Semantische Strukturierung von Texten

In der Regel haben Redakteure keinen Einfluss auf die technische Ausgestaltung von Redaktionssystemen. Deshalb können sie nur eingeschränkt auf die Möglichkeiten zur Strukturierung von Texten Einfluss nehmen.
Dennoch dürfte jedes aktuelle Redaktionssystem zumindest rudimentäre Möglichkeiten zur Textformatierung haben. Puristen wie ich arbeiten mit HTML, meiner Ansicht nach die einfachste Form der Textstrukturierung.
Beliebter sind jedoch die What-You-See-is-what-you-get oder kurz WYSIWYG-Editoren. In WordPress ist zum Beispiel der TinyMCE integriert, der an gängige Textverarbeitungen erinnert.
Weniger stark verbreitet sind Mischformen. Eine der bekannteren Formen der Textformatierung ist die Wiki-Syntax, wie sie in MediaWiki eingesetzt wird.
Der Nachteil von HTML und anderem Markup ist, dass man die Formatierungsanweisungen im Editor sehen kann. Für meinen Geschmack ist das aber ein Vorteil. Zum einen können so auch Blinde den Text formatieren. TinyMCE ist zwar mit Tastatur bedienbar, Mein Jaws und ich kommen damit aber nicht zurecht. Zum Anderen hat man volle Kontrolle über die Formatierung. Bei WordPress kommt es recht häufig zu seltsamen Umbrüchen, Formatierungen und Darstellungsproblemen, die man mühsam nachbearbeiten muss. Übrigens gibt es in TinyMCE in der erweiterten Ansicht die Möglichkeit, Formatierungen zu löschen und eine spezielle Funktion Einfügen von Text aus Word.

Strukturierung statt Aufhübschung

Ein sehr häufiger Fehler bei der Strukturierung von Texten ist der Einsatz von nichtsemantischem HTML oder CSS bei der Formatierung von Texten. Ich kann zum Beispiel eine Überschrift mit HTML als Überschrift kenntlich machen. Ich kann aber auch ein Div-Element verwenden und das ein wenig fetter und größer gestalten. Das ist übrigens die Regel, nicht die Ausnahme. Die meisten Tageszeitungen verfahren so. Fast immer ist die eigentliche Artikelüberschrift als Überschrift gekennzeichnet, die Zwischenüberschriften hingegen nicht.
Auch TinyMCE bietet in der WP-Standardkonfiguration keine Formatierungen für Zwischenüberschriften an.
Es kommt auch sehr häufig vor, dass Listen nicht korrekt formatiert werden. Die meisten Leute verfahren wie in Word, schreiben einen Bindestrich, ihren Text und drücken dann auf Return. Word bietet in der Standardeinstellung sofort per AutoFormat eine Auflistung an. Im Web klappt das aber nicht.
Dann gibt es noch die Zitate, die mit einer Einrückung gekennzeichnet werden. Ich sehe im Geiste die Redakteure vor mir, die mühsam mit der Tabulatortaste Einrückungen simulieren.
Und hier ist häufig schon Schluss. Abkürzungen und Kennzeichung von Sprachwechseln gehören sicher nicht zum Standardumfang von WYSIWYG-Editoren.

Warum das Ganze?

Blinde benötigen Zwischenüberschriften und Absätze, um Textabschnitte wenn nötig überspringen zu können. Außerdem gibt es im Screenreader verschiedene Möglichkeiten, Texte zu überfliegen, ich bin an anderer Stelle darauf eingegangen.
Für Menschen mit geringer Leseerfharung (funktionale Analphabeten), Lese-Rechtschreibschwäche oder Lernschwierigkeiten ist es hilfreich, wenn Texte sauber strukturiert werden. Dazu gehören unterschiedliche Zeilenlängen bwie im Flattersatz, weil sie dem Auge Orintierung bieten. Die gleiche Aufgabe erfüllen Absätze und Zwischenüberschriften. Aufzählungen, Zitate und Bilder geben dem Text zusätzliche Struktur und dem Leser bessere Orientierung.

Grenzen

Der HTML-Bestand der Redaktionssysteme ist eher begrenzt.n Einfache Tabellen lassen sich vielleicht noch einfügen, aber schon bei th oder caption dürfte Schluß sein.
Man kann sie auch nicht selber einfügen, weil die Systeme in der Regel Tags rausfiltern, die sie nicht kennen. Das gilt dann entsprechend für Abkürzungs- oder Sprachwechsel-Tags. Den Backend-Texteditor um solche Funktionen zu ergänzen dürfte aber die geringste Herausforderung sein.

Mehr Verständnis

Es gibt also kurz zusammengefasst zwei Kernprobleme bei der Strukturierung von Texten:

  1. Die Programmierer von Redaktionssystemen setzen nur Standardanforderungen um oder arbeiten gar mit Layout statt Struktur, setzen also CSS statt HTML ein.
  2. Die Reddakteure ihrerseits sind mit den Grundlagen der Strukturierung von Texten im Web nicht vertraut. Entweder kommen sie aus dem Printbereich, wo andere für das Layout zuständig sind. Oder sie sind gelernte Online-Redakteure, in deren Kursen HTML und CSS stiefmütterlich behandelt wird, weil Photoshop viel spannender ist

Barrierefreiheit muss daher auch bei der Programmierung des Redaktionssystems berücksichtigt werden.

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