Was heißt barrierefreies Internet?


Vor zehn Jahren war es vorteilhaft, ins Internet zu kommen. Mittlerweile ist es ein echter Nachteil, nicht im Internet zu sein. Viele Produkte oder Dienstleistungen werden im Web kostenlos oder günstiger angeboten. Viele Informationen sind nur noch über das Netz verfügbar. Mit den sozialen Plattformen wird nicht nur der Austausch mit Freunden erleichtert, oft läuft die Suche nach Jobs komplett über Social Media.
Nicht zuletzt ist das Internet für viele Arbeitsplätze unverzichtbares Hilfsmittel. Wer also nicht ins Internet kommt, muss oft mit echten Nachteilen kämpfen.
Gleichzeitig ist das Internet für viele Menschen mit Behinderung nur schlecht oder kaum zugänglich, weil Webseiten und Inhalte nicht barrierefrei sind. Was Barrierefreiheit bedeutet, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Barrierefreiheit – die Definition

Das Behindertengleichstellungsgesetz definiert in Paragraph 4 Barrierefreiheit folgendermaßen:

„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“

Die Definition klingt etwas sperrig, nennt aber die wesentlichen Punkte. Was heißt das im Bezug auf das Internet?
– In der allgemein üblichen Weise bedeutet, es wird zum Beispiel keine spezielle Version der Webseite für Menschen mit Behinderung angeboten, etwa eine Textversion einer Webseite für Blinde.
– Ohne besondere Erschwernis heißt, es dürfen keine zusätzlichen Anforderungen für Menschen mit Behinderung gestellt werden, damit die Webseite benutzbar ist. Das könnte z.B. die Installation einer zusätzlichen Software sein.
– Eine Webseite muss so gestaltet sein, dass sie grundsätzlich ohne fremde Hilfe bedienbar ist. Dass in Einzelfällen Hilfe benötigt wird, ist in der Praxis unvermeidlich, aber die Programmierer dürfen diese fremde Hilfe nicht einkalkulieren. Ein gutes Beispiel dafür sind die graphischen Codes (CAPTCHAs), die oft gelöst werden müssen, wenn man sich für einen Dienst registrieren möchte. Sie sind für Blinde und Sehbehinderte oft ohne Fremde Hilfe nicht lösbar, deswegen sollen alternative Lösungswege angeboten werden.
Die wesentlichen Regeln zur Barrierefreiheit im Internet stehen in den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) des World Wide Web Consortium (W3C). Das W3C entwickelt Richtlinien und Empfehlungen für das Internet und beschäftigt eine spezielle Arbeitsgruppe, die sich mit der Barrierefreiheit von Webinhalten befasst.
Die letzte Version – die WCAG 2.1 – wurde 2018 veröffentlicht und im Auftrag der Aktion Mensch ins Deutsche übersetzt.

Prinzipien der Barrierefreiheit

Obwohl die Barrierefreiheit für verschiedene Bereiche wie Bauen, Mobilität oder Informationstechnik jeweils eigene Anforderungen stellt, lassen sich alle Anforderungen auf drei Grundsätze zurückführen.

Das Mehrkanal-Prinzip

Die wichtigste Grundlage der Barrierefreiheit ist das Mehrkanalprinzip oder 2-Sinne-Prinzip. Damit ist gemeint, dass eine Aktion auf mindestens zwei Weisen erledigt werden kann oder eine Information über mindestens zwei Wege zugänglich ist.
Das heißt zum Beispiel, dass eine Webseite sowohl per Maus als auch per Tastatur bedienbar sein muss oder dass ein Bild einen alternativen Text für Blinde hat oder das ein Video mit Untertitel für Gehörlose ausgestattet wird.

Selbständigkeit

Menschen mit Behinderung müssen grundsätzlich in der Lage sein, eine Aufgabe selbständig ohne fremde Hilfe erledigen zu können, damit man von Barrierefreiheit sprechen kann. Wie oben erwähnt ist das in der Praxis nicht immer möglich. Der Webseitenbetreiber kann sich aber nicht darauf zurückziehen, dass der Betroffene sich Hilfe holen kann, wenn er nicht zurecht kommt.

Universelles Design

Optimal ist es, wenn eine Lösung für alle Menschen entwickelt wird. Vor einigen Jahren gab es noch spezielle Textversionen von Webseiten für Blinde. Eine Bank nannte ihre Webseite zum Online-Banking für Blinde barrierefrei. Das Problem war, dass diese Webseite im Gegensatz zur regulären Banking-Seite oft nicht funktionierte und einen Bruchteil der Funktionen der allgemeinen Banking-Seite enthielt. Universelles Design bedeutet, dass es eine Lösung für alle Anwender gibt, der Nutzer muss lediglich die Möglichkeit haben, die Lösung an seine Bedürfnisse anpassen zu können.

Die Anforderungen von Menschen mit Behinderung

Grundsätzlich lassen sich vier Formen von Behinderung unterscheiden
– Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit
– Blindheit und Sehbehinderung
– motorische Behinderung
– Lernbehinderung
Einzelne Behinderungsformen stellen teilweise unterschiedliche Anforderungen an die Barrierefreiheit. Sogar innerhalb der einzelnen Gruppen können die Anforderungen sehr unterschiedlich sein.
Sehbehinderte sind vor allem auf starke Kontraste und Textvergrößerung angewiesen. Blinden hingegen sind die Kontraste relativ egal, sie benötigen hauptsächlich Textalternativen und Strukturelemente für Überschriften oder Listen.
Schwerhörige Menschen haben vor allem Probleme, wenn es um Audio- oder Videoinhalte geht. Gehörlose sind auf Untertitel oder Inhalte in Gebärdensprache angewiesen.
Menschen mit motorischer Behinderung arbeiten je nach dem, wie stark ihre Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist mit der Tastatur oder mit speziellen Eingabesystemen wie der Augensteuerung. Für sie ist also vor allem die Tastaturbedienbarkeit wichtig und sie brauchen große Klickflächen, da sie Schwierigkeiten haben, eine Maus exakt zu steuern.
Menschen mit Lernbehinderung stoßen auf die größten Probleme. Sie benötigen Inhalte in Leichter Sprache und eine relativ einfache Seitenstruktur.

Wie sieht die Zukunft aus?

In den letzten Jahren hat sich das Web sehr schnell weiter entwickelt. Web 2.0-Anwendungen wie Facebook, Twitter oder Google+ stellen neue Herausforderungen an die Entwickler barrierefreier Webseiten und Hilfstechnik.
Gleichzeitig hat sich durch Smartphones und Tablet-PCs auch für Menschen mit Behinderung der Zugang zum Internet verändert. Kleine Anwendungen, die Apps, erleichtern den Zugang und die Nutzung des Internets. Tablets und Smartphones haben oft Hilfstechnik eingebaut, so dass sie für Menschen mit Behinderung den Zugang zum Internet erleichtern. Blinde und Sehbehinderte können sich zum Beispiel von ihrem Smartphone durch die Stadt navigieren lassen, Rollstuhlfahrer finden mit Wheelmap barrierefreie Orte.
Gerade weil sich vieles verbessert hat und die Menschen immer stärker im Internet unterwegs sind, werden Menschen mit Behinderung In Zukunft noch aktiver ein barrierefreies Internet einfordern.