Das Barrierefreiheitsstärkungs-Gesetz hat zu einer Flut an neuen Tools geführt. Die Buzzwords KI, Automatisierung, alles ganz einfach dürfen dabei nicht fehlen. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht ein neues Tool angetragen bekommen. Leider bringt kaum ein neues Tool die erhofften Erleichterungen.
Buzzwords statt Lösungen
Die Mehrheit der Anbieter neuer digitaler Tools zur Barrierefreiheit präsentiert sich mit einer optisch ansprechenden, modern gestalteten Website. Beim Besuch solcher Seiten wird man schnell mit einer Vielzahl wohlklingender Schlagworte konfrontiert: Begriffe wie „Künstliche Intelligenz“, „Automatisierung“, „intuitiv“, „einfach verständlich“ oder gar „1-Klick-Lösung“ dominieren die Selbstdarstellung. Diese Buzzwords sollen Innovationskraft, technische Raffinesse und Benutzerfreundlichkeit suggerieren – häufig ohne dass sofort klar wird, welche konkreten Funktionen oder tatsächlichen Vorteile sich hinter diesen Versprechen verbergen. Der Fokus liegt oft mehr auf dem Marketing als auf einer transparenten Darstellung der tatsächlichen Leistungen des Produkts.
Die Lösungen versprechen mehr, als sie tatsächlich leisten können. Oft erwecken sie den Eindruck, dass digitale Barrierefreiheit mit minimalem Aufwand vollständig und dauerhaft erreicht werden könne – zum Beispiel durch automatisierte Prüfungen, KI-basierte Korrekturen oder Plugins, die angeblich alle Anforderungen der Barrierefreiheit mit einem einzigen Klick erfüllen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass diese Versprechungen nur selten eingehalten werden. Technische Barrieren werden nicht konsequent beseitigt, semantische und strukturelle Probleme bleiben bestehen, und vor allem werden die individuellen Bedürfnisse von Nutzer*innen mit Behinderungen häufig nicht angemessen berücksichtigt. Anstelle einer ganzheitlichen und nachhaltigen Herangehensweise dominieren oft kurzfristige, oberflächliche Lösungen, die den Eindruck von Barrierefreiheit erzeugen, ohne deren tatsächliche Umsetzung sicherzustellen.
Natürlich dürfen die Overlays hier nicht als Musterbeispiel fehlen. Sie sind jedoch nicht die einzigen Anbieter dieser Art, sondern nur das auffälligste Beispiel. Wir können uns merken: Wenn die Worte „ganz einfach“ und „digitale Barrierefreiheit“ in einem Satz fallen, dann dürfte irgendwas nicht stimmen.
Je aggressiver die Akquise, desto schlechter das Tool
Je aggressiver die Akquise betrieben wird, desto größer ist oft der Zweifel an der tatsächlichen Qualität des angebotenen Tools. Anbieter, die mit aufdringlichem Marketing, regelmäßigen Cold Calls, massenhaften E-Mails oder dem
gezielten Ansprechen von Entscheidungsträgern ohne technisches Hintergrundwissen arbeiten, setzen häufig auf Verkauf statt Substanz. Diese Form der Akquise legt nahe, dass das Produkt nicht aus eigener Überzeugung oder durch nachweisbare Erfolge auf dem Markt überzeugt, sondern durch Druck und glänzende Versprechen verkauft werden muss. Statt eines fundierten, nachhaltigen Ansatzes zur digitalen Barrierefreiheit wird häufig ein schneller, scheinbar unkomplizierter Weg angeboten – oft ohne Rücksicht auf Standards wie die WCAG, echte Usability-Tests mit betroffenen Nutzer*innen oder langfristige Wartbarkeit. In solchen Fällen dient die Akquise nicht der Aufklärung, sondern primär dem schnellen Abschluss. Und das wiederum wirft die Frage auf: Wenn das Tool so gut wäre, wie behauptet – müsste man es dann überhaupt so aggressiv verkaufen? Klappern und Übertreibungen gehören in gewissem Maße zum Marketing, falsche Versprechungen nicht.
Sorry für die Überstrapazierung der Overlays, aber sie sind das Muster-Beispiel: Wenn mein Lieblings-Anbieter, Eingeweihte wissen, wen ich meine, vor allem kleine und mittlere Anbieter gezielt mit Telefonterror, falschen Informationen und Drohungen einschüchtert, sind die Spielregeln des anständigen Geschäfts-Gebahrens weit überschritten. Ein guter Anbieter würde mit den positiven Attributen seines Produkts werben und hätte diese Art von Akquise nicht nötig. Es ist auch schade, dass sie dabei von einer großen Förder-Organisation unterstützt werden, indem sie den Einsatz des Tools bezuschussen. Dass man Kritikerinnen mit rechtlichen Schritten bzw. der Drohung damit einschüchtert ist nur das Sahnehäubchen.
Auf die Kosten achten
Bei der Wahl eines digitalen Tools zur Barrierefreiheit sollte man besonders auf die Kostenstruktur achten, vor allem, wenn es sich um Abonnementmodelle handelt. Viele Anbieter locken mit vermeintlich günstigen Einstiegspreisen oder kostenlosen Testversionen, die dann nach Ablauf eines kurzen Zeitraums in teure, oft unübersichtliche Abonnements übergehen. In diesen Fällen ist es entscheidend, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) genau zu lesen, da hier oft versteckte Klauseln verborgen sind. Zum Beispiel können automatische Verlängerungen, unklare Kündigungsmodalitäten oder zusätzliche Gebühren für angeblich „erweiterte Funktionen“ aufgeführt sein, die im ersten Moment nicht transparent kommuniziert wurden. In vielen Fällen wird der Nutzer von den Anbietern bewusst in eine „Abofalle“ gelockt, in der es schwierig ist, das Abo zu kündigen oder die Kosten im Voraus vollständig zu überblicken. Die geschickte Gestaltung dieser Verträge führt oft dazu, dass Nutzer*innen mehr bezahlen, als sie ursprünglich erwartet haben – oder sogar für Funktionen, die sie nicht benötigen oder die gar nicht wie versprochen funktionieren.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass Anbieter oftmals locken, indem sie anfangs sehr niedrige Preise anbieten, die nach einer gewissen Zeit oder bei einer Verlängerung stark ansteigen können. Ohne klare Informationen zur Preisentwicklung oder zum Endpreis über den gesamten Zeitraum hinweg, sind viele Nutzer*innen mit den steigenden Kosten überfordert und entscheiden sich dann aufgrund des Aufwandes oder der Dringlichkeit, das Abo weiterzuführen, obwohl sie es vielleicht nicht wirklich brauchen.
Es ist daher ratsam, vor dem Abschluss eines Abos die Konditionen genau zu prüfen, alternative Anbieter zu vergleichen und sicherzustellen, dass man jederzeit die volle Kontrolle über Kündigungsfristen und die möglichen Kosten hat. Auch sollte man darauf achten, dass die versprochenen Funktionen des Tools in der Realität den Preis rechtfertigen und dass keine versteckten Kosten oder Zusatzangebote den Preis unnötig in die Höhe treiben.
Fordern Sie immer eine kostenlose Demo an. Wenn es sich um ein Tool handelt, das in die Website oder anderswo integriert werden soll achten Sie darauf, dass sich das Tool auch lückenlos und problemlos entfernen lässt.
Die AGBs sprechen die Tool-Anbieter frei
Sie als Anbieter einer Anwendung sind für die Barrierefreiheit der Anwendung verantwortlich. Auch Unwissenheit schützt Sie nicht vor Strafe. Ebensowenig wie nachweisbar falsche Versprechungen von Tool-Anbietern. In den USA sind bereits mehrere Unternehmen erfolgreich verklagt worden, die Overlays verwendet haben, sich aber nicht weiter um digitale Barrierefreiheit gekümmert haben.
Zusammenfassung
Hier ein paar Tipps, worauf Sie achten soltten:
- Ignorieren Sie Buzzwords: Fragen Sie nach konkreten Eigenschaften, und zwar mehrfach. Wenn Sie beim dritten Nachfragen keine konkreten Antworten erhalten, entsorgen Sie das Tool im nächstbesten Mülleimer. Sales-Personen sind Meister in unklaren Antworten. Legen Sie einfach auf, wenn Sie keine klaren Informationen erhalten.
- Je aggressiver das Marketing und die Akquise, desto weniger taugt das Tool. Das ist unsere Erfahrung, gute Tools haben solche Verhaltensweisen nicht nötig.
- Fragen Sie immer nach einer kostenlosen Demo. Auch wenn Sie das Tool kaufen, achten Sie insbesondere bei Abomodellen auf Kündigungs-Möglichkeiten. Leider gibt es hier böse Abofallen, die vor allem für kleinere Website-Betreiber sehr kostspielig werden können.
- Binden Sie eine neutrale Expertin zur digitalen barrierefreiheit ein, die das Tool vor der Anschaffung neutral bewertet. Das ist in jedem Fall billiger als sich an ein untaugliches Tool zu fesseln.
Kein Tool kann Ihre Probleme zur digitalen Barrierefreiheit vollständig lösen. Sie müssen das Mindset zur Barrierefreiheit in Ihrer Organisation ändern und die Arbeitsweise, die zu den Barrieren geführt hat. Wenn Sie das nicht schaffen, bringt selbst das beste Tool keine entscheidende Verbesserung.