Sinnes-Substitution – der Ersatz der Sinne

Wer schon mal versucht hat, einem vollblind zur Welt gekommenden Menschen
Farben zu erklären weiß, wie schwierig das ist. Blinde können Formen haptisch erfassen, Gehörlose spüren die Rhytmen der Musik als Vibration. Intelektuell kann der Blinde erfassen, das ein bestimmter Rotton für Gefahr steht oder grün Frische repräsentiert, aber Farben und auch Musik wirken nicht intellektuell, sondern auf der emotionalen Ebene und diese Emotionen sind schwer zu erfassen, wenn der entsprechende Sinn fehlt oder gestört ist.
Sprache kann zwar ein adäquater Ersatz für Bilder sein, sie ist es aber nicht immer. Ich konnte mich zum Beispiel nie mit Audiodeskription für Filme anfreunden. Das mag auch daran liegen, dass die meisten Filme, die damit ausgestattet werden nicht mein Fall sind. Mein Problem ist, dass sich die Audiodeskription immer wie ein Fremdkörper über den Film legt und nicht organisch eingefügt ist. Häufig wird so getan, als ob Blinde durch AD eine ähnliche Wahrnehmung des Filmes hätten wie Sehende, das ist aber falsch.
Ein vielversprechender Ansatz, dieses Problem anders als rein verbal-deskriptiv anzugehen ist der Ersatz eines Sinnes durch einen anderen funktionierenden, der aber ähnlilch wirken kann. Ein einfacher, wenn auch unzulänglicher Ersatz für Musik oder Stimmaufnahmen ist etwa die Hullkurve, die einen Klang als Diagramm darstellt. Wer schon mal Interviews geschnitten hat kennt die charakteristische Form des „äh“, das ungefähr wie der Buchstabe h aussieht. Profis können in der Hullkurve einer Stimmaufnahme noch mehr Muster erkennen, was den Schnitt erleichtert.
Als Ersatz für Farbe bieten sich fast natürlich Klänge an. Hohe Töne und Geigen für helle Farben, tiefe Töne und Bässe für dunkle Farben.

Aus Klängen werden Räume

Wenn wir schon bei Klängen sind, können wir diese auch zur Beschreibung von Räumen nutzen. Ich bin an anderer Stelle schon auf die Klicksonar-Technik eingegangen, dabei verwenden blinde Menschen Klickgeräusche und deren Echo, um eine Art dreidimensionales Abbild einer Ortschaft zu erhalten. Wenn wir einen Raum in Musik übersetzen könnten wir zum Beispiel sagen, die Musik wird leiser, je weiter der Raum ist oder ein Gegenstand entfernt ist und lauter, je kleiner der Raum bzw. je näher der Gegenstand steht.
Für Gehörlose kann Musik in Gebärdensprache übersetzt werden. Wie das praktisch funktioniert, kann ich mangels eigener Erfahrung nicht sagen. Für mich vorstellbar wäre auch, Musikinstrumente als Farben zu übersetzen. Ich hatte oben schon erwähnt, wie Farben in Klänge übersetzt werden könnten. Daher ist auch der umgekehrte Weg denkbar, Musik wird in Farben übersetzt und mit Gebärdensprache ergänzt. Zusammen mit der Bewegung von Tänzern bzw. den Gebärden ergibt sich ein optisches Äquivalent zur Musik. Ein amerikanisches Projekt, das Musik für Gehörlose zugänglich machen möchte ist das Deaf Performing Artists Network.

Sinnesersatzgeräte

Der klassische Blindenstock hat sich wacker gehalten, erst in den letzten Jahren kommen neue elektronische Orientierungshilfen wie Ultraschall-Systeme auf dem Markt. Diese Systeme geben ein haptisches oder akkustisches Feedback, wenn zum Beispiel ein Objekt im Weg ist. Durch ein komplexeres Feedback wäre es theoretisch auch möglich, die Form und damit vielleicht sogar die Art des Gegenstandes zu erfassen. Wenn das mit Klicksonar geht, sollte es auch mit Ultraschall funktionieren. Bekannte Geräte aus diesem Bereich sind zum Beispiel K-Sonar oder iGlasses Ultrasonic Mobility Aid. Ich habe die beiden Geräte nie benutzt und kann daher nichts zu ihrer Tauglichkeit sagen. Wer es selber bauen möchte, Sonar Eye ist eine offene Variante dieser Systeme.
Ein vielleicht noch vielversprechenderer Ansatz sind die Sinnesersatzgeräte oder sensory substitution devices. Ein israelischer Forscher arbeitet an einem System, dass Farbe, Position und Form eines Objektes als Töne und Tonfolgen ausgibt.
Das klingt zunächst nicht so spektakulär, aber tatsächlich können die Nutzer nicht nur einzelne Gegenstände erkennen, was für einen Blinden schon super ist. Mit einigen Stunden Übung können sie sogar Gesichtsausdrücke erkennen. Wir stehen noch am Anfang dieser Entwicklung, so dass schwer zu sagen ist, wie viel Kompensation möglich ist, aber die Ansätze klingen auf jeden Fall vielversprechend.