationen, die von der Anwendung ausgelöst werden. Daneben gibt es das AAA-Kriterium 2.3.3 Animation from Interactions, welches sich auf Effekte bezieht, die durch den Nutzer durch Interaktion ausgelöst werden, also etwa durch Klicken auf ein UI-Element. Auch hier kann es ja Effekte geben wie Blinken oder Blitzen. Solche Effekte sollen vollständig abschaltbar sein, wenn sie nicht für die Anwendung unerlässlich sind. Wie gesagt ein AAA-Kriterium, also nicht verpflichtend.
Daneben gibt es SC 2.3.1: Three Flashes or Below Threshold, wiederum mit DeepL übersetzt.

Webseiten enthalten keine Elemente, die innerhalb einer Sekunde mehr als dreimal aufblinken, oder das Aufblinken liegt unter den Schwellenwerten für allgemeines und rotes Blinken.

Quelle: Understanding SC 2.3.1 Three Flashes or Below Threshold
Vom letzteren Kriterium gibt es noch eine AAA-Version, 2.3.2 Three Flashes, die generell kein Blitzen und Flackern erlaubt.

Trigger-Warnungen einsetzen

Der erste Schritt ist natürlich, Animationen entweder nicht automatisch zu starten, sie automatisch anzuhalten oder einen Mechanismus zum Pausieren oder Ausblenden anzubieten.
Es gibt Fälle, wo das nicht funktioniert. Zum Beispiel gibt es in einigen Verkehrs-Apps ein bewegtes Element, dass für die Verkehrs-Kontrolle notwendig ist. Oder es gibt Videos, bei denen Blitzen oder Flackern aus irgendeinem Grund enthalten sind und man es nicht entfernen kann. Das heißt, eine dezente Warnung reicht, dass auf der folgenden Seite Trigger der Form X, Y oder Z enthalten sein können. Im obigen Beispiel der Verkehrs-App kann etwa stehen: Der folgende Screen enthält eine Animation, die für die Verkehrs-Kontrolle notwendig ist. Die kontrollierte Person kann die App vorzeigen und danach die App schnellst-möglich schließen. Damit die Warnung wahrgenommen ist, sollte sie optisch hervorgehoben bzw. nicht in einem Haufen anderen Text versteckt sein. Ich halte eine solche Warnung auch für sinnvoll, wenn im nächsten Element selbst-startende Audio- oder Video-Inhalte vorhanden sind, enorm nervig für Screenreader-Nutzende oder Schwerhörige.
Generell sollte die Warnung nicht-obstrusiv, aber wahrnehmbar sein. Sie kann zum Beispiel als normaler Text-Inhalt unmittelbar vor dem Trigger eingebunden werden. Obstrusive Meldungen wie wegzuklickende Dialoge halte ich in diesem Fall eher für störend für die Personen, die vom Trigger nicht betroffen sind.
Eine weitere Möglichkeit, die auf jeden Fall genutzt werden sollte sind die Einstellungen zur Reduktion von Animationen im Betriebssystem. Wenn jemand in seinem Betriebssystem eingestellt hat, dass sie verzichtbare Animationen weggelassen werden sollen, sollte man das auch für die Website oder App übernehmen, soweit die Animationen oder Bewegungen verzichtbar sind. Oder man sollte sie auf eine Weise einbinden, dass die Nutzerin selbst entscheiden kann, wann sie sie starten möchte.
Ein spezielles Thema sind Videos oder ähnliche Inhalte, die WCAG-relevante Trigger enthalten. Auch hier sollte im Standbild oder im Intro des Videos oder der Animation deutlich darauf hingewiesen werden, dass solche Inhalte im Video zu finden sind und um welche Trigger es sich konkret handelt. Ist das Video für die Nutzung der Applikation unerlässlich, sollte eine Text-Alternative angeboten werden. Bitte nutzen Sie solche Warnungen nicht präventiv für jedes Video, sondern nur, wenn solche Inhalte tatsächlich vorhanden sind. Nur weil jemand Epeleptikerin oder Autistin ist, heißt das nicht, dass sie sich keine Videos anschauen wollen.

Konfiguration innerhalb der Applikation

In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, Konfigurations-Möglichkeiten innerhalb der Apps anzubieten. Mainstream-Betriebssysteme haben solche Funktionen für ihre eigenen Bereiche bereits: Man kann zum Beispiel unnötige Animationen für Nutzerinnen-Eingaben abstellen, etwa um Trigger zu verringern, aber auch für Zwecke der Batterie-Einsparung.
Das ist sinnvoll für vermeidbare Trigger, also sowohl für Animationen, die nicht von Eingaben der Nutzenden ausgelöst werden, als auch Animationen von Bedien-Elementen.
Bietet man solche Optionen an, sollten sie möglichst leicht in den Einstellungen auffindbar sein.

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