Fortschritt in der digitalen Barrierefreiheit messen – Maturity Model oder Reifegradmodell


Wie an anderer Stelle gesagt ist es wichtig, Barrierefreiheit systematisch zu messen und zu dokumentieren. Vor allem, wenn man das Ziel einer stetigen Verbesserung verfolgt, muss man mit harten Daten arbeiten. Alles Andere läuft unter gefühlter Verbesserung und wird spätestens kassiert, wenn die Geschäftsführung wechselt. Wie ebenfalls anderswo ausgeführt ist die Datenbasis elementar für Fortschritt, das Controlling ist einer der wichtigsten Zweige der Führung einer Organisation. Was nicht in Zahlen gefasst werden kann ist nicht relevant.
Eine Möglichkeit, um dies zu tun ist das Reifegrad-Modell, im Englischen bekannt als Maturity Model. Hier gibt es verschiedene Modelle, die jeweils an die Organisation angepasst werden sollten.

Was ist ein Reifegrad-Modell?

Ein Maturity Model, auf Deutsch „Reifegradmodell“, ist ein Instrument zur Bewertung und Verbesserung von Prozessen und Praktiken in Organisationen oder Projekten. Es bietet eine strukturierte Methode zur Einschätzung der Reife und Wirksamkeit von Aktivitäten in einem bestimmten Bereich. Im Kontext der digitalen Barrierefreiheit zielt ein Maturity Model darauf ab, den Fortschritt bei der Schaffung barrierefreier digitaler Inhalte zu bewerten. Ein bekanntes Modell kommt von der Web Accessibility Initiative. Teils gibt es aber auch an bestimmte Branchen wie Hochschulen angepasste Modelle. Viele Modelle sind auch kostenpflichtig, wobei diese meines Erachtens aber keinen Vorteil bieten gegenüber dem, was frei verfügbar ist.

Die Struktur eines Maturity Models:

Ein Maturity Model besteht typischerweise aus verschiedenen Reifegradstufen oder -stufen, die den Fortschritt in einem bestimmten Bereich darstellen. Diese Stufen werden oft als Maturity Levels bezeichnet und können von Modell zu Modell variieren. Ein einfaches Beispiel für Maturity Levels in der digitalen Barrierefreiheit könnte sein:

  1. Anfangsstufe: In dieser Phase sind nur grundlegende Maßnahmen zur Barrierefreiheit ergriffen worden, und die Einhaltung der Standards ist minimal.
  2. Entwicklung: Es werden verstärkte Anstrengungen unternommen, um die Barrierefreiheit zu verbessern, aber sie ist noch nicht vollständig integriert.
  3. Konsolidierung: Die Barrierefreiheit ist eine etablierte Praxis in der Organisation, aber es gibt noch Raum für Verbesserungen.
  4. Exzellenz: Die Organisation hat Spitzenleistungen in der digitalen Barrierefreiheit erreicht und dient als Vorbild für andere.

Die Anwendung des Maturity Models in der digitalen Barrierefreiheit:

Die Anwendung eines Maturity Models in der digitalen Barrierefreiheit beginnt oft mit einer umfassenden Bewertung der bestehenden digitalen Inhalte und Prozesse. Dies kann sowohl eine interne Bewertung als auch eine externe Überprüfung durch Barrierefreiheits-Expertinnen oder Prüfstellen einschließen.
Anhand der Ergebnisse dieser Bewertung können Organisationen ihren aktuellen Reifegrad in Bezug auf die digitale Barrierefreiheit bestimmen. Auf dieser Grundlage können sie gezielte Maßnahmen zur Verbesserung ergreifen und einen klaren Plan zur Erreichung höherer Maturity Levels entwickeln.
Ein wesentlicher Vorteil der Anwendung eines Maturity Models besteht darin, dass es Organisationen ermöglicht, ihren Fortschritt im Laufe der Zeit zu verfolgen und messbare Ziele für die digitale Barrierefreiheit zu setzen. Dies schafft Transparenz und Rechenschaftspflicht und hilft, die Integration der Barrierefreiheit in die Unternehmenskultur zu fördern.

Warum ist das Maturity Model wichtig?

Das Maturity Model ist in der digitalen Barrierefreiheit von entscheidender Bedeutung aus mehreren Gründen:

  1. Messen des Fortschritts: Es bietet eine klare Methode, um den Fortschritt bei der Schaffung barrierefreier digitaler Inhalte zu messen und zu verfolgen.
  2. Ressourcenoptimierung: Organisationen können gezielt Ressourcen für die Bereiche zuweisen, in denen Verbesserungen am dringendsten erforderlich sind.
  3. Rechenschaftspflicht: Ein Maturity Model schafft eine klare Grundlage für die Berichterstattung und Rechenschaftspflicht in Bezug auf die digitale Barrierefreiheit.
  4. Verbesserung der Benutzererfahrung: Eine höhere Stufe im Maturity Model führt zu einer verbesserten Benutzererfahrung für alle, unabhängig von ihren Fähigkeiten.

Faktoren für ein Maturity-Modell für Ihre Organisation

Die folgenden Faktoren können als Basis für ein Reifegrad-Modell für digitale Barrierefreiheit in Ihrer Organisation dienen.

  1. Compliance mit Standards und Richtlinien: Die Einhaltung anerkannter Barrierefreiheitsstandards und -richtlinien ist ein entscheidender Faktor. Dies kann die Überprüfung der Einhaltung von Standards wie WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) einschließen.
  2. Barrierefreie Technologie: Die Verwendung von barrierefreien Technologien, Software und Entwicklungstools ist wichtig. Dies schließt die Nutzung von Technologien ein, die die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen berücksichtigen.
  3. Organisatorische Verpflichtung: Die Organisation sollte klare Richtlinien und Verpflichtungen zur Barrierefreiheit haben. Dies umfasst die Zuweisung von Verantwortlichkeiten, Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen.
  4. Barrierefreie Inhalte und Dokumentation: Die Bewertung der Barrierefreiheit von Webseiten, Dokumenten und Multimedia-Inhalten ist entscheidend. Dies kann auch die Bereitstellung barrierefreier Alternativen für nicht zugängliche Inhalte einschließen.
  5. Barrierefreiheitsbewertungen und -tests: Die Durchführung regelmäßiger Barrierefreiheitstests und -prüfungen, sowohl automatisiert als auch manuell, ist wichtig, um den Status der Barrierefreiheit zu bewerten.
  6. Schulung und Sensibilisierung: Die Schulung von Mitarbeitern und Beteiligten in Bezug auf Barrierefreiheit ist entscheidend. Dies kann die Schulung von Entwicklern, Designern und Redakteuren, aber auch die Sensibilisierung des gesamten Teams umfassen.
  7. Benutzerfeedback und Benutzererfahrung: Die Einbeziehung von Benutzerfeedback, insbesondere von Menschen mit Behinderungen, und die Verbesserung der Benutzererfahrung sind wichtige Indikatoren.
  8. Interner Entwicklungsprozess: Der Grad der Integration der Barrierefreiheit in den gesamten Entwicklungsprozess, von der Konzeption bis zur Umsetzung, ist von Bedeutung.
  9. Barrierefreiheitszertifizierungen: Die Teilnahme an unabhängigen Barrierefreiheitsprüfungen und -zertifizierungen kann den Reifegrad der Barrierefreiheit belegen.
  10. Barrierefreie Kommunikation: Die Fähigkeit zur barrierefreien Kommunikation mit Menschen mit Behinderungen ist ein wichtiger Aspekt der digitalen Barrierefreiheit.
  11. Monitoring und Reporting: Die Überwachung der Barrierefreiheit und die Erstellung von Berichten über den Fortschritt sind entscheidende Faktoren, um den Status der Barrierefreiheit zu verfolgen.
  12. Integration von Barrierefreiheit in die Unternehmenskultur: Die Integration von Barrierefreiheit als grundlegendes Prinzip in die Unternehmenskultur ist besonders wichtig.

Fazit

Wie immer gilt, dass ein Reifegradmodell nicht zum Angucken da ist. Die Erhebung sollte der erste Schritt in einer Barrierefreiheits-Strategie sein. Dazu gehört also auch eine regelmäßige Prüfung auf weitere Verbesserungen und natürlich das Starten von Maßnahmen dort, wo Schwächen festgestellt wurden.
Generell ist das Reifegrad-Modell vor allem für große und komplexe Organisationen wie Hochschulen und Behörden geeignet. Gibt es eigentlich eine Organisation in Deutschland, die so ein Modell betreibt, mir zumindest ist keines bekannt.

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