Vorträge vor Schwerhörigen halten – darauf solltet ihr achten

Regelmäßige Leser meines Blogs wissen, dass ich auf einem Ohr praktisch taub bin und auf dem anderen nur eingeschränkt höre. Da ich daneben auch viele Vorträge und Workshops halte, finde ich das Thema hörgerechte Vorträge aus jeder Perspektive wichtig.

Gehörlos im Gottesdienst

Als Hörgeschädigter ist man halligen Räumen abgeneigt. Das Ohr kann Stimmen nicht vernünftig herausfiltern, so dass man nur Gebrabel hört. Zwar ist man als ungläubiger Kirchenbesucher fast dankbar, die Predigt nicht zu verstehen. Angesichts des demografischen Wandels, der in der Kirche noch wesentlich schneller statt findet bleibt aber die Frage,ob die Kirche mit Leuten umgehen kann, die weder gut sehen noch hören können. Kirchen sind schummrige Räume, also nicht optimal, um Gesangstexte mitzulesen. Das nur nebenbei. Die Kirche ist kein Ort für alte Männer – und Frauen.

Das größte Problem sind Nebengeräusche

Schwierig sind vor allem auch Situationen mit einem hohen Anteil an Nebengeräuschen. Da reicht schon das schlecht isolierte Fenster, durch das die Verkehrsstraße durchschallt. Oder, was ich auch schon häufiger hatte, man hört nicht nur den eigenen Vortragenden, sondern auch den von nebenan.
Ganz unangenehm sind Mensen und Kantinen. Der Pegel an Nebengeräuschen ist extrem, hinzu kommen die Geräusche , die durch Besteck und Geschirr ausgelöst werden. Und natürlich haben diese Räume durch die oft hohen Decken einen unheimlichen Hall. Für einen Schwerhörigen ist es das Worst Case. Leider ist die Situation bei vielen Veranstaltungen ähnlich, denn auch hier sind Mahlzeiten in großen Sälen üblich. Ob das tatsächlich die Kommunikation fördert, möchte ich mal dahin gestellt sein lassen.

Raum checken

Zunächst einmal solltet ihr den Raum rechtzeitig vor dem Vortrag in Augenschein nehmen. Wichtig ist die Größe des Raums sowie die Entfernung zum am weitesten entfernt sitzenden Teilnehmer.
Zu prüfen sind die Lautstärke von Heizung und Klimaanlage. Letztere verursachen oft ein unangenehmes Rauschen.
Ist keine Soundanlage vorhanden, sollten die Leute möglichst nahe zusammen und am Redner sitzen. Nötigenfalls stellt die Tische und Stühle so auf, dass sich das nicht vermeiden lässt. Aus irgend einem Grund mögen es die Deutschen, sich möglichst weit voneinander wegzusetzen als ob der Sitzer eine ansteckende Krankheit hätte. Wenn sich aber 30 Leute in einem Raum verteilen, der für 100 Personen ausgelegt ist, macht das weder für sie noch für den Vortragenden die Situation einfacher.
Von Vorteil sind Vorhänge, Teppiche und andere weiche Materialien. Sie schlucken störende Nebengeräusche wie Stühlerücken und ähnliches. Das kann man sich nicht immer aussuchen, aber manchmal schon.
Liegen die Fenster an einer Hauptverkehrsader, sollte das zu der entsprechenden Zeit überprüft werden. Man kann da im Prinzip nichts machen, sollte aber solche Räume nicht bevorzugen.

Tipps für den Redner

Zunächst ist es von Vorteil, eine tiefe Stimme zu haben. Leider sind wir nicht alle mit einem Bariton gesegnet, aber ein bißchen was lässt sich durch Stimmtraining machen.
Die Grundregel für jeden Redner ist: Langsam und deutlich sprechen. Nicht jedes Wort muss roboterhaft artikuliert werden. Allerdings sollten Dialekte und andere Sprach-Eigenheiten zurückgefahren werden.
Natürlich sollten wir Tempo und so weiter variieren, schließlich soll das Publikum nicht einschlafen. Alles sollte aber in einem bestimmten Rahmen bleiben.
Der Redner sollte sich immer dem Publikum zuwenden. Vieles lässt sich von den Lippen ablesen sowie aus Gestik und Mimik ableiten. Sorgt dafür, dass ihr auch in den hinteren Reihen gut gesehen werdet und gut ausgeleuchtet seid. Man ist kein guter Redner, wenn man seine Notizen verliebt anguckt oder sich ständig zur Präsentation umdreht.
Sorgt für zusätzlichen Input. Ich fasse die wichtigsten Infos jeweils auf einer Folie zusammen, die parallel angezeigt wird. Wer mich also nicht versteht, kann kurz nachlesen. Der Nachteil ist, dass die Folien recht textlastig sind. Aber das ist ein in meinen Augen sinnvoller Kompromiss.
In Räumen ohne Sound-Anlage sollte Getuschel im Publikum möglichst sofort unterbunden werden. Das ist ohnehin kein gutes Zeichen, stört aber die Umsitzenden.
Für sehende Redner ist es ganz hilfreich, sofortiges Feedback zu bekommen. Wenn ihm die Leute einschlafen kann das an dem unspannenden Thema liegen. Oder daran, dass das Zuhören zu anstrengend ist.
Mein Vorschlag wäre, verschieden farbige Karten zu verteilen, mit denen die Zuhörer winken können. Zum Beispiel grün für „du redest zu schnell“, blau für „bitte lauter“ oder rot für „kapier ich nicht“. Es ist ein guter Service des Redners. Bei blinden Rednern funktioniert das natürlich nicht, aber dafür gibts die Assistenz. Die Hemmschwelle, etwas hoch zu halten ist geringer als das laute Aussprechen eines Problems.

Auch Hörende profitieren

Der Redner mag noch so gut sein, wenn er zu leise spricht, wird er sein Publikum verlieren. Wer sich darauf konzentrieren muss, jedes Wort zu verstehen hat weniger Ressourcen zum Verstehen und Einprägen des Gesagten. Nervosität breitet sich aus und die Leute gehen sich einen Kaffee holen und kommen nicht mehr wieder.
Nun kann man trainieren, laut zu sprechen. Bei Manchen ist das aber schwierig. Gerade helle Stimmen sind schnell schlecht zu verstehen, wenn sie laut sind. Vor allem Frauen scheint es schwer zu fallen, die Stimme zu erheben. Und wenn sie es tun, sind sie oft trotzdem schwer zu verstehen.

Höranlage im Eigenbau

Nun verfügen nicht alle Räume über Mikrofon und Lautsprecheranlage. Mit der heutigen Technik kann man sich aber relativ gut selbst helfen.
Die Technik ist schnell zusammengestellt. Gebraucht wird ein guter Bluetooth- oder anderer Funkkopfhörer für den Schwerhörigen. Der Kopfhörer sollte den Sprecher möglichst ohne Verzögerung übertragen können. Schließlich müssen Mimik, Gestik und das Gesagte zusammenpassen. Der Sprecher verwendet ein Headset, welches entweder seperat funktioniert oder an den Computer angeschlossen ist. Der Computer überträgt das Gesprochene per Kabel oder Funk an den schwerhörigen Zuhörer. Das nötige Equipment sollte nicht mehr als 150 Euro kosten.
Da viele Leute heutzutage mit Smartphones oder Tablets ausgestattet sind, kann man eventuell auch mit diesen Geräten arbeiten. Eventuell lässt sich der Sound per W-LAN oder Bluetooth übertragen. Leider bin ich nicht wirklich tief in der Sound-Technik drin. Aber nach meiner Einschätzung sollte das technisch machbar sein. Wenn man sich die Sprachqualität von Skype, WhatsApp oder Facebook anschaut, ist die Sprachqualität schon besser als im Mobilfunknetz. Nur die Latenz bei der Übertragung könnte noch ein Problem sein.
Ist der Raum ein wenig größer und der Sprecher stimmlich vielleicht nicht so laut, bietet sich ein funkbasiertes Surround-System an. Natürlich sollte es nicht das Billigste sein, schließlich ist die Sprachverständlichkeit extrem wichtig. Funkbasiert, weil man so Probleme mit der Verlage von Kabeln vermeidet und beim Aufstellen viel Freiheit hat. Die Positionierung der Boxen sollte von einer damit erfahrenen Person vorgenommen werden.
Wenn man solche Technik einsetzt, muss sie qualitativ ausreichend sein und einwandfrei funktionieren. Es hilft weder dem Sprecher noch dem Veranstalter oder den Teilnehmern, wenn die Anlage rauscht, Puff-Geräusche nicht filtern kann oder Rückkopplungen verursacht.

Schwerhörige nach vorn

Nun möchte ich den Schwerhörigen die Verantwortung nicht ganz absprechen. Wer sich nicht traut, dem Veranstalter oder Redner vorher mitzuteilen, dass spezielle Vorkehrungen für ihn notwendig sind, muss Probleme in Kauf nehmen. Unsere hellseherischen Fähigkeiten sind begrenzt.
Zudem sollte man sich natürlich bei einer Hörschädigung nicht ausgerechnet in die letzte Reihe setzen. Niemand muss sich öffentlich bekennen, wenn er nicht möchte. Aber auch wir können nicht erraten, was das Problem sein könnte, wenn uns jemand entflieht.