Mustererkennung und Barrierefreiheit

Die Mustererkennung klingt zunächst trivial, ist aber tatsächlich eine der Künste, die Lebewesen dem Computer voraus haben. So haben es Computer und Kameras recht leicht, etwas als ein Gesicht zu identifizieren. Tatsächlich ist die Erkennung bestimmter Gesichter auch in Mainstream-Programmen wie Facebook angekommen.

Aber Computer scheitern dort, wo es darum geht, ein bestimmtes Gesicht aus einer beweglichen Menge zu erkennen. Wo ein Sehender problemlos seinen Kumpel aus dem Gewühl des Kölner Bahnhofs fischen kann, scheitern Computer bisher aufgrund der hohen Variabilität.
Wie stark solche Muster in uns verankert sein können zeigt auch, wie ungnädig die meisten Leute auf Veränderungen grafischer Benutzeroberflächen reagieren. Microsoft, das vielleicht alle 50 Jahre mal seine Oberflächen ändert, bekommt das jedes Mal zu spüren. Der Start-Button hat unten links zu sein, ansonsten gibt es Ärger. Jetzt bekommt sogar der Usability-Liebling Apple Ärger wegen des neuen Flat Designs. Flat Design und Microsofts Ribbon-Leiste in Office 2007 sind Beispiele dafür, wie Usability vom Nutzer abgelehnt werden kann. Was für den Neueinsteiger vielleicht besser ist, wird vom alten Hasen zurück gewiesen.
Muster sind ein Kernelement der Usability. Von Windows haben wir gelernt, dass der Bestätigen-Button links und der Abbrechen-Button rechts ist. Bei Apples iOS lernen wir, dass der Abbrechen-Button links und der Bestätigen-Button rechts ist. Nun mag man davon halten, was man will, aber eine eindeutige Design-Sprache in diesem Bereich würde sicher viele Fehleingaben vermeiden. Es geht nicht so sehr um die paar Milisekunden, die man benötigt, um die Button-Beschriftungen zu lesen, sondern vielmehr um die Verwirrung durch die Umstellung und um die Vermeidung von Fehlern.

Muster für Blinde

Bei Mustern denkt man spontan an visuelle Muster, aber auch für Blinde spielen Muster eine große Rolle. So wissen wir zum Beispiel, dass viele Websites nach dem Schema „Head – Navigation – Inhalt – Sidebar – Fuß“ aufgebaut sind. Bei Websites, die wir nicht regelmäßig aufsuchen, tippen wir solange auf „H“ für Überschrift, bis wir den Inhalt gefunden haben, und wenn wir die Navigation vor uns haben rechnen wir fest damit, dass bald der Inhalt kommt. Wenn stattdessen die Fußzeile kommt, wird es hakelig.
Ein typisches Muster ist auch der Absende-Button am Ende eines Formulars. Ist doch logisch, ich bekomme die Schritte in der Reihenfolge angezeigt, in der ich sie absolviere. Ich fülle also zuerst das Formular aus und sende es dann ab. Amazon Deutschland hingegen leuchtet diese Logik nicht ein. in der Webversion ist der Absende-Button vor den Daten, die man vor dem Absenden überprüfen möchte. Für Sehende ist dieser Button ohne Weiteres ersichtlich, für Blinde nicht. Ich glaube aber dass auch Sehende von einer klügeren Platzierung des Absende-Buttons hinter der Bestellübersicht profitieren würden, weil der Blickverlauf von oben nach unten verläuft, also nach der Überprüfung der Bestelldaten automatisch auf dem Absende-Button enden würde. Ihr dürft selber spekulieren, warum die Usability-Experten von Amazon das so angelegt haben.

Muster für andere Gruppen

Andere Gruppen profitieren davon, wenn eine Website konsistent aufgebaut ist. Dazu gehören Sehbehinderte mit hohen Vergrößerungsgraden, Menschen mit Leseschwäche oder Gedächcnisschwierigkeiten und so weiter.
Auch Inhalte können einheitlich aufgebaut werden. So kann ein Text in der Form eines Berichtes nach der umgekehrten Pyramide aufgebaut sein. Das Wichtigste steht am Anfang des Textes, weniger wichtige Informationen folgen mit absteigender Wichtigkeit. Alle 3 bis fünf Absätze kommt eine Zwischenüberschrift, am Ende des Artikels gibt es weiterführende Links, Buchempfehlungen und so weiter. Der Nutzer wird von ihm unbemerkt in einen Lernprozess geführt. Er lernt, wie die Website und die Texte aufgebaut sind und kommt in das, was man als Flow nennt, er flowt durch die Website, was seine Motivation erhöht, sie weiterzuempfehlen oder später noch einmal zurückzukehren.

Zeichen und Symbole

Zur Mustererkennung gehört allerdings noch mehr. Es gibt zum Beispiel grob geschätzt eine Millionen Schriftarten. Dennoch können wir, bis auf einige Ausnahmen wie Fraktalschrift die meisten Texte gut lesen, auch wenn sie in exotischeren Schriftarten gesetzt sind. Ein A sieht in Arial oder in Times New Roman immer noch wie ein A aus, oft kann nur ein Experte erkennen, welche Schriftart er vor sich hat.
Das heißt aber nicht, dass man beliebige Schriftarten einsetzen sollte. Je bekannter eine Schrift dem Leser ist, desto einfacher fällt es ihm, sie zu lesen. Die meisten Sehbehinderten oder Leseschwachen bevorzugen serifenfreie Schriften, weil die Verzierungen an den Buchstaben eine größere Herausforderung für die Augen sind. In manchen Schriftarten kann man das große I vom kleinen l nicht gut unterscheiden, anderswo sieht eine 5 wie ein S aus und so weiter.
Und bei Symbolen stehen wir vor ähnlichen Schwierigkeiten. Man mag von Microsoft halten, was man will, aber mit den Symbolen in Windows, Office und weiteren Programmen haben sie weitgehend unsere Vorstellung davon geprägt, wie Symbole für bestimmte Funktionen auszusehen haben. So kann kaum eine Anwendung auf die Schere verzichten, um Inhalte auszuschneiden, auf die Diskette zum Speichern, obwohl die meisten von uns seit Jahren keine Diskette mehr in der Hand hatten und so weiter.
Und das ist durchaus sinnvoll, denn es gibt kaum einen Grund, dem Nutzer neue Symbole für alte Funktionen beibringen zu wollen. Natürlich ist die konkrete Gestaltung dieser Symbole durch den jeweiligen Anbieter geschützt, aber die Idee eines Scherensymbols sollte frei verwendet werden können.

Fazit

Muster sind eine wesentliche Hilfe nicht nur für behinderte Nutzer. Die ausführlichen Styleguides großer Software-Produzenten wie Microsoft, Apple oder Google sind nicht dazu da, die Entwickler zu ärgern oder die Webdesigner abzuwürgen. Ihr Zweck ist eine übergreifende Informationsarchitektur die es ermöglicht, schnell, effizient und fehlerfrei zu arbeiten. Viele Entwickler vergessen, dass die Nutzer ihr Programm für eine bestimmte Aufgabe verwenden und nicht, um deren Kreativität zu bewundern. Die Aufgabe steht im Vordergrund und jede Störung bei der Erledigung derselben frustriert den Nutzer.

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