Barrierefreiheit ist nicht subjektiv – sie braucht Regeln

Neulich saß ich als selbst eingeladener Experte in einem Online-Seminar mit anderen Menschen zusammen, das Thema darf ich nicht verraten. Im Endeffekt ging es aber darum, die Barrierefreiheit von Webseiten von Web-Inhalten zu verbessern. Wie immer in solchen Runden hatten wir eine Person dabei, die ewig lange Monologe gehalten hat, ich kann ja Bodo Ramelow verstehen, wenn er in solchen Besprechungen lieber Tetris spielt. Im Endeffekt beschwerte sich dieser Herr aus der Selbsthilfe darüber, dass Anforderungen zur Barrierefreiheit häufig nicht umgesetzt würden, weil sie nicht in den Regelwerken stünden. Die Beschwerden einzelner Personen würden nicht ernstgenommen. Auch höre ichöfter, die Leute hätten einzelne Blinde, die sie bei Fragen ansprechen würden. Eine dieser blinden Personen äußerte, Akkordeons seien generell nicht barrierefrei, die Aussage ist und war schon immer falsch. An dieser Stelle möchte ich kurz erklären, warum Subjektivität in der Barrierefreiheit keine so große Rolle spielen darf.
Problem 1: Regeln sind zwangsläufig ein minimaler Kompromiss. Sie können und sollen nicht alle Szenarien abdecken, dann wären sie so dick wie das Telefonbuch von Berlin – und ungefähr so spannend zu lesen. Das ist übrigens einer der Gründe, warum deutsche Gesetze immer komplizierter werden.
Problem 2 ist, dass man an einem gewissen Maß an Komplexität nicht vorbeikommt, es sei denn, wir wollen in das Web der 90er Jahre zurück. Dann gibt es halt kein Onlinebanking, kein Amazon, kein Audible und so weiter. Man kann und sollte vieles einfacher machen, das habe ich auch schon öfter angemerkt. Die Usability vieler Mainstream-Anwendungen ist für Blinde von geht so bis Katastrophe. Aber wir müssen nun mal Adressen, Zahlungsdaten und so weiter in einem Onlineshop eingeben. Wer daran scheitert, hat sonst keine Chance im Internet.
Das dritte und wichtigste Problem ist aber, dass man Barrierefreiheit zu einer subjektiven Sache macht. X kommt mit Anwendung Y nicht zurecht, daher ist Y nicht barrierefrei. Das Chaos wäre vorprogrammiert, denn das hieße, dass jede einzelne Anmerkung in eine Handlungs-Anweisung für die Verpflichteten münden würde. X kommt mit weißem Text auf schwarzem Grund nicht zurecht, also ändern wir das in grau auf blau. Z kommt mit grau auf blau nicht zurecht, dann ändern wir das in grün auf braun. So kann das nicht funktionieren, aber darauf liefe es hinaus.
Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass manche Menschen an der Technik scheitern – ganz ehrlich, das passiert mir mehrmals am Tag. Ja, es ist total frustrierend. Dennoch ist es so, dass das Problem oft genug vor dem Bildschirm sitzt. Die Betroffenen Personen müssen so weit ertüchtigt werden, dass sie dazu in der Lage sind, die wichtigsten Aufgaben selbständig zu erfüllen, sofern die Website/Software barrierefrei programmiert wurde. Dafür gibt es die Regeln. Auch Feedback sollte berücksichtigt werden, aber nicht das Feedback einzelner Personen, sondern das gesamte Feedback einer größeren Zahl von Personen.
Accessibility is not subjective, it needs rules