Behinderte Personas

Vor allem bei großen Webprojekten und im Entwicklungsprozess komplexer Programme werden Personas eingesetzt. Dabei werden Charaktäre entworfen, die Musternutzer des Webangebots darstellen. Personas sind idealtypisch entworfene Personen mit echter Biographie, denen bestimmte technische Fähigkeiten und Vorgehensweisen am Computer zugedacht werden.
Neben Personas werden Szenarien eingesetzt. Szenarien dienen dazu, bestimmte typische Aktionen auf der Website zu definieren. Die technischen Fähigkeiten zusammen mit dem Charakter der Person erlauben es, typische Handlungsmuster in bestimmten Situationen zu beschreiben.
Die unterschiedlichen Hanldungsweisen können direkt im Entwurfsprozess berücksichtigt werden. Ich hatte schon an anderer Stelle unterschiedliche Navigationskonzepte beschrieben.

Personas mit Behinderung

Auch Personas mit unterschiedlichen Behinderungen lassen sich in die Planung einbauen. Dabei ist vor allem wichtig, dass alle Hilfstechnologien bei diesen Personas untergebracht werden. Folgende Personas würden auf jeden Fall dazu gehören:

  • Blinde mit Screenreader
  • Sehbehinderte mit Vergrößerungssoftware
  • Menschen mit Lernbehinderung und Gehörlose
  • Menschen mit motorischen Einschränkungen – Eye-Tracking oder Sprachsteuerung

Dabei gehen wir der Einfachheit halber davon aus, dass alle Personas eine eher mittlere bis geringe technische Kompetenz haben – nicht weil das in der Realität so ist, sondern weil diese Gruppe die größten Probleme bei der Nutzung des Angebots haben wird. Wenn aber die Personen mit geringer Kompetenz zurechtkommen, dann werden alle anderen mit höherer Kompetenz ebenfalls zurecht kommen. Ich würde fast vermuten, dass der durchschnittliche Benutzer mit Behinderung ein wenig mehr Ahnung von Computern hat als der Nutzer ohne Behinderung, schon weil er sich täglich mit seiner zickigen Hilfssoftware rumschlagen muss.
Im Grunde müssen diese Personas nur einmal entworfen werden und das ist die meiste Arbeit. Schließlich müssen neben den Biographien auch die typischen Handlungsweisen auf Websites ermittelt werden, die teilweise durch die Hilfsmittel bestimmt sind. Sind die Personas einmal erstellt, spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, sie für alle Projekte einzusetzen und gegebenenfalls anzupassen.
Sind die Personas mit ihren typischen Handlungsweisen entworfen, müssen projektbasierte Szenarien entworfen werden. Eine Online-Banking-Anwendung erfordert andere Vorgehnsweisen als eine Shopping-Plattform.

Verhaltensmuster im Shopping

Eine typische Shopping-Anwendung bietet unterschiedliche Vorgehensweisen. Viele Leute werden sich erst einmal die Sonderangebote auf der Startseite anschauen. Die nächste Gruppe sucht ein bestimmtes Produkt und benutzt dafür die vorhandenen Kategorien, um sich durch die Produktgruppen zu bewegen. Andere wiederum suchen nach einem bestimmten Produkt direkt über die Shop-Suchmaschine.
Auch beim Bezahlen gibt es ganz unterschiedliche Vorgehensweisen. Blinde werden vielleicht versuchen, sich alle Formularelemente einer Seite anzeigen zu lassen. Dabei werden sie wahrscheinlich feststellen, dass ausgerechnet der Senden-Button ein Link mit Grafik und kein Formularbutton ist. Menschen mit anderen Behinderungen suchen nach bestimmten Symbolen wie Einkaufskörben oder Registrierkassen, wie sie von anderen Shopping-Sites bekannt sind. Blinde suchen nach der Maske, wo sie ihre Adresse oder ihre Kontodaten eingeben können, während andere Gruppen vielleicht nach den typischen Kreditkarten-Symbolen Ausschau halten. So kann man den kompletten Prozeß von der Auswahl der Waren bis zum Abschluß des Einkaufs für unterschiedliche Zielgruppen und Verhaltensmuster durchdeklinieren und optimieren.

Vorteil gegenüber Nutzertests

Personas finden ihre Verwendung vor allem bei der Definition von Anforderungen und im Entwurfsprozess. Viele Probleme, die ansonsten erst bei Nutzertests herauskommen würden, dürften so schon im Entwurfsprozess gelöst werden. Es ist nicht nur schwerer, sondern auch wesentlich teurer, eine Anwendung barrierefrei zu machen, wenn sie schon fast fertiggestellt wurde. An Tests mit echten Nutzern an der finalen Version führt aber dennoch kein Weg vorbei. Wie es anders geht zeigen das Bundesstrahlenamt und das Bundesgesundheitsministerium.

Vorteile von Personas

Ein Vorteil von Personas besteht darin, dass viele typische Probleme durch sie anschaulicher werden. Es klingt ein wenig anders, wenn man sagt, Hans kann nicht mit CAPTCHAs umgehen als wenn man sagt, Blinde können nicht mit CAPCHAs umgehen. Das Problem wird sehr viel greifbarer, weil man einen Namen und einen Menschen mit nachvollziehbaren Problemen vor sich hat statt einer abstrakten Gruppe mit abstrakten Problemen.
Das ist übrigens ein typischer journalistischer Trick. Ein Problem wird wesentlich anschaulicher, wenn wir es an einer konkreten Person mit einem Namen und einer Biographie festmachen. Dann spielt es auch keine Rolle, ob diese Person existiert oder nicht. Wichtig ist nur, dass wir uns in die Lage einer Person versetzen können, nicht aber in die Lage einer Gruppe.

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