Wie barrierefrei sind PDFs

Logo von PDF Eine ketzerische Frage und meine Freunde aus dem Desktop-Publishing würden mir ihre teuren Macs um die Ohren hauen. Doch ist die Frage meiner Einschätzung nach berechtigt.

PDF ist nicht für Barrierefreiheit angelegt

Das Web ist von seinem Fundament her so angelegt, dass es barrierefrei ist. Das dies nicht immer umgesetzt wird, steht auf einem anderen Blatt. Hat man nicht gerade die rechte Maustaste gesperrt, kann jeder in den Quellcode einer Website reinschauen, den Code seinen Anforderungen anpassen und so viele Fehler beheben, welche die Barrierefreiheit stören. Und es kann sein, dass man, wenn man die entsprechenden Redaktionssysteme oder Bibliotheken anwendet, quasi aus Versehen ohne Absicht eine barrierefreie Website erstellt.
PDF ist genau das Gegenteil: Ohne Spezialtools kann man den Code nicht sehen. Es ist von seinem Grundprinzip her nicht barrierefrei. Und es ist nicht möglich, nebenbei barrierefreie PDFs zu erzeugen. Wenn niemand sich die Arbeit macht oder sich der Notwendigkeit bewusst ist, wird das resultierende PDF nicht barrierefrei sein.

Semantik muss aufgepropft werden

Historisch gesehen ist eine Semantik in PDF nicht vorgesehen: Text-Strukturen, Bild-Beschreibungen, maschinen-lesbare Formatierungen gibt es in PDF und folglich in den meisten Autoren-Tools nicht. Das erschwert es auch, barrierefreie PDFs in den Publikationsprozess zu integrieren. Bis heute sind die Barrierefreiheits-Funktionen in InDesign oder Acrobat Professional von den eigentlichen Bearbeitungs-Tools separiert. Wer ein ePub mit InDesign erstellt und keine Ahnung von Barrierefreiheit hat wird ein nicht-barrierefreies Dokument bekommen.

Zu teuer, zu kompliziert, zu verschlossen

Es ist vergleichsweise teuer, zeitaufwendig und anspruchsvoll, barrierefreie PDFs zu erzeugen. Vergleichen wir die Prozedur einfach mit einem vergleichbaren Format: ePub.
ePub kann mit jedem Text-Editor barrierefrei gemacht werden. Wer es grafischer mag, arbeitet mit Calibre oder Sigil. Adobe Acrobat Pro kostet rund 600 €, die ePub-Programme kosten gar nichts.
Adobe Acrobat erfordert von Desktop-Publishern einen erheblichen Einarbeitungsaufwand. Wir reden von Leuten, die mit diesen Tools vertraut sind. Für Leute, die keine DTP-ler sind, ist der Aufwand deutlich höher. Und das, damit sie etwas machen, was die textverarbeitung oder ePub-Editoren fast nebenbei machen: Texte strukturieren, Bildbeschreibungen, einen vernünftigen Textfluss… Ich könnte jeden Menschen in die Erstellung barrierefreier ePub-Dateien einarbeiten – nur interessiert sich keiner dafür.
Dazu kommt, dass der Prozess der Erstellung vor allem mit Adobe Acrobat selbst sehr fehleranfällig ist. So viel Mist, wie ich in barrierefreien PDFs von Profis gesehen habe, kriege ich selbst auf schlecht programmierten Webseiten nicht zu Gesicht: Da sind Leerzeichen mitten in Worten, Tabellen sind ein reiner Wust, grafische Elemente sind nicht ausreichend vor Screenreadern versteckt und so weiter.
Nebenbei bemerkt gibt es ein Kuriosom: PDF erlaubt es ausdrücklich, den Zugang von Hilfstechnologien zu den Inhalten zu sperren. Schauen Sie einmal im Adobe Reader unter Datei – Eigenschaften- im Reiter Sicherheit. Das hat sicherlich mit irgendeinem DRM-Käse zu tun. Aber Adobe bzw. die PDF Association sollte sich eine Runde dafür schämen, dass sie so einen Mist zulassen.
Zwar ist PDF mittlerweile ein ISO-Standard. Es ist aber schon deshalb nicht offen, weil es ein Binärformat ist. Dagegen sind sogar die Microsoft-Formate ein Muster Beispiel an Offenheit. ePub ist vollkommen offen und vielleicht gerade deshalb unterschätzt. Ich bezweifle, dass man eine PDF-A-Datei in ferner Zukunft noch öffnen können wird.

Barrierefreies PDF ist eine Geldverbrennungsmaschine

Betrachtet man die Woman-Power, den Zeitaufwand und das Geld, das in barrierefreie PDFs gesteckt wird, muss man zu einem Schluss kommen: Barrierefreie PDFs sind eine gewaltige Ressourcenverschleuderung. Das wäre gerechtfertigt, wenn damit ein erheblicher Mehrwert verbunden wäre. Ist es aber in der Regel nicht.
Dieses Geld steht dann für andere Maßnahmen wie Gebärdensprache und Leichte Sprache nicht mehr zur Verfügung. In einer optimalen Welt hätten wir genügend Ressourcen für alle. In unserer unperfekten Welt sind die Ressourcen so endlich wie meine Geduld.

Adobe hat zu wenig getan

Adobe verdient kräftig mit am Boom barrierefreier PDFs. Doch hat es selbst nichts getan, um dem Thema mehr Schub zu verleihen.
So gibt es bislang keine kostengünstige Lösung, um PDFs in automatische Dokumenten-Workflows zu integrieren. Eine Bibliothek, die in technische Prozesse integriert werden könnte, würde den Prozess tatsächlich erleichtern. Oder server-basierte Routinen, die Webseiten automatisch in barrierefreie PDFs umwandeln. Oder ein Plugin für das gängigste Redaktionssystem WordPress. Oder eine KI, die das Erzeugen barrierefreier PDFs mit dem Acrobat erleichtert. Von Adobe kommt absolut nichts, warum auch, sie verdienen ja kräftig am Acrobat und den Lizenzen.

PDF-UA – eine geschlossene Gesellschaft

So großartig die Barrierefreie-Web-Szene ist, so unangenehm ist die Barrierefreie-PDF-Community. Das beginnt schon damit, dass man im eigentlichen Sinne nicht von einer Community, sondern von Dutzenden Einzelkämpfern sprechen kannn.
Daran liegt es, dass wenig bis kein Know-How zu barrierefreien PDFs im Internet frei und kostenlos verfügbar ist. Daran erkennt man auch den Geist der PDF-Community: Wer eine gute Lösung gefunden hat, behält diese für sich. Das macht Einsteigern sowohl die Einarbeitung als auch die Fehler-Suche schwierig.

Adobe ist schuld

Ausnahmsweise lässt sich der Schuldige für diese Situation eindeutig ausmachen: Er heißt Adobe.
Die Firma Adobe hat das Thema barrierefreie PDFs jahrelang verschlafen, zu spät aufgegriffen, halbherzig und miseralbe umgesetzt. Selbst Profis nutzen nicht Adobes pure Funktionen, sondern verwenden zusätzliche Tools und Erweiterungen. Man darf getrost alles, was Adobe zu Barrierefreiheit und Inklusion von sich gibt als Werbe-Geschwätz abtun. Was digitale Barrierefreiheit und barrierefreie Dokumente angeht ist Adobe der Bremsklotz schlechthin und wir wären ohne diese Firma besser dran.

Das Versagen der PDF Association

Die PDF-Association scheint ein Anhängsel von Adobe zu sein. Die Informationen, die von ihnen zu barrierefreien PDFs ausgegeben werden sind verwirrend und eigentlich für die Praxis irrelevant.
Ein Beispiel ist die Firma PDFlib. Sie lobt sich selbst für ihr Tool, das angelich barrierefreie PDFs produziert. Dabei ist weder das Whitepaper zu PDF UA noch die Dokumentation für das eigene Tool barrierefrei. So toll kann also das Tool nicht sein.

PDF ist ein historischer Fehlgriff

PDF hat seine Existenzberechtigung vor allem dem Umstand zu verdanken, dass es plattformunabhängig ist. Als Vorlage für Printprodukte hat es durchaus seine Vorzüge.
Für andere Zwecke ist es zweifellos in Ordnung. Office-Dokumente bergen ein Sicherheitsrisiko, ePub-Betrachter sind nicht in allen Systemen integriert. Und viele Dokumente werden tatsächlich ausgedruckt und nur zu diesem Zweck kurz am Bildschirm betrachtet.
Fürs Internet sind PDFs aber nicht geeignet. Broschüren werden als PDF online gestellt, weil sie als Abfallprodukt des Printprozesses ohnehin da sind. Nur wenige Apps und Programme können mehrspaltige Dokumente so optimieren, dass sie auf einem Smartphone vernünftig dargestellt werden und gut aussehen. Ich selber habe es noch nicht hinbekommen, ein barrierefreies PDF auf einem Smartphone lesen zu können. Aber das sind die Geräte, die heute primär im privaten und auch im beruflichen Bereich eingesetzt werden.
Nebenbei bleibt es mir ein Rätsel, warum man die Unsitte nach wie vor beibehält. Die für großformatigen Broschüren typische Mehrspaltigkeit mag im Printbereich ihre Vorzüge haben. Auf digitalen Geräten bietet Mehrspaltigkeit selbst bei großen Bildschirmen keinen Vorteil. Wie breit eine Textspalte angezeigt wird, lässt sich von der Breite des Programmfensters oder mit dem Leseprogramm einstellen. Der schlagende Vorteil des digitalen Lesens ist ja eigentlich, dass man alle Faktoren wie Schriftart, Größe, Kontrast und so weiterseinen Vorlieben anpassen kann. Genau diese Vorzüge sollen von PDF im Sinne des Erfinders ausgehebelt werden. Umgekehrt käme niemand auf die Idee, einen langen Text auf einer DIN-A-4-Seite auszudrucken und dabei immer nur die linke Hälfte dees Papiers zu bedrucken.
PDF ist also fast so tot wie Flash oder sollte es zumindest in Bezug auf das Internet sein.