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Behinderte und Gamification

Ob Autorennen fahren, Zivilisationen aufbauen oder außerirdische Eindringlinge vertreiben, Computerspiele kommen gerne unpolitisch daher. Sie wollen vor allem unterhalten und selten eine Botschaft vermitteln. Aber sind sie tatsächlich unpolitisch?
Nicht, wenn es nach der amerikanischen Spieleentwicklerin Anna Anthropy geht. In ihrem in Spielerkreisen heiß diskutierten Buch „The Rise of the Videogame Zinesters“ kritisiert sie, dass Computerspiele vor allem von weißen, heterosexuellen Männern entwickelt werden und deshalb nur deren Wahrnehmung und Werte widerspiegeln. Anna tritt deshalb dafür ein, dass auch Amateure Spiele entwickeln und zeigt in ihrem Buch auch einige Werkzeuge, mit denen das möglich ist. Tatsächlich gibt es eine wachsende Independent-Szene an Spieleentwicklern und die Computergames könnten der nächste Bereich werden, der von der Do-It-Yourself-Bewegung erobert wird.
Auch Menschen mit Behinderung spielen
Natürlich zocken auch Menschen mit Behinderung gerne am Computer. Für Blinde gibt es zum Beispiel spezielle Audiogames, die nur über das Gehör gespielt werden können.
Zwei Entwicklungen der letzten Jahre haben es für Menschen mit Behinderung wesentlich erleichtert, Computerspiele zu spielen. Einige Smartphones und Tablet-PCs sind dank eingebauter Hilfstechnik und berührungsempfindlicher Displays auch für Blinde und Sehbehinderte sehr gut nutzbar. So können sie auch einige Spiele nutzen, die auch von Sehenden gespielt werden.
Die andere große Entwicklung sind die Bewegungssteuerungen, insbesondere die WII von Nintendo und die Kinect von Microsoft. Die Bewegungssteuerungen bringen zwei neue Aspekte ins Spiel: Zum einen sind viele Spiele mit einer Bewegungssteuerung intuitiver gestaltet und erleichtern so den Einstieg auch für Gelegenheitsspieler. Zum anderen erlauben sie auch das Spielen für Menschen, die sich nur eingeschränkt bewegen und weder Maus, Tastatur noch Joystick gut bedienen können. Viele ältere Menschen sind über die WII zum ersten Mal in ihrem Leben mit Computerspielen in Berührung gekommen. Viele Menschen entdecken durch diese Spiele ihre Freude an der Bewegung und gewinnen damit an Lebensqualität.
Spielend mehr über Behinderung erfahren
Computerspiele können nicht nur unterhalten, sie können auch ein Bewusstsein für Behinderung vermitteln. Ich kann jedem Spieleentwickler nur empfehlen, einmal ein Audiogame auszuprobieren, er wird überrascht sein, wie viel nur über Akustik vermittelt werden kann.
Spiele können auch genutzt werden, um auf Barrieren im Alltag aufmerksam zu machen. „Trapped Dead“ zum Beispiel ist ein Strategiespiel, bei dem der Spieler eine Gruppe von Menschen mit individuellen Stärken und Schwächen durch das Spiel steuern muss. Einer der Spielcharaktäre sitzt im Rollstuhl, so dass der Spieler darauf achten muss, dass zum Beispiel alle Gebäude, die er betreten möchte eine Rampe haben.
„Game Over!“ bezeichnet sich selbst augenzwinkernd als das wahrscheinlich unzugänglichste Spiel der Welt. Die Macher wollen Spieleentwicklern praktisch zeigen, welche Barrieren für Menschen mit Behinderung bestehen und damit die Richtlinien für barrierefreie Spiele anschaulicher machen.

Warum private Unternehmen zur Barrierefreiheit verpflichtet werden sollten

Besenbinder, Physiotherapeut, Arbeitsloser oder Frührentner – das sind leider bis heute die wesentlichen Bereiche, auf die sich die Erwerbstätigkeit – oder Nicht-Erwerbstätigkeit – blinder Menschen beschränkt. Dennoch hat sich in den letzten Jahren viel getan.

Die Vorleser

Blinde Juristen sind in Deutschland schon seit Jahrzehnten keine Seltenheit. Dabei ist es mir immer ein Rätsel geblieben, wie sie es im Prä-Computer-Zeitalter geschafft haben, die gewaltigen Mengen an Literatur zu bewältigen. Studieren in einer Geisteswissenschaft besteht im Wesentlichen aus drei Dingen: Lesen, lesen, lesen.
Natürlich gab es die Vorlesekräfte, die bis heute einen unverzichtbaren Job machen. Aber es ist dennoch eine ganz andere Sache, sich selbst in die Bibliothek zu stürzen. Es ist ein großes Talent an Organisation erforderlich, um alle nötige Literatur auflesen zu lassen. Was oft auch vergessen wird: Ein Sehender kann einen Text wesentlich schneller lesen als ihn vorzulesen. Ein geübter Leser kann mindestens vier Mal schneller lesen als vorlesen. Es geht also jede Menge Zeit verloren.
Durch die Technik ist das alles heute einfacher. Zwar haben Sehende immer noch ein für Blinde unerklärliches Faible für bedrucktes Papier. Dennoch kann heute im Business-Bereich fast alles digital erledigt werden. Im Behördenverkehr ist das leider noch nicht so, aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben.

Keine Hilfstechnik – kein Job
Mehr noch: Keine Gruppe hat von der Digitalisierung derart stark profitiert wie die Blinden. Viele kaufmännische Berufe ließen sich ohne Hilfstechnik nicht bewältigen. Der unterste Sachbearbeiter muss seine Tabellen mit Excel und nicht mit Tinte und Bleistift erledigen. Durch die Digitalisierung sind also berufliche Wege möglich geworden, die für die Meisten von uns früher schwierig oder gar nicht zu bewältigen wären.
Ich selbst könnte meinen Job als Online-Redakteur ohne Digitalisierung und Hilfstechnik gar nicht erledigen. Das Kaufmännische liegt mir nicht, das Handwerkliche sowieso nicht und kein Arzt wäre so verrückt, mich auf seine physiotherapiebedürftigen Patienten loszulassen.

Barriereunfreie Software = kein Job

Das merkt man vor allem, wenn man immer wieder auf Business-Lösungen trifft, die nicht barrierefrei programmiert wurden. CRM, ERP, DMS – ein Haufen Abkürzungen für teils sehr komplexe Programme. Faktisch wird es schwierig, wenn man in einer Firma arbeiten möchte, deren Anwendungen nicht barrierefrei programmiert wurden. In meinen Augen ist das eine klare Diskriminierung blinder Menschen am Arbeitsplatz. Im Business-Bereich sollten alle Programme von Anfang barrierefrei gestaltet sein. Da das mit der Freiwilligkeit nicht so richtig funktioniert hat, sollte das gesetzlich verpflichtend sein. Nur so können wir sicher stellen, dass zukünftige Arbeitsplätze für Blinde zugänglich sein werden.
Es ist kaum absehbar, wie sich die Arbeitswelt längerfristig entwickelt. Sicher ist, dass die Software eher wichtiger als unwichtiger wird. Sogar Google und Microsoft, die das Thema großteils verschlafen haben, geben sich jetzt mehr Mühe. Von den deutschen Software-Schmieden und Verbänden wie der IHK und der BITKOM hört man hingegen erschreckend wenig.
Viel wäre schon geholfen, wenn die öffentlichen Einrichtungen ihre Software-Richtlinien bei der Beschaffung entsprechend anpassen würden. Zählt man alle Behörden zusammen, hat man ein gewaltiges Volumen an Software-Nachfrage. Wenn all diese Software barrierefrei programmiert werden würde, würde der Markt gewaltig ins Rutschen geraten. Es gäbe mehr in Barrierefreiheit geschulte Software-Entwickler und nebenbei ein neues Betätigungsfeld für blinde Anwendungsentwickler. Ich stelle immer wieder erstaunt fest, wie schlecht barrierefrei Software sein kann, wenn kein behinderter Mensch an der Entwicklung beteiligt war. Manche Entwickler scheinen ernsthaft zu glauben, sie könnten einen anständigen Screenreader-Test durchführen, obwohl sie keine Ahnung haben, wie Blinde mit Software umgehen.
In diesem Zusammenhang darf eine Kritik an den Hilfsmittel-Anbieter nicht fehlen. Die Update-Politik von Freedom Scientific ist eine reine Unverschämtheit, weshalb mir Jaws nicht ins Haus kommt. Trotz des stolzen Preises bittet die Firma für Major-Updates ordentlich zur Kasse. Mitschuld daran sind die Blinden, die diese absonderliche Politik unterstützen, schließlich muss ja wer Anderes die Rechnung bezahlen. Da die Kostenträger nur rund alle fünf Jahre Neuanschaffungen finanzieren, kann es passieren, dass man einige Jahre mit veralteter Software allein gelassen wird. Im Business-Bereich kommen in fünf Jahren rund zwei neue Software-Versionen heraus. Jaws erweist sich somit als zusätzlicher Hemmschuh für den Fortschritt.

Fazit

In meinen Augen liegt deshalb der Schlüssel zur Verpflichtung privater Anbieter zumindest im Software-Bereich im Bereich Arbeit. Wer eine barrierefreie Arbeitswelt möchte, muss für barrierefreie Software sorgen.

Als Blinder mit Screenreader ungestärt arbeiten im Büro

Die Blinden kennen das sicherlich, da versucht man, im Büro oder im Zug zu arbeiten und pausenlos quatscht jemand im Hintergrund herum. Ich kann relativ gut Alltagsgeräusche wie normalen Verkehrslärm oder das undifferenzierte Grundrauschen eines Mittagstisches ausblenden, solange ich nicht direkt daneben sitze. Aber sobald jemand etwas sagt, was ich verstehen kann, bin ich automatisch abgelenkt.
Ich habe verschiedene Dinge ausprobiert: Schallisolierende Ohrhörer waren nicht ausreichend. Schallisolierende Übers-Ohr-Kopfhörer waren mir zu teuer. Ohropax sind ungeeignet, da sie den Screenreader zu stark dämpfen. Dann gibt es noch die Kopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung. Die scheinen aber eher für gleichmäßige Geräusche geeignet. Allerdings war mir der Preis zu hoch, um sie einfach mal auszuprobieren. Um nur mit der Braillezeile zu arbeiten, bin ich zu langsam.
Letztlich bin ich bei einem einfachen Gehörschutz gelandet. Er kostet im Baumarkt etwa 20 Euro.
Der Gehörschutz sieht aus wie ein großer Kopfhörer ohne Kabel. Der Bügel bewirkt, dass die Muscheln sehr stark auf das Ohr gedrückt werden. Wenn man ihn richtig aufsetzt, ist das kein Problem. Wenn man es falsch macht, tut es tierisch weh.
Die Hauptfunktion besteht darin, dass er das Ohr isoliert, so dass der Schall das Ohr nicht erreicht. Es ist nicht so, dass man nichts mehr hört, es sei denn, man befindet sich ohnehin in einer sehr leisen Umgebung. Man hört lautere Geräusche gedämpft. Man hört zum Beispiel, dass jemand redet, versteht aber nicht, was er sagt. Professioneller Ohrenschutz dämpft wahrscheinlich stärker, da ich mein Büro aber nicht neben dem Preßlufthammer betreibe, reicht mir der günstige Gehörschutz.
Ganz unproblematisch ist das aber auch nicht. Man kriegt eventuell nicht mit, wenn man angesprochen wird. Man hat zwar Ruhe vor dem üblichen Lärm einer Zugfahrt im Regionalzug am Wochenende, kriegt aber auch die Durchsagen im Zug nicht mit.
Ein weiteres Problem könnte sein, dass man keine Kopfhörer mit dem Gehörschutz verwenden kann. Liegt der Gehörschutz nicht direkt auf dem Ohr, ist er relativ wirkungslos. Man muss also Ohrhörer verwenden.
Ansonsten ist das aber eine gute Lösung. Man muss den Gehörschutz auch nicht immer tragen, sondern nur dann, wenn es tatsächlich laut ist.

Als Blinder mit Screenreader präsentieren

Präsentationen gehören ja in vielen Berufen heute zum Standard. Nur blöd, dass Blinde die Leinwand nicht sehen können. Nun haben alle Blinden – außer mir – ein gutes Gedächtnis und lernen die Präsentation einfach auswendig. Die Assistenz darf dann die undankbare Aufgabe übernehmen, weiterzuklicken und durchzusagen, auf welcher Folie man sich gerade befindet. Wirklich glücklich war ich mit dieser Lösung nicht.
Eher zufällig habe ich dann entdeckt, dass NVDA den Folien-Inhalt vorliest, wenn man sich im Präsentations-Modus befindet. Selbiger wird in MS Office mit F5 aktiviert. Ärgerlicherweise sagt NVDA bei jedem Folienwechsel „Präsentation Folie X“, aber damit kann ich leben. NVDA liest anschließend den Titel vor, dann den kompletten Text-Inhalt der Folie, was man aber den Zuhörern nicht antun sollte, ein beherztes Drücken von STRG beendet den Lese-Fluss. Mir ist es ausreichend, den Folien-Titel zu hören, um zu wissen, was ich erzählen muss. Wer sich in seinem Stoff auskennt, sollte das auch mit 200 Folien schaffen, zumindest ist mir das gelungen. Natürlich sollte dann jede Folie nur eine Information enthalten.
Mit Return blättert man eine Folie weiter, mit Löschen eine Folie zurück. Das geht auch mit den Bild-Auf-und-Ab-Tasten.
Das Ganze funktioniert ab Office 2003 aufwärts, leider bisher nicht mit Libre und OpenOffice, überhaupt ist die Zugänglichkeit von Impress mit NVDA derzeit noch – hm – ausbaufähig.
Das Ganze funktioniert auch mit Jaws. Natürlich braucht man immer noch einen Sehenden, der reinschreit, wenn irgendwas nicht funktioniert wie es sollte. Für mich ist das aber ein großer Schritt Richtung Unabhängigkeit.
Eine textlastige Präsentation zu erstellen ist ebenfalls mit Screenreadern möglich. Dazu müsst ihr in der normalen Folienansicht in die Folie tabben und Return drücken, dann könnt ihr zum Beispiel den Titel oder den Inhalt editieren. Wenn ihr fertig seid, drückt Escape, um zur Ansicht zurückzukehren.
Allerdings ist es für Blinde nicht möglich, Grafiken oder Bilder korrekt einzufügen, dass wird soweit ich das sehe ohnehin nie möglich sein. Überhaupt stoßen Powerpoint und auch Word dort an ihre Grenzen, wenn es um die fehlerfreie Gestaltung von Dokumenten geht. Gewiss, man kann Fehler bei der Schrift, leere Zeilen und Tabulatoren und so weiter korrigieren. Die Schlusskorrektur muss aber immer ein Sehender machen.
Wir hatten neulich auf Facebook diskutiert, ob Blinde Präsentationen erstellen können. Die meisten Blinden, die sich dort meldeten meinten, sie würden den Text vorschreiben und den visuellen Rest von sehenden Assistenten erledigen lassen. Das mag im Studium okay sein, aber spätestens, wenn es ums Berufliche geht, stößt man bei dieser Strategie an Grenzen. Der Wissensabstand zwischen Berufstätigen und ihren Assistenten wächst stetig, so dass die Assistenten zwar in der Lage sind, eine Folie zur erstellen. Die inhaltliche Verantwortung liegt aber eindeutig beim Blinden selbst. Er muss entscheiden können, wie viele Infos auf eine Folie passen, welche Grafiken das visualisieren können und so weiter. Kann er das nicht, erfüllt er genau genommen nicht die Qualifikation für seinen Job. Sorry, wenn ich das so hart sagen muss. Dass auch Sehende schlechte Folien machen, ist keine Entschuldigung.
Mir ist bei der Gelegenheit mal wieder aufgefallen, wie mangelnde Barrierefreiheit ganz praktisch die Karriere-Chancen verbauen kann. Nicht, dass ich für einen Führungsposten taugen würde. Aber faktisch ist es doch so: Assistenz hin, Assistenz her, wenn du bestimmte Sachen nicht machen kannst, wirst du nicht nur beruflich nicht aufsteigen. Es wird sogar schwierig für dich, deinen aktuellen Posten zu behalten. Der Job bleibt der Gleiche, aber die Anforderungen ändern sich stetig. Heute gibt es praktisch keinen Job mehr, der ohne die Bedienung von Software auskommt. Dabei ist vieles keine Standard-Software mehr, sondern Programme, die nebenbei von Entwicklern zusammengestoppelt wurden, ohne Rücksicht auf Barrierefreiheit. Ich hatte schon häufiger den Fall, dass selbstentwickelte Software nicht mit angemessenem Aufwand barrierefrei zu machen war, wobei „angemessen“ natürlich dem Maßstab des Auftraggebers folgt. Die Ausdifferenzierung der Software-Landschaft durch die zahlreichen Windows-Versionen, Browser, Screenreader und Mobile haben das Problem eher noch verschärft. Früher reichten ein paar Jaws-Skripte für Windows XP, um ein Programm bedienbar zu machen. Heute brauchen wir plattform-unabhängige Barrierefreiheit.

Vorträge vor Schwerhörigen halten – darauf solltet ihr achten

Regelmäßige Leser meines Blogs wissen, dass ich auf einem Ohr praktisch taub bin und auf dem anderen nur eingeschränkt höre. Da ich daneben auch viele Vorträge und Workshops halte, finde ich das Thema hörgerechte Vorträge aus jeder Perspektive wichtig.

Gehörlos im Gottesdienst

Als Hörgeschädigter ist man halligen Räumen abgeneigt. Das Ohr kann Stimmen nicht vernünftig herausfiltern, so dass man nur Gebrabel hört. Zwar ist man als ungläubiger Kirchenbesucher fast dankbar, die Predigt nicht zu verstehen. Angesichts des demografischen Wandels, der in der Kirche noch wesentlich schneller statt findet bleibt aber die Frage,ob die Kirche mit Leuten umgehen kann, die weder gut sehen noch hören können. Kirchen sind schummrige Räume, also nicht optimal, um Gesangstexte mitzulesen. Das nur nebenbei. Die Kirche ist kein Ort für alte Männer – und Frauen.

Das größte Problem sind Nebengeräusche

Schwierig sind vor allem auch Situationen mit einem hohen Anteil an Nebengeräuschen. Da reicht schon das schlecht isolierte Fenster, durch das die Verkehrsstraße durchschallt. Oder, was ich auch schon häufiger hatte, man hört nicht nur den eigenen Vortragenden, sondern auch den von nebenan.
Ganz unangenehm sind Mensen und Kantinen. Der Pegel an Nebengeräuschen ist extrem, hinzu kommen die Geräusche , die durch Besteck und Geschirr ausgelöst werden. Und natürlich haben diese Räume durch die oft hohen Decken einen unheimlichen Hall. Für einen Schwerhörigen ist es das Worst Case. Leider ist die Situation bei vielen Veranstaltungen ähnlich, denn auch hier sind Mahlzeiten in großen Sälen üblich. Ob das tatsächlich die Kommunikation fördert, möchte ich mal dahin gestellt sein lassen.

Raum checken

Zunächst einmal solltet ihr den Raum rechtzeitig vor dem Vortrag in Augenschein nehmen. Wichtig ist die Größe des Raums sowie die Entfernung zum am weitesten entfernt sitzenden Teilnehmer.
Zu prüfen sind die Lautstärke von Heizung und Klimaanlage. Letztere verursachen oft ein unangenehmes Rauschen.
Ist keine Soundanlage vorhanden, sollten die Leute möglichst nahe zusammen und am Redner sitzen. Nötigenfalls stellt die Tische und Stühle so auf, dass sich das nicht vermeiden lässt. Aus irgend einem Grund mögen es die Deutschen, sich möglichst weit voneinander wegzusetzen als ob der Sitzer eine ansteckende Krankheit hätte. Wenn sich aber 30 Leute in einem Raum verteilen, der für 100 Personen ausgelegt ist, macht das weder für sie noch für den Vortragenden die Situation einfacher.
Von Vorteil sind Vorhänge, Teppiche und andere weiche Materialien. Sie schlucken störende Nebengeräusche wie Stühlerücken und ähnliches. Das kann man sich nicht immer aussuchen, aber manchmal schon.
Liegen die Fenster an einer Hauptverkehrsader, sollte das zu der entsprechenden Zeit überprüft werden. Man kann da im Prinzip nichts machen, sollte aber solche Räume nicht bevorzugen.

Tipps für den Redner

Zunächst ist es von Vorteil, eine tiefe Stimme zu haben. Leider sind wir nicht alle mit einem Bariton gesegnet, aber ein bißchen was lässt sich durch Stimmtraining machen.
Die Grundregel für jeden Redner ist: Langsam und deutlich sprechen. Nicht jedes Wort muss roboterhaft artikuliert werden. Allerdings sollten Dialekte und andere Sprach-Eigenheiten zurückgefahren werden.
Natürlich sollten wir Tempo und so weiter variieren, schließlich soll das Publikum nicht einschlafen. Alles sollte aber in einem bestimmten Rahmen bleiben.
Der Redner sollte sich immer dem Publikum zuwenden. Vieles lässt sich von den Lippen ablesen sowie aus Gestik und Mimik ableiten. Sorgt dafür, dass ihr auch in den hinteren Reihen gut gesehen werdet und gut ausgeleuchtet seid. Man ist kein guter Redner, wenn man seine Notizen verliebt anguckt oder sich ständig zur Präsentation umdreht.
Sorgt für zusätzlichen Input. Ich fasse die wichtigsten Infos jeweils auf einer Folie zusammen, die parallel angezeigt wird. Wer mich also nicht versteht, kann kurz nachlesen. Der Nachteil ist, dass die Folien recht textlastig sind. Aber das ist ein in meinen Augen sinnvoller Kompromiss.
In Räumen ohne Sound-Anlage sollte Getuschel im Publikum möglichst sofort unterbunden werden. Das ist ohnehin kein gutes Zeichen, stört aber die Umsitzenden.
Für sehende Redner ist es ganz hilfreich, sofortiges Feedback zu bekommen. Wenn ihm die Leute einschlafen kann das an dem unspannenden Thema liegen. Oder daran, dass das Zuhören zu anstrengend ist.
Mein Vorschlag wäre, verschieden farbige Karten zu verteilen, mit denen die Zuhörer winken können. Zum Beispiel grün für „du redest zu schnell“, blau für „bitte lauter“ oder rot für „kapier ich nicht“. Es ist ein guter Service des Redners. Bei blinden Rednern funktioniert das natürlich nicht, aber dafür gibts die Assistenz. Die Hemmschwelle, etwas hoch zu halten ist geringer als das laute Aussprechen eines Problems.

Auch Hörende profitieren

Der Redner mag noch so gut sein, wenn er zu leise spricht, wird er sein Publikum verlieren. Wer sich darauf konzentrieren muss, jedes Wort zu verstehen hat weniger Ressourcen zum Verstehen und Einprägen des Gesagten. Nervosität breitet sich aus und die Leute gehen sich einen Kaffee holen und kommen nicht mehr wieder.
Nun kann man trainieren, laut zu sprechen. Bei Manchen ist das aber schwierig. Gerade helle Stimmen sind schnell schlecht zu verstehen, wenn sie laut sind. Vor allem Frauen scheint es schwer zu fallen, die Stimme zu erheben. Und wenn sie es tun, sind sie oft trotzdem schwer zu verstehen.

Höranlage im Eigenbau

Nun verfügen nicht alle Räume über Mikrofon und Lautsprecheranlage. Mit der heutigen Technik kann man sich aber relativ gut selbst helfen.
Die Technik ist schnell zusammengestellt. Gebraucht wird ein guter Bluetooth- oder anderer Funkkopfhörer für den Schwerhörigen. Der Kopfhörer sollte den Sprecher möglichst ohne Verzögerung übertragen können. Schließlich müssen Mimik, Gestik und das Gesagte zusammenpassen. Der Sprecher verwendet ein Headset, welches entweder seperat funktioniert oder an den Computer angeschlossen ist. Der Computer überträgt das Gesprochene per Kabel oder Funk an den schwerhörigen Zuhörer. Das nötige Equipment sollte nicht mehr als 150 Euro kosten.
Da viele Leute heutzutage mit Smartphones oder Tablets ausgestattet sind, kann man eventuell auch mit diesen Geräten arbeiten. Eventuell lässt sich der Sound per W-LAN oder Bluetooth übertragen. Leider bin ich nicht wirklich tief in der Sound-Technik drin. Aber nach meiner Einschätzung sollte das technisch machbar sein. Wenn man sich die Sprachqualität von Skype, WhatsApp oder Facebook anschaut, ist die Sprachqualität schon besser als im Mobilfunknetz. Nur die Latenz bei der Übertragung könnte noch ein Problem sein.
Ist der Raum ein wenig größer und der Sprecher stimmlich vielleicht nicht so laut, bietet sich ein funkbasiertes Surround-System an. Natürlich sollte es nicht das Billigste sein, schließlich ist die Sprachverständlichkeit extrem wichtig. Funkbasiert, weil man so Probleme mit der Verlage von Kabeln vermeidet und beim Aufstellen viel Freiheit hat. Die Positionierung der Boxen sollte von einer damit erfahrenen Person vorgenommen werden.
Wenn man solche Technik einsetzt, muss sie qualitativ ausreichend sein und einwandfrei funktionieren. Es hilft weder dem Sprecher noch dem Veranstalter oder den Teilnehmern, wenn die Anlage rauscht, Puff-Geräusche nicht filtern kann oder Rückkopplungen verursacht.

Schwerhörige nach vorn

Nun möchte ich den Schwerhörigen die Verantwortung nicht ganz absprechen. Wer sich nicht traut, dem Veranstalter oder Redner vorher mitzuteilen, dass spezielle Vorkehrungen für ihn notwendig sind, muss Probleme in Kauf nehmen. Unsere hellseherischen Fähigkeiten sind begrenzt.
Zudem sollte man sich natürlich bei einer Hörschädigung nicht ausgerechnet in die letzte Reihe setzen. Niemand muss sich öffentlich bekennen, wenn er nicht möchte. Aber auch wir können nicht erraten, was das Problem sein könnte, wenn uns jemand entflieht.

Demokratie und digitale Inklusion

In diesem Blogbeitrag möchte ich das Thema Demokratie aus der Perspektive der Inklusion betrachten. Das ist ein Beitrag zur BLOGPARADE WAS BEDEUTET MIR DIE DEMOKRATIE? #DHMDEMOKRATIE.

Keine Inklusion ohne Demokratie

Ohne Demokratie gibt es keine Inklusion. In allen politischen Systemen jenseits der Demokratie werden die Menschen bevormundet. Oft mit einer väterlichen, wohlwollenden Attitüde, aber in jedem Fall bevormundet.
Dies gilt insbesondere für Menschen mit Behinderung. Nur in der Demokratie sind wir in der Lage, uns offen und frei zu äußern und eine Öffentlichkeit für unsere Situation zu gewinnen. Nur in der Demokratie können wir auch die Regierung und die öffentlichen Stellen kritisieren, unsere Rechte einklagen und auch Recht bekommen.

Minderheiten sind unterrepräsentiert

Leider sind in allen politischen Gremien sowie in den Parteien die Minderheiten unterrepräsentiert – dazu gehören auch Menschen mit Behinderung.
Für die Lebendigkeit und Repräsentativität der Demokratie ist es aber wichtig, dass Menschen aus allen Schichten und mit unterschiedlichen Hintergründen in den Gremien präsent sind. Das erhöht die Legitimation der Entscheidungen und sorgt für eine höhere Akzeptanz in diesen Gruppen. Denn gerade dort finden wir viele Menschen, die der Demokratie kritisch gegenüber stehen, die nicht wählen gehen und von der Politik frustriert sind.
Es bringt aber auch neben der Legitimität einen anderen Vorteil: Wenn Menschen mit Behinderung präsent sind und beteiligt sind, werden die Themen Inklusion und Barrierefreiheit automatisch mitgedacht. Schon durch ihre Anwesenheit, vielmehr aber auch durch ihre aktive Beteiligung bringen sie diese Themen zur Sprache.

Nichts ohne uns

Ein bekannter Slogan der Behindertenbewegung lautet „Nichts über uns ohne uns“. Das bedeutet, dass wir in allen Angelegenheiten beteiligt werden müssen, die uns betreffen.
Ich würde aber noch weiter gehen und den Slogan auf „Nichts ohne uns“ verkürzen. Wir müssen und sollten uns in allen Bereichen beteiligen, in denen wir kompetent sind. Denn es ist wichtig, dass unsere Stimme überall gehört wird, wenn wir wollen, dass Inklusion überall umgesetzt wird.

Ohne Inklusion keine Demokratie

Die Demokratie als politisches System muss stetig weiter entwickelt werden. Heute gehört dazu, dass Menschen aus Minderheiten-Gruppen aktiv eingebunden werden. Und wie oben dargestellt vor allem, aber nicht nur in Angelegenheiten, die sie selbst betreffen. Sie sollen in allen Bereichen präsent sein.
In diesem Sinne meint Inklusion die Einschließung der größtmöglichen Zahl an unterschiedlichen Personen. Es hilft dabei, auch unpopuläre Entscheidungen wie etwa zum Klimaschutz auch in anderen Bevölkerungsgruppen zu legitimieren.
Am Ende profitieren alle, denn Inklusion heißt nicht, dass Menschen aus Minderheiten gewinnen. Inklusion heißt, dass alle gewinnen.

Inklusion ist die Zukunft

In einem älteren Beitrag habe ich gezeigt, wie jeder zur Barrierefreiheit beitragen kann. Heute wiederhole ich das gleiche Spiel für die Inklusion, das gleichberechtigte Zusammenleben von Behinderten und Nicht-Behinderten – das ist ein Beitrag zur aktuellen Blog-Parade der Aktion Mensch Inklusion 2025. Ein Resümee gibt es hier.

Inklusion Top-Down

Die diversen Regierungen und NGOs tun recht viel für die Inklusion. Nicht nur, dass sie die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ratifiziert haben – ein schönes Wort. Sie machen auch Aktionspläne, erstellen regelmäßige Berichte und Schatten-Berichte – äh ja.

Mit anderen Worten: Man kann als Behinderter ein Leben lang durch die Weltgeschichte spazieren, ohne etwas von diesen Aktivitäten mitzubekommen und man kann sogar Paris sehen und sterben, ohne zu wissen, was ein Aktionsplan oder ein Schattenbericht sein soll.

Hingehen, wo es manchmal riecht

Währenddessen kocht es an vielen Orten, wo behinderte und nicht-behinderte Kinder gemeinsam unterrichtet werden sollen. Hier und nicht in Berlin werden die entscheidenden Kämpfe ausgetragen, wenn es um die Zukunft der Inklusion geht. Die behinderten Schüler von heute werden – das hoffe ich zumindest – ganz selbstverständlich mit Nicht-Behinderten aufwachsen. Deren Eltern – die Entscheidungsträger und Führungskräfte von morgen, werden schon in naher Zukunft darüber entscheiden können, ob sie einen Job an einen Behinderten geben, ihn als Arbeitskollegen oder Mieter haben wollen.

Es ist also weniger der Teilhabe-Bericht als die behinderten Kinder vor Ort, die die meiste Entscheidungsarbeit leisten. Sie überzeugen durch ihre pure Anwesenheit, wenn sie schreiend mit ihren Schulkameraden über den Schulhof toben. Nicht nur die behinderten Kinder, auch ihre nicht-behinderten Mitschüler werden ganz anders mit Behinderten umgehen, als es die heute Erwachsenen tun.

Niemand kann erwarten, dass das Ganze konfliktfrei abläuft. Alle großen Veränderungen gehen mit Zwistigkeiten einher, die für viele der Beteiligten auch anstrengend oder schmerzhaft sind. Am Ende wird aber – darauf kommt es an – etwas heraus kommen, was für alle Beteiligten besser ist als die Gegenwart. Und was ist schon ein Sieg, für ddn man sich nicht anstrengen musste – gar nichts.

Was nicht inklusiv ist, wird inklusiv gemacht

Junge Behinderte sind immer weniger bereit, spezielle Angebote für Behinderte in Anspruch zu nehmen. Stattdessen gehen sie einfach in den nächstbesten Sportclub und fragen, warum es keine Rampe oder inklusive Gruppe gibt. Und oftmals rennen sie angelehnte Türen ein.

Wenn man sich ein wenig umschaut bekommt man schnell den Eindruck, viele Behinderte würden die Geellschaft als Feind betrachten. Hat mich der Typ jetzt über den Haufen gerannt, weil ich blind bin? Nein, vermutlich ist er nur ein ignorantes Arschloch, dass jeden Anderen auch über den Haufen gerannt hätten. Oder er ist zu dumm, um einen Blindenstock zu erkennen, auch das kommt vor. Aber den meisten Menschen ist es egal, ob jemand behindert ist oder nicht und Viele sind offen dafür, Behinderten entgegenzukommen, wenn man ihnen nicht ins Gesicht keift.

Dieser Dogmatismus „Sei lieb zu mir oder du bist ein Behindertenfeind“ ist für junge Behinderte nicht mehr angesagt. Sie gehen mit ihrer Behinderung sehr offen um, sind bereit, anderen bei der Inklusion auf die Sprünge zu helfen und können auch damit leben, wenn jemand Behinderte offensichtlich nicht leiden kann.

Jeder von uns kann also zur Inklusion beitragen und sollte es auch tun, denn die Inklusion wird sich nicht von selbst einstellen. Wir betreten Neuland, wie unsere Kanzlerin sagen würde und es spricht nichts dagegen, auch Spaß dabei zu haben.

Behinderungen spielerisch vermitteln

Ob Autorennen fahren, Zivilisationen aufbauen oder außerirdische Eindringlinge vertreiben, Computerspiele kommen gerne unpolitisch daher. Sie wollen vor allem unterhalten und selten eine Botschaft vermitteln. Aber sind sie tatsächlich unpolitisch?
Nicht, wenn es nach der amerikanischen Spieleentwicklerin Anna Anthropy geht. In ihrem in Spielerkreisen heiß diskutierten Buch „The Rise of the Videogame Zinesters“ kritisiert sie, dass Computerspiele vor allem von weißen, heterosexuellen Männern entwickelt werden und deshalb nur deren Wahrnehmung und Werte widerspiegeln. Anna tritt deshalb dafür ein, dass auch Amateure Spiele entwickeln und zeigt in ihrem Buch auch einige Werkzeuge, mit denen das möglich ist. Tatsächlich gibt es eine wachsende Independent-Szene an Spieleentwicklern und die Computergames könnten der nächste Bereich werden, der von der Do-It-Yourself-Bewegung erobert wird.

Auch Menschen mit Behinderung spielen

Natürlich zocken auch Menschen mit Behinderung gerne am Computer. Für Blinde gibt es zum Beispiel spezielle Audiogames, die nur über das Gehör gespielt werden können.
Zwei Entwicklungen der letzten Jahre haben es für Menschen mit Behinderung wesentlich erleichtert, Computerspiele zu spielen. Einige Smartphones und Tablet-PCs sind dank eingebauter Hilfstechnik und berührungsempfindlicher Displays auch für Blinde und Sehbehinderte sehr gut nutzbar. So können sie auch einige Spiele nutzen, die auch von Sehenden gespielt werden.
Die andere große Entwicklung sind die Bewegungssteuerungen, insbesondere die WII von Nintendo und die Kinect von Microsoft. Die Bewegungssteuerungen bringen zwei neue Aspekte ins Spiel: Zum einen sind viele Spiele mit einer Bewegungssteuerung intuitiver gestaltet und erleichtern so den Einstieg auch für Gelegenheitsspieler. Zum anderen erlauben sie auch das Spielen für Menschen, die sich nur eingeschränkt bewegen und weder Maus, Tastatur noch Joystick gut bedienen können. Viele ältere Menschen sind über die WII zum ersten Mal in ihrem Leben mit Computerspielen in Berührung gekommen. Viele Menschen entdecken durch diese Spiele ihre Freude an der Bewegung und gewinnen damit an Lebensqualität.

Spielend mehr über Behinderung erfahren

Computerspiele können nicht nur unterhalten, sie können auch ein Bewusstsein für Behinderung vermitteln. Ich kann jedem Spieleentwickler nur empfehlen, einmal ein Audiogame auszuprobieren, er wird überrascht sein, wie viel nur über Akustik vermittelt werden kann.
Spiele können auch genutzt werden, um auf Barrieren im Alltag aufmerksam zu machen. „Trapped Dead“ zum Beispiel ist ein Strategiespiel, bei dem der Spieler eine Gruppe von Menschen mit individuellen Stärken und Schwächen durch das Spiel steuern muss. Einer der Spielcharaktäre sitzt im Rollstuhl, so dass der Spieler darauf achten muss, dass zum Beispiel alle Gebäude, die er betreten möchte eine Rampe haben.
„Game Over!“ bezeichnet sich selbst augenzwinkernd als das wahrscheinlich unzugänglichste Spiel der Welt. Die Macher wollen Spieleentwicklern praktisch zeigen, welche Barrieren für Menschen mit Behinderung bestehen und damit die Richtlinien für barrierefreie Spiele anschaulicher machen.

Barrierekoffer

In Sachsen gibt es ein schönes Projekt, um Kindern spielerisch das Thema Behinderung und Barrierefreiheit näher zu bringen: Den Barrierekoffer. Er basiert auf Puppen mit verschiedenen Behinderungen und wurde nach dem Kinderbuch „Der kleine Löwe und seine Freunde“ entwickelt. Das Projekt wurde vom Behindertenverband Leipzig entwickelt. Weitere Infos gibt es bei der Stadtbibliothek Leipzig.

Ein ähnliches Projekt, dass aber eher für ältere Kinder oder Jugendliche gedacht ist, nennt sich „GIPS – Spielen und Lernen“ . Der Ansatz stammt ursprünglich aus den Niederlanden, es handelt sich um ein dreiteiliges Programm, das an Schulen durchgeführt werden kann. Die Kinder können sich dabei in die Situation verschiedener Behinderter versetzen, zum Beispiel mit Blindenstock und Sonnenbrille oder Rollstuhl. Mehr zu GIPS

Die Deutsche Telekom hat ein Unterrichtspaket namens Leistungsstark trotz Handicap veröffentlicht. Damit können Kinder verschiedene Behindertensport-Arten ausprobieren, um so ein Gefühl für Behinderungen zu gewinnen.

Die Fliedner Werkstätten haben einen Koffer entwickelt, der das Erlernen der Gebärdensprache erleichtern und für diese Sprache sensibilisieren soll. Zum Koffer gehört eine Fortbildung, die dabei helfen soll, erste Gebärden zu erlernen und ein Gefühl für die Sprache zu bekommen.

Barrierefreiheit und die Beschwerdekultur im Internet

Es gibt zwei Arten von Menschen, die bei mir echte Unlust auslösen, mich weiter mit Barrierefreiheit zu beschäftigen. Das eine sind nicht-behinderte Menschen, die einen Validator bedienen können. Das andere sind Behinderte, die sich offenbar nicht im Griff haben.

Ich kenne beide Seiten. Ich habe mich öfter bei Organisationen beschwert. Teilweise haben sie darauf reagiert, teilweise nicht. Zeit Online zum Beispiel hat sehr flott auf meine Anmerkung reagiert, dass der LogIn in den Community-Bereich für Blinde schwierig ist. Andere reagieren gar nicht. Das ist ärgerlich, aber so ist das Leben. Ich käme aber nie auf die Idee, einen Menschen oder eine Organisation persönlich anzugreifen.
In meinem Job kriege ich ca. alle zwei Wochen eine Beschwerde auf den Tisch. Da behauptet Max Mustermann, die Seite XY sei nicht barrierefrei, weil sie nicht valide ist. Meistens folgt dann noch ein persönlicher Angriff der Art, die Organisation würde sich ihrer Barrierefreiheit rühmen, sich aber eigentlich nicht darum kümmern.
Privat würde ich Max mitteilen, dass er keine Ahnung hat und sich einen Job suchen sollte, wenn er nichts besseres zu tun hat.
So prüfe ich also die Webseite mit dem HTML-Validator und siehe da, ein roter Balken und 12 Fehler + x Warnungen. Jetzt muss man wissen, dass schon eine fehlende spitze Klammer eine ganze Kaskade an Fehlermeldungen auswirft, die Browser aber solche Fehler in der Regel gut verarbeiten können. Solche Fehler treten eher bei handgemachten Seiten auf, Webseiten von Redaktionssystemen, die heute die Regel sind, vergessen keine Klammern.
Was sagt also der Fehlerbericht? Er sagt, Im verwendeten Zeichensatz müssen bestimmte Zeichen als Entitäten codiert werden. Die Fehler treten auch noch im Head der Datei auf, also der Ort, wo sich die meisten Menschen die meiste Zeit aufhalten. Liebe blinde Kollegen: wenn ihr merkt, dass jemand das kaufmännische und nicht als & schreibt, das ist nicht barrierefrei, beschwert euch sofort. Ihr wisst nicht, was das bedeutet? Nun, der Mensch, der sich beschwert hat, weiß das offenbar auch nicht.
Was meistens auch anschlägt sind ARIA-Attribute. Ist das nicht geil, da bemüht sich jemand, die Seite besonders barrierefrei zu machen und muss sich dann von einem Blödmann anhören, seine Seite sei nicht barrierefrei, weil sie nicht validiert?
Ich merke aber sofort, dass ich einen Experten vor mir habe, wenn er mir mitteilt, ich hätte ein Attribut mit einem Tag verwechselt – oder umgekehrt. Da weiß ich, der Mensch ist wirklich auf die wichtigen Sachen fokussiert.
Woher ich weiß, dass Max wahrscheinlich keine Behinderung hat? Meiner Erfahrung nach haben Behinderte was Besseres zu tun als Seiten durch den Validator zu jagen und anschließend Leute mit den Ergebnissen zu nerven. Vielleicht irre ich mich aber auch.

Auch mit Behinderten hat man es nicht leicht

Dann kommen auch die Beschwerden von Behinderten. Es ist natürlich völlig legitim, sich über eine Sache zu beschweren. Was mich immer wieder erstaunt ist die Aggressivität der Leute. Offenbar glauben sie, nur weil man sich um Barrierefreiheit kümmert, könne man seinen ganzen Frust bei dieser Person abladen. Man pinkelt uns ins Gesicht würde Sven Regener an dieser Stelle sagen. Einer unspezifischen Beschwerde folgt eine Welle an Diffamierungen, Beleidigungen oder haltlosen Vorwürfen.
Wenn ich dann einmal höflich nachfrage, wo denn konkret das Problem liegt und welche Hilfstechnik die Person verwendet kommt – nichts mehr. Da hat wohl jemand nicht damit gerechnet, dass da ein Mensch am anderen Ende sitzt und sogar antworten kann. Die Leute erwarten, dass wir ihre kryptischen Fehlermeldungen entschlüsseln und ihre Probleme wie von Zauberhand lösen, dabei sind sie nicht einmal bereit oder in der Lage, ihr Problem konkret zu beschreiben.
Auch wenn das nicht ganz politisch korrekt ist, darf ich das als Behinderter sagen: das Problem sitzt oft vor dem Bildschirm. Ich kann meine Webseite noch so barrierefrei machen, wenn der Mensch vor dem Bildschirm nicht weiß, wie er mit Jaws ein Formular ausfüllt – und das kommt oft genug vor – was genau soll ich dann machen? Wenn jemand mit Windows 98 und Jaws 4.7 unterwegs ist, kann ich mit Sicherheit sagen, dass die Barrierefreiheit von Webseiten nicht sein größtes Problem ist.
Sagt man der betroffenen Person, dass sie einen Fehler gemacht hat, verschärft man deren Abwehrhaltung nur noch. Fehler, die machen immer nur die anderen.
Was mich wirklich ärgert ist, dass ausgerechnet die Leute diese Beschwerden bekommen, die sich um Barrierefreiheit bemühen. Ich wette, bei Aldi oder Lidl beschwert sich niemand über die unzugänglichen Webseiten.
Man ist schnell dabei, sich über etwas zu beschweren. Niemand bedankt sich für die Mühe, die jemand in die Barrierefreiheit seiner Webseite gesteckt hat. Wenn aber auf Unterseite 23 beim dritten Bild der Alternativtext fehlt gibt es sicher einen Hampel, der sich bei dir ins Mailfach erbricht und sagt, deine Seite wäre nicht barrierefrei und du hättest keine Ahnung. Wer will sich da noch mit Barrierefreiheit oder überhaupt mit Behinderung beschäftigen?

Warum Braille/Blindenschrift heute noch gebraucht wird

Vor kurzem las ich folgende Info in einer Blinden-Mailingliste: Eine Blindeneinrichtung beschloss vor einigen Wochen, dass sie ihre Blindenbücherei nicht mehr benötigte. Die Schüler hatten zwei Wochen Zeit, sich noch Bücher zu sichern. Der Rest ist auf den Müll gewandert. Insgesamt ist dem Vernehmen nach das Braille-Wesen auf dem absteigenden Ast. Es werden immer weniger Braillebücher ausgeliehen. Das lässt zwei Interpretationen zu:

  • Blinde sind gut mit Braillezeilen ausgestattet und ziehen das elektronische Lesen vor. Immerhin ist die Zahl der eBooks sprunghaft gestiegen.
  • Blinde lesen gar kein Braille mehr, sondern ziehen Hörbücher und vom Screenreader vorgelesene Bücher vor.

Ich fürchte leider, dass Letzteres zutrifft.

Erinnerungen in sechs Punkten

Ich selbst habe Braille in der Kindheit gelernt – kurioserweise an einer Sehbehindertenschule. Ich habe es dann fast 20 Jahre nicht mehr eingesetzt. Vor ein paar Jahren habe ich dann beschlossen, mich wieder intensiv damit zu beschäftigen. Vieles ist am Computer mit Braille einfacher zu erledigen: Korrektur lesen, Code lesen und die Schreibweise unbekannter Wörter erkennen zum Beispiel. Ich kaufte mir also eine gebrauchte Braillezeile und fing an zu lesen. Es war ziemlich mühsam. Ihr kennt das vielleicht, wenn ihr anfangt, Texte in einer fremden Sprache zu lesen. Ich war so langsam, dass ich nur mechanisch gelesen und kaum kognitiv verarbeitet habe. Die Kurzschrift-Zeichen waren mir großteils entfallen. Außerdem habe ich mir nicht die nötige Zeit genommen. Zwei-drei Stunden am Wochenende waren nicht genug.
Dann entdeckte ich auf der Pinwand jemanden, der alte Braillebücher verschenkt hat. Kurzerhand ließ ich mir die Bücher liefern: 9 Bände in drei großen Kartons.
Mein Vorhaben war, die Bücher unterwegs zu lesen. Ich bin ja viel mit Bus und Bahn unterwegs und habe da reichlich Zeit, was Sinnvolleres als Handygepatsche zu machen. Heute kann ich sagen – nach gut drei Jahren – dass ich relativ flüssig lesen kann. Das heißt, ich kann den Sinn erfassen und nicht nur die Zeichen. Im Vergleich mit einem geübten Leser könnte ich nicht ansatzweise mithalten, aber darum geht es mir nicht. Was ich begriffen habe: Man braucht reichlich Routine, um flüssig lesen zu können.

Braille wird wichtiger

Ich hatte auf Facebook eine kleine Diskussion darüber angezettelt, ob man als Vollblinder ohne Braille überhaupt vernünftig schreiben kann. Ich weiß zum Beispiel bei vielen neumodischen Wörtern nicht, wie sie geschrieben werden. Sie werden ja von der Sprachausgabe vorgelesen. Die Kommasetzung in der neuen Rechtschreibung ist mir ein Rätsel, weil ich seit der Reform kaum noch Schwarzschrift-Texte gelesen habe.
In der besagten Diskussion erhielt ich überwiegend Zustimmung, aber auch ein paar ablehnende Stimmen. Viele meinen, dass sie auch ohne Braille gut schreiben könnten. Ich bleibe aber bei meiner Aussage. Trotz der Digitalisierung – oder gerade deswegen – ist Braille wichtig. Es reicht nicht aus, die Zeichen zu kennen, man muss flüssig lesen können. Und das funktioniert nur, wenn man regelmäßig liest. Außerdem denke ich nach wie vor, dass man zu selbst gelesenen Texten ein anderes Verhältnis hat als zu Hörbüchern oder vom Screenreader gelesenen Büchern. Ich kann durchaus nachvollziehen, dass jemand, der mit 50 erblindet ist kein guter Braille-Leser werden wird und es gar nicht lernen möchte. Für die jung Erblindeten gilt das aber nicht. Es gibt kaum noch einen Beruf, in dem man nicht gut lesen und schreiben können muss. Es mag sein, dass man 90 Prozent seiner Aufgaben mit der Sprachausgabe erledigen kann. Aber manchmal kommt es genau auf die restlichen 10 Prozent an.