Warum wir konstruktiver kritisieren müssen

Man kann grob zwischen drei Arten von Kritik im Bereich Behinderung/Inklusion/Barrierefreiheit unterscheiden:

  • Schmäh-Kritik, zumeist sehr persönlich und aggressiv vorgetragen
  • harte Kritik, die ohne persönliche Angriffe und Schmähungen auskommt, aber vom Tenor ähnlich ist wie Schmäh-Kritik
  • ausgewogene Kritik ohne persönliche Angriffe und Schmähungen

Die Letztere möchte ich als konstruktiv bezeichnen. Man kann Dinge kritisieren, ohne Politikern oder anderen Personen böse Motive oder Untätigkeit zu unterstellen.
Unsere Medien, insbesondere Social Media, ist aber so gestrickt, dass man ohne persönliche Schmähungen kaum Aufmerksamkeit erzeugen kann. Bei der Debatte um die Triage etwa wird häufig zumindest indirekt unterstellt, den Politikern sei das Leben behinderter Menschen egal. Bei vielen Aktivisten lese ich, in den letzten Jahren und Jahrzehnten sei in Sachen Inklusion nichts passiert. Das ist meines Erachtens kein sinnvoller Umgang miteinander, die Gründe möchte ich in diesem Beitrag darstellen.

Politiker sind auch nur Menschen

Es gibt fleißige und faule, interessierte und weniger interessierte, engagierte und weniger engagierte Politiker. Sicher ist aber, dass sie alle von der Kommune bis zum Bund unter Dauerfeuer stehen. Insbesondere Frauen werden belästigt, bedroht und beleidigt, aber auch Männer kriegen einiges ab. Das gilt vor allem in den Kommunen, wo man den Kontakt mit den normalen Bürgern kaum vermeiden kann. Das Ganze hat sich in den letzten Jahren verschlimmert, bei allzuvielen Mitbürgern scheinen sämtliche Hemmungen verloren gegangen zu sein.
Und, ich muss das leider sagen, wenn einige der Aktivisten ihre Kritik so aggressiv äußern, wie sie es aktuell tun, sind sie leider nur wenig besser. Negative Gefühle und Aggressionen haben die Eigenschaft, sich zu akkumulieren und zu verstärken. Wenn das am Ende in körperliche Übergriffe übergeht, hat jeder aggressive Tweet, jeder wütende Facebook-Post und jede schmähende Insta-Story dazu beigetragen.
Wer das nicht aushält, geht gar nicht erst in die Politik. Damit tragen wir also dazu bei, insbesondere Frauen aus der Politik fernzuhalten.

Junge Aktivisten sind frustriert und abgeschreckt

Die Parole „Es ist nichts passiert“ dürfte auf heutige Aktivisten demotivierend wirken und junge angehende Aktivisten abschrecken. Gewiss hätte seit der UN-BRK mehr passieren können, aber auch weniger. Ich bin sicher kein Freund des Bundesteilhabegesetzes – es ist wie so viele Gesetze zu bürokratisch – aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es geht zu langsam, aber wir sind in einer Demokratie.
Die engagierten Leute werden dadurch demotiviert, sich weiter einzubringen. Bei mir selbst merke ich, dass ich Beiträge gar nicht mehr weiterlese, wenn sie mit solchen Formulierungen beginne.
Stärker dürfte aber die Wirkung auf junge Aktive sein. Sie gehen heute eher in den Umweltschutz, weil das cooler ist, aber auch, weil hier mehr Wums und eine bessere Stimmung ist. Junge Leute möchten etwas bewegen und sie möchten eine positive Grundstimmung haben. Wenn alte Herren wie ich ihnen etwas vorjammern wie „Wir engagieren uns seit 30 Jahren und nichts hat sich bewegt“, konterkarieren wir unser eigenes Engagement und zeigen den Leuten, dass sie sich vielleicht lieber woanders einbringen sollten. Mir fällt aktuell keine einzige Person unter 30 in der Behindertenszene auf.

Kritik ja, aber weniger fatalistisch

Jeder hat mal einen schlechten Tag und haut den einen oder anderen blöden Kommentar raus. Im Endeffekt sollte man aber doch versuchen, konstruktiv zu sein. Das heißt, die eigenen bzw. die Erfolge der Community zu feiern.
Kritik an Politikern und Organisationen ist natürlichin Ordnung. Sie sollte aber immer konstruktiv und respektvoll sein. Sagen wir es doch einmal klar: Wir können uns nur so hemmungslos auslassen, weil wir als Behinderte quasi unantastbar sind. Niemand traut sich, uns zurückzukritisieren, weil wir armen Behinderten ja eh zuviel durchmachen müssen.
Weiterhin sollte man sich an dieser unseligen Shitstorm-Kultur nicht beteiligen. Häufig sieht man auf den ersten Blick, dass Beiträge auf das häufige Teilen angelegt sind und maximale Aufmerksamkeit bekommen sollen.
Why we need to criticize more constructively

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