Deutsche Bahn – mangelnde Barrierefreiheit als Strategie

Screenshot des Bahn-CaptchasDie Deutsche Bahn ist legendär für ihre mangelnde Barrierefreiheit für motorisch Behinderte, also Personen, die keine Treppen steigen können. Meine Theorie ist ja, dass es irgendwo im Bahn-Vorstand fanatische Liebhaber von Treppenstufen gibt. Aber auch bei der digitalen Barrierefreiheit schafft es die Bahn nicht, endlich mal einen aktuellen Status zu erreichen. Einige Hinweise deuten darauf hin, dass das kein – vielleicht verzeihliches – Versehen ist, es gibt keine stringente Strategie, um digital barrierefrei zu sein. Das Gegenteil ist der Fall, die DB verfolgt aktiv und bewusst eine Strategie der mangelnden Barrierefreiheit, wie ich hier belegen möchte.

Blinde vom Login ausgeschlossen

So wird für den Login auf der Website sowie bei der App mittlerweile ein Captcha eingesetzt, obwohl die Probleme damit bekannt sind. Captchas sind nicht barrierefrei und eine schlechte UX vor allem auf mobilen Geräten, aber vielleicht ist einem Quasi-Monopolisten die UX seiner App/Website ohnehin egal.
Damit nicht genug ist das Captcha auch noch auf eine Weise eingebunden, dass es mit Screenreadern nicht bedienbar ist. Mit NVDA unter Firefox kann es per Tab erreicht werden, wird aber nicht vorgelesen, bei Talkback unter Android habe ich es geschafft, das Bilderrätsel zu aktivieren – das Häkchen wurde, wie soll es anders sein, nicht als menschlich erkannt. Ob das Problem bei der Bahn oder dem Captcha-Anbieter HCaptcha liegt, kann ich nicht sagen. HCaptcha spricht von einem Accessibility-Cookie – klar, wir wollen doch alle, dass die wissen, welche Seiten wir angesurft haben. Eine Audio-Version des CAPTCHAs hat man sich gespart, die würde wahrscheinlich der Bahn extra was kosten.
Meines Erachtens könnte dieses Verhalten der Bahn auch ein Verstoß gegen den Datenschutz sein. HCAPTCHA ist ein US-amerikanischer Anbieter, das heißt, man weiß nicht, welche Informationen hier nach Hause telefoniert werden. Ein Barrierefreiheits-Cookie würde zusätzlich bei behinderten Nutzenden ermöglichen festzustellen, auf welchen Seiten die Leute gesurft sind.
Damit schließt die Bahn defacto blinde und sehbehinderte Nutzer:Innen von Services wie der Ticketbuchung oder dem Verspätungsalarm aus.
Es gibt noch viele weitere Probleme: So ist der Mechanismus zur Eingabe der Abfahrtszeit in der Android-Version der App nicht für Blinde zugänglich. Es ist eine dieser Drehschalter, die wahrscheinlich schick aussehen, für Blinde aber nur sehr hakelig bedienbar sind. Außerdem ist der eine oder andere Button nicht beschriftet, Blinde wissen also nicht, was sie mit diesem Button auslösen.
Auch erinnere ich mich an einige Bugs auf der Website zum Ticket-Erwerb: Man bekommt relativ früh die Auswahl zwischen verschiedenen Ticket-Optionen angezeigt, die nicht per Tastatur bedienbar war. Beim Abschließen des Kaufs gab es einen Tastaturbug, der den Abschluss des Kaufes durch Blinde verhindert hat. Da ich lange keine Tickets mehr gekauft habe, kenne ich den aktuellen Stand nicht.

Die vermuteten Ursachen

Die Deutsche Bahn ist, zumindest was die digitale Barrierefreiheit angeht eine Blackbox. Meine Anfragen auf Twitter wurden ignoriert oder kryptisch beantwortet. Während öffentliche Stellen zumindest einen Alibi-Kontakt zur digitalen Barrierefreiheit angeben, gibt es bei der Deutschen Bahn gar keine Informationen dazu und auch keinen öffentlich auffindbaren Kontakt.
Dem Hörensagen nach gibt es bei der Deutschen Bahn ein Team, welches sich mit digitaler Barrierefreiheit beschäftigt. Die scheinen aber nichts zu sagen zu haben, ansonsten gäbe es kein Captcha und die Android-App wäre nicht so unbrauchbar. Ich würde mich schämen, für ein solches Unternehmen zu arbeiten.
Auch scheint es bei der Bahn keine blinden Mitarbeiter:Innen zu geben – oder es gibt sie und sie ziehen es vor, keine Services zu nutzen, die einen Login erfordern.
Das Elend wird deutlich, schaut man sich die Bewertungen im Android-Appstore an, die Bewertung liegt bei 2,5 von 5 Sternen. Es gibt zahlreiche Anmerkungen zu der schlechten UX. Viele Unternehmen antworten zumindest auf diese Hinweise im Appstore, die Bahn zieht es aber vor, sie komplett zu ignorieren und das bei einer für viele Personen so wichtigen App. Ich ziehe den Schluss, dass der Bahn ihre Kunden – ob behindert oder nicht – schlicht egal sind.
Die App DB barrierefrei – vor wenigen Jahren mit großem Tamtam gestartet – ist irgendwann ohne viele Kommentare eingestellt worden. Meines Wissens sollen die Infos jetzt in einer anderen DB-App zur Verfügung gestellt werden. Aber wer möchte schon noch eine Extra-App für ein paar mickrige Barrierefreiheits-Infos installieren?
Zwischendurch denke ich immer mal, das Unternehmen müsste doch einmal Fortschritte bei der Barrierefreiheit machen. Man scheint aber gerne mal zwei Schritte vorwärts und 1,5 zurück zu machen.

Nicht-Barrierefreiheit als Strategie

Mittlerweile habe ich leider einige Stimmen aus der DB gehört, die meine schlimmsten Vermutungen bestätigen: Die Deutsche Bahn verfehlt das Thema Barrierefreiheit nicht, weil es da ab und an Konflikte gibt. Vielmehr ist der Mangel an Barrierefreiheit Teil der Strategie des Unternehmens. Es befürchtet, dass wenn man den Betroffenen entgegenkommt man noch stärkere Forderungen zur Barrierefreiheit bekommt.
Das klingt unsinnig, mag aber in der internen Logik des Molochs Sinn machen. Bisher ist die DB nicht gerade als modernes Unternehmen aufgefallen. Tatsächlich gelten Leute wie Hartmut Mehdorn – einer der Haupt-Verantwortlichen für die schlechte Infrastruktur – nach wie vor als fähige Manager. Diversity Strategie oder Aktionspläne zur Inklusion sucht man vergeblich. Obwohl die Herausforderungen des demografischen Wandels selbst im Bahn-Tower angekommen sein sollten, baut man immer noch Züge, die für ältere Menschen mit Rollator ungeeignet sind – versuchen Sie mal mit einem Rollator in die Toilette des ICE zu kommen, ganz abgesehen davon, ihn in der Nähe eines Sitzplatzes abzustellen. Obwohl behinderte Menschen seit Jahren auf die Problematik mit Treppen hinweisen, kauft die Bahn munter weiter Züge mit Treppen ein. Fahrstühle werden monatelang nicht repariert, was sogar zu Verletzungen und Todesfällen geführt haben soll, weil gehbehinderte Menschen die Rolltreppe heruntergefallen sind. Für Rollstühle geeignete Sitzplätze sind Mangelware, rollstuhlgerechte WCs und Zugänge sind häufig defekt.
Obwohl ein halbstaatlicher Konzern weigert sich die DB, sich an deutsches Recht zu halten. So verstößt sie gegen die BITV 2.0, indem sie die vorgeschriebene Erklärung zur Barrierefreiheit und den Feedback-Mechannismus nicht bereitstellt. Mit dem oben erwähnten CAPTCHA verstößt sie zusätzlich gegen den in Kraft getretenen European Accessibility Act aka Barrierefreiheits-Stärkungs-Gesetz. Statt mit gutem Beispiel voranzugehen ist die DB schlimmer als manches Privat-Unternehmen. Wenn ein solch vital wichtiges Unternehmen keine Strategie für alters- und behinderten-gerechte Gestaltung hat, spricht alles für eine systematische Verweigerung. Wir dürfen die Bahn mit Recht als behinderten- und alters-feindliches Unternehmen bezeichnen.
Diese Beobachtungen deuten auf eine Sache hin: Die DB verhindert systematisch mehr Barrierefreiheit. Das ist wirklich armselig für einen Konzern, der durch die Öffentlichkeit finanziert wird. Sicherlich gibt es einzelne engagierte Leute bei der DB, die gerne mehr Barrierefreiheit umsetzen würden. Aber bei einem solchen Koloß kommt es vor allem auf den Vorstand an und auf unsere Politiker, von denen aber eben so wenig zu erwarten ist, seien sie nun von der CSU oder der FDP.
Leider zwingt uns die DB, sie zu ihrem Glück zu zwingen: Beschwert euch so viel wie möglich, so laut wie möglich und so öffentlich wie möglich. Das scheint die einzige Sprache zu sein, auf die dieses Unternehmen reagiert.