Ist Jaws besser als NVDA – Screenreader Wars

Ich nutze jetzt seit rund 20 Jahren Screenreader. Und eine Tendenz ist eindeutig: Die Monopolisierung. Pro Plattform gibt es nur noch ein bis zwei konkurrenzfähige Produkte. Der Rest ist pleite gegangen oder aufgekauft worden, jüngstes Beispiel ist Window Eyes. Es wurde aufgekauft und dicht gemacht. Bis dato war dessen Marktanteil gegenüber Jaws stetig am Steigen.

Jaws – die Wundertüte

Für die einen ist Jaws voller nützlicher Funktionen. Für die anderen ist da eine Menge aufgeblasenes Zeug, das man nie im Leben benötigt. Jaws ist das Microsoft Office unter den Screenreadern. Irgendwas müssen sie ja tun, um die 3000 € pro Jaws-Lizenz zu rechtfertigen. Interessant auch, dass Jaws in den USA wesentlich günstiger ist. In Deutschland hingegen darf man auch für jedes größere Update zahlen.
Leider haben die meisten Blinden nicht verstanden, was der Hauptgrund dafür ist: NVDA ist gewollt schlank. Viele Funktionen sind in die Erweiterungen ausgelagert. Bei den meisten Funktionen von Jaws dürfte es so sein, dass sie vielleicht von einer Promille Blinder verwendet werden. Jede Funktion kann aber auch Bugs mit sich bringen und die Software verlangsamen und unübersichtlich machen. Legendär ist ob seiner Unübersichtlichkeit der Konfigurationsmanager von Jaws.

Jaws frisst die Barrierefreiheit

Eine der schlechtesten Nachrichten für die Barrierefreiheit war meines Erachtens die Übernahme der Paciello Group durch Whispero. Whispero ist der Mutterkonzern von Jaws, Zoomtext und vielen anderen Unternehmen aus diesem Kontext. Jaws und Zoomtext sind übrigens auch nur zugekauft, man fragt sich, ob Whispero irgendwas selbst gemacht hat.
Seit dieser Akquisition kann man TPGi, wie sie sich jetzt nennen eigentlich nicht mehr ernst nehmen. Alles, was man liest ist Jaws hier und Jaws da. Es gibt ernsthaft ein kostenpflichtiges Tool, mit dem man Anwendungen auf Jaws-Kompatibilität testen kann. Die wollen also Geld dafür haben, dass man eine Software auf ihren Screenreader optimiert. Weiter geht der Unsinn mit Jaws Connect – damit sollen Jaws-Nutzer mitteilen können, wenn sie Probleme mit der Barrierefreiheit haben. Das ist so ziemlich das überflüssigste Tool, von dem ich bisher gehört habe.
Nebenbei bemerkt ist Jaws leider für Barrierefreiheits-Tests ungeeignet. Es hält sich nicht an Barrierefreiheits-Standards. Ist ein Formularfeld zum Beispiel nicht gelabelt, versucht Jaws das Label zu erraten. Das funktioniert oft gut und freut die Nutzer. Nur blöd für jene, die kein Jaws nutzen und als Argument hören „Mit Jaws funktioniert es“.

Die Kostenlos-Mentalität der Blinden

Man sieht einmal mehr, wie weit verbreitet die Kostenlos-Haltung unter Blinden ist. Man bekommt beides umsonst: NVDA, weil es eh kostenlos ist, Jaws, weil es die Krankenkasse bezahlt.
Gleichzeitig erwartet man, dass das vielleicht 15 Jahre alte NVDA, das im Wesentlichen von Freiwilligen entwickelt wird die gleichen Leistungen bringt wie ein gut 25 Jahre alter Screenreader, der von einem großen Team entwickelt wird und wahrscheinlich ein zweistelliges Millionenbudget pro Jahr hat. Scheiß drauf, dass das für die meisten Blinden der Welt nicht leistbar ist.
Ein großer Vorteil von NVDA bzw. dem Sprach-Synthesizer eSpeak ist, dass es zahlreiche verschiedene Sprachen gibt. Während die großen Hersteller von Sprachausgaben nur die Sprachen großer oder reicher Länder unterstützen, findet man in eSpeak auch indische oder afrikanische Sprachen, die wie das Leben so ist die großen Hersteller nicht interessieren, weil man mit diesen Regionen nicht genug Geld verdienen kann. Sprachen, die von Dutzenden Millionen Menschen gesprochen werden, abgesehen davon, dass hier die meisten Blinden leben.
Meine Antwort ist also nein: Jaws ist nicht besser. Nicht wegen der Preis- und Update-Politik, nicht wegen des Aufkaufens und Plattmachens der Konkurrenten, nicht wegen der Barrierefreiheit, nicht wegen der schlechten Software-Qualität. Wenn die Leute glücklich mit Jaws sind, dann sollen sie es nutzen, aber daraus generelle Aussagen abzuleiten, halte ich für falsch.