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Lange Texte barrierefrei gestalten

Zu einem der wichtigsten Komponenten der Text-Verständlichkeit gehört die Textlänge. Sehbehinderte, Lese-Anfänger und Lese-Unerfahrene sowie Menschen mit Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen mögen keine langen Text-Wüsten.
Kurze Texte gehören im Internet- und vor allem im Smartphone-Zeitalter ohnehin zum guten Ton. Dabei ist Kürze kein Wert an sich. Es geht vielmehr darum, sich auf die jeweils relevanten Informationen zu beschränken und alles Unwichtige wegzulassen.
Nun ist es aber nicht immer machbar, einen Text zu kürzen. Wir wollen uns in diesem Beitrag ansehen, welche Alternativen es zum langen Text auf einer Webseite gibt.

Mehrere Unterseiten

Die einfachste Lösung ist, einen Text auf mehrere Unterseiten zu verteilen.
Aus Lesersicht ist das die schlechteste Lösung. Scrollen ist den meisten Menschen lieber als klicken. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aussteigt ist an der Stelle, wo er weiter klicken sollte am höchsten.
Sucht man nach einer bestimmten Information, muss man sich durch mehrere Seiten durchblättern. Das macht heute noch kaum jemand.
Blinde müssen sich bei jedem Seitenaufruf neu orientieren. Bei schlecht strukturierten Webseiten ist das schwierig.

Verlinktes Inhaltsverzeichnis

Selten benötigt man alle Informationen, die in einem langen Text enthalten sind. Die Wikipedia hat dieses Problem gelöst, indem sie dem Text ein verlinktes Inhaltsverzeichnis voranstellt. Man kann zwischen Textstelle und Inhaltsverzeichnis mittels seiteninterner Links hin und herspringen.

Das Akkordeon

Eine Variante des verlinkten Inhaltsverzeichnisses, die man immer häufiger sieht ist das Akkordeon. Dabei bekommt man alle Überschriften des Textes angezeigt. Bei einem Klick auf eine Überschrift klappt der darunterliegende Text-Abschnitt aus.
Diese Variante ist für Blinde generell nutzbar. Wichtig ist, dass die ausklappbaren Elemente für den Screenreader als anklickbar erkennbar sind. Ansonsten wundert sich der Blinde, warum er lauter Überschriften, aber keine zugehörigen Infos findet. Und natürlich sollte der jeweils ausgeklappte Text-Abschnitt für den Blinden lesbar sein. Auch für alle anderen Nutzer sollte sichtbar sein, dass etwas anklickbar ist. Last not least sollte der Status, also ausgeklappt oder zugeklappt, mit ARIA kommuniziert werden.
Ein Streitpunkt ist, ob ein Ausschnitt ausgeklappt bleiben sollte, wenn man einen anderen Abschnitt anklickt. Ich halte das generell für sinnvoll, weil es sein kann, dass man sich mehrere Abschnitte parallel ansehen oder Informationen abgleichen möchte.

Welche Variante ist wann sinnvoll?

Das Verteilen vieler kurzer Texte auf mehrere Unterseiten ist heute nicht mehr zeitgemäß. Niemand hat ein Interesse daran, sorgfältig verstreute Informationen zusammen zu puzzeln.
Das verlinkte Inhaltsverzeichnis bietet sich an, wenn Texte gerne überflogen werden. Außerdem ist es sinnvoll, wenn sich jemand wahrscheinlich mehrere Teile des Textes anschauen wird. Auch bei stark verschachtelten Texten wie etwa bei langen Wikipedia-Artikeln erscheint das Inhaltsverzeichnis sinnvoll. Das Akkordeon ist meines Erachtens nur dann sinnvoll, wenn der Leser wahrscheinlich nicht den gesamten Text lesen wird, zum Beispiel bei einer FAQ. Abschnitte nicht zu umfangreich sind.
Das Akkordeon-Prinzip bietet sich an, wenn ein Text nicht nach einer bestimmten Informationshierarchie aufgebaut ist. Das heißt, man muss nicht einen bestimmten Abschnitt gelesen haben, um einen bestimmten späteren Abschnitt zu verstehe. Sind bestimmte Informationen in jedem Fall notwendig, sollten sie vorangestellt und immer ohne Klick sichtbar sein.
Gerade für die ellenlangen FAQs bietet sich das Akkordeon an. Es kommt selten vor, dass man sich alle Fragen und Antworten durchlesen muss oder möchte.
Ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Leser den gesamten Text lesen wird, etwa bei Unterhaltungstexten, sollte er vollständig auf einer Seite sein. Ein verlinktes Inhaltsverzeichnis stört im Grunde niemanden, ist aber tatsächlich erst notwendig, wenn der Text überlang ist. Wenn also die Wahrscheinlichkeit, dass der Text in einem Rutsch durchgelesen wird eher gering ist. Außerdem ist ein verlinktes Inhaltsverzeichnis vor allem sinnvoll, wenn die Text-Überschriften, aus denen es generiert wird selbst erklärend sind. In Unterhaltungstexten werden eher Teaser-Überschriften eingesetzt, die nicht selbst-erklärend sind.

Fließtext-Wüsten vermeiden

Für die Lesenden ist nichts schlimmer als Fließtext-Wüsten, das heißt, ein Absatz nach dem Anderen. Wichtig ist vor allem bei Online-Texten Abwechselung reinzubringen. Das hat zwei Vorteile: 1. lockert es den Text ein wenig auf und 2. schafft jedes Element zusätzliche Orientierung in langen Texten. Abwechslung kann etwa geschehen durch

  • Überschriften
  • Aufzählungen und eingerückte Zitate
  • Tabellen
  • Bilder und Infografiken
  • durch Umrahmung oder Farben hervorgehobene Textboxen

Wenig hilfreich sind hingegen Fettungen oder kursiver Text, da sie oft nicht gesehen werden bzw. Kursiv auch die Lesbarkeit verschlechtern kann.
Making long Online Texts accessible

Mythen zur digitalen Barrierefreiheit


Ein Großteil der Gesellschaft ist mittlerweile stark von digitalen Technologien abhängig. Doch trotz der weitreichenden Vorteile, die sie bieten, sind viele digitale Inhalte und Plattformen nach wie vor nicht barrierefrei gestaltet. Die digitale Barrierefreiheit spielt jedoch eine entscheidende Rolle für die Chancengleichheit und Inklusion für Menschen mit Behinderungen. Leider gibt es auch heute noch viele Mythen und Missverständnisse rund um dieses Thema. Im Folgenden sollen einige der häufigsten Mythen zur digitalen Barrierefreiheit entlarvt werden:

Mythos 1: Barrierefreiheit ist nur relevant für behinderte Menschen

Dies ist einer der größten Irrtümer. Tatsächlich profitieren von barrierefreien digitalen Inhalten und Plattformen viele Menschen, nicht nur diejenigen mit Behinderungen. Dazu gehören ältere Menschen, Menschen mit vorübergehenden Beeinträchtigungen, Menschen mit geringer Lesefähigkeit oder Menschen, die sich in einer Umgebung befinden, in der sie Ton oder Video nicht abspielen können. Barrierefreiheit verbessert die Benutzererfahrung für alle und ermöglicht es jedem, gleichberechtigt am digitalen Leben teilzuhaben.

Mythos 2: Barrierefreiheit bedeutet, dass man auf bestimmte Designs oder Funktionen verzichten muss.

Dies ist definitiv ein weit verbreiteter Mythos. Barrierefreiheit bezieht sich nicht darauf, bestimmte Design- oder Funktionsaspekte zu opfern, sondern darauf, sie so zu gestalten, dass sie für alle zugänglich sind. Es geht darum, digitale Inhalte so zu entwickeln, dass sie von allen Menschen, unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten, verstanden und genutzt werden können. Barrierefreies Design kann durch kluge Planung und Implementierung erreicht werden, ohne Kompromisse bei der Ästhetik oder der Funktionalität eingehen zu müssen.

Mythos 3: Barrierefreiheit ist zu teuer und aufwendig.

Es ist wahr, dass die Implementierung von barrierefreien Funktionen und Designs zusätzliche Kosten verursachen kann. Aber es ist wichtig, dies als eine langfristige Investition zu betrachten. Indem man von Anfang an barrierefreie Prinzipien in den Entwicklungsprozess integriert, können spätere Kosten für Nachbesserungen oder Klagen vermieden werden. Darüber hinaus gibt es viele Ressourcen und Richtlinien, die Unternehmen und Entwicklern helfen, barrierefreie Lösungen kostengünstig zu implementieren.

Mythos 4: Barrierefreiheit ist nur für staatliche Einrichtungen oder große Unternehmen relevant.

Barrierefreiheit betrifft nicht nur staatliche Einrichtungen oder große Unternehmen. Tatsächlich gibt es in vielen Ländern gesetzliche Bestimmungen, die die digitale Barrierefreiheit für alle Organisationen, unabhängig von ihrer Größe, vorschreiben. Jede Webseite, jeder Online-Shop oder jede mobile App sollte barrierefrei sein, um allen Nutzern gerecht zu werden.

Mythos 5: Barrierefreiheit ist ein einmaliger Prozess

Die digitale Barrierefreiheit ist keine einmalige Aufgabe, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Technologien und Standards entwickeln sich ständig weiter, und es ist wichtig, dass barrierefreie Designs und Funktionen mit den neuesten Entwicklungen Schritt halten. Eine regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung der digitalen Inhalte ist notwendig, um sicherzustellen, dass sie für alle Nutzer zugänglich bleiben.

Mit Mythen aufräumen

Mittlerweile ist meine erste Folie in Veranstaltungen, wo vor allem Neulinge zur Barrierefreiheit dabei sind, mit diesen und anderen Mythen aufzuräumen. Das packt die Leute meistens an einer empfindlichen Stelle, weil sie viele dieser Gedanken wahrscheinlich selbst schon gehabt haben. Auch wenn das Publikum freiwillig zu dir kommt, sollte man es dort abholen, wo es steht.
Barrierefreiheit scheitert nicht an der Komplexität, sondern am Prozess

Jedes Feedback hilft weiter – ein Interview mit Ulrike von der Zentralstelle für Barrierefreie Informationstechnik des Landes Bremen


Das ist das Transkript des oben eingebetteten Podcast. Tippfehler und Ungenauigkeiten gehen auf mein Konto. Ich spreche mit Ulrike Peter, Leiterin der Zentralstelle für barrierefreie Informationstechnik.

Domingos: Herzlich willkommen zu einem neuen Podcast zur digitalen Barrierefreiheit. Heute habe ich wieder einen Interview-Gast dabei, nämlich Ulrike Peter von der Zentralstelle für barrierefreie Informationstechnik des Landes Bremen. Erstmal vielen Dank Ulrike, dass du dir die Zeit heute nimmst für diesen Podcast.
Ulrike: Sehr gerne, ich habe mich sehr gefreut auf die Anfrage und freue mich aufs Gespräch.
Domingos: Lass uns damit anfangen, dass Du Dich ganz allgemein mal den Zuhörenden vorstellst.

Ulrikes Weg in die digitale Barrierefreiheit

Ulrike: Also, mein Name ist Ulrike Peter. Ich wohne hier in Bremen und leite eben die Zentralstelle für Barrierefreie Informationstechnik des Landes Bremen und bin aber auch schon länger in dem Bereich tätig. Wir beide haben uns meine ich kennengelernt damals über die Biene den Biene Award der 2003 bis 2010 durch die Aktion Mensch und Stiftung Digitale Chancen durchgeführt wurde damals habe ich da das Prüfverfahren verantwortet und koordiniert.
Domingos: Wie bist du eigentlich zum Thema digitale Barrierefreiheit gekommen?
Ulrike: Ich habe im Studium Assistenz gemacht für zwei Personen die beide also die eine hat unterstützt kommuniziert und die andere hat relativ viel am Computer gearbeitet und sich damit einfach neue Welten erschlossen und es war so eine ganz andere Form sowohl von Kommunikation aber auch von in Kontakt treten für eben diese behinderten Menschen die sonst eher halt auf Briefpost und so angewiesen waren und auch dass sie ihn die Zeitung vorgelesen wurde und da hat das Internet einfach extreme Welten eröffnet und das hat mich motiviert in den Bereich zu gehen. Und dann habe ich nach dem Studium in der angewandten Informatik angefangen zu arbeiten und eben diese Idee für den Biene Award mitentwickelt und noch andere Projekte zu barrierefreien Kommunikation.
Domingos: ,genau du bist ja auch eine derjenigen, die relativ lange dabei sind, wenn man die BIENE-Wettbewerbe kurz erklärt. Das war ein Wettbewerb für barrierefreie Webseiten, der leider dann 2010 die letzte Runde erlebt hat. Und dadurch bist du lange dabei, warst du schon von Anfang an dabei?
Ulrike: Ich war wirklich von Anfang an mit dabei. Also ich hatte mit die Idee entwickelt, ich habe 2002 an der Uni als wissenschaftliche Mitarbeiterin angefangen in dem Bereich und da war eben gerade so die neue Gesetzgebung zur barrierefreien Informationstechnik zum ersten Mal ins Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz und wir hatten so überlegt wie kann man denn jetzt die Kommunen oder überhaupt die öffentlichen Stellen motivieren, dieses Gesetz umzusetzen und da war das mit den Biene-Award eine Idee um den besten die Möglichkeit zu geben zu strahlen und zu zeigen, das Barrierefreiheit schön aussehen kann. und das hat das Thema für diese Anfangszeit finde ich schon sehr vorangebracht.

Aufgaben der Überwachung und Durchsetzung

Domingos: Auf jeden Fall. Vielleicht können wir mal auf deine Stellung kommen als Leiterin der Zentralstelle für barrierefreie Informationstechnik des Landes Bremen, was genau macht diese Stelle?
Ulrike: Die Zentralstelle ist beim Landesbehindertenbeauftragten angesiedelt und ist für Bremen die überwachungs- und durchsetzungsstelle nach der EU-Richtlinie 2016 2102. Also alle Bundesländer haben diese zwei Funktionen, mussten die gesetzlich einrichten überwachungs- und durchsetzungsstellen.
Überwachung bedeutet, dass eine bestimmte Anzahl von Webseiten, Apps und Intranet Anwendungen pro Jahr getestet werden. Zu den Tests gibt es dann im Anschluss Beratung. Und die Testergebnisse werden über den Bund konsolidiert an die EU gegeben, damit die EU einen Überblick hat: Wie entwickelt sich denn die digitale Barrierefreiheit in den Mitgliedstaaten weiter.
Und die Durchsetzung ist sozusagen die Beförderung des Rechts behinderter Menschen eben auf barrierefreie Informationstechnik oder digitale Barrierefreiheit und zwischenzeitlich müssen eben alle Webseiten, die unter das Gesetz fallen, eine sogenannte Barrierefreiheits-Erklärung haben, in der dann auch drinsteht, wo man sich hinwenden kann, wenn man Barrieren auf den Seiten findet. Und sollte das Scheitern, also sollte da der Kontakt nicht zustande kommen oder die Person, die sich beschwert hat, sich nicht aufgehoben fühlen oder finden, dass das Anliegen nicht richtig behandelt wurde oder erfolglos blieb, dann kann man sich eben an die durchsetzungsstelle wenden. Das gibt es eben auch in jedem Bundesland und die heißt auch manchmal Schlichtungsstelle oder Beschwerdestelle. Und da kann man sich dann beschweren und meine Rolle ist sozusagen moderierend dann zwischen den Positionen zu vermitteln und eine gute Lösung zu finden damit die Barrieren abgebaut werden.

Häufige Probleme auf Behörden-Seiten

Domingos: Was sind denn die häufigsten Probleme, auf die ihr bei der Prüfung trefft?
Ulrike: Ich würde da so die Ebenen unterscheiden, also wir unterscheiden immer zwischen Design, Entwicklung und Redaktion und geben auch entsprechend unterschiedliche Rückmeldungen. Wir kommentieren unsere Testergebnisse so.
Und beim Design ist es so, dass häufig immer noch die Kontraste in der Grundeinstellung schwierig sind, natürlich lassen die sich anpassen über Browser oder assistive Tools, aber man will natürlich erstmal überhaupt wissen, wo auf der Seite befinde ich mich, was passiert da und dafür ist eben die Beachtung der Kontrastwerte wichtig. Das ist so im Design das, was die Hauptmenge sind.
Bezogen auf die Entwicklung ist die Navigation eine Schwierigkeit und vor allem die Navigation auf mobilen Endgeräten, und zwar sowohl bei nativen Apps aber auch bei Webseiten, die dann in die Mobilversion springen, dass da ganz häufig nicht mehr bedacht wurde von der Entwicklung, dass diese Navigation auch per Tastatur bedienbar sein muss. Mobil, weil da immer nur gedacht wird, naja mobil wird mit Touch bedient, also reicht eine Maus Bedienung und eine entsprechende Steuerung, aber wenn man eben über Screenreader oder auch über Spracheingabe auf die Mobilversion zugreift, dann geht man halt die klassische Tastatur Navigation durch.
Bei der redaktionellen Ebene ist es so, dass natürlich das bekannte Thema Alternativtexte wichtig ist. Immer wieder noch mal eine Schwierigkeit sind dann aber auch sowas wie Kontraste auf Bildern, gerade in Social Media – da wird, wenn dann auf Bildern Text ist, und das stellen wir häufiger fest, dass da auf die Kontraste nicht geachtet wird.
Und auch allgemein der Bereich Verständlichkeit, also wir testen ja vor allem Verwaltungs-Seiten, so was wie eine bürgernahe Verwaltungssprache gibt es auch extra als Fachbegriff, also da ist noch Luft nach oben.

Beschwerden und Feedback von Betroffenen

Domingos: Ihr seid ja auch die Beschwerdestelle des Landes Bremen, das gibt es ja in jedem Bundesland bzw. auch dann für die Bundesrepublik. Mich würde interessieren, was sind denn so die Probleme, die von behinderten Menschen häufig an euch herangetragen werden.
Ulrike: Ein großes Problem sind die PDFs, muss man wirklich sagen, also sowohl Dokumente als auch Formulare, die nicht barrierefrei vorliegen und wo es dann Schwierigkeiten gibt, die einzufordern und dass eben viele Inhalte gar nicht mehr auf Webseiten selber gestellt werden, sondern ausschließlich als PDFs angeboten werden. Dann ist sowas wie eine schnelle Orientierung oder eine gute Strukturierung der Seite, also die zentralen Informationen auf der Seite zu finden das merken wir immer, dass das was ist, was zu einem großen Frust führt, weil die Informationen dann vorhanden sind, aber eben nicht dort wo sie erwartet werden und eigentlich, also eigentlich in Anführungszeichen, liegt es nur am Seitenaufbau und gar nicht so sehr an der Barrierefreiheit, sondern es ist dann doch so tief verschachtelt oder an der Stelle, wo man es nicht vermuten würde. Viele Usability-Kriterien kommen auch noch mal mit rein, zu den eigentlichen barrierefreiheits-Kriterien dazu.
Domingos: Es gibt ja auch seit der EU-Richtlinie von Behördenseite her die Verpflichtung, dass die solche Feedback Mechanismen für betroffene Menschen oder zum Thema Barrierefreiheit bereitstellen müssen und was ich immer höre, ist, dass es relativ wenig genutzt wird. Und mich würde mal deine Perspektive interessieren, warum ist es wichtig, dass betroffene Menschen sich entweder an euch oder halt zuerst vielleicht über diese Feedback -Möglichkeiten sich bei den Behörden melden.
Ulrike: Feedback kann ja in beide Richtungen sein, kann ja sowohl Kritik als auch Lob sein. Und es ist schon so, dass sehen wir schon auch, es gibt einzelne Stellen, die sich richtig viel Mühe geben und da wäre so ein Feedback als Lob einfach auch mal zielführend, na dass sie so wissen, okay es lohnt sich. Oder auch welche die vielleicht schon ein bisschen was gemacht haben, weil da muss man einfach auch sehen, da sitzen Leute dahinter die wurden entsprechend geschult und haben dadurch, dass wir noch keine inklusive Gesellschaft sind, vielleicht gar keine Berührungspunkte zu behinderten Menschen. Und da mal zu sagen hey: „Mensch, mir ist aufgefallen, dass und das geht, ja wunderbar“ ist einfach auch was, was schön wäre und gleichzeitig ist es aber eben auch so, dass das unglaublich wichtig ist, aus der Praxis noch mal zu erfahren, wo liegen die Schwierigkeiten. Das füllt sozusagen die Prüfschritte von der zugrunde liegenden eU-Norm 301549 bzw. der WCAG-richtlinien eben mit Leben. Die Prüfschritte sind konkret, aber spiegeln halt nicht direkt wider, was damit gemeint ist. Und dann das Feedback von Betroffenen zu kriegen und das vermitteln zu können und zu sagen, das Einhalten dieser Kriterien macht Sinn, weil es sonst zu diesen und jenen Schwierigkeiten führt, ist einfach viel anschaulicher als nur immer mit der gesetzeskeule zu winken.
Domingos: Als ich noch ein bisschen für verschiedene Organisationen gearbeitet habe, habe ich ja auch häufiger Feedback zugespielt bekommen von betroffenen Menschen. Das war aber häufig relativ knapp, also sowas wie „funktioniert nicht, habe ich wieder deinstalliert“ oder „ich habe das Formular nicht ausgefüllt, weil es nicht funktioniert, hat“. Wie sollte ein gutes konstruktives Feedback aussehen, damit ihr gut damit weiterarbeiten könnt?
Ulrike: Ich weiß, worauf du hinauswillst, aber ich würde erstmal sagen, jedes Feedback ist willkommen und ich kann total auch verstehen, wenn es heißt, funktioniert nicht, also ich finde überhaupt ein Feedback zu geben ,also ich habe einfach auch gelernt aus dem Austausch mit Betroffenen, die einfach sagen, es gibt das Recht, dass die Sachen barrierefrei sein müssen, warum muss ich mich dann beschweren. Also warum muss ich im Prinzip Leute beraten, die Sachen zu machen, die sie eh machen müssen. Und deswegen glaube ich auch, wird manchmal kein Feedback gegeben, weil einfach auch die eigenen Ressourcen begrenzt sind und man sich genau überlegen muss, wo engagiert man sich. Insofern auf jeden Fall jedes Feedback ist hilfreich und zielführend.
Wenn wir Beschwerden bekommen, frage ich manchmal einfach Nach und da hilft dann eine Offenheit dafür noch mal Fragen gestellt zu bekommen und wenn ich jetzt aber trotzdem so ein Wunsch Szenario aufmachen könnte: Perfekt wäre natürlich eine Beschreibung mit Screenshots oder ein abfilmen, während man eben die Anwendung bedient oder eine Audioaufnahme nebenher mitlaufen zu lassen oder so. Also möglichst viel Information eins zu eins zu haben, das ist natürlich das idealste, weil dann ist es am einfachsten nachvollziehbar, wo denn die Schwierigkeit auch entstanden ist.
Domingos: Ulrike, vielen Dank, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast.
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ChatGPT und Co. – das Potential der Künstlichen Intelligenz für digitale Barrierefreiheit


„Cool, was KI alles kann“ und „Bor, die kann ja echt nix“ sind zwei Aussagen, die man vor allem im Zusammenhang mit ChatGPT in letzter Zeit hört. Letztere Aussage hört man vor allem in Deutschland. Wenn irgendwo der Wurm drin ist, jemand aus Deutschland wird ihn garantiert finden. Da wundert es nicht, dass viele Unternehmende und Forschende dem Land den Rücken kehren.
Ich meinerseits bin begeistert nicht nur von dem, was die Technik schon kann, sondern vor allem von dem Potential, das darin steckt. Und es stimmt mich traurig, dass wir trotz des enormen geistigen und unternehmerischen Potentials in Deutschland und der EU nichts Vergleichbares zustande bringen. Einige der größten Entwicklungen der letzten Jahre wie das MP3-Format und viel Grundlagen-Forschung kam aus Deutschland/der EU und Andere machen sie nutzbar. Aber lassen wir das. Ich möchte mich heute mit dem Potential der KI für die digitale Barrierefreiheit beschäftigen.
Es ist legitim, auf Lücken und Probleme hinzuweisen, ebenso legitim ist es, auf Potenziale hinzuweisen. Die jungen Leute müssen sich nicht um digitale Barrierefreiheit kümmern, weil sie sie oft nicht brauchen und es viele andere Themen gibt, wo sie sich mit ihren Ideen einbringen können. Wenn sie ständig hören, dass KI in der digitalen Barrierefreiheit nichts bewirkt, werden sie sich ein anderes Thema suchen.

Möglichkeiten der KI für die Barrierefreiheit und Kritik

Ich rede hier nicht unbedingt über die Dinge, die KI heute schon kann, vor allem nicht einwandfrei, sondern über das Potenzial, welches sie meines Erachtens in absehbarer Zeit haben könnte.
Was ChatGPT und andere generative AIs beherrschen ist die Komposition bestehenden Wissens. Man findet alles, was eine Google-Suche auch bringen würde, allerdings in der Regel kompakter als die Wikipedia. Man kann also Antworten auf Fragen bekommen – eine enorme Erleichterung für Menschen, welche nicht über ausgefeilte Recherche-Fähigkeiten oder Zugang zu Datenbanken verfügen. Also die große Mehrheit der Menschheit. Die Wikipedia mag alles Mögliche sein, aber für viele Menschen ist sie sprachlich zu kompliziert.
Es ist richtig, das ChatGPT auch falsche Antworten produziert. Ich habe zum Beispiel nach Studien zur Barrierefreiheit im Finance Bereich gefragt. ChatGPT hat mir fünf Studien genannt, von denen 4 über Google nicht auffindbar waren, die es also wahrscheinlich nicht gibt. Aber auch andere Menschen und Google fördern falsche Antworten zu anderen Themen zutage. Die Frage ist, ob man die Qualität einer Anwendung völlig daran messen möchte, welche Fragen man ihr gezielt stellt, um sie aufs Glatteis zu führen.
An dieser Stelle möchte ich ein paar der Kritikpunkte aufgreifen, die ich gehört habe.
Es wird gesagt, KI könne Bilder nicht adäquat beschreiben, weil es die Intention des Bereit-Stellenden nicht kenne. Das ist korrekt, aber 1. würde das ein anderer unbeteiligter Mensch auch nicht wissen und 2. besteht ja das Interessante an ChatGPT, dass man Rückfragen stellen kann, kann ich bei einem Menschen auch und er wird wahrscheinlich nicht antworten. Die KI ist geduldig und variiert ihre Antworten, viele Menschen sind das nicht.
Das nächste Argument ist der Bias der Maschine. Natürlich kann man auch durch Software diskriminiert werden, wenn hier nur Diskriminierung reproduziert wird. Aber auch hier gilt: 1. Reproduziert die Software nur menschliche Vorurteile und 2. kann eine Maschine wirklich neutral sein, während ein Mensch immer Gefangener seiner Vorurteile ist. Wer an Anti-Bias-Training glaubt hat sich nie mit den Wirkungen von Training und verfestigten Annahmen beschäftigt. Wir sind solange tolerant, solange wir dem Anderen aus dem Weg gehen können.
Auch das Argument über die mangelhafte Qualität von Texten und Bild-Beschreibungen ist richtig. Was bisher öffentlich zugänglich ist, würde ich als nett bis unbrauchbar kategorisieren. Es gibt mittlerweile einige Anwendungen, die Szenen beschreiben oder einzelne Objekte auf Bildern erkennen können. Aber auch hier sehe ich großes Potential. Das Problem heute ist, dass Bilder einmal beschrieben werden und Blinde sich damit begnügen müssen. Einige wollen aber eine knappe, andere eine ausführliche Beschreibung. Bei komplexen Informationsgrafiken umfasst eine Beschreibung selten genau das, was man haben möchte. Mit einer KI kann ich aber Rückfragen stellen. Aber das kann ich doch auch bei einem Menschen tun? Richtig, aber einer KI wird das nicht langweilig oder ungeduldig (es sei denn, es ist Marvin aus dem Anhalter durch die Galaxis). Man möchte als blinde Person nicht immer vom Good Will oder der Laune einer sehenden Person abhängig sein und vielleicht gibt es auch Dinge, die man selbst einer Person nicht unbedingt zeigen möchte, der man vertraut. Eine entsprechend trainierte KI sollte in der Lage sein, komplexe Informationsgrafiken aus Studium und Beruf halbwegs adäquat zu beschreiben. Infografiken bestehen aus Strukturen, Mustern und Beschriftungen, die mit Machine Learning gut zu erfassen sein sollten, insbesondere wenn sie als Vektorgrafiken vorliegen, wenn die KI also auf den zugrunde liegenden Code zugreifen kann.
Nicht unmittelbar mit Behinderung zusammenhängt das Argument der begrenzten Intelligenz: Software aggregiert vor allem zugängliche Informationen. Sie könnte keinen Mozart oder Shakespeare produzieren. Auch das Argument ist korrekt. Allerdings sind 99,9 Prozent der Menschen ebenfalls nicht dazu in der Lage. Die Kreativität der Webdesigner:Innen besteht vor allem in der Frage, ob die Schrift 12 oder 13 Pixel groß sein soll und welche Farben wo hin gepackt werden. Nichts für ungut, aber wenn man ihnen ihre Fonts und die Farben wegnimmt, sehen alle Webseiten gerade auf Smartphones relativ gleich aus. Andere kreative Werke wie Popsongs oder Bücher bestehen aus wiederkehrenden und abgewandelten Mustern. Wir sind nicht so weit davon entfernt, dass eine KI einen Grisham oder einen Eminem-Song erstellt. In den meisten Werken steckt vielleicht zehn Prozent Kreativität, der Rest ist Routinearbeit wie das Ausformulieren von Szenen, das Entwickeln von Figuren oder Schauplätzen. Das heißt, ich könnte ein paar Ideen formulieren und der KI sagen, sie soll einen Roman im Stile von Agatha Christie dazu schreiben, dann noch ein bisschen Fein-Tuning und fertig ist der Bestseller. Utopisch? Vielleicht heute, aber in absehbarer Zukunft wahrscheinlich möglich.
Schon heute gibt es Programmier-Assistenten wie Copilot, die dem Vernehmen nach die Programmierung erleichtert und den Code verbessern. Mehr wollen wir aktuell gar nicht, wir brauchen Tools, die uns lästige oder überflüssige Arbeit abnehmen. Die Kritik erinnert ein wenig an die Urzeiten von Office, wo einige meinten, Typographen können Dokumente besser gestalten und Excel würde sich ständig verrechnen.
Automatiserte Tests auf digitale Barrierefreiheit sind möglich. Entgegen landläufiger Ansicht ist Barrierefreiheit nicht von der Test-Automatisierung ausgeschlossen. Das gängige Tools bisher nicht sonderlich gut funktionieren, liegt daran, dass sich kaum einer der großen Player in diesem Bereich betätigt. Bild-Beschreibung mit einem Bild abgleichen, Links als sinnvoll erkennen, Formular-Beschriftungen analysieren – das alles sind Dinge, die sich automatisieren lassen.
Das General-Argument sind die bisher sehr begrenzten Fähigkeiten der KI. Das ist nun ziemlicher Unsinn. Es ist so, als ob ich einen Dreijährigen kritisiere, weil er noch nicht flüssig sprechen oder schreiben kann. Ja, die Möglichkeiten sind aktuell begrenzt. Aber wir sind nach wie vor am Anfang der Entwicklung. Maschinelles Lernen zeichnet sich eben dadurch aus, dass sie immer besser werden kann.
Menschen können besser Texte übersetzen bzw. vereinfachen oder Bilder beschreiben. Einige Menschen, nicht alle. Es gibt gute von KI übersetzte Texte oder Bild-Beschreibungen und es gibt sauschlechte von Menschen erstellte Übersetzungen oder Bild-Beschreibungen. Es stimmt eben nicht, dass ein Mensch automatisch alles besser macht. Ich habe so viele schlechte Übersetzungen aus dem Englischen gesehen, dass sich DeepL jederzeit den Vorzug geben würde. Bei Leichter Sprache ist das noch evidenter: Es gibt da draußen jede Menge Übersetzer:Innen mit mäßiger bis schlechter Qualität. Die WCAG wird bald 25 Jahre alt und wir sprechen wie am ersten Tag immer noch über Bild-Beschreibungen und semantisches HTML, die menschliche Intelligenz scheint gescheitert, vielleicht sollten wir der KI eine Chance geben.
Ich finde den Vergleich einer KI mit einem Experten weniger hilfreich. Die KI sollte vielmehr mit einem Durchschnitts-Menschen verglichen werden und dann schneidet sie häufig besser ab. Ein Experte wird, heute zumindest, oft bessere Ergebnisse erzielen. M.E. ist es aber auch hier nur eine Frage der Zeit, bis speziell trainierte Anwendungen stehen, die mit Experten mithalten können. Das ist durchaus sinnvoll: Die Spezialisierung hat auch innerhalb der Professionen immer weiter zugenommen. Kein Mensch ist heute in der Lage, selbst innerhalb eines relativ kleinen Spezialgebietes alles zu überblicken. Ein Experten-System könnte zum Beispiel für eine Wissenschaftlerin oder Ärztin sehr hilfreich sein. Oder – meine A11Y-Bodies werden mich dafür steinigen, Fragen zur digitalen Barrierefreiheit kompetent beantworten. Falls es jemand noch nicht mitbekommen hat – es gibt einen Mangel an Fachkräften, der in absehbarer Zeit nicht behoben werden kann.
Auch hier sehe ich Vorteile für die digitale Barrierefreiheit. Ich empfehle vor allem Neulingen im Thema, zumindest zwei Artikel von verschiedenen Quellen zu einem Thema zu lesen, weil man in der Szene zu teils schwierigen Einschätzungen und Rechthaberei neigt. Die KI könnte die Essenz mehrerer Artikel aggregieren und damit die Mühe abnehmen, viele verschiedene Meinungen abzugleichen.

Technik-Konservatismus in der Szene

Natürlich ist Kritik immer legitim und hilft uns auch weiter. Mir gefällt nur diese etwas arrogante Art nicht, in welcher Kritik in DE häufig angebracht wird. Das verstellt oft den Blick auf das, was möglich ist. Telefonieren in der Anfangszeit des Telefons – sauschlechte Qualität, Internet in Modem-Zeiten zu langsam, bei Pferden musste man nicht kurbeln etc. pp. Wenn man ebenso kritisch an grüne Technologien wie Dämm-Materialien, Solarzellen oder Wind-Anlagen gehen würde, ginge gar nichts mehr voran.
Richtig ist, dass unter KI allgemein und speziell bei KI und Barrierefreiheit viel Schrott verkauft wird. Das sind zum Beispiel die sogenannten Overlays oder Toolbars, also Tools, die automatische Barrierefreiheit versprechen, aber in Wirklichkeit die Barrierefreiheit verschlechtern. Automatisch erzeugte Bildbeschreibungen haben bisher enttäuscht. Und auch bei seriösen Organisationen muss man den gesunden Menschenverstand einschalten. Die US-Amerikaner drehen beim Marketing gerne mal drei Stufen höher: Da ist von „revolution“ die Rede, auch wenn es sich nur um kleine Verbesserungen handelt. Andererseits scheint es mir auch in der Szene Leute zu geben, die glauben, alles solle wie vor zehn Jahren manuell getestet werden, als ob das noch state of the art wäre. Test-Automatisierung ist eines der großen Themen im Software-Testing und wir haben diesen Zug verpasst. Wenn wir digitale Barrierefreiheit in dem Tempo bearbeiten wie in den letzten 20 Jahren, dann werden wir nicht wesentlich weiter kommen als heute. Die Deutschen sind hier besonders kritisch, aber auch die internationale Szene scheint sich im Großen und Ganzen der Entwicklung verschließen zu wollen. Die Grenze zwischen Technik-Kritik zum Technik-Konservatismus ist m.e. bei vielen Leuten überschritten. Ziel sollte es nicht sein, sich der technischen Entwicklung zu verschließen, sondern Defizite aufzuzeigen und sie weiter zu verbessern.
Mir scheint auch, dass hier der demografische Wandel zuschlägt. Viele Pioniere kommen jetzt in ein Alter, wo sie – so scheint es mir – der technischen Entwicklung eher negativ gegenüberstehen. Wenn man es 20 Jahre lang so gemacht hat, dann gibt es keinen Anlass, das zu ändern.
Wie bei vielen Entwicklungen gibt es auch bei KI gute und schlechte Seiten. Das WWW hat sowohl Minderheiten als auch Rechte und Verschwörungs-Idioten lauter gemacht. KI hat viel Potenzial für Überwachung und Manipulation. Sie kann aber auch den Zugang für benachteiligte Menschen erleichtern, indem sie zum Beispiel das Coding einfacher Lösungen vereinfacht oder Texte auf verschiedenen Stufen verständlicher macht, in dem sie Texte übersetzt oder orthografische Fehler korrigiert. Das sind Probleme, welche viele von uns nicht kennen, aber für viele andere Menschen hilfreich oder gar existenziell sind.
Ich träume von einem Tool, dass Menschen mit technischen Problemen hilft, digitale Anwendungen zu nutzen. Es könnte den Aufbau einer Anwendung analysieren und der Nutzerin dabei helfen, Aufgaben zu erledigen, indem sie schrittweise durch die jeweilige Aufgabe durchgeführt wird.
Generell glaube ich nach wie vor an das Potenzial sprach-basierter Assistenzen. Wie oben gesagt, kann ChatGPT nicht nur Infos aus der Wikipedia vorlesen – wenig hilfreich für Personen mit geringer Text-Verständnis-Erfahrung – sondern Informationen verständlich zusammenfassen und Rückfragen beantworten. Das wäre ein interessantes Tool für funktionale Analphabeten oder für die Nachhilfe.
Ein weiteres Thema ist Speech to text. Speech to text ist eine relativ einfache Methode, um Computer zu steuern. Allerdings ist es für viele Menschen aufgrund von Ausspracheproblemen nicht möglich, diese Methode zu nutzen. Durch Machine Learning könnte die Software allmählich auch Stimmen verstehen, die weniger gut artikuliert sind.

Abschließende Gedanken

Die KI ist nach der Evolutionstheorie die neue große Kränkung vor allem der Kopf-Menschen. Da sitzen wir stundenlang an einem Text oder einem Code und eine Software – auch von Menschen entwickelt – kann etwas Vergleichbares in wenigen Sekunden generieren und vielleicht sogar besser. Jeder denkt, dass die KI viele Jobs überflüssig machen könnte, nur die eigene Arbeit nicht. Aber ich behaupte mal, dass sich jede Arbeit, die am Computer gemacht wird, zumindest ein Stück weit von KI erledigen lässt. Die KI kann aber nicht auf unsere Kinder aufpassen, unsere Eltern pflegen, unsere Wohnungen bauen oder unseren Müll wegbringen. Das sind Leute, für die wir wenig Respekt haben – und auch wenig Mitleid, wenn ihre Arbeit wie bei den Bergarbeitern abgeschafft oder in den Fabriken von Maschinen übernommen wurden. Das Ende vieler kleiner Bauernhöfe quitieren wir mit einem Achselzucken, bevor wir uns dem nächsten Nonsens von Elon Musk zuwenden. Aber unsere Arbeit muss unbedingt erhalten bleiben, wir sind schließlich kreativ. Es erinnert ein wenig an Debatten, die zu Beginn der industriellen Produktion stattgefunden haben mögen. Damals war die Herstellung von Gegenständen, Kleidung oder Möbel ein echtes Handwerk, so wie es heute die Kultur ist. Das Handwerk gibt es nach wie vor, nur dass es sich auf spezielle Bereiche konzentriert. Ebenso wird die Massenproduktion aus Hollywood von KI unterstützt oder komplett übernommen. Übrig bleiben die wenigen wirklich fähigen Personen, die außergewöhnliche Dinge machen. Man kann dagegen protestieren oder es blöd finden, aber damit wird man es eben so wenig verhindern wie die Industrieproduktion von Alltags-Gegenständen.
Naturgemäß sind die meisten von uns Informations-Profis – das bringt die Tätigkeit mit sich. Mir fehlt aber die Perspektive derjenigen die das nicht sind in den hochnäsigen Beiträgen einiger Zeitgenossen. Es fehlt das Verständnis für die Herausforderungen jener, die mit der Informationsflut nicht umgehen können.
Man sollte den Begriff Künstliche Intelligenz als das nehmen, was er aussagt: Maschinelle Intelligenz ungleich menschliche Intelligenz. Der englische Begriff Intelligence ist nicht identisch mit dem deutschen Begriff Intelligenz. Er meint unter anderem Datenverarbeitung. KI wird auf absehbare Zeit keine menschliche Intelligenz oder gar Arbeitskraft vollständig ersetzen und darum geht es auch nicht. Ebensowenig passen die Begriffe lernen, verstehen und wissen bei Computern, wenn damit das Gleiche ausgedrückt werden soll, was bei Wesen mit einem biologischen Gehirn stattfindet. Mangels besserer Begriffe kann man diese Konzepte meines Erachtens aber verwenden und sollte seine Kritik nicht daran aufhängen. Nur nebenbei sei erwähnt, dass es für den Begriff Intelligenz keine allgemein akzeptierte Definition gibt.
Die Argumentation gegen KI in der Barrierefreiheit geht von einigen – aus meiner Sicht falschen Prämissen aus:

  • Experten können es im Großen und Ganzen besser – das Argument habe ich oben angesprochen. Experten neigen dazu, kleine Divas zu sein und können ziemlich viel Unsinn reden. Fragen Sie drei Experten und Sie erhalten sechs Meinungen (und alle können richtig sein). Abgesehen davon habe ich schon genug Unsinn von Barrierefreiheits-Expert:Innen gehört, um damit ein weiteres Buch zu füllen, leider mache ich keine Comics.
  • Weiterhin ist es Quatsch, den Gegensatz von KI gegen Mensch aufzumachen. Ich kenne keinen Menschen, der Spaß an der Erstellung von Video-Transkripten hat. Es gibt nicht genug Arbeitskraft, um alle Dokumente zu taggen, alle Videos zu beschreiben oder alle Inhalte in Leichte Sprache zu übersetzen. Die Alternative heißt nicht KI oder Mensch, sondern in vielen Fällen KI oder nichts. Wir haben nicht nur einen Mangel an Fachkräften, wir haben einen Mangel an Arbeitskraft, An Arbeitszeit und an finanziellen Ressourcen.
  • Ein Argument ist, dass es ohne Beratung/Erklärung nicht geht. Das Argument ist richtig, aber Beratung muss nicht durch einen Menschen erfolgen. Ich glaube sogar, dass die Hemmungen, mit einem Bot zu chatten geringer sind als mit einem Menschen. Einige – nicht alle – Personen sind recht schwierig im persönlichen Umgang oder erklären Dinge so kompliziert, dass man sie nicht versteht. Sie kennen sicher die Situation, dass Sie gerne nachfragen würden, es aber bei Ihrem Gegenüber aus irgendeinem Grund nicht tun wollen. Einen Chatbot können Sie ausquetschen und er wird Ihnen nicht mit Überheblichkeit antworten. Die Prämisse ist falsch, dass nur ein Mensch korrekt und adäquat antworten kann, wenn die Software entsprechend trainiert wurde, kann sie das ebensogut oder besser. Ich zumindest hätte kein Problem, mit einer Maschine zu quatschen, ihr ist auch egal, ob man die Kamera aktiv hat oder ob man im Schlabberpulli vor ihr sitzt.

Verstehen Sie mich nicht falsch: KI wird sicher nicht alle Probleme der Menschheit oder der Barrierefreiheit lösen, ebensowenig wie es das WWW, die Gen- oder Nanotechnik oder die Robotik getan haben bzw. tun werden. Alle diese Technologien unterlagen einem gewissen Hype. Aber diese Technologien haben auch tatsächlich Vorteile gebracht und es geht vor allem darum, diese Vorteile den Menschen und nicht milliardenschweren Konzernen zu bringen, damit sie noch ein paar Euro mehr verdienen können. Wenn wir in der EU das Potenzial dieser Technik nicht bergen, dann werden Andere es an unserer Stelle tun und dann werden sie bestimmen, was damit passiert, so wie es heute bei den meisten Web-Plattformen der Fall ist. Technik und Automatisierung werden nicht alle Probleme der Barrierefreiheit lösen, aber sie kann einen großen Teil der Probleme absehbar lösen.
Die Antwort ist wie so oft Open Source, niemand kann ein Interesse daran haben, dass ein paar Groß-Konzerne diese Technologie kontrollieren und nach Gutdünken nutzen. Aktuell tut sich hier viel und wir können darauf hoffen, dass die OpenSource-Gemeinde hier große Dinge leisten wird.

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Cognitive Bias – kognitive Verzerrungen und Barrierefreiheit


Cognitive Bias oder kognitive Verzerrung und Barrierefreiheit sind zwei Konzepte, die häufig in Verbindung miteinander diskutiert werden. Kognitive Verzerrungen sind mentale Abkürzungen, die unser Gehirn nutzt, um Informationen schnell zu verarbeiten.
Kognitive Voreingenommenheit kann die Barrierefreiheit auf verschiedene Weise beeinflussen. Bestätigungsfehler sind beispielsweise die Tendenz, Informationen so zu suchen und zu interpretieren, dass unsere bereits vorhandenen Überzeugungen bestätigt werden. Dies kann dazu führen, dass die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen nicht berücksichtigt werden, da der Einzelne glaubt, dass nur seine eigenen Erfahrungen und Sichtweisen von Bedeutung sind. Dies kann zu Produkten, Dienstleistungen und Umgebungen führen, die für Menschen mit Behinderungen nicht zugänglich sind, da ihre Bedürfnisse während des Designprozesses nicht berücksichtigt wurden. Ein typisches Beispiel sind Webseiten-Betreiber, die ihre Webseite nicht barrierefrei machen, weil sie keine behinderten Kunden zu haben glauben. Ein Apotheker wollte sein Ladengeschäft nicht stufenfrei zugänglich machen, weil er keine Kunden habe, die mit der Stufe nicht zurecht kämen. Der Hinweis sollte auf der Hand liegen: Natürlich können Leute, die keine Treppen steigen können nicht in sein Laden-Geschäft kommen.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie sich kognitive Voreingenommenheit auf die Barrierefreiheit auswirken kann, ist die Verfügbarkeitsheuristik, d. h. die Tendenz, sich bei Entscheidungen auf Informationen zu verlassen, die leicht verfügbar sind. Im Zusammenhang mit der Barrierefreiheit kann dies dazu führen, dass man sich auf die Gestaltung für die häufigsten Behinderungen, wie z. B. Blinden konzentriert und die Bedürfnisse von Menschen mit weniger häufigen Behinderungen außer Acht lässt. Das zeigt übrigens auch, dass Biases nicht nur bei Nicht-Behinderten, sondern auch bei behinderten Menschen vorliegen kann.
Um diesen kognitiven Verzerrungen entgegenzuwirken und die Barrierefreiheit zu fördern, ist es wichtig, integrative Designpraktiken anzuwenden. Inklusives Design ist ein Designansatz, der die Vielfalt der Nutzer berücksichtigt und dafür sorgt, dass Produkte, Dienstleistungen und Umgebungen für alle zugänglich und nutzbar sind. Dazu kann es gehören, Menschen mit Behinderungen in den Designprozess einzubeziehen, mehrere Informationsquellen für die Entscheidungsfindung heranzuziehen und während des gesamten Designprozesses Zugänglichkeitstests durchzuführen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass kognitive Voreingenommenheit und Zugänglichkeit zwei eng miteinander verknüpfte Konzepte sind, und dass der Umgang mit kognitiven Voreingenommenheiten für die Schaffung inklusiver und zugänglicher Produkte, Dienstleistungen und Umgebungen unerlässlich ist. Durch die Anwendung integrativer Designpraktiken können wir Lösungen schaffen, die die Bedürfnisse aller Benutzer erfüllen, unabhängig von ihren Fähigkeiten.

Ist es die Barrierefreiheit oder sitzt das Problem vor dem Bildschirm?


Es gibt eine große Herausforderung, die mit der zunehmenden Digitalisierung immer größer wird: Es gibt Menschen, die auch mit relativ barrierefreien Lösungen nicht zurechtkommen.
In meiner Schulung habe ich irgendwo immer eine Folie, wo es um die Frage geht, wie sich Barrierefreiheits- von persönlichen Herausforderungen abgrenzen lassen. Mich erreichen unzählige Anfragen dazu, die sich in zwei Kategorien einteilen lassen:

  • Persönliche Vorlieben
  • Geringe Erfahrung mit digitalen Technologien

Diese Herausforderungen nehmen, wie oben gesagt zu, weil viele Prozesse im Wesentlichen nur noch digital stattfinden. Wissen Sie noch, wann Sie das letzte Mal eine Überweisung ausgefüllt haben? Ein Ticket an einem Schalter gekauft? Eine Pizza telefonisch bestellt? Eine Straßenkarte aufgeschlagen? Eine Nummer in einem gedruckten Telefonbuch oder den gedruckten Gelben Seiten nachgeschlagen? Ich zumindest nicht und wahrscheinlich wird das in absehbarer Zeit so exotisch sein wie die Dame vom Amt, welche Telefonate händisch vermitteln sollte. Für unsereins ist das hakelig, aber machbar.
Andererseits habe ich nicht wenige Leute vor mir, die diese Dinge nie in ihrem Leben gemacht haben – und sie sind teils viel jünger als ich. Ich habe Blinde, die ich sehr mühsam durch Zoom führen muss, ein Programm, dessen Basis-Funktionen ich für völlig unproblematisch halte. Ich habe Leute, die kein Online-Banking machen, weil sie es nicht wollen oder können.
Nun ist es korrekt, dass viele Anwendungen von der Barrierefreiheit her konform, aber dennoch katastrophal in der Nutzung sind. Viele erfahrene Blinde würden mir da zustimmen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass man an einem gewissem Maß an Komplexität nicht vorbeikommt. Man kann keine Überweisung auf ein fremdes Konto machen, ohne eine IBAN einzugeben, Artikel ohne Empfänger-Adresse bestellen oder Tickets ohne Angabe von Anfahrts- und Ankunftsort kaufen. Eine zusätzliche, aber leider notwendige Aufgabe sind die Sicherheits-Abfragen. Auch sie lassen sich sicherlich komfortabler lösen, aber dass sie da sein müssen, steht wohl außer Zweifel.
Natürlich kann man all das, schlechte Benutzbarkeit trotz formaler Barrierefreiheit und die Sicherheits-Mechanismen als zusätzliche Barrieren verbuchen, das löst das Problem allerdings nicht.
Ein weiterer Faktor scheint hier allerdings auch teilweise die mangelhafte Stabilität der verschiedenen Bestandteile zu sein. Bei mir stürzen mehrfach am Tag Programme ab und ich bin mir relativ sicher, dass es am Zusammenspiel zwischen Client und assistiver Technologie liegt. Meine Vergangenheit mit Zoomtext und Fusion liegt auch schon zig Jahre zurück, doch damals habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht, die bis heute von einigen Leuten auch bestätigt werden, mit denen ich Kontakt habe. Was die Hersteller von assistiven Technologien da verkaufen, ist teilweise echter verbugter Schrott.
Im Endeffekt liegt es aber auch am mangelhaften Training der betroffenen Personen – sowohl was die Computer-Nutzung als auch was den Umgang mit assistiven Technologien angeht. Da werden 3000 € für eine Jaws-Lizenz ausgegeben, aber die 200 € für das Training werden eingespart. Zumindest die Basics müssen die Leute draufhaben und das scheint bei vielen Betroffenen nicht der Fall zu sein.
Klar, wir können davon träumen, dass die Software-Qualität in den nächsten Jahren immens zunehmen wird. Aber das wird wahrscheinlich nicht passieren. Auch die Revolution in der assistiven Technologie, auf die ich ein wenig hoffe, wird in absehbarer Zeit nicht eintreten, weil wir nicht genügend Leute davon überzeugen können, daran zu arbeiten. Ich stelle mir zum Beispiel eine Software vor, welche behinderten Menschen bei der Nutzung komplexer Benutzeroberflächen assistiert.
Leider ist es so, dass diese Menschen nicht nur von mehr oder weniger verzichtbaren Goodies abgeschnitten sind. Es ist bequemer, sein Banking von zuhause zu machen, aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass die Arbeit der Gegenwart und der Zukunft im Büro-Bereich vor allem die Arbeit mit komplexen Software-Tools ist. Ein Dokument in Word formatieren, ein paar Formeln in Excel schreiben, damit ist es heute nicht mehr getan. Vielmehr haben wir zahllose browser-basierte Tools, an denen man nicht vorbeikommt und die auch nicht durch eine Assistenz übernommen werden können, weil sie ja zu unserer Arbeit gehören. Das heißt, die Arbeitgeberinnen können Personen nicht einstellen, welche diese Programme nicht benutzen können, weil Probleme auf dieser Ebene nicht mit ein paar Jaws-Skripts gelöst werden können.
Um die Eingangsfrage zu beantworten: Wir müssen beide Bereiche angehen, das hinter und das vor dem Bildschirm. Dazu gehört aber auch, dass die Verantwortung nicht immer bei den Software-Herstellern liegt, sondern auch an jenen, denen die Erfahrung fehlt. Das ist der erste Schritte, um sie zu einer besseren Computernutzung zu ermächtigen.

Is it accessibility or is the problem the disabled person?

Neuro-Diversität und Barrierefreiheit

In den letzten Jahren hat die Gesellschaft große Fortschritte bei der Anerkennung und Einbeziehung der vielfältigen Formen der menschlichen Wahrnehmung gemacht. Das Konzept der Neurodiversität stellt die traditionelle Auffassung in Frage, dass neurologische Unterschiede lediglich Abweichungen von einer Norm sind. Stattdessen wird die inhärente Vielfalt der menschlichen Kognition gewürdigt, die Erscheinungen wie Autismus, ADHS, Legasthenie und andere neurologische Unterschiede umfasst. Parallel zum Aufschwung der Neurodiversität wird auch die Bedeutung der Barrierefreiheit zunehmend anerkannt. Sie zielt darauf ab, Barrieren zu beseitigen und integrative Umgebungen zu schaffen, die den Bedürfnissen aller Menschen gerecht werden, unabhängig von ihrer neurologischen Konstitution. Gemeinsam bilden Neurodiversität und Barrierefreiheit die Grundlage für eine integrativere und gerechtere Gesellschaft.

Was heißt Neuro-Diversität?

Neurodiversität erkennt an, dass neurologische Unterschiede einfach Variationen der menschlichen Kognition sind, ähnlich wie Unterschiede bei körperlichen Fähigkeiten oder Persönlichkeitsmerkmalen. Sie fördert die Idee, dass es sich bei diesen Unterschieden nicht um Störungen oder Defizite handelt, sondern um einzigartige Merkmale, die zur reichen Vielfalt der menschlichen Erfahrung beitragen. Neurodiversität bedeutet, sich von einem defizitorientierten Ansatz zu lösen und eine auf Stärken basierende Perspektive einzunehmen. Auf diese Weise können wir die einzigartigen Talente und Perspektiven, die neurodiverse Menschen mitbringen, wertschätzen.
Echte Inklusion lässt sich jedoch nicht allein durch einen Mentalitätswandel erreichen. Barrierefreiheit spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Räume, Produkte und Dienstleistungen für Menschen mit unterschiedlichen neurologischen Bedürfnissen zugänglich und nutzbar zu machen. Dabei geht es darum, Barrieren zu erkennen und zu beseitigen, die eine vollständige Beteiligung und ein Engagement behindern können. Im physischen Bereich kann Barrierefreiheit beispielsweise bedeuten, Rampen für Rollstuhlfahrer zu installieren oder sensorisch ansprechende Räume für Menschen zu schaffen, die auf sensorische Reize reagieren. Im digitalen Bereich könnte es bedeuten, Websites und Software zu erstellen, die mit Bildschirmlesegeräten kompatibel sind, oder integrative Benutzeroberflächen zu entwerfen, die einer Vielzahl von kognitiven Stilen gerecht werden.
Die Gewährleistung der Zugänglichkeit erstreckt sich auch auf Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Bildungseinrichtungen, die sich der Neurodiversität verschrieben haben, können Lehrstrategien anwenden, die den verschiedenen Lernstilen Rechnung tragen und Schülern mit unterschiedlichen neurologischen Profilen individuelle Unterstützung bieten. Ebenso können Arbeitsplätze angemessene Vorkehrungen treffen, wie z. B. flexible Arbeitszeiten oder sensorische Anpassungen, damit sich neurodiverse Mitarbeiter in ihrer Rolle wohl fühlen.

Vorteile für alle

Die Anerkennung neurodiverser Wahrnehmung führt dazu, dass Lösungen breiter gedacht werden. Vor allem wird das Denken von Verantwortlichen stärker Richtung Diversität geschubst: Eine Lösung für alle funktioniert nicht. Indem man für den Durchschnitt gestaltet, entwickelt man eine Lösung, die für niemanden richtig gut funktioniert.
Die Lösung besteht aus zwei Teilen: 1. Geht es darum, eine Lösung von vorneherein möglichst zugänglich zu gestalten. Das heißt zum Beispiel, dass Animationen möglichst
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Neurodiversität und Barrierefreiheit Hand in Hand gehen und eine Gesellschaft fördern, in der sich jeder Einzelne unabhängig von seiner neurologischen Konstitution entfalten kann. Indem wir uns das Konzept der Neurodiversität zu eigen machen und der Barrierefreiheit Vorrang einräumen, fördern wir Inklusivität, Verständnis und Chancengleichheit für alle.

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Web Accessibility Specialist – meine Einschätzung zum WAS-Zertifikat der IAAP

Dieser Beitrag dreht sich um die Zertifizierung zum Web Accessibility Specialist der IAAP.
Zu den Abkürzungen: IAAP steht für International Association of Accessibility Professionals. Das ist eine Art internationaler Dachverband für Barrierefreiheits-Experten. Aktuell geht es dort vor allem um Web-Barrierefreiheit. Es gibt außerdem ein allgemeines Barrierefreiheits-Zertifikat namens CPACC, ein Zertifikat zum barrierefreien Bauen sowie ein Zertifikat zum Thema barrierefreie Dokumente in Planung. Hier möchte ich mich nur mit dem Web Accessibility Specialist = WAS-Zertifikat beschäftigen. Meine Einschätzung zum CPACC-Zertifikat der IAAP. Kurz gesagt halte ich das WAS-Zertifikat und auch alle anderen Zertifikate der IAAP nicht für empfehlenswert. Die Gründe sind immer die Gleichen: Es wird belohnt, Informationen auswendig zu lernen statt Wissen aufzubauen. Viele der erwarteten Kenntnisse sind für die Praxis nicht relevant.

Was ist WAS

Wer das WAS-Zertifikat erwerben möchte, sollte über einen soliden Grundstock an Wissen verfügen. Empfohlen werden 3 bis 5 Jahre Erfahrung im Thema Barrierefreiheit im Internet. Es geht sicherlich auch mit weniger Erfahrung, aber dann sollte man viel Zeit fürs Lernen einplanen.
Der Body of Knowledge steht inzwischen auf Deutsch zur Verfügung, man kann sich also problemlos einen Überblick verschaffen. Themen sind u.a. natürlich die WCAG, die ATAG, ARIA und die verschiedenen assoziierten Dokumente. Also die Grundlagen-Dokumente der Web Accessibility Initiative. Wenn man nicht weiß, was WCAG, ATAG oder die Web Accessibility Initiative ist, dann ist man noch nicht reif für das Zertifikat.

Was sollten Interessierte mitbringen

Ob es drei bis fünf Jahre Erfahrung sein müssen, können wir dahin gestellt sein lassen. In jedem Fall ist solides Wissen in Behinderungen, assistiven Technologien, den Richtlinien und weiteren Dokumenten der WAI gefordert.
Gut Englisch lesen zu können ist unabdingbar, mindestens B1. Da es sich um einen Multiple-Choice-Test handelt, muss man aber nicht unbedingt Englisch schreiben können. Da es sich auch um technisches und etwas spezielles Englisch handelt, würde ich empfehlen, sich auf Englisch vorzubereiten, solange man die Prüfung auch nur auf Englisch durchführen kann. Manche Begriffe mögen im Deutschen anders verwendet werden oder eine andere Bedeutung haben. Wer ernsthaft im Gebiet digitale Barrierefreiheit arbeiten möchte, kommt an Englisch ohnehin nicht vorbei. Die meisten Dokumente und interessanten Artikel gibt es nur auf Englisch. In diesem Bereich sind automatische Übersetzungen noch nicht so akurat.
Programmieren muss man nicht können. Es ist von Vorteil, HTML lesen zu können. In jedem Fall sollte man die für Barrierefreiheit relevanten Konzepte von HTML, JavaScript und CSS kennen. Ohne Grundkenntnisse von Web-Entwicklung wird es recht schwierig, das Zertifikat zu erhalten. Man kann alles auswendig lernen, aber spätestens bei den Konzepten von ARIA wird es technisch sehr abstrakt, wenn man das Zusammenspiel aus HTML, Javascript und assistiven Technologien nicht grundsätzlich verstanden hat.
Das IAAP bietet selbst keine Trainingskurse. Man kann aber verschiedene offiziell akzeptierte Kurse belegen. Deutsche Trainings sind geplant. Aber wie gesagt: So lange die Prüfung nicht auf Deutsch abgelegt werden kann, würde ich davon abraten. Multiple Choice ist ziemlich tricky, schon ein falsch interpretiertes Wort kann hier zum Verhängnis werden.

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Das Zertifikat bzw. die möglichen Vorbereitungsprogramme sind meines Erachtens vor allem für hauptberufliche Digitale-Barrierefreiheits-Manager geeignet.
Für Personen, die bereits in der digitalen Barrierefreiheit fest verankert sind, kann durchaus das eine oder Andere neue dabei sein. Doch wahnsinnig viel ist es nicht. Es ist dann also eher ein Test, wie breit das eigene Wissen aufgestellt ist und eine Chance, kleinere Lücken zu schließen. Andererseits: Wenn man lange in der digitalen Barrierefreiheit gearbeitet hat und die Dinge bisher nicht brauchte, wird man sie später auch nicht brauchen oder kann sie dann nachlesen.
Meines Erachtens ist das Zertifikat nicht interessant für Designer:Innen, Konzepter:Innen oder Web-Entwickler:Innen. Dafür ist das, was über Web-Entwicklung in den akzeptierten Trainingskursen vermittelt wird zu schwach. Und es ist auch zu viel anderes Zeug dabei, was diese Personen überhaupt nicht interessiert, wenn sie sich nicht tatsächlich auf Barrierefreiheit spezialisieren wollen.
Einsteiger:Innen würde ich ebenfalls davon abraten, mit dem WAS in das Thema Barrierefreiheit reinzugehen. Das Verstehen gerade der abstrakteren WCAG-Richtlinien und Dokumente ist anspruchsvoll.
Ungeeignet ist es meines Erachtens auch für Personen, die sich nicht hauptberuflich mit digitaler Barrierefreiheit beschäftigen. Also Behindertenbeauftragte und andere Personen aus disem Themenkomplex. Dafür ist das Wissen dann doch zu tief. Für diese Personen wären eher konzeptionelle Grundlagen wie Semantik oder Farb-Kontraste notwendig. Für dieses Wissen muss man aber keine 40 Trainingsstunden absolvieren. Zudem dürfte für diese Personen ohnehin das CPACC-Zertifikat passender sein, weil es auch andere Themen wie barrierefreie Gebäude-Gestaltung enthält.
Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, eine möglichst breite Wissensbasis zu haben. Das Problem ist, dass 90 Prozent davon wahrscheinlich direkt nach der Prüfung vergessen wird und man auch nicht gut zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden kann, wenn man mit so viel Wissen überschüttet wird. Zudem bleibt das ewige Zeitproblem. Außerdem stellt sich mir die Frage, ob ein Barrierefreiheits-Experte tatsächlich die Tastenkürzel bzw. Touchgesten bestimmter Screenreader auswendig kennen muss.
Last but not least ist das Zertifikat für 530 US-Dollar doch recht teuer, insbesondere für Freelancer und Privatpersonen. Für 530 Dollar könnte man auch einen kompletten Vorbereitungskurs mitliefern, was aber eben von der IAAP nicht gemacht wird. Ein Vorbereitungskurs etwa von Deque kostet aktuell ca. 170 Dollar, macht in Summa 700 US-Dollar. Allerdings würde meines Erachtens der Deque-Kurs reichen, wofür man dann noch das WAS-Zertifikat braucht, leuchtet mir nicht ein.
Nebenbei: Das Deque-Programm hat mich positiv überrascht: Bisher habe ich noch kein so gutes und umfassendes Trainingsprogramm zur Barrierefreiheit für diesen Preis gesehen. Persönlich bin ich ein Freund von text-basiertem Selbst-Lernen, deshalb lasse ich mal Videokurse außen vor. Wer gut Englisch kann und die Zeit hat, dem kann ich die Deque-Kurse empfehlen. Eine Alternative, ebenfalls mit Zertifikat, ist der Kurs von edX.

Vorteile des Zertifikats

Derzeit sind die IAAP-Zertifikate in Deutschland noch nicht sehr bekannt. Bisher habe ich die Anforderung noch in keiner Stellenbeschreibung oder Ausschreibung gesehen. Ob sich das Zertifikat bzw. das Investment finanziell lohnt, bleibt deshalb erst mal dahingestellt.

Für Blinde geeignet?

Grundsätzlich sollten auch blinde Personen kein Problem haben, das Zertifikat abzulegen. Sowohl die Dokumente der IAAP als auch die Prüfung und zumindest der Vorbereitungskurs von Deque sind für Blinde gut lesbar.
Die IAAP hat spezielle Erleichterungen für Nutzer:Innen assistiver Technologien: Es gibt eine Zeitverlängerung um 100 Prozent, also 3 statt 1,5 Stunden. Zumindest mit Sprachausgabe ist das zu schaffen. Für Nicht-Englisch-Muttersprachler gibt es eine zusätzliche Verlängerung um 1 Stunde. Damit hat man insgesamt 4 Stunden Zeit.

Fazit: Nicht empfehlenswert

Persönlich halte ich das Zertifikat der IAAP nicht für sinnvoll.
Zum Einen scheint mir der Test reine Geldmacherei zu sein: 530 Dollar, ohne dass die IAAP großartig etwas machen muss, dann nochmal 300 Dollar für die mögliche Wiederholung. Und 150 Dollar für die Rezertifizierung nach 3 Jahren. Da ist die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt. Man scheint sich eher dauerhafte Einnahmen sichern zu wollen.
Zum Anderen halte ich ihn inhaltlich nicht für sinnvoll. Es gibt keine klare Zielgruppe, es werden Informationen statt Wissen abgefragt. Warum soll ein Sehender Screenreader-Shortcuts auswendig wissen? Warum ist es wichtig zu wissen, was in der WCAG 2.1 an Kriterien hinzu gekommen ist? Warum sind kanadische oder japanische Standards wichtig? Warum soll man auswendig wissen, was in der ATAG steht, die Authoring Tool Accessibility Guidelines drehen sich um die Barrierefreiheit von Content Management Systemen, welche die Wenigsten von uns programmieren oder konzeptionell betreuen werden. Warum soll man auswendig wissen, ob ein Erfolgskriterium auf Stufe A oder AA ist, wenn man fast nur mit Anforderungen auf AA zu tun hat?
Kurz gefragt, warum soll man Dinge auswendig wissen, die man in 1 Sekunde nachlesen kann, die aber für die Praxis – ich spreche hier von meiner Erfahrung von über zehn Jahren – nicht benötigt hat? Es ist löblich zu versuchen, einen Wissens-Kanon aufzubauen, den Profis beherrschen sollten, dann sollte er aber auch von Leuten aus der Praxis begleitet werden.
Inhaltlich scheint mir der Body of Knowledge nicht durchdacht zu sein. Meines Erachtens wird hier nicht konzeptionelles Wissen, sondern nur das Auswendig lernen von Informationen bewiesen. Die Fragen sind teils absurd und dazu angelegt, die Prüfperson in eine Falle zu locken oder im Unklaren zu lassen. Meines Erachtens hat die IAAP die durchaus schwierige Aufgabe nicht gut gelöst und ja, ich könnte so etwas deutlich besser machen. Bedenkt man, dass viele der Prüflinge keine englischen Muttersprachler sind, ist es unfair, Fang- oder doppelbödige Fragen zu stellen. Außerdem ist das nicht barrierefrei.
Ich empfehle daher den oben verlinkten Kurs von DEQUE. Das IAAP-WAS-Zertifikat kann ich hingegen nicht empfehlen. Und ich würde es auch nicht zur Grundlage für Aufträge machen.

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Sich mit digitaler Barrierefreiheit selbständig machen – so kann es gehen


Digitale Barrierefreiheit ist ein spannendes Feld für Freelancer. Es gibt genügend Nachfrage, so dass man auf jeden Fall wirtschaftlich zurecht kommen sollte, sobald man erste Aufträge akquiriert hat.
Dennoch sollte man einige Dinge beachten, bevor man diesen Weg geht. Generell: Meines Erachtens ist nichts Anstößiges daran, mit einer „guten Sache“ wie Barrierefreiheit Geld verdienen zu wollen. Die Ausnahme ist dann, wenn man den Leuten nutzlose Dinge wie eine Vorlesefunktion oder ein Overlay verkauft oder falsch berät, weil man keine Ahnung von Barrierefreiheit hat. Was macht einen Spezialisten für Barrierefreiheit aus?.
Ich lasse mal das Ganze Drumherum weg, das generell mit Freelancertum verbunden ist, also Steuern, Umsatzsteuer-ID, Abrechnung, Berufs-Haftpflicht und so weiter, das würde hier zu weit führen. Nur so viel: Wenn ihr die Möglichkeit habt, lasst euch von jemandem mentoren, der schon Erfahrung damit hat und euch dabei unterstützen kann. Das spart einiges an Frust. Generell ist Freelancertum keine so große Herausforderung, anders als UG oder GmbH, die tatsächlich ohne entsprechende Fähigkeiten schwierig sein können.

Solide Basis haben

Frisch von der Hochschule kann man nicht erwarten, sofort als Freelancer durchstarten zu können. Das ist auch halb so schlimm, schließlich hat man in dieser Phase in der Regel noch keine großen Verbindlichkeiten wie eine hohe Miete oder eine zu versorgende Familie. Hat man solche Verbindlichkeiten und noch keine Stammkunden, würde ich von der Freiberuflichkeit erst mal abraten.
Wichtig ist in jedem Fall, eine solide Basis zu haben, auf der man aufbauen kann. Das heißt in der Regel, eine technische Ausbildung oder ein Studium durchlaufen zu haben. Es ist korrekt, dass man auch mit anderen Hintergründen reinkommt – unzählige Web-Entwickler:Innen beweisen es. Andererseits haben die meisten dieser Menschen Erfahrungen durch Praxis-Projekte sammeln können, sie haben also bewiesen, dass sie das Fachliche drauf haben. Das ist für Newbies schwieriger. Ohne Referenzen oder persönliche Kontakte ist es fast nicht möglich, an Aufträge zu kommen.
Ich selbst habe trotz eines Buches und gewisser Bekanntheit sehr lange gebraucht, um Aufträge zu bekommen. Es kamen nur vereinzelt Anfragen von Kontakten vermittelt zustande. Erst als ich selbst Schulungen anbot, schaffte ich den Durchbruch.
Meine Empfehlung wäre, sich tatsächlich erst mit einem breiteren Thema wie etwa UX, Software-Entwicklung oder was auch immer man bereits kann die ersten Erfahrungen zu beschaffen und erst danach auf Barrierefreiheits-Projekte zu gehen. Den Stammkunden kann man dann auch immer Barrierefreiheit anbieten, womit man auch die ersten praktischen Erfahrungen sammeln und Referenzen aufbauen kann. Seid ihr zum Beispiel Web-Entwickler, könnt ihr die Website des Kunden, die ihr entwickelt, einfach kostenlos barrierefrei machen – sollte bei einer Content-lastigen Website ohne Mehr-Aufwand möglich sein – und das als Referenz-Projekt verwenden.
Eine andere Möglichkeit wäre, sich erst Mal als Angestellter eines Unternehmens Erfahrungen zu holen und erst später als Freelancer durchzustarten. Das heißt, man liest sich Wissen an oder macht einen der vielen kostenlosen oder kostenpflichtigen Kurse und bewirbt sich mit diesem Wissen bei einem Unternehmen. Da gerade viel gesucht wird, sollte man mit entsprechendem Background gute Chancen auf eine Stelle haben. Wichtig wäre hier allerdings zumindest nachgewiesenes Wissen etwa über ein Zertifikat.
Wie so oft ist die reine Lehre das Eine, die Praxis sieht anders aus. Klar kann man ein Formular nach Lehrbuch perfekt barrierefrei gestalten. In der Praxis trifft man aber auf komplexe fertige Lösungen, die eine andere Herangehensweise erfordern. Auch deshalb ist Praxis-Erfahrung so wichtig.
So oder so sollte man sich darauf einstellen, dass es einige Jahre dauert, bis das Geschäft mit Barrierefreiheit sich selbst trägt. Auch deshalb die Empfehlung, Barrierefreiheit eher als zusätzliche Leistung im Portfolio zu haben und nicht von Anfang an voll darauf zu sezen.

Vernetzung

Vernetzung ist das A und O für Freelancer. Es geht allerdings nicht darum, einfach nur möglichst viele Kontakte zu sammeln. Wichtig ist eher, relevante Kontakte zu bekommen. Das kann man sowohl digital als auch lokal machen – zu empfehlen ist beides. Gerade ohne praktische Erfahrung werdet ihr eher Kunden für euch gewinnen, wenn sie euch schon persönlich kennen. Bei digitaler Barrierefreiheit bieten sich natürlich Veranstaltungen mit Digital-Bezug an. Sie finden in jeder größeren Stadt statt, selbst das provinzielle Bonn hat welche davon. Bei kleinen und mittelgroßen Agenturen aus der Region kann man gute Chancen für eine Kooperation haben.
Lokal gibt es auch gute Chancen, selbst bekannt zu werden, zum Beispiel mit Vorträgen auf Barcamps oder bei Meetups. Auch Coworking-Spaces oder IHK-Veranstaltungen sind gute Gelegenheiten zum Netzwerken.
Was auch recht gut funktioniert sind Blog- und Fach-Beiträge, die man in der eigenen Community streuen kann. Am Anfang sind die Aufrufzahlen bescheiden, aber es geht erst mal darum, überhaupt auf sich aufmerksam zu machen. Ich habe in den letzten Jahren ein recht gut besuchtes Portal aufgebaut und darüber auch Aufträge akquiriert, das kann aber Jahre dauern und würde ich deshalb nicht weiterempfehlen. Blog-Beiträge müssen nicht hochspeziell sein, das würde ohnehin nur die Profis interessieren.
Last not least geht es tatsächlich darum, Kompetenz-Netzwerke aufzubauen. D.h. man schließt sich mit anderen Leuten zusammen, die komplementäre Dienstleistungen anbieten können: Du kannst Barrierefreiheit, eine andere Person kann Design, die nächste Web-Entwicklung und so weiter. Über Websites wie „Das Auge“ kann man recht schnell passende Leute finden. Für die einfachere Abrechnung bietet es sich dann an, eine GbR zu gründen, das muss aber nicht sein.

Preise allmählich steigern

Das heißeste Thema unter Freelancern sind die Preise. Hier also meine Meinung dazu: Man sollte am Anfang nicht zu hoch gehen. Die absoluten Profis können 1000 € und mehr pro Tag nehmen, aber dazu gehörst Du wahrscheinlich am Anfang nicht.
Das heißt natürlich nicht, dass man mit 300 € pro Tag zufrieden sein sollte. Ich würde schauen, was andere Freelancer in ähnlichen Themenbereichen und mit ähnlicher Erfahrung nehmen und diesen Betrag veranschlagen. Ist man viel zu niedrig, macht das den Kunden mißtrauisch. Ist man viel teurer als die Konkurrenz, kriegt man den Auftrag ebenfalls nicht. Meines Erachtens ist ein Betrag zwischen 400 und 600 € pro Tag realistisch. Hat man erste Erfahrungen gesammelt bzw. kann man komplexere Projekte annehmen, kann es dann allmählich gesteigert werden. Wie oben gesagt hängt das natürlich vom eigenen Fachbereich ab: Software- oder App-Entwickler können durchaus mehr nehmen, während Redakteure eher am unteren Ende dieses Spektrums stehen.
Als Einzel-Unternehmen kann man nicht erwarten, an Aufträge mit mehr als 10 Personentagen zu kommen. Die Auftraggeber gehen damit eher zu Agenturen oder Mehr-Personen-Gesellschaften, weil es da eine größere Ausfall-Sicherheit gibt. Ausnahmen bestätigen die Regel, ich zumindest kontte einen Auftrag im Volumen von 10.000 € bekommen, der größte Auftrag, den ich je bekommen habe und eine absolute Ausnahme. Die anderen Aufträge waren eher im Bereich von 1500 bis 3000 € und die meisten waren deutlich unter 1000 €. Kleine Aufträge machen im Verhältnis zur Größe mehr Aufwand.

Nische oder Mainstream

Je länger es ein Berufsfeld gibt, desto mehr Nischen bilden sich heraus, zu sehen am Bereich UX. Bei der Barrierefreiheit ist das noch nicht in dem Maße so. Dennoch gibt es natürlich unterschiedliche Möglichkeiten der Positionierung. Als Selbst-Betroffene kann man sich als Experte für diese Gruppe positionieren. Daneben gibt es spezielle Bereiche wie etwa Software- oder App-Entwicklung, die noch nicht so stark besetzt sind wie PDF und Internet.
Man muss sich allerdings bewusst sein, dass die Nischen oft so klein sind, dass sie nicht so viel an Einkommen abwerfen, deswegen sind es ja Nischen. Meines Erachtens hat man hier bessere Chancen, wenn man gleich international startet. Dann sollte man verhandlungssicher Englisch sprechen und verstehen und natürlich auch schreiben können. International gibt es nichts, was nicht von irgendwem nachgefragt wird.

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Barrierefreiheit

 

Deutsche Bahn – mangelnde Barrierefreiheit als Strategie

Screenshot des Bahn-CaptchasDie Deutsche Bahn ist legendär für ihre mangelnde Barrierefreiheit für motorisch Behinderte, also Personen, die keine Treppen steigen können. Meine Theorie ist ja, dass es irgendwo im Bahn-Vorstand fanatische Liebhaber von Treppenstufen gibt. Aber auch bei der digitalen Barrierefreiheit schafft es die Bahn nicht, endlich mal einen aktuellen Status zu erreichen. Einige Hinweise deuten darauf hin, dass das kein – vielleicht verzeihliches – Versehen ist, es gibt keine stringente Strategie, um digital barrierefrei zu sein. Das Gegenteil ist der Fall, die DB verfolgt aktiv und bewusst eine Strategie der mangelnden Barrierefreiheit, wie ich hier belegen möchte.

Blinde vom Login ausgeschlossen

So wird für den Login auf der Website sowie bei der App mittlerweile ein Captcha eingesetzt, obwohl die Probleme damit bekannt sind. Captchas sind nicht barrierefrei und eine schlechte UX vor allem auf mobilen Geräten, aber vielleicht ist einem Quasi-Monopolisten die UX seiner App/Website ohnehin egal.
Damit nicht genug ist das Captcha auch noch auf eine Weise eingebunden, dass es mit Screenreadern nicht bedienbar ist. Mit NVDA unter Firefox kann es per Tab erreicht werden, wird aber nicht vorgelesen, bei Talkback unter Android habe ich es geschafft, das Bilderrätsel zu aktivieren – das Häkchen wurde, wie soll es anders sein, nicht als menschlich erkannt. Ob das Problem bei der Bahn oder dem Captcha-Anbieter HCaptcha liegt, kann ich nicht sagen. HCaptcha spricht von einem Accessibility-Cookie – klar, wir wollen doch alle, dass die wissen, welche Seiten wir angesurft haben. Eine Audio-Version des CAPTCHAs hat man sich gespart, die würde wahrscheinlich der Bahn extra was kosten.
Meines Erachtens könnte dieses Verhalten der Bahn auch ein Verstoß gegen den Datenschutz sein. HCAPTCHA ist ein US-amerikanischer Anbieter, das heißt, man weiß nicht, welche Informationen hier nach Hause telefoniert werden. Ein Barrierefreiheits-Cookie würde zusätzlich bei behinderten Nutzenden ermöglichen festzustellen, auf welchen Seiten die Leute gesurft sind.
Damit schließt die Bahn defacto blinde und sehbehinderte Nutzer:Innen von Services wie der Ticketbuchung oder dem Verspätungsalarm aus.
Es gibt noch viele weitere Probleme: So ist der Mechanismus zur Eingabe der Abfahrtszeit in der Android-Version der App nicht für Blinde zugänglich. Es ist eine dieser Drehschalter, die wahrscheinlich schick aussehen, für Blinde aber nur sehr hakelig bedienbar sind. Außerdem ist der eine oder andere Button nicht beschriftet, Blinde wissen also nicht, was sie mit diesem Button auslösen.
Auch erinnere ich mich an einige Bugs auf der Website zum Ticket-Erwerb: Man bekommt relativ früh die Auswahl zwischen verschiedenen Ticket-Optionen angezeigt, die nicht per Tastatur bedienbar war. Beim Abschließen des Kaufs gab es einen Tastaturbug, der den Abschluss des Kaufes durch Blinde verhindert hat. Da ich lange keine Tickets mehr gekauft habe, kenne ich den aktuellen Stand nicht.

Die vermuteten Ursachen

Die Deutsche Bahn ist, zumindest was die digitale Barrierefreiheit angeht eine Blackbox. Meine Anfragen auf Twitter wurden ignoriert oder kryptisch beantwortet. Während öffentliche Stellen zumindest einen Alibi-Kontakt zur digitalen Barrierefreiheit angeben, gibt es bei der Deutschen Bahn gar keine Informationen dazu und auch keinen öffentlich auffindbaren Kontakt.
Dem Hörensagen nach gibt es bei der Deutschen Bahn ein Team, welches sich mit digitaler Barrierefreiheit beschäftigt. Die scheinen aber nichts zu sagen zu haben, ansonsten gäbe es kein Captcha und die Android-App wäre nicht so unbrauchbar. Ich würde mich schämen, für ein solches Unternehmen zu arbeiten.
Auch scheint es bei der Bahn keine blinden Mitarbeiter:Innen zu geben – oder es gibt sie und sie ziehen es vor, keine Services zu nutzen, die einen Login erfordern.
Das Elend wird deutlich, schaut man sich die Bewertungen im Android-Appstore an, die Bewertung liegt bei 2,5 von 5 Sternen. Es gibt zahlreiche Anmerkungen zu der schlechten UX. Viele Unternehmen antworten zumindest auf diese Hinweise im Appstore, die Bahn zieht es aber vor, sie komplett zu ignorieren und das bei einer für viele Personen so wichtigen App. Ich ziehe den Schluss, dass der Bahn ihre Kunden – ob behindert oder nicht – schlicht egal sind.
Die App DB barrierefrei – vor wenigen Jahren mit großem Tamtam gestartet – ist irgendwann ohne viele Kommentare eingestellt worden. Meines Wissens sollen die Infos jetzt in einer anderen DB-App zur Verfügung gestellt werden. Aber wer möchte schon noch eine Extra-App für ein paar mickrige Barrierefreiheits-Infos installieren?
Zwischendurch denke ich immer mal, das Unternehmen müsste doch einmal Fortschritte bei der Barrierefreiheit machen. Man scheint aber gerne mal zwei Schritte vorwärts und 1,5 zurück zu machen.

Nicht-Barrierefreiheit als Strategie

Mittlerweile habe ich leider einige Stimmen aus der DB gehört, die meine schlimmsten Vermutungen bestätigen: Die Deutsche Bahn verfehlt das Thema Barrierefreiheit nicht, weil es da ab und an Konflikte gibt. Vielmehr ist der Mangel an Barrierefreiheit Teil der Strategie des Unternehmens. Es befürchtet, dass wenn man den Betroffenen entgegenkommt man noch stärkere Forderungen zur Barrierefreiheit bekommt.
Das klingt unsinnig, mag aber in der internen Logik des Molochs Sinn machen. Bisher ist die DB nicht gerade als modernes Unternehmen aufgefallen. Tatsächlich gelten Leute wie Hartmut Mehdorn – einer der Haupt-Verantwortlichen für die schlechte Infrastruktur – nach wie vor als fähige Manager. Diversity Strategie oder Aktionspläne zur Inklusion sucht man vergeblich. Obwohl die Herausforderungen des demografischen Wandels selbst im Bahn-Tower angekommen sein sollten, baut man immer noch Züge, die für ältere Menschen mit Rollator ungeeignet sind – versuchen Sie mal mit einem Rollator in die Toilette des ICE zu kommen, ganz abgesehen davon, ihn in der Nähe eines Sitzplatzes abzustellen. Obwohl behinderte Menschen seit Jahren auf die Problematik mit Treppen hinweisen, kauft die Bahn munter weiter Züge mit Treppen ein. Fahrstühle werden monatelang nicht repariert, was sogar zu Verletzungen und Todesfällen geführt haben soll, weil gehbehinderte Menschen die Rolltreppe heruntergefallen sind. Für Rollstühle geeignete Sitzplätze sind Mangelware, rollstuhlgerechte WCs und Zugänge sind häufig defekt.
Obwohl ein halbstaatlicher Konzern weigert sich die DB, sich an deutsches Recht zu halten. So verstößt sie gegen die BITV 2.0, indem sie die vorgeschriebene Erklärung zur Barrierefreiheit und den Feedback-Mechannismus nicht bereitstellt. Mit dem oben erwähnten CAPTCHA verstößt sie zusätzlich gegen den in Kraft getretenen European Accessibility Act aka Barrierefreiheits-Stärkungs-Gesetz. Statt mit gutem Beispiel voranzugehen ist die DB schlimmer als manches Privat-Unternehmen. Wenn ein solch vital wichtiges Unternehmen keine Strategie für alters- und behinderten-gerechte Gestaltung hat, spricht alles für eine systematische Verweigerung. Wir dürfen die Bahn mit Recht als behinderten- und alters-feindliches Unternehmen bezeichnen.
Diese Beobachtungen deuten auf eine Sache hin: Die DB verhindert systematisch mehr Barrierefreiheit. Das ist wirklich armselig für einen Konzern, der durch die Öffentlichkeit finanziert wird. Sicherlich gibt es einzelne engagierte Leute bei der DB, die gerne mehr Barrierefreiheit umsetzen würden. Aber bei einem solchen Koloß kommt es vor allem auf den Vorstand an und auf unsere Politiker, von denen aber eben so wenig zu erwarten ist, seien sie nun von der CSU oder der FDP.
Leider zwingt uns die DB, sie zu ihrem Glück zu zwingen: Beschwert euch so viel wie möglich, so laut wie möglich und so öffentlich wie möglich. Das scheint die einzige Sprache zu sein, auf die dieses Unternehmen reagiert.