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Wettbewerbs-Nachteil: mangelnde Barrierefreiheit

Es gibt eine interessante Regelmäßigkeit: Wenn man bei einem international oder zumindest im anglo-amerikanischen Raum tätigen Anbieter von Software nach Barrierefreiheit sucht, wird man fast immer fündig. Es ist nicht immer VPAT oder ähnlich aussagekräftig, aber zumindest findet man ein Statement.
In Deutschland gilt genau das Gegenteil: Sucht man nach Barrierefreiheit zum Produkt, findet man meistens nichts oder etwas sehr Allgemeines. Das ist mir bei diversen Alternativ-Lösungen zur Online-Kollaboration aufgefallen. Vor allem aus Datenschutz-Gründen möchte man ein wenig weg von US-amerikanischen Anbietern. Man hat also die Wahl zwischen Pest (mangelnder Datenschutz) und Cholera (mangelnde Barrierefreiheit). Ein aktuelles Beispiel ist TaskCards, welches auf die Frage nach Barrierefreiheit antwortet, dass sie das nicht unterstützen – mit anderen Worten, kein Plan, um das Thema anzugehen.

Am Kunden vorbei entwickelt

Es spricht denke ich für sich, dass viele deutsche Anbieter das Thema Barrierefreiheit gar nicht auf dem Schirm haben. Und das, obwohl sie ihre Programme vor allem an staatliche Organisationen oder öffentliche Einrichtungen verkaufen wollen, die ja zur Barrierefreiheit verpflichtet sind. Im Vordergrund stehen vor allem die Schulen und allgemein der Bildungssektor. Aktuell fällt es mir aber auch bei vielen Arztpraxen auf. Sie setzen externe Tools zur Termin-Buchung ein, von denen bisher keines barrierefrei war, welches ich gesehen habe.
Barrierefreiheit scheint für viele dieser Unternehmen ein Feature zu sein, kein Muss. Keines dieser Unternehmen würde mit öffentlich bekannten Mängeln zum Datenschutz online gehen, aber Barrierefreiheit – das kann man irgendwann später einbauen oder auch lassen.

Den Markt nicht verstanden

Das spricht leider für einen Mangel an Weitsichtigkeit. Seien wir mal ehrlich: In den letzten 20 Jahren hat man das Thema Barrierefreiheit im öffentlichen Sektor größtenteils nicht ernst genommen – die erste BITV ist über 20 Jahre alt. Aber der Druck und das Bewusstsein dafür sind gestiegen.
Das heißt, im Zweifelsfall kann ein anderer US-amerikanischer Anbieter das Rennen machen. Ich bin absolut kein Experte für Datenschutz, aber nach meiner Erfahrung ist das Thema bei den meisten internationalen Anbietern auf dem Schirm. Ansonsten könnten sie sich auch gar nicht auf dem Markt der EU einbringen. Teams und WebEx werden auf breiter Front in öffentlichen Institutionen in Deutschland eingesetzt, alternative Anbieter aus der EU spielen bisher keine Rolle. Mittlerweile hat etwa auch der Bundesstaat Kalifornien ähnliche Bestimmungen für den Datenschutz wie die EU.
Auch wenn ich die Passion für den Datenschutz hierzulande nicht teile, finde ich es gut, auch alternative Lösungen in Erwägung zu ziehen. Ich nutze Zoom nicht, weil ich Monopole so toll finde, sondern weil ich selber Veranstaltungen hoste und diese steuern können muss. Für meinen Newsletter nutze ich einen nicht-barrierefreien, aber DSGVO-konformen Anbieter. Wenn es eine Alternative gibt, die ebenso gut für mich und andere Teilnehmende funktioniert wie Zoom, würde ich sie gerne nutzen, auch wenn sie ein wenig teurer ist. Bisher ist mir keine untergekommen. Big Blue Button zum Beispiel hat sich gemacht, ist aber wegen der Tonqualität für eine Person mit Hörschädigung nicht so gut nutzbar.
Klar, es gibt einen eklatanten Mangel an Fachkräften, vor allem an Software- und Web-Entwicklerinnen mit Barrierefreiheits-Kenntnissen. Dann muss man die Leute halt dazu qualifizieren. Es ist ja nicht so, als ob es ein esoterisches Hexenwerk ohne jegliche Schulungs-Materialien wäre. Das Thema wird ja in fünf Jahren nicht weg sein und bei jeder anderen Sache würde man auch die Leute qualifizieren. Nur bei Barrierefreiheit wird ein Theater bei der Weiterbildung gemacht.
Sicherlich gibt es auch Probleme, die mit aktueller Technik kaum lösbar scheinen. Dazu gehören die Themen Mindmaps oder Whiteboards. Diese ganzen visuellen Dinge, die auf Pfaden basieren sind recht schwierig barrierefrei umzusetzen. Hier würde ich mir aber zumindest den Mut wünschen, neue Dinge auszuprobieren und es zumindest zu versuchen. Wie es Taskcards macht, das Thema einfach abzubügeln finde ich nicht korrekt.
Doch reden wir hier auch von Alltags-Technologien wie einem Buchungs-Tool für Arzt-Termine: Das Tool soll mir 1. anzeigen, welche Termin-Slots noch frei sind und 2. mich den Termin buchen lassen. Das ist mit Verlaub Pipifax und scheitert zumeist an schlechten Frameworks und der mangelnden Fähigkeit der Entwickler. Da ist schlicht der Wille nicht da, es barrierefrei umzusetzen.
Hier bin ich ausnahmsweise bei den Bonzen der FDP: Wenn jemand seinen Job nicht richtig macht, dann sollte man den Anbieter austauschen. Man sollte jene belohnen, welche sich von Anfang an um Barrierefreiheit bemühen.

Fazit

Wie oben gesagt vermute ich eher, dass man da die Marktforschung vernachlässigt hat – Stichwort Compliance. Datenschutz ist Pflicht, Barrierefreiheit ist Pflicht – ohne diese Aspekte kann man keine Software an den öffentlichen Sektor verkaufen. Barrierefreiheit nachzurüsten ist wie die Arbeit zwei Mal zu machen, für ein KMU kaum zu stemmen. Man sollte es also von Anfang an mitdenken.
Auch finde ich, dass der öffentliche Dienst keine Software mehr einkaufen sollte, die nicht barrierefrei ist. Diesbezüglich wurde die Privatwirtschaft in den letzten Jahrzehnten verhätschelt.

Zum Weiterlesen

Zurück zu Präsenz – ein Rückschritt für die Barrierefreiheit


Ich bin ja immer skeptisch, wenn Megatrends ausgerufen werden. Als die großen Lockdowns vor rund 3 Jahren losgingen und Corona unser Leben längere Zeit einschränkte, sind viele davon ausgegangen, dass dies die digitale Revolution auslösen würde, auf die viele von uns solange gewartet haben. Es würde weniger Reisezirkus geben, wir würden mehr Online-Meetings machen und die Regelungen zum Home Office würden großzügiger werden.
Das mag bei vielen Organisationen der Fall sein, es scheint mir jedoch eher die Ausnahme zu sein. Im Gegenteil, viele Organisationen kehren zur alten Präsenz-Realität zurück. Spätestens seit 2023 werden Remote-Optionen großflächig reduziert und Online-Optionen bei Veranstaltungen abgeschafft. Viele der großen amerikanischen Tech-Konzerne gehen hier ausgerechnet voran: Nicht unerwartet, dass viele dieser Unternehmen von gesunden reichen Männern geführt werden, die sich vermutlich seit ihrem Studentendasein nicht mit dem öffentlichen Verkehr beschäftigen mussten und nie Care-Arbeit für Kinder oder Angehörige übernehmen mussten. Mein Eindruck ist, dass es hierbei mehr um Macht als um die behaupteten Produktivitäts-Vorteile geht.
Auch von Freunden und Bekannten höre ich, dass Remote-Optionen schrittweise abgeschafft werden. Es finden wieder Meetings statt, für welche die Leute stundenlang – gerne mit dem Flugzeug oder PKW – anreisen. Viele Konferenzen finden wieder präsent ohne Remote-Option statt. In Zeiten wie diesen kann man das ruhig ökologischen und ökonomischen Unsinn nennen. Kennt ihr das, wenn man erst mal bei Google Maps nachschlagen muss, in welcher Stadt sich ein Veranstaltungsort für ein Event befindet?
Für viele behinderte Menschen dürfte das ein Rückschritt in Sachen Barrierefreiheit sein. Das gilt vor allem für Menschen, die auf den ÖPNV angewiesen sind. Für Nicht-Behinderte ist das Stress, für behinderte Menschen oft eine Tortur.
Ich persönlich habe übrigens nichts gegen die Arbeit im Büro oder gegenPräsenz-Veranstaltungen, ich habe das lange gemacht und solange es keine Pendelei bedeutet, werde ich das immer vorziehen. Ich habe aber den Vorteil, dass ich zentral in einer Großstadt wohne und fast alles zu Fuß oder schnell mit dem ÖPNV erreichen kann. Zudem habe ich keine chronische Erkrankung, bei der ich mich vor typischen Erkrankungen der Atemwege fürchten müsste. Auch wenn es hier oft anders klingt, ziehe ich persönliche Begegnungen der Online-Kommunikation vor. Allerdings sollte alles verhältnismäßig sein. Das war es teilweise vor Corona nicht und es schaut so aus, als ob es wieder so wird.
Home Office hat zahlreiche Vorteile, die für behinderte Menschen besonders stark gelten. Man ist etwa häufiger örtlich gebunden, zum Beispiel wegen einer barrierefreien Wohnung oder wegen sozialer Bindungen. Der ÖPNV ist weit davon entfernt, barrierefrei zu sein, das gilt leider auch für viele Organisations-Gebäude, Veranstaltungs- oder Übernachtungs-Orte.
Daneben muss man feststellen, dass Corona durchaus nicht weg ist. Für Personen mit Lungen- oder anderen chronischen Erkrankungen kann es wie andere Atemwegs-Infekte nach wie vor eine schwere Erkrankung bedeuten. Wenn Remote-Optionen jetzt nach und nach wegfallen, werden diese Personen benachteiligt. Sie können an Veranstaltungen und den damit verbundenen Vorteilen der Vernetzung, dem Austausch und der Erhöhung der eigenen Bekanntheit nicht teilhaben. Und sie können selbst nicht referieren, also ihre eigene Reputation erhöhen.
Eine Gruppe, an die dabei selten gedacht wird sind chronisch erkrankte Personen. Selbst der Unaufmerksamste sollte mittlerweile gemerkt haben, dass schlecht gelüftete Konferenzräume, Kantinen, Großraum-Büros und der ÖPNV Keimstätten für Viren und Bakterien sind. Wenn man sich längere Zeit in geschlossenen Räumen aufhält, spielen Dinge wie Abstand und Hände-Waschen für Infektionen kaum noch eine Rolle. Lüften im Großraum-Büro im Winter ist fast unmöglich, falls es überhaupt etwas bringt. Die Luft wird ja vor allem in der Nähe der Fenster ausgetauscht, die Kälte kriegen dann die Leute am Fenster ab, die dafür sorgen, dass das Fenster schnell wieder geschlossen wird.
Mein Fazit ist, dass Arbeitgebende und Veranstaltende das Thema Remote/hybrid wieder ernster nehmen sollten. Remote löst sicher nicht alle Probleme aber es kann das Leben vieler behinderter Menschen – und im übrigen auch vieler anderer Personen – deutlich erleichtern. Man redet so viel über New Work. Das sollte sich aber nicht in schicken – nicht barrierefreien – Kaffee-Maschinen oder spacigen Büro-Designs erschöpfen.
Ich denke, dass wir zumindest was Veranstaltungen angeht etwas tun können: Schreibt die Veranstaltenden an, dass sie ihre Events online oder hybrid gestalten sollen.

Ein Relaunch des BIENE-Wettbewerbs wäre fällig

Den Jüngeren muss ich es erklären, Ältere bekommen verzückte Augen, wenn sie an den BIENE-Wettbewerb denken. 2010 gab es die letzte Ausgabe des Wettbewerbs für barrierefreie Webseiten der Aktion Mensch und der Stiftung Digitale Chancen. Eine Neuauflage könnten wir heute gut gebrauchen.
Der Wettbewerb hat für zahlreiche Dienstleister Anreize gesetzt, sich besonders stark um Barrierefreiheit zu bemühen. Am Ende ging es natürlich darum, einen Preis zu gewinnen und damit zusätzliches Prestige zu bekommen. Was aber auch okay ist, man kann das Richtige aus falschen Gründen tun. Aktuell gibt es für neue Dienstleister wenig Möglichkeiten, sich in diesem Bereich zu etablieren. Ein Wettbewerb würde den Anreiz erhöhen, sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Selbiges galt auch für zahlreiche Organisationen: Wir kennen das ja schon aus anderen Bereichen: Es gibt ja so viele journalistische Preise, dass jede Journalistin mindestens einmal im Jahr einen gewinnen und sich damit schmücken müsste. Ich erinnere mich an einen Onlineshop, den man ohne den BIENE-Wettbewerb vermutlich nicht gekannt hätte.
Das Ganze hat auch einen gewissen PR-Effekt gehabt. Es war nicht superviel, aber immerhin hat auch außerhalb der Fachpresse Kommunikation über digitale Barrierefreiheit stattgefunden. Für mein Gefühl hat das Interesse am Thema in den Publikumsmedien nachgelassen.
Leider ist eine Wiederbelebung des Wettbewerbs nicht zu erwarten. Ich darf nicht zuviel verraten, aber der Aufwand hinter dem Wettbewerb war enorm, der fachliche Beirat, das Sichten der Einreichungen, die Übergabe etc. haben viel Geld und Personal gekostet. So was kann nur eine wohlhabende Organisation wie die Aktion Mensch stemmen, da ist aber bezüglich digitaler Barrierefreiheit meines Erachtens nichts mehr zu erwarten. Auch Bundesministerien oder -Ämter könnten die finanziellen und personellen Ressourcen aufbringen, hier weiß ich aber nicht, ob das aus ihrer Sicht opportun wäre. Immerhin wollen sie ja auch ihre eigenen Websites einreichen.
Für große Unternehmen wäre es kein Problem, einen solchen Wettbewerb zu finanzieren. Allerdings gibt es für sie kaum einen Grund, das zu tun. Es gibt keine großen Barrierefreiheits-Agenturen in Deutschland. Und natürlich könnte man sich nicht selbst prämieren.
Aber träumen wir einmal weiter: Wie müsste ein solcher Wettbewerb heute aussehen? Natürlich müsste er über Websites hinausgehen: Native Apps, Leichte-Sprache-Texte oder eBooks bzw. PDFs müssten ebenfalls prämiert werden. Das schnöde Abprüfen von WCAG-Kriterien wäre nicht sinnvoll. Vielmehr müsste ein Gesamtpaket aus technischer Prüfung, User Experience für Behinderte und visueller Attraktivität bewertet werden. Das ist kompliziert, aber durchaus machbar.
So eine Art Publikumspreis fände ich auch nicht schlecht: Also dass Lösungen auch von behinderten Menschen bewertet werden.
Einen so großen Beirat halte ich hingegen nicht mehr für sinnvoll. Wir brauchen neue Wege der Partizipation, das heißt aber nicht, dass jeder Verband mitreden sollte.
Aus den oben genannten Gründen glaube ich nicht, dass es noch mal so einen Wettbewerb geben wird. Wünschen kann man es sich allerdings.

Warum die Barrierefreiheits-Bühne diverser werden muss


Gefühlt ist jeder Tag ein Diversity-Tag, eine Woche oder ein Monat. Aktuell ist der Disability-Pride-Month – was auch immer das sein mag, ich habe es gepflegt ignoriert. Vielleicht brauchen Nicht-Behinderte solche Ereignisse, damit sie sich so richtig inklusiv fühlen und das auch zeigen können. Den Rest des Jahres kann man dann mit dem guten Gewissen verbringen, etwas getan zu haben.

Symbolik ist etwas

Es wird heute – zumindest in meiner Blase – viel mehr über Inklusion und Diversität diskutiert, als sagen wir vor 10 Jahren. Ich sage bewusst Blase, weil das außerhalb unserer Gruppe die Wenigsten kümmert. ES ist nicht so, dass sie dagegen sind, es spielt in ihrem Leben einfach keine große Rolle. Viele mittelständische und einige große Unternehmen werden von Personen geführt, die nicht alte weiße Männer sind, auf der zweiten und dritten Führungsebene sieht es schon besser aus. Ob es Diversity war oder schlicht der Mangel an Alternativen lasse ich mal dahingestellt. Und die meisten Leute finden das in Ordnung oder akzeptieren es. Wir hören halt von den Fällen, wo es nicht funktioniert. Die Situation ist nach wie vor schlecht, aber sie wird langsam besser, zumindest für einige Gruppen.
Leider hat das Web und Social Media zu einem Übermaß an Symbolik geführt. Man zeigt seine Unterstützung für quere Menschen, indem man sein Profilbild in Regenbogenfarben einfärbt. Man zeigt Unterstützung für alle möglichen Themen, indem man auf Like oder Teilen klickt. Ich verrate euch mal was: Das Klima wird nicht durch Like-Buttons gerettet. Und Teilen von irgendwelchen Inhalten hat noch niemanden von dummen Ideen befreit. Das Teilnehmen am Christopher Street Day macht eure Organisation nicht querfreundlich. Das Nutzen der Ukraine-Flagge hilft den Ukrainern kein Stück in ihrem Kampf. Das Abgrenzen von Rechten hilft Personen mit Migrations-Hintergrund nicht dabei, einen Job oder eine Wohnung zu finden. Für meinen Geschmack ist das reine Selbst-Inszenierung: Man zeigt der eigenen Bubble, dass man auf der richtigen Seite steht und legt ansonsten die Hände in den Schoß. Narzissmus ist das Erfolgs-Geheimnis von Social Media.
Es mag richtig sein, Idioten auch öffentlich zu widersprechen. Meines Erachtens ist es aber wie Pudding an die Wand nageln. Einen eingefleischten Rechten wird man mit einer Diskussion wahrscheinlich nicht von seiner Einstellung abbringen, erst recht nicht,indem man ihn anschreit. Auch der eigenen Bubble mitzuteilen, wie blöd man dessen Einstellung findet, bringt niemandem was, denn die eigene Bubble ist ja sowieso auf deiner Seite. Sinnvoll wäre es, mit jenen zu sprechen, die zu einer Diskussion bereit sind, aber dafür sind wir zu bequem, dafür müsste man ja das Smartphone weglegen.

Aber Symbolik kann nicht alles sein

Gegen Symbolik ist an sich nichts einzuwenden. Das Problem beginnt dann, wenn man Symbolik mit Handeln verwechselt. Manchmal – so mein Eindruck – sollen solche Aktionen einfach überdecken, dass die jeweilige Organisation keine konkreten Handlungen ergreift, um mehr diverse Mitarbeitende einzustellen oder die Vorhandenen zu unterstützen. Es ist ein Green Washing für Inklusion. Heute bin ich eher misstrauisch, wenn Organisationen solche Dinge kommunizieren. Da sind mir die Leute lieber, die etwas Sinnvolles tun und nicht danach die dreifache Energie in die PR stecken, damit auch jede erfährt, was sie getan haben. Mir sind sogar die Leute lieber, die nichts tun und nichts sagen, die sind ehrlicher.
Eine Organisation ist nicht deshalb inklusiv oder barrierefrei, weil sie eine Kampagne nach der anderen für diese Themen durchführt – die Expertise lässt sie dann von Nicht-Behinderten vorführen. Es tut mir leid, wenn ich das immer wiederhole: Reden ist nicht Handeln, Worte sind geduldig: ich kann 1000 Mal am Tag sagen, dass ich inklusiv bin, aber das macht mich nicht inklusiv. Ich kann tausend PR-Kampagnen zur Barrierefreiheit durchführen, das macht mich nicht barrierefrei. Die Aktion Mensch ist mit ihrer aktuellen Kampagne für barrierefreie Onlineshops ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.

Inklusion und Barrierefreiheit im Old-Style-Way

Auch die deutsche Barrierefreiheits-Community hat meine Kritik leider nicht verstanden: Es reicht heute nicht mehr zu sagen, dass man sich für Barrierefreiheit einsetzt: Es geht auch darum, dass man behinderten Menschen die Chance gibt, selbst als Expert:Innen zu sprechen. Das passiert nicht, wenn eine Diskussionsrunde aus lauter Nicht-Behinderten besteht. Wenn es diese behinderten Expert:Innen kaum gibt, dann liegt es unter anderem auch an den verkrusteten Strukturen, die kaum Neulingen die Chance gibt, sich zu etablieren. Es ist kein Zufall, dass Grauhaarige heute die Panels zur Barrierefreiheit dominieren und die jüngste Person in der Runde 50 ist. Auch Menschen, die sich glaubhaft für Barrierefreiheit einsetzen können verhindern, dass behinderte Menschen partizipieren.
Eigentlich ist man sich ja einig, dass Panels und andere Institutionen divers besetzt sein sollten, nur bei Inklusion und Behinderung scheint das nicht zu gelten. Jüngstes Beispiel ist die Barrierefreiheits-Konferenz 2024 des Rheinwerk-Verlages. Ein bisschen enttäuscht bin ich vom Rheinwerk-Verlag. Während das erste Programm vermutlich schnell zusammengestellt werden musste, hätte man bei der dritten Auflage mehr Chancen gehabt. Nicht nur die Vortragenden, auch die Themen sind so konventionell, dass man zwei Mal hinschauen muss, um die Unterschiede zu den vorherigen Konferenzen zu erkennen. Auch musste ich darüber nachdenken, ob das jetzt ein Barrierefreiheits-Panel oder eine Versammlung alter hellhäutiger Personen sein sollte – es ist beides.
Es scheint auch ein ungeschriebenes Gesetz zu geben, dass man Leute, die irgendwas mit Inklusion und Barrierefreiheit machen (oder so tun als ob) nicht kritisieren darf. Weil sie sind ja die Guten. Sorry Leute, jede darf jeden kritisieren und man kann auch mit guter Absicht Blödsinn machen. Genauso müssen auch Behinderten-Aktivistinnen damit zurechtkommen, dass sie kritisiert werden, wenn die Kritik konstruktiv ist.
Mir geht es nicht darum, dass Nicht-Behinderte etwas Falsches sagen, auch Behinderte können Unsinn von sich geben. Behinderte Menschen dabei zu haben ist kein Wert an sich, sondern zeigt einfach deutlich, dass es auch behinderte Expert:innen gibt. Es wird nicht nur über sie gesprochen. Natürlich sprechen behinderte Menschen auch ganz anders über Barrieren als Leute, die das nur aus dritter Hand kennen. Und schließlich zeigt die Anwesenheit behinderter Menschen, die sich kompetent äußern können ein Stück weit, dass Inklusion und Barrierefreiheit erfolgreich waren, ansonsten würden sie ja nicht dort sitzen. Natürlich sind auch behinderte Menschen wichtig, die sagen, dass dieses und jenes nicht funktioniert. Das Bild wird aber schief, wenn Behinderte sagen, was nicht funktioniert und der Nicht-Behinderte, wie man das repariert. Das verfestigt einmal mehr den Fürsorge-Gedanken.
Aktuell erzählt eine Dame von Google Deutschland in einem Video, wie wichtig Tastatur-Bedienbarkeit ist. Und ich frage mich, ob sie überhaupt weiß, wovon sie redet: Hat sie mal einen ganzen Tag lang versucht, ohne Maus zurechtzukommen? Google ist vielleicht das beste Beispiel, wenn es um mangelnde Barrierefreiheit bei einem großen Unternehmen geht, da hat man den Bock zum Gärtner gemacht. Vielleicht sollten sie Google-intern einmal eine Sensibilisierung machen.
Ich erinnere mich mit Grauen an eine Runde von Microsoft Deutschland, in der mehrere Personen über Barrierefreiheit diskutiert hatten. Keiner von denen hatte eine Behinderung und auch thematisch keinen echten Bezug zu digitaler Barrierefreiheit. Was für ein Bild gibt das ab? Ich hatte intern bei meinem damaligen Auftraggeber auf dieses Problem aufmerksam gemacht, was Microsoft aber ziemlich egal war. Das ist einige Jahre her, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie daraus etwas gelernt haben. Wahrscheinlich nicht. Bei solchen Events geht es mehr um Name Dropping – irgendwelche Leute bzw. Firmen, die man kennt und die deshalb einen Pull-Effekt haben. Von dem Thema müssen sie nichts verstehen, im Zweifelsfall haben sie Angestellte, die die Sprechzettel für sie schreiben.
Die Veranstaltungen sind auch deshalb wichtig, weil sie den Referentinnen Prestige verleihen. Für Newbies ist es recht schwierig, Bekanntheit zu erlangen. Da ist es sinnvoll, wenn sie die Chance haben, auf Konferenzen aufzutreten. Wie das nicht geht, sieht man bei der für 2024 geplanten Konferenz des Rheinwerk-Verlages, wo sie wieder die überwiegend männlichen Senioren der deutschen Barrierefreiheits-Szene eingeladen haben. Bei der dritten Auflage hätte man wirklich mal ein paar neue Gesichter und Themen reinmischen können, aber offenbar war das zu anstrengend. Aber der Umsatz wird trotzdem stimmen.

Mehr handeln, weniger reden

Eine Organisation kann sich dann inklusiv und barrierefrei nennen, wenn sie ihre Angebote barrierefrei gestaltet und behinderte Menschen nicht nur als Testimonials verwendet, sondern sie auch zu Themen sprechen lässt, die nicht unmittelbar mit der eigenen Situation zu tun haben. Es geht meines Erachtens nicht darum, perfekt inklusiv und barrierefrei zu sein. Das sind Prozesse, keine Zustände.
Es geht darum, eine Strategie zu entwerfen, Maßnahmen einzuleiten, Fortschritte zu messen und problematische Bereiche aufzuzeigen. Die kann man kommunizieren. Alles andere ist reine PR. Practice what you preach, Wasser predigen und Wein saufen – leider gibt es in unserem Sektor sehr viele Organisationen, die sich ihrer Doppel-Moral nicht bewusst sind. Oder sie sind sich dessen bewusst und kümmern sich nicht darum. Wenn die größten Betreiber von Behindertenwerkstätten eben jene Werkstätten kritisieren, passt das nicht zusammen.
Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen: Der gesamte Nonprofit-Bereich ist alles andere als divers. Viele stehen auf dem Standpunkt, dass sie eine gute Sache vertreten und schon deshalb inklusiv und divers sind und dass man sie nicht kritisieren darf, weil sie ja Nonprofit sind und das Gute wollen. Allerdings sind einige Privat-Unternehmen deutlich weiter, was die Diversität ihrer Belegschaft angeht.
Wie viele von den großen Nonprofit-Organisationen werden von Frauen, Queren, Behinderten oder Migrations-Hintergründigen geführt? Mir fällt spontan keiner ein. Wie viele haben einen Aktionsplan zur Inklusion? Eine öffentlich zugängliche Diversity-Strategie? Eine Strategie zur allgemeinen Barrierefreiheit? Wie viele von den großen Wohlfahrtsverbänden folgen in ihren lokalen Einrichtungen noch dem Fürsorge-Gedanken und haben einfach nur Inklusion vorne draufgeklebt? Bei wie vielen Organisationen stimmt das öffentlich gezeigte Bild nicht mit den internen Verhältnissen überein?
Ich weiß es tatsächlich nicht. Aber es dürften mehr Exklusive sein, als uns lieb ist. Und wie gesagt ist das nicht das Problem. Das Problem ist, dass das Problem nicht wahrgenommen und keine Maßnahmen dagegen ergriffen werden. Nonprofits sind im Endeffekt ebenso macht- und eliten-orientiert wie Wirtschafts-Unternehmen oder Behörden, nur dass sie das besser kaschieren können. Um hier aufzusteigen, muss man den richtigen Hintergrund haben und frühzeitig sein Netzwerk gesponnen haben. Leider haben das die meisten Personen aus Minderheiten nicht und insofern keine Chance, außerhalb der Selbsthilfe-Organisationen eine führende Position zu erlangen.
Man muss seine Rechte einfordern und dafür kämpfen. Der gute Wille der Barrierefreiheits-Senior:Innen wird nicht dazu führen.
Für mich persönlich habe ich den Schluss gezogen, dass ich nur noch als Experte und nicht mehr als Testimonial auftreten werde. Mehr kann ich leider nicht tun.

Die WCAG braucht eine Revolution

Mit Interesse habe ich Erik Eggerts Beitrag Do we need WCAG 3 (now)? gelesen und möchte dafür argumentieren, die WCAG 2.x grundlegend zu überarbeiten.

Probleme der WCAG 2.x

Die WCAG 2.x hat mit aus meiner Sicht zahlreichen gravierenden Problemen zu kämpfen, die sie nicht wirklich zukunftsfest macht.
Die WCAG selbst soll technik-agnostisch sein. Allerdings nicht ganz konsequent, da der Begriff „Web“ im Namen steckt. Die WCAG selbst besteht aus etwas kryptischen Erfolgskriterien, die erst im Zusammenspiel mit den „Understanding“ und „How to meet“-Dokumenten wirklich verständlich werden. Ich empfehle meinen Schulungs-Teilnehmerinnen immer zuerst die „Understanding“-Dokumente zu konsultieren, die WCAG selbst ist IMO nur für Expertinnen geeignet. Auch das Zusammenspiel dieser Dokumente untereinander und mit den Techniques ist für Außenstehende nicht immer klar.
Auch das Konformitäts-Modell aus A, AA und AAA ist nicht immer verständlich. Es bleibt mir ohnehin ein Rätsel, warum die WAI nicht einfach einen Filter auf der WCAG-Seite anbietet, um die jeweiligen Erfolgskriterien herauszufiltern. Das müssen Andere machen. Die Begründung, warum bestimmte Kriterien als A, AA oder AAA eingestuft wurden sind nicht immer verständlich.
Auch das Prinzip der vollen Konformität ist überholt. Ich habe das Problem anhand der WebAIM-Analyse ausführlich erklärt. Wenn es fast kein komplexes Angebot gibt, welches vollständig konform ist, dann scheint da irgendwas nicht zu funktionieren. Entweder sind alle zu blöd oder der Aufwand zu Konformität steht in keinem gesunden Verhältnis zum Resultat. Tatsächlich halte ich das Prinzip der vollständigen Konformität für das größte Manko der WCAG, das eher heute als morgen abgeschafft werden sollte. Es ist einer der Gründe für den Erfolg der Accessibility Overlays und unsinniger automatischer Tests wie WAVE.
Die ganz großen wie Amazon, Microsoft, Apple und Google formulieren ohnehin ihre eigenen Standards. Amazon etwa hält sich für barrierefrei, obwohl die Cookie-Message seit Jahren nicht barrierefrei umgesetzt wird. Google macht viele seiner Business-relevanten Programme wie Analytics oder die Search Console nicht barrierefrei und schließt damit Blinde vom Arbeitsfeld SEO und Analytics aus. Microsoft Bing hat es nach X Jahren nicht geschafft, seine Standard-Cookie-Message barrierefrei zu machen.
Auch die Verteilung der Erfolgskriterien erschließt sich nicht unmittelbar. Es gibt zum Beispiel einen Prüfschritt Info and Relationsships, in welchem etwa geprüft wird, ob Überschriften und maschinenlesbare Beschriftungen vorhanden sind. In einem anderen Prüfschritt Headings and Labels wird geprüft, ob die Beschriftungen sinnvoll sind. Es gibt einen Prüfschritt, in welchem das Vorhandensein visueller Beschriftungen geprüft wird und einen weiteren Prüfschritt an einer ganz anderen Stelle, der prüft, ob der maschinen-lesbare Name Teil der visuellen Beschriftung ist. Aus der internen Logik ergibt das Sinn, weil diese Erfolgskriterien jeweils anderen Guidelines zugeordnet sind. Von der Systematik der Prüfung hingegen ist das nicht wirklich sinnvoll. Wenn man sich die Beschriftung anschaut, kann man in einem Schritt prüfen, ob sie sinnvoll, maschinenlesbar, visuell vorhanden, mit dem maschinenlesbaren Namen synonym ist und ob ein Auto Complete wenn nötig vorhanden ist.
Neben sinnvollen Kriterien steckt auch viel Unsinn in der WCAG wie das Language Attribut. Auch die AutoComplete-Anforderung halte ich nicht für sinnvoll: Das kann client-seitig besser gelöst werden.
Generell ein wichtiges Thema ist die Frage der Verständlichkeit: Die WCAG und ihre informativen Understanding, und How-to-meet-Dokumente ist alles Mögliche, aber für Außenstehende verständlich ist sie nicht. Es bleibt die Frage, ob sie ein Expertinnen-Dokument sein soll – was sie defacto heute ist – oder eine Hilfe für Personen, die nicht knietief in der Barrierefreiheit stecken und sie anwenden wollen – das ist sie heute nicht. Im Grunde muss man immer alle 60 AA-Kriterien kennen, um sie anwenden zu können. Aber nebenbei liest sich niemand in 60 Kriterien ein. D.h. im Grunde bräuchte jede Organisation mit einem digitalen Angebot einen Barrierefreiheits-Spezi – absolut illusorisch.
Es ist richtig, dass die WCAG sich bewährt hat. Im Großen und Ganzen dürfte sie die meisten Use Cases abdecken und braucht nicht so viele Updates. Das ist auch gut so, wenn man bedenkt, dass 10 Jahre zwischen 2.0 und 2.1 lagen und inzwischen fast fünf Jahre zwischen 2.1 und 2.2, obwohl es sich jeweils um relativ kleine Änderungen handelt. Viele konkrete Anforderungen werden auch eher in den nicht-normativen Dokumenten wie etwa den ARIA Authoring Practices behandelt, die so scheint es schneller aktualisiert werden.
Andererseits erscheint die WAI wie viele Standardisierungs-Institutionen zu einem bürokratischen Monster zu verkommen. Diese unendlichen Diskussionen sind einerseits erklärbar, wenn man den Impact der Regeln bedenkt – schließlich sind sie für fast jeden auf der Welt, der mit Technik zu tun hat irgendwie relevant. Andererseits kann man mit der Entwicklung nicht Schritt halten. Das ist auch daran erkennbar, dass die WAI wenig zu elektronischen Dokumenten (ausgenommen ePub), nativen Apps und Desktop-Software zu sagen hat und sich praktisch vollständig auf Websites und Web-Anwendungen konzentriert. Es ist richtig, dass Desktop-Software an Relevanz verliert, das gilt aber nicht für native Apps.
Meines Erachtens muss es auch möglich werden, über die WCAG hinauszugehen, ohne vom Kunden gefressen zu werden. Es ist zwar schön, dass die WAI Empfehlungen für die Gestaltung für kognitiv behinderte Menschen gibt, aber nicht so schön, dass Empfehlungen unverbindlich sind.
Das Problem der parallelen Existenz mehrerer Regelwerke lässt sich lösen. Die bisher geplanten Änderungen werden nicht alle alten Regeln über Bord werfen. Das heißt, was WCAG-2.x-AA-konform ist, wird wahrscheinlich auch 3.0-konform sein. Durch Übergangs-Fristen kann für alte Angebote sichergestellt werden, dass sie nach und nach die wenigen neuen Anforderungen erfüllen. Neue Angebote können nach einer gewissen Frist direkt mit 3.0 einsteigen. Auch heute schon existieren WCAG 2.0 und 2.1 parallel. Die 2.2 wird wahrscheinlich ebenfalls parallel zu den beiden anderen existieren, da einige Länder nach wie vor WCAG 2.0 als Standard festgeschrieben haben.

Ist WCAG 3 die Antwort

Aus vielen Erfahrungen haben wir gelernt, dass man die Erwartungen nicht zu hoch hängen sollte. Wir werden so oder so enttäuscht sein. Falls die WCAG 3 überhaupt kommt, woran ich aktuell eher zweifle, wird sie ein paar Probleme lösen und ein paar neue schaffen. Für mich steht allerdings fest, dass die WCAG 2.x aufgrund der oben genannten Probleme im Grunde nicht zukunftsfähig ist. Ich stimme Eggert allerdings zu, dass es schnellere Updates der Dokumente benötigt. Das aktuelle System der WAI zur Aushandlung scheint nicht so wirklich zu funktionieren, so dass man auf aktuelle Entwicklungen nicht gut reagieren kann.

Warum „Barrierefreiheit ist teuer“ diskriminierend ist

Wohl kaum etwas ist so relativ wie das Wort teuer. Barrierefreiheit ist so teuer, höre ich von vielen Kunden, natürlich nicht offen, aber das Ghosting nach dem Angebot spricht für sich.
Nun ist es richtig, dass Barrierefreiheit teuer ist, vor allem, wenn man aus der Perspektive einer Privatperson darauf schaut. 1000 € pro Tag und mehr sind kein Pappenstiel. Und doch relativiert sich alles, wenn man einmal selbständig war. Dann wundert man sich eher, dass Handwerkerinnen wie Friseure, Klempner und so weiter mit den hohen Kosten und dem nicht so üppigen Einkommen zurecht kommen, ganz zu schweigen von der unendlichen deutschen Bürokratie.
Sonderbar ist auch, wofür dann doch Geld ausgegeben wird. Was kostet zum Beispiel eine Image-Broschüre, ein eigener Font, ein Image-Video oder gar ein komplettes Corporate Design, welches zahlreiche Körperschaften der öffentlichen Hand an Externe beauftragen? Kleiner Tipp: Mit 10.000 € kommt man da selten hin. Ich kriege so am Rande mit, wie viele Dienstleister vor allem von Ministerien beauftragt werden und da fließen Summen, bei denen man Haar-Ausfall bekommt. Für Dienstleistungen, die sinnvoll sind und manchmal auch nicht. Und ein offenes Geheimnis – die großen der Branche begnügen sich nicht mit 2000 € pro Tag. Wenn der Geschäftsführer – meistens ein Mann mit Doktortitel – in den Call kommt, sind es schon mal 1000 € die Stunde.
Auch leisten es sich viele Kommunen, unsinnige Fach-Anwendungen entwickeln zu lassen. Unsinnig, weil jede Kommune ihr eigenes Süppchen kocht statt bestehende Lösungen zu nutzen.
Auch über die Kosten von Websites und Apps wird diskutiert. Zu Unrecht, wenn man sich die heutigen Prozesse anschaut: Da sind so viele Leute und so viele Projekt-Schritte involviert, dass die Kosten in aller Regel gerechtfertigt sind und genau kalkuliert werden, weil der Konkurrent nur einen Klick entfernt ist.
Doch es fällt auf, dass das Argument mit den hohen Kosten vor allem beim Thema Barrierefreiheit kommt. Der Pr-Experte darf seine 1500 € pro Tag einstreichen, aber der Barrierefreiheits-Experte soll bitte kostenlos arbeiten. Das ist die Erwartungs-Haltung, die oft dem Kunden ins Gesicht geschrieben steht, die er aus Scham aber natürlich nicht laut ausspricht.
Was sagt das aus? Dass Barrierefreiheit vor allem als netter Zusatz gesehen wird und nicht als Handwerk, das ebenso bezahlt werden muss wie der UX-Profi oder die Entwicklerin.
Weiterhin sagt das aus, dass die Zugänglichkeit für behinderte Menschen von vielen Verantwortlichen nicht als Notwendigkeit, sondern als nettes Extra gesehen wird. Kann man machen, kann man aber auch lassen. Vor allem kann man es aber runterhandeln, runterpriorisieren und „danach“, also nach allem anderen machen, was aus Sicht des Auftraggebers wichtiger ist. „Barrierefreiheit wird später gemacht“ war die lapidare Antwort eines potentiellen Kunden, der sich melden wollte und diesen Anruf ohne Info ausfallen ließ. Gibt es ein aussagekräftigeres Bild für die Geringschätzung der Barrierefreiheit.

Barrierefreiheit von Podcasts


Da ich häufiger danach gefragt werde: Bei Podcasts gibt es ein paar Dinge zu beachten, damit sie barrierefrei sind.

Plattform für Hosting und Verbreitung

Zunächst einmal ist wichtig, dass der Podcast über barrierefreie Plattformen bereitgestellt wird. Entscheidend für die Hörenden ist, dass der Player gut bedienbar ist. Ich zum Beispiel nutze Podigee, das meiner Erfahrung nach gut mit Screenreader und Tastatur läuft. Die Möglichkeit des Downloads sollte über den Player ebenfalls bereitgestellt werden. Zur Not kann man den Inhalt dann einfach im Browser hören, der Firefox zum Beispiel hat einen einfachen MusikPlayer integriert. Oder man nutzt den eigenen Player auf dem Rechner. Auch die Standard-Website für den gehosteten Podcast von Podigee ist ganz gut nutzbar, ich habe sie allerdings nicht systematisch auf Barrierefreiheit geprüft. Ich gehe davon aus, dass man bei den Hostern mit höherwertigen Accounts auch die Website für den Podcast selber gestalten kann, so viel kann und wollte ich allerdings nicht investieren.
Wichtiger ist allerdings, dass der Podcast über möglichst viele Podcast-Plattformen verfügbar ist. Dazu gehören Google Podcast, Streaming-Dienste wie Spotify oder Deezer oder auch die Apple-Plattform.
Hintergrund ist, dass mittlerweile Podcasts überwiegend auf Smartphones gehört werden und diese Plattformen eine bessere Nutzbarkeit haben als die meisten Seiten. Dann wird der plattform-eigene Player verwendet und es spielt keine Rolle, ob der Ursprungs-Anbieter einen barrierefreien Player anbietet. Ich war überrascht, dass mein eigener Podcast überwiegend über Spotify gehört wird, fast die Hälfte der Hörenden nutzt Spotify. Ich hätte eher auf Google Podcasts oder eine andere Podcast-Plattform getippt. Bei Spotify fehlt mir die Funktion, die Abspiel-Geschwindigkeit einzustellen. Außerdem wird der RSS-Feed stark genutzt, wobei man nicht eruieren kann, ob der Feed über alternative Podcatcher oder direkt übers Web genutzt wird.

Technische Qualität

Entscheidend ist auch die Ton-Qualität. Die einen nervt es, die anderen verstehen nichts mehr. Ich breche regelmäßig das Anhören von Episoden ab, wenn sie etwa zu leise aufgenommen wurden. Die Lautstärke komplett aufzudrehen kann Neben-Geräusche verstärken oder wirkt sich anderweitig aus, etwa bei schlechten Lautsprechern. Benutzt man wie ich externe Bluetooth-Hörer ohne eigenen Verstärker, ist die Erhöhung der Lautstärke unter anderem aus Hörschutz-Gründen beschränkt. Das heißt, dass man zu leise Podcasts dort nicht beliebig lauter machen kann.
Fast noch wichtiger ist eine gleichbleibende Lautstärke. Das Schlimmste für einen Hörgeschädigten neben einer schlechten Audio-Qualität ist, wenn er ständig laut und leise drehen muss, weil die Aufnahme nicht gleichmäßig laut ist, zum Beispiel weil die Sprechenden unterschiedliche und nicht optimale Technik verwenden.
Der Fairness halber muss man sagen, dass eine professionell klingende Aufnahme von einem Hobby-Podcastenden nicht erwartet werden kann. Jede kann am Kompressor drehen oder sich ein halbwegs gutes Mikrofon kaufen. Eine Aufnahmekabine hingegen geht ordentlich ins Geld und nimmt viel Platz weg. Ebenso kann man von einem Laien keine professionelle, geschulte Stimme erwarten. Für einen Hobby-Podcast wird niemand ein professionelles Stimm-Training absolvieren. Und auch das Bearbeiten von Stimm-Aufnahmen ist eine Fertigkeit, die man beherrschen muss, es gibt nicht umsonst Tontechnikerinnen, die genau das machen.
Andererseits muss man sich als Anbieterin bewusst sein, dass schlechte Ton-Qualität der wichtigste Ablehnungs-Grund ist. Ein halbwegs gutes Mikrofon und ein Vorverstärker sowie eine halbwegs ruhige Aufnahme-Situation sollten im Rahmen sein. Ein wenig kann man in der Post-Produktion mit Audacity und Co. auch noch rausholen. Aber entscheidend ist die Aufnahme-Qualität.
Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen: Jede Person, die sich häufiger interviewen lässt oder an Internet-Calls, sollte die 40 € in ein einfaches USB-Headset investieren. Wenn jemand so klingt, als ob er 6 Meter vom Mik entfernt saß wissen wir, da wurde mal wieder das Laptop-Mikro verwendet. Da kann man auch in der Post-Produktion kaum noch was retten. Selbst die Smartphones klingen hier ein wenig besser.
Aus meiner Erfahrung aus zahlreichen Vorträgen und Schulungen – die ich gehalten bzw. gehört habe – kann ich sagen, dass der ultimative Tip ist, langsam zu sprechen. Alles Andere wie eine gute Betonung und eine saubere Aussprache sind Feinarbeit.
Wie oben gesagt ist die Anhebung der wahrgenommenen Lautheit zwar sinnvoll, aber das rettet keine schlechte Sound-Qualität. Generell sollten in der Post-Produktion immer mindestens zwei Möglichkeiten genutzt werden. Der Kompressor sorgt für eine gleichmäßige Lautstärke, die Funktion Lautheit Normalisieren – so heißt sie bei Audacity – erhöht die Lautstärke insgesamt. Hier muss man nicht bis zum maximalen Pegel gehen, da es dann schnell übersteuert. Auch die Rausch-Reduktion ist hier wichtig, da eine Anhebung des Pegels natürlich auch das Grund-Rauschen verstärkt.
Andere Optionen wie der grafische EQ können die Aufnahme aufpolieren, haben aber nach meiner Erfahrung keinen Einfluss für Schwerhörige.

Transkript

Last but not least ist das Transkript wichtig: Eine Text-Version des Podcasts. Sie ist nach WCAG verpflichtend, aber auch ein guter Service. Schließlich liest es sich schneller als es zu hören. Schnell mal was nachhören ist im Podcast nicht möglich.
Ich nutze tatsächlich YouTube für die automatische Transkription Die kostenpflichtigen Tools sind wahrscheinlich besser, aber auch von den Kosten eher schwer zu verkraften. Tatsächlich macht das Transkript bzw. die Korrektur desselben die meiste Arbeit.
Andere Dinge wie Kapitelmarken sind optional. Wenn ein Podcast mehrere Stunden dauert und nicht aus Gründen der Unterhaltung gehört wird, mag das sinnvoll sein. Allerdings hatte ich diesen Fall bisher nicht.
Mein Favorit-Feature ist eine Anpassung der Abspiel-Geschwindigkeit. Deutsche Podcasts höre ich meistens bei einem Tempo von 1,5. Weil die Leute zu langsam reden. Aber auch das hat nichts mit Barrierefreiheit zu tun, das ist Conveniienz.

Agiles Projektmanagement – ein Gewinn für die digitale Barrierefreiheit

Mehrere Personen arbeiten zusammen
Das Wasserfall-Modell und das agile Projektmanagement sind zwei unterschiedliche Ansätze, um Projekte zu planen und umzusetzen. Wenn es um die digitale Barrierefreiheit geht, gibt es einige Unterschiede zwischen diesen beiden Ansätzen.

Wasserfall-Modell:

Das Wasserfall-Modell ist ein sequenzieller Ansatz, bei dem jede Phase des Projekts nacheinander abgeschlossen wird. Es beginnt mit der Anforderungsdefinition, gefolgt von der Systementwicklung, dem Testen und schließlich der Implementierung. Dieser lineare Ansatz kann es schwierig machen, digitale Barrierefreiheit zu berücksichtigen, da sie erst in späteren Phasen des Projekts berücksichtigt wird. Die Konzentration auf Barrierefreiheit kann möglicherweise vernachlässigt werden, da Änderungen an den Anforderungen oder am Design schwer umzusetzen sind.
Probleme mit der Barrierefreiheit werden hier traditionell erst nach der Fertigstellung bzw. dem Prototypen festgestellt. Man ist hier stark darauf angewiesen, das Thema Barrierefreiheit von Anfang an korrekt umzusetzen, da es hier sehr stark am Anforderungsmanagement hängt.

Agiles Projektmanagement:

Agiles Projektmanagement basiert auf einem iterativen und inkrementellen Ansatz. Es gibt mehrere kurze Entwicklungszyklen, bekannt als Sprints, bei denen die Anforderungen priorisiert und in kleinere Aufgaben aufgeteilt werden. Bei jedem Sprint wird ein funktionsfähiges Produktinkrement erstellt und getestet. Agile Teams arbeiten eng mit den Nutzern zusammen, um deren Feedback kontinuierlich in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Dieser Ansatz bietet eine größere Flexibilität, um digitale Barrierefreiheit in den gesamten Entwicklungsprozess zu integrieren. Barrieren können frühzeitig identifiziert und behoben werden, da kontinuierliches Feedback und Anpassungen möglich sind.

Agil ist für digitale Barrierefreiheit besser

In Bezug auf digitale Barrierefreiheit bieten agile Methoden wie Scrum und Kanban die Möglichkeit, die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen von Anfang an zu berücksichtigen. Die enge Zusammenarbeit mit Nutzern und Experten ermöglicht es, Barrieren frühzeitig zu erkennen und Lösungen zu entwickeln. Darüber hinaus ermöglichen agile Ansätze eine kontinuierliche Verbesserung der Barrierefreiheit im Laufe des Projekts.
Im Gegensatz dazu kann das Wasserfall-Modell zu einer isolierten Betrachtung der Barrierefreiheit führen, da sie möglicherweise erst in späteren Phasen berücksichtigt wird. Änderungen an den Anforderungen oder am Design sind schwierig und teuer umzusetzen, wenn das Projekt bereits weit fortgeschritten ist.
Letztendlich ermöglicht das agile Projektmanagement eine größere Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, um digitale Barrierefreiheit kontinuierlich zu verbessern, während das Wasserfall-Modell eher statisch ist und Änderungen erschwert. Daher ist das agile Projektmanagement in Bezug auf digitale Barrierefreiheit oft die bevorzugte Wahl, da es den Fokus auf kontinuierliche Verbesserung und Benutzerfeedback legt.
Zusätzlich kommt die Herausforderung dazu, dass das klassische Projektmanagement nur auf zeitliche abschließbare Projekte anwendbar ist. Heutzutage sind aber Programme und Web-Anwendungen in der Regel so beschaffen, dass sie stetig pepflegt werden müssen. Hier passt das agile Vorgehen deutlich besser, während das Wasserfall-Modell ungeeignet ist.
Der agile Ansatz ist generell eher in der Lage, Feedback von Beteiligten und Betroffenen dynamisch zu integrieren. Statt Verbesserungen – und oft auch Verschlechterungen – in großen Updates auszurollen, können sie stetig integriert werden bzw. behoben werden. So wird eine Anwendung, auch bei kleinen Rückschlägen, steteig besser, ohne dass die Nutzer:Innen lange auf solche Verbesserungen warten müssen.
Warum Projekte zur digitalen Barrierefreiheit scheitern

Dyslexie und Legasthenie – Lese-Rechtschreib-Schwäche und digitale Barrierefreiheit


Ein Thema, das in der digitalen Barrierefreiheit bisher sehr kurz kommt sind die klassischen Lernstörungen wie Legasthenie und Dyslexie. Vorneweg sei gesagt, dass ich kein Experte dafür bin und hier nur meine allgemeine Einschätzung teile. Legasthenie und Dyslexie werden weitgehend synonym verwendet, wobei Dyslexie international und Legasthenie eher ein deutscher Begriff ist, aber beides das Gleiche meint. Es soll ca. 3-4 Prozent Betroffene in Deutschland geben.

Dyslexie und Legasthenie

Dyslexie ist eine Lernstörung, die sich in Schwierigkeiten beim Lesen äußert. Menschen mit Dyslexie haben oft Probleme, Buchstaben und Wörter zu erkennen, zu unterscheiden, sie richtig zu lesen und zu verstehen. Diese Schwierigkeiten können sich auch auf das Schreiben und die Rechtschreibung auswirken. Dyslexie hat nichts mit Intelligenz oder mangelnder Motivation zu tun. Es handelt sich um eine neurologische Störung, bei der das Gehirn Schwierigkeiten hat, Buchstaben und Wörter richtig zu verarbeiten. Legasthenie ist ein ähnlicher Begriff wie Dyslexie und wird manchmal synonym verwendet. Die Ursachen sind umstritten, es werden unter anderem genetische Faktoren diskutiert.

Dyskalkulie ist eine spezifische Lernstörung, die sich auf mathematische Fähigkeiten und das Verständnis von Zahlen auswirkt. Menschen mit Dyskalkulie haben Schwierigkeiten beim Verstehen und Anwenden mathematischer Konzepte, beim Zählen, Rechnen und Lösen mathematischer Probleme.

Das menschliche Gehirn ist naturgemäß nicht zum Lesen gemacht. Die ersten Schriftsysteme kamen vor ein paar tausend Jahren auf und erst seit dem 19. Jahrhundert ist es überhaupt üblich, dass die Mehrheit der Menschen selbständig Lesen und Schreiben kann. Eine interessante Darstellung dazu gibt es in dem Buch „Das lesende Gehirn“ von Maryanne Wolf.

Digitale Barrierefreiheit bei Lese-Rechtschreib-Schwäche

Ein wichtiger Aspekt der digitalen Barrierefreiheit für Menschen mit Dyslexie ist die Verwendung spezieller Schriftarten und Formatierungen, die das Lesen erleichtern. Bestimmte Schriftarten, wie beispielsweise OpenDyslexic, sind speziell entwickelt worden, um die Unterscheidung zwischen Buchstaben zu verbessern und das Lesen für Menschen mit Dyslexie angenehmer zu gestalten. Darüber hinaus kann die richtige Formatierung von Texten wie größere Zeilenabstände die Lesbarkeit verbessern. Entsprechende Richtlinien gibt es in der WCAG.

Solche Einstellungs-Möglichkeiten gibt es in den Browsern und anderen Lese-Anwendungen, Ausnahme ist das PDF-Format. Sogenannte Barrierefreiheits-Overlays oder Toolbars – also website-eigene Funktionen sind für diesen Zweck gänzlich überflüssig. Die Anforderungen sind so individuell, dass sie nur mit persönlichen Einstellungen auf dem eigenen Device abgedeckt werden können. Auch speziell für diese Gruppe entwickelte Schriftarten wie die Open Dyslectic sind in ihrem Nutzen bisher nicht empirisch belegt. Als widerlegt gilt mittlerweile die eher anekdotische Evidenz, dass die Comic Sans für diese Gruppe besonders gut lesbar ist. Es mag Individuen geben, die mit diesen Schriftarten besonders gut zurecht kommen, aber das ist sicher kein Grund, Angebote in einer dieser Schriftarten bereitzustellen. Wie oben gesagt ist es wichtiger, dass Websites mit Anpassungen wie einem höheren Zeilen-Abstand oder eigenen Schriftarten funktionieren. Es ist auch gut, wenn die Lese-Modi der Browser von den Websites unterstützt werden, weil sie das Vorlesen durch Software erleichtern.

Eine weitere Möglichkeit, die Barrierefreiheit für Menschen mit Dyslexie zu verbessern, ist die Nutzung von Text-to-Speech-Technologie. Durch die Umwandlung von Text in gesprochene Worte ermöglichen diese Technologien Menschen mit Dyslexie, Informationen auditiv aufzunehmen, was das Verständnis und den Zugang zu Inhalten erleichtert. Das parallele Lesen und Hören von Worten soll die Aufnahme-Fähigkeit erhöhen. Text-to-Speech-Funktionen sind mittlerweile weithin über Geräte und Browser verfügbar und müssen nicht vom Website-Anbieter bereitgestellt werden. Auch hier gilt wieder, dass individuelle Einstellungen wie Stimme und Tempo entscheidend sind.

Digitalisierung kann die Barrierefreiheit für Menschen mit Dyslexie verbessern. Durch die Bereitstellung von digitalen Inhalten können Anpassungen leichter vorgenommen werden, um den Bedürfnissen von Menschen mit Dyslexie gerecht zu werden.

Abgrenzung zu anderen Herausforderungen

Interessant ist, das auch Sehbehinderte ähnliche Herausforderungen aus anderen Gründen haben können. Bei der Sehbehinderung ist entscheidend, dass Zeichen aus visuellen Gründen nicht erkannt oder unterschieden werden können.

Ein weiteres Feld, in welchem ähnliche Herausforderungen bestehen können sind Aufmerksamkeits-Störungen wie ADHS: Auch hier sehen die Symptome für die Beobachterin möglicherweise ähnlich aus, aber die Ursachen und Strategien zum Umgang damit sind vollkommen anders.

Last not least wären funktionale Analphabetinnen zu nennen, von denen es laut der letzten LEO-Studie ca. 7 Millionen im berufsfähigen Alter in Deutschland gibt. Hier liegt das Problem – wahrscheinlich – nicht im Gehirn, sondern in der Sozialisation. Die Betroffenen haben nie richtig lesen und schreiben gelernt. Wobei natürlich nicht ausgeschlossen ist, dass sie wegen einer Dyslexie beim Lesen-Lernen gehemmt waren.

deshalb ist eine entsprechende Diagnose sehr wichtig, um den Betroffenen helfen zu können. Eine nicht erkannte Problematik ist schwierig. Aber auch eine falsche Diagnose führt dazu, dass nicht sinnvolle Maßnahmen getroffen werden, die den Betroffenen nicht helfen. Einer Legasthenikerin wird es wahrscheinlich nicht helfen, größere Buchstaben zu erhalten, wenn der Abstand der Zeichen das Problem ist. Die Änderung der Schriftart hilft einer Sehbehinderten nicht, wenn die Zeichen keine adäquate Größe haben.

Relevante WCAG-Kriterien

Die folgenden Anforderungen finden wir in der WCAG, die unter anderem für diese Gruppe relevant sind.

1.4.4 Resize text
text can be resized without assistive technology up to 200 percent without loss of content or functionality.
1.4.5 Images of Text
If the technologies being used can achieve the visual presentation, text is used to convey information rather than images of text.
1.4.10 Reflow
1.4.12 Text Spacing
no loss of content or functionality occurs by setting all of the following and by changing no other style property:
• Line height (line spacing) to at least 1.5 times the font size;
• Spacing following paragraphs to at least 2 times the font size;
• Letter spacing (tracking) to at least 0.12 times the font size;
• Word spacing to at least 0.16 times the font size.

Bei den höchsten Anforderungen der WCAG unter AAA gibt es zusätzliche Anforderungen, die ich aber noch nie in freier Wildbahn gesehen habe und die in der Regel nicht verpflichtend sind:

1.4.8 Visual Presentation
For the visual presentation of blocks of text, a mechanism is available to achieve the following:
• Foreground and background colors can be selected by the user.
• Width is no more than 80 characters or glyphs (40 if CJK).
• Text is not justified (aligned to both the left and the right margins).
• Line spacing (leading) is at least space-and-a-half within paragraphs, and paragraph spacing is at least 1.5 times larger than the line spacing.
• Text can be resized without assistive technology up to 200 percent in a way that does not require the user to scroll horizontally to read a line of text on a full-screen window.

Zum Weiterlesen

Konsistente Gestaltung von Navigation und Bedien-Elementen


Fälschlicherweise wird digitale Barrierefreiheit überwiegend so verstanden, das alles unter der Haube stattfindet – sprich vor allem im HTML und ein wenig im CSS. Tatsächlich spielt aber die Gestaltung von UI-Elementen eine große Rolle. Sprachliche Verständlichkeit kommt als dritte Dimension spätestens mit dem European Accessibility Act dazu.
Da das vor allem für Einsteigende ins Thema oft schwierig ist: Die WCAG ist immer sehr knapp, das ist auf den universellen Anspruch des Dokuments zurückzuführen. Im Kontext Web hilft es eigentlich immer, die „Understanding“-Dokumente zu lesen, die mit jedem WCAG-Erfolgskriterium verbunden sind. Sie enthalten Beispiele, die das Ganze fassbarer machen.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass die WCAG-Kriterien theoretisch immer alle gleichzeitig gelten. Man kann zum Beispiel nicht konsistente Navigation ohne Tastatur ohne konsistente Identifikation ohne den ganzen Block zu Formular-Elementen besprechen. Ich mache es trotzdem.

SC 3.2.3:Consistent Navigation (Level AA)

Das Kriterium der „Konsistenten Navigation“ zielt darauf ab, eine einheitliche und vorhersehbare Navigation auf einer Website sicherzustellen. Es handelt sich um eine grundlegende Anforderung, um die Benutzerfreundlichkeit und Barrierefreiheit einer Webseite für Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten zu verbessern.
Eine konsistente Navigation bedeutet, dass die Navigationsstruktur, das Design und die Bezeichnungen von Links und Menüs auf allen Seiten einer Website einheitlich sind. Dies ermöglicht es den Benutzern, sich leichter auf der Website zu orientieren, den Inhalt zu finden, den sie suchen, und sich effektiv durch die verschiedenen Seiten zu bewegen.
Es gibt verschiedene Aspekte, die bei der Umsetzung einer konsistenten Navigation berücksichtigt werden sollten. Dazu gehört die Verwendung einer klaren und einheitlichen Struktur für die Hauptnavigation, die auf allen Seiten gleich bleibt. Dies kann beispielsweise durch ein horizontales Menü am oberen Rand oder eine vertikale Seitenleiste erreicht werden.
Darüber hinaus sollten die Bezeichnungen von Links und Menüpunkten präzise und aussagekräftig sein, um den Benutzern zu helfen, den Inhalt zu verstehen und zu antizipieren, auf den sie beim Klicken eines Links treffen werden. Es ist wichtig, auf übermäßig abstrakte oder mehrdeutige Bezeichnungen zu verzichten, um Verwirrung zu vermeiden.
Die Platzierung der Navigationskomponenten sollte ebenfalls konsistent sein, damit Benutzer sie schnell finden können. Sie sollten an einer gut sichtbaren und erwarteten Position platziert werden, um eine intuitive Navigation zu ermöglichen.
Die Einhaltung des Kriteriums der Konsistenten Navigation trägt dazu bei, dass Menschen mit Behinderungen, einschließlich Sehbehinderungen oder kognitiven Einschränkungen, die Website effektiv nutzen können. Durch die Schaffung einer einheitlichen und vorhersehbaren Navigation wird die Benutzererfahrung verbessert und die Barrieren beim Navigieren auf der Website verringert.

3.2.4: Consistent Identification (Level AA)

Die Konsistente Identifikation bezieht sich auf die eindeutige Benennung und Identifizierung von Interaktionselementen wie Links, Schaltflächen, Formularfeldern und anderen Elementen auf einer Website. Es ist wichtig, dass diese Elemente auf allen Seiten der Website einheitlich und konsistent benannt und gestaltet sind, um eine klare Erkennbarkeit und Bedienbarkeit zu gewährleisten.
Ein Beispiel für eine konsistente Identifikation ist die Verwendung des Alt-Attributs für Bilder. Das Alt-Attribut bietet eine alternative Textbeschreibung für Bilder, die von Bildschirmleseprogrammen oder anderen assistiven Technologien verwendet wird, um Menschen mit Sehbehinderungen den Inhalt der Bilder zu vermitteln. Durch die konsistente Verwendung des Alt-Attributs wird sichergestellt, dass diese Informationen in kohärenter Weise präsentiert werden und die Nutzer eine einheitliche Erfahrung haben.
Ein weiteres Beispiel betrifft die Beschriftung von Formularelementen. Wenn ein Formular auf einer Website vorhanden ist, sollten die Beschriftungen für Eingabefelder, Kontrollkästchen und Schaltflächen eindeutig und konsistent sein. Dies hilft Benutzern, die Eingabefelder zu verstehen und auszufüllen, insbesondere für Menschen mit Sehbehinderungen oder kognitiven Einschränkungen.
Die Konsistente Identifikation hat auch Auswirkungen auf die Navigationselemente einer Website. Die Verwendung von klaren, eindeutigen und konsistenten Bezeichnungen für Menüpunkte, Links und Schaltflächen erleichtert den Benutzern die Orientierung und den Zugriff auf den gewünschten Inhalt. Wenn beispielsweise der Link zum Zurückkehren zur Startseite auf allen Seiten mit „Startseite“ beschriftet ist, können Benutzer schnell erkennen, wo sie sich befinden und wie sie navigieren können.
Die Einhaltung des Kriteriums der Konsistenten Identifikation trägt dazu bei, dass die Website für alle Benutzer leichter verständlich und bedienbar ist. Menschen mit Sehbehinderungen, kognitiven Einschränkungen oder motorischen Schwierigkeiten profitieren von der klaren Identifikation und der einheitlichen Gestaltung der Interaktionselemente.

2.4.6: Headings and Labels

Die Verwendung von Überschriften ist wichtig, um die Struktur und Hierarchie einer Webseite zu kennzeichnen. Durch die korrekte Verwendung von Überschriften können Benutzer schnell den Inhalt einer Webseite überfliegen und wichtige Informationen leicht identifizieren. Überschriften sollten in einer logischen Reihenfolge angeordnet sein, beginnend mit der Hauptüberschrift (üblicherweise die H1-Überschrift) und dann in aufsteigender Ordnung (H2, H3 usw.) für untergeordnete Abschnitte. DAs wird allerdings bereits im Erfolgskritierum Info & Relationship festgelegt. Heading and labels besagt hingegen, dass Überschriften deskriptiv sein, also den zu glieddernden Inhalt adäquat beschreiben.
Die Beschriftungen von Formularfeldern und anderen interaktiven Elementen sind ebenfalls wichtig, um den Benutzern zu helfen, ihre Funktion zu verstehen. Klare und aussagekräftige Beschriftungen ermöglichen es Benutzern, das gewünschte Formularfeld oder Element leicht zu identifizieren und korrekte Eingaben zu machen. Formularfeldbeschriftungen sollten prägnant und genau sein, um Missverständnisse oder Fehler zu vermeiden.
Um das Kriterium „Überschriften und Beschriftungen“ zu erfüllen, sollten Webentwickler sicherstellen, dass ihre Webseiten die richtige Verwendung von Überschriften gemäß den HTML-Standardtags (wie`-Tags versehen werden, um klare Beschriftungen bereitzustellen. Zum Beispiel ist „Nachname“ für das Eingabefeld für den Nachnamen besser als „Name“. Enthält eine Webseite mehr als ein Formular, sollten die Elemente jeweils unterschiedlich benannt sein oder etwa durch Fieldset sichergestellt werden, dass die Formulare nicht miteinander verwechselt werden, weil es etwa zwei Mal ein Eingabefeld für e-Mail und zwei Buttons namens „Absenden“ gibt.

Link purpose in context

Der Zweck dieses Kriteriums besteht darin, sicherzustellen, dass Links für alle Benutzer, einschließlich Menschen mit Sehbehinderungen oder kognitiven Einschränkungen, klar und verständlich sind. Durch die Verwendung aussagekräftiger und kontextbezogener Linktexte können Benutzer besser verstehen, wohin ein Link sie führen wird, ohne auf visuelle oder sonstige Kontextinformationen angewiesen zu sein.
Um das Kriterium „Link Purpose in Context“ zu erfüllen, sollten Linktexte beschreibend und eindeutig sein. Sie sollten den Benutzern eine klare Vorstellung davon vermitteln, was sie erwartet, wenn sie auf den Link klicken. Es ist wichtig, allgemeine Phrasen wie „Klicken Sie hier“ zu vermeiden, da sie keine spezifischen Informationen über das Ziel des Links liefern.
Stattdessen sollte der Linktext den Inhalt oder die Funktion des verlinkten Ziels widerspiegeln. Wenn beispielsweise ein Link auf einen Artikel mit dem Titel „Tipps für barrierefreie Webseitengestaltung“ verweist, könnte der Linktext „Barrierefreie Webseitengestaltungstipps“ lauten. Auf diese Weise haben Benutzer eine klare Vorstellung davon, wohin der Link führt, noch bevor sie ihn aktivieren.
Es ist auch wichtig sicherzustellen, dass Links im Kontext umgebenden Textes präsentiert werden. Der Text, der den Link umgibt, sollte relevante Informationen enthalten, die dem Benutzer den Zweck des Links erklären. Wenn beispielsweise ein Link in einem Absatz über barrierefreie Webentwicklung erscheint, sollte der umgebende Text Informationen liefern, die den Benutzer darauf hinweisen, dass der Link weitere Informationen zu diesem Thema enthält.
Durch die Einhaltung des Kriteriums „Link Purpose in Context“ wird die Zugänglichkeit und Benutzerfreundlichkeit einer Webseite verbessert. Benutzer können Links leichter verstehen und entscheiden, ob sie ihnen folgen möchten. Menschen mit Sehbehinderungen, die auf Bildschirmleseprogramme angewiesen sind, können mithilfe des umgebenden Textes den Zweck des Links erfassen und fundierte Entscheidungen treffen.
Die korrekte Gestaltung von Linktexten und ihre Platzierung im Kontext sind daher entscheidend, um sicherzustellen, dass Webseiten für eine breitere Zielgruppe zugänglich und benutzerfreundlich sind. Durch die Bereitstellung klarer Informationen über den Zweck von Links können Benutzer effektiv navigieren und den gewünschten Inhalt auf einer Webseite erreichen.
Es legt fest, dass Links auf einer Webseite so gestaltet sein sollten, dass Benutzer den Zweck oder das Ziel des Links verstehen können, basierend auf dem umgebenden Text oder Kontext.
Der Zweck dieses Kriteriums besteht darin, sicherzustellen, dass Links für alle Benutzer, einschließlich Menschen mit Sehbehinderungen oder kognitiven Einschränkungen, klar und verständlich sind. Durch die Verwendung aussagekräftiger und kontextbezogener Linktexte können Benutzer besser verstehen, wohin ein Link sie führen wird, ohne auf visuelle oder sonstige Kontextinformationen angewiesen zu sein.
Um das Kriterium „Link Purpose in Context“ zu erfüllen, sollten Linktexte beschreibend und eindeutig sein. Sie sollten den Benutzern eine klare Vorstellung davon vermitteln, was sie erwartet, wenn sie auf den Link klicken. Es ist wichtig, allgemeine Phrasen wie „Klicken Sie hier“ zu vermeiden, da sie keine spezifischen Informationen über das Ziel des Links liefern.
Stattdessen sollte der Linktext den Inhalt oder die Funktion des verlinkten Ziels widerspiegeln. Wenn beispielsweise ein Link auf einen Artikel mit dem Titel „Tipps für barrierefreie Webseitengestaltung“ verweist, könnte der Linktext „Barrierefreie Webseitengestaltungstipps“ lauten. Auf diese Weise haben Benutzer eine klare Vorstellung davon, wohin der Link führt, noch bevor sie ihn aktivieren.
Es ist auch wichtig sicherzustellen, dass Links im Kontext umgebenden Textes präsentiert werden. Der Text, der den Link umgibt, sollte relevante Informationen enthalten, die dem Benutzer den Zweck des Links erklären. Wenn beispielsweise ein Link in einem Absatz über barrierefreie Webentwicklung erscheint, sollte der umgebende Text Informationen liefern, die den Benutzer darauf hinweisen, dass der Link weitere Informationen zu diesem Thema enthält.
Durch die Einhaltung des Kriteriums „Link Purpose in Context“ wird die Zugänglichkeit und Benutzerfreundlichkeit einer Webseite verbessert. Benutzer können Links leichter verstehen und entscheiden, ob sie ihnen folgen möchten. Menschen mit Sehbehinderungen, die auf Bildschirmleseprogramme angewiesen sind, können mithilfe des umgebenden Textes den Zweck des Links erfassen und fundierte Entscheidungen treffen.