Barrierefreiheit hat ohne Automatisierung keine Chance

Automatische Barrierefreiheit ist teilweise zurecht in Verruf geraten. Das liegt vor allem an den sogenannten Accessibility Overlays, welche meistens nichts zur Barrierefreiheit einer Website beitragen, sie aber oft sogar verschlechtern.
Mein Eindruck ist allerdings auch, dass viele Personen strukturkonservativ sind bzw. befürchten, dass sie Aufträge durch Automatisierung verlieren könnten. Man sieht das deutlich an der Übersetzungs-Branche. Tools wie DeepL oder der Google Übersetzer sind in den letzten Jahren für Texte in Alltagssprache immer besser geworden. Fachtexte sind ein anderes Thema.
Ja, es gibt grottenschlechte Übersetzungen, die schlechter sind als die wortwörtlichen Übersetzungen von Tools aus den späten 90ern. In derRegel geht es aber um Nutzwert-Text, nicht um literarische Qualität.
Und wir brauchen gute Übersetzungs-Werkzeuge. Es gibt halt Menschen, welche die Originalsprache nicht gut genug verstehen. Gleichzeitig gibt es aber die Notwendigkeit für viele Menschen, Texte in anderen Sprachen zu verstehen.
Analoge Probleme finden wir in der Barrierefreiheit. In den nächsten Jahren wird der Bedarf an Prüfungen drastisch steigen, wenn es einige Unternehmen mit der Barrierefreiheit ernst nehmen. Meinens Erachtens ist die Prüfroutine, wie sie sich heute etabliert hat mit den aufgeblasenen BITV-Tests nicht zielführend. Die tausende Personentage, die da reingesteckt werden, lassen sich auch sinnvoller verwenden. Aktuell ist der Ablauf so: Wir machen es falsch, lassen es testen, machen es ein bisschen weniger falsch, lassen es testen und immer so weiter.
Ohne Automatisierung werden wir kaum eines der Ziele der Barrierefreiheit erreichen. Entwickelnde und Designende benötigen Werkzeuge, die direkt in ihre Workflows integriert sind und ihnen helfen, Fehler zu vermeiden, sie zu erkennen und zu beheben. Wir brauchen Speech-to-Text-Enginges, die Filme automatisch untertiteln oder Podcasts in Text umwandeln. Wir brauchen Tools, welche es auch Laien ermöglichen, verständlichere Texte zu schreiben.
Mit den heutigen Ressourcen ist es nicht möglich, so viele Barrierefreiheits-Profis zu schaffen, wie wir sie bräuchten. Es gibt zu wenig Nachwuchs – wie viele Profis unter 35 kennen Sie – und die Nicht-Barrierefreiheits-Profis sind schon damit beschäftigt, in ihrer eigenen Disziplin auf dem Laufenden zu bleiben.
Was wir aktuell zu spüren bekommen ist weniger der Mangel an Fachleuten für Barrierefreiheit. Wir haben insgesamt einen Mangel an menschlicher Arbeitskraft und finanziellen Mitteln. Der Gedanke ist absurd, dass es immer noch Leute gibt, die manuell Dinge tun, die man völlig automatisiert erledigen könnte.
Nun behauptet keiner, dass Automatisierung alle Probleme löst. Wir brauchen auf jeden Fall noch bessere Tools. Ich habe allerdings schon lange vorgeschlagen, die drei Methoden Automatisierung, heuristische Experten-Analyse und Feedback von Nutzenden kombiniert zu verwenden.

Technik wird nicht alle Probleme lösen

Gleichzeitig sei vor naivem Technik-Optimismus gewarnt. Es gibt zwei Arten von Vorhersagen: Realistisch und utopistisch. Realisten schreiben im Prinzip aktuell vorhandene Entwicklungen einfach fort: Computer werden ein wenig schneller, Autos ein wenig sparsamer und so weiter. Utopisten versuchen vorauszusehen, was es noch nicht gibt. Häufig folgen sie einem naivem Zwangs-Optismus, erkennbar an der aktuellen Umweltpoliti. Ersetzen wir alle Verbrenner-Autos durch Elektro-Autos, schaffen die fossilen Energien für das Heizen ab und heizen nur noch mit Strom, werden wir gewaltige Mengen an Strom und Speicher-Kapazitäten benötigen. Diese sind mit der aktuellen technischen Innovation nicht zu schaffen.
Genausowenig werden wir technische Lösungen entwickeln, die alle heutigen Barrierefreiheits-Probleme lösen. Zumindest nicht in der Lebenszeit der heutigen Erwachsenen.

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