Interview mit dem Screenreader NVDA

Dieses Pseudo-Interview inklusive der Antworten ist natürlich auf meinen schrägen Humor zurückzuführen und drückt lediglich meine persönliche Meinung aus.
Domingos: Hallo NVDA, erst einmal herzlich willkommen. Stell Dich doch einmal den Leser:Innen vor.

NVDA: Hallo, ich freue mich, dabei zu sein. Mein Name ist NVDA. Das steht für Nonvisual Desktop Access. Ich bin ein Screenreader. Ich wurde maßgeblich von zwei blinden Australiern entwickelt und bin anders als mein Konkurrent Jaws kostenlos und Open Source. Ich bin der einzige Screenreader, der konsequent von der Community entwickelt wird. Scheiß auf Dich, Jaws.

Domingos: Das ist sehr interessant. Was ist denn ein Screenreader, erklär das doch mal?

NVDA: Ich freue mich, dass Du fragst. Ein Screenreader ist eine Software, die Informationen aus grafischen Benutzeroberflächen so aufbereitet, dass Blinde sie verstehen können.

Domingos: Das klingt spannend. Bevor wir aber ins Thema einsteigen, warum klingt Deine Stimme eigentlich so künstlich?

NVDA: Es tut mir leid. Ich würde gerne so sexy klingen wie Siri und Co. Meine Stimme stammt noch aus einer Zeit, als Speicher in Megabyte gemessen wurde und 200 Megahertz als superschnell galt. Die Stimme wurde mit Phonemen synthetisch erzeugt und ist auf schnelle Reaktionszeiten ausgelegt. So wie Sehende wollen Blinde schnelle Reaktionen der Sprachausgabe, das ist bei modernen natürlicher klingenden Sprachausgaben aktuell schwierig. Abgesehen davon sind diese Sprachausgaben lizenzpflichtig und das ist mit OpenSource nicht vereinbar. Außerdem meinen einige Blinde, zum Beispiel Du, dass künstliche Stimmen bei hohen Geschwindigkeiten verständlicher klingen. Du zum Beispiel hast mich meistens auf ca. 300 Wörter pro Minute eingestellt, also doppelt so schnell, wie ein Mensch sprechen würde.

Domingos: Das stimmt und damit habe ich auch einige Sehende in den Wahnsinn getrieben. Wobei ich behaupten würde, sie waren vorher schon verrückt. Erklär doch mal genauer, wie ein Screenreader funktioniert.

NVDA: Aus meiner Sicht seid ihr Menschen ohnehin alle kurz vor dem Durchdrehen, Klimawandel, Artensterben, mangelnde Barrierefreiheit und so, aber darüber können wir ein andermal sprechen. Der Screenreader bekommt Informationen aus der sogenannten Accessibility API. Das ist ein Protokoll für das Hinterlegen von Barrierefreiheits-Informationen in Programmen und Dokumenten. Da werden zum Beispiel semantische Informationen wie die Funktion eines UI-Elements, eine Bildbeschreibung oder andere Dinge hinterlegt. Diese werden dann von dem Screenreader als Sprache oder Blindenschrift ausgegeben.

Domingos: Das ist interessant. Diese Informationen müssen also wirklich von den Verantwortlichen hinterlegt werden und Du kriegst sie nicht über magische Schwingungen heraus?

NVDA: So ist es. Vielleicht werden wir in einigen Jahren durch Mustererkennung bzw. andere Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz auch selbst solche Dinge erkennen können. Das ist aber nicht absehbar. Deswegen ist es extrem wichtig, dass die Verantwortlichen solche Dinge selbst hinterlegen.

Domingos: Welche Aspekte sind noch wichtig, wenn es um Barrierefreiheit für Blinde geht?

NVDA: Da gibt es ja einige Dinge, die Du in Deinen anderen Beiträgen schon erwähnt hast: Die Bedienbarkeit per Tastatur, die sinnvolle Beschriftung von Formularen und Buttons, Alternativtexte für inhaltliche Bilder oder der konsequente Einsatz von semantischen Informationen wie Text-Formatierungen.

Domingos: Ja, das ist extrem wichtig. Was ist eigentlich Dein Vorteil gegenüber kommerziellen Screenreadern wie Jaws?

NVDA: Da sind drei Dinge: Ich bin OpenSource und dadurch schnell mit Erweiterungen anpassbar, gerade was Internet-Technologien angeht ist Jaws meines Erachtens nicht sehr dynamisch. Zudem bin ich kostenlos. Und ich kann mit dem Sprach-Synthesizer eSpeak, die ebenfalls OpenSource ist, sehr viele Sprachräume unterstützen, die von Jaws und den Herstellern von kommerziellen Sprachausgaben ignoriert werden.
Die meisten Blinden leben in Ländern, wo man sich keine teuren Geräte und Programme leisten kann und die deshalb von den Hilfsmittel-Herstellern ignoriert werden. Es ist also eine Frage der Kosten, aber auch der Muttersprache, die von Jaws und den Herstellern von Sprachausgaben nicht behandelt wird. Sprichst Du sagen wir Bengali oder Swahili und bist blind, bist Du als Kunde nicht interessant, weil Du wahrscheinlich kein Geld hast. Das Hilfsmittel-Business ist erzkapitalistisch und richtet sich an die vielleicht 10 Prozent Blinden, die das Glück haben, in relativ reichen Gesellschaften zu leben und einen Träger zu haben, der die Kosten übernimmt. Ich hingegen sorge dafür, dass viele 10.000 Blinde Zugang zu Computern und damit auch ein Stück Selbständigkeit und Bildung bekommen.

Domingos: Ja, meine Lieblings-FDP würde sagen, das ist halt die Marktwirtschaft, die da so großartig funktioniert und arme Leute sind eh selbst schuld an ihrem Schicksal,. Aber lassen wir das. Was hälst Du eigentlich davon, dass viele Sehende Dich einfach mal installieren, um Dich auszuprobieren.

NVDA: Ich freue mich einerseits darüber. Andererseits bin ich wie ein störrischer Esel. Es reicht nicht, mich einfach zu installieren, weil ich keine grafische Benutzeroberfläche und eine eingeschränkte Shell habe. Die Lernkurve ist für Sehende wie für frisch Erblindete sehr hoch, deswegen rätst Du ja auch von solchen Spielerein Sehender ab.

Domingos: Ja, bzw. sollte man an mögliche Erkenntnisse aus solchen Selbstversuchen einfach ein Fragezeichen machen. Ich bedanke mich dafür, dass Du uns Frage und Antwort gestanden hast und wünsche Dir einen schönen Tag. Wenn Du Gefühle hättest, wärst Du jetzt wahrscheinlich froh, meine nervigen Fragen nicht mehr beantworten zu müssen.

NVDA: So ist es. Ich wünsche den Lesenden alles Gute und hoffe, dass euch das Interview Spaß gemacht hat. Bis bald.