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Meine Erfahrung mit dem Barrierefreiheitsstärkungs-Gesetz

Mit dem BFSG fängt die Arbeit erst an.

Jetzt ist es also da, das BFSG. Die Übergangsfrist ist heute, am 28.6.2025 abgelaufen, die Expertinnen staunen und die Laien wundern sich.
Obwohl ich lange dabei bin, war es auch für mich das erste Gesetz, das ich von seiner Entstehung im Rahmen des European Accessibility Act bis zu der Umsetzung live miterlebt bzw. verfolgt habe. Bei der BITV 2.0 2012 bzw. 2019 konnte man die Entwicklung mangels ausführlicher Kommunikation auf Social Media nicht so stark verfolgen, auch wenn es ähnlich viele Sorgenfalten ausgelöst haben dürfte.

Chaos pur

Man muss sagen, dass die Umsetzung weniger als suboptimal gelaufen ist. Während der European Accessibility Act noch halbwegs überschaubar war, haben die nationalen Gesetze und ihre Unterschiede das Ziel konterkariert. Ein Ziel des EAA war ja der einheitliche Markt für Barrierefreiheit für die EU. Wie zu erwarten war wurde das Ziel verfehlt.
Aber auch in Deutschland stoßen wir auf die übliche Herausforderung. Während viele Details haarklein festgelegt werden wurden viele große Fragen offen gelassen. Standards, die im Grunde benötigt werden wie Normen zur Text-Gestaltung, zur Dokumentation oder die Konformitätserklärung werden auf absehbare Zeit nicht fertig sein. Einige Länder hatten bis zuletzt den Staatsvertrag nicht unterzeichnet, so dass die Marktüberwachung nicht ihre Arbeit aufnehmen konnte. Die Kommunikation der verantwortlichen Stellen war wenig konsistent, jede Antwort wirft neue Fragen auf.

Schlechte Kommunikation durch BF-Profis

Ich gelte nicht umsonst als Nestbeschmutzer in der BF-Szene, deshalb darf ich sie auch ungeniert kritisieren.
Einige BF-Profis haben, vermutlich durch Akquise-Interessen getrieben, eine sehr negative Kommunikation zum BFSG betrieben. Es wurde etwa suggeriert, alle Websites müssten vollständig barrierefrei sein, es müsste Leichte Sprache verwendet werden und so weiter. Auch gab es jede Menge Newcomer, von denen man noch nie gehört hat, die auf einmal Expertise hatten. Es war und ist teilweise noch Wilder Westen, jeder, der drei Mal WCAG sagt, hat Chancen auf einen Auftragt. Statt für die Vorteile der Barrierefreiheit zu werben wurde nur noch über das Gesetz gesprochen. Kein Wunder, dass viele nur das Nötigste machen wollen.
Diese toxische Kommunikation hat zusätzlich zum Erfolg der Accessibility-Overlays beigetragen. Wer die Leute einschüchtert statt sie aufzuklären treibt sie direkt in die Arme der Rattenfänger.

Die Verpflichteten – mehr Schein als Sein

Leider ist auch auf Seite der Verpflichtenden vieles schief gelaufen. Ich nutze privat einige Angebote wie Banken-Dienstleistungen oder Onlineshops, da ist wenig besser und vieles sogar schlechter geworden im letzten Jahr. Sie sind von Konformität immer noch so weit entfernt wie vor dem BFSG.
1 Jahr oder fünf Jahre Übergangsfrist macht leider keinen großen Unterschied. Viele haben spät, sehr viele zu spät angefangen. Spätestens 2022 hätte man entspannt loslegen können. Viele haben aber erst wenige Monate vor dem Juni 2025 angefangen, das Thema wurde offensichtlich komplett unterschätzt. Wenn man weiß, wie komplex Produktzyklen von der Implementierung von Änderungen bis zur Veröffentlichung sind, ist das Verhalten der Kunden nicht nachvollziebar.
Ich habe bereits einige Erklärungen zur Barrierefreiheit für das BFSG gesehen und leider sind sie alle unzutreffend, wenn sie volle Konformität erklären. Ich möchte hier keine Namen nennen, auch wenn es nicht meine Kunden waren. Aber allein der Umstand, dass Überschriften in den Erklärungen einfach nur fett gemacht wurden statt sie korrekt als Überschriften auszuzeichnen zeigt, dass da noch viel zu tun ist. Und nein, das war nicht das einzige Problem, da war deutlich Schwerwiegenderes zu finden wie mangelnde Tastatur-Bedienbarkeit, Animationen ohne Pause-Möglichkeit oder Form-Elemente ohne Labels, also nichts, worüber BF-Profis streiten würden.
Auch halte ich die Verwendung des Begriffs „Erklärung zur Barrierefreiheit“ für einen Fehler. Das ist ein feststehender Begriff aus der BITV, wo klar definiert wird, was rein gehört. Man spricht im Kontext des BFSG eher von „Information zur Barrierefreiheit“.

Fazit: Alles auf Anfang

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass sich niemand mit Ruhm bekleckert hat: Die Behörden und Autoritäten durch schlechte Kommunikation und ehlende Standards, die Kunden durch Abwarten und die BF-Profis durch toxische Kommunikation.
Der 28.6.2025 ist nicht das ende, sondern erst der Anfang einer Entwicklung. Zwar wird es auf absehbare Zeit keine neuen Gesetze geben. Andererseits ändert sich die Haltung vieler Verbraucherinnen und Verbände. Der Druck, Barrierefreiheit besser und flächendeckend umzusetzen wird steigen. Die Kundinnen stimmen heute mit Maust, Tastatur und Screenreader ab und sind immer weniger bereit, schlechte Qualität zu dulden.