Ausschreibungen zur Barrierefreiheit – realitätsfremde Erwartungen des öffentlichen Dienstes

Ihr merkt es, ich bin in Schimpflaune auf den öffentlichen Dienst. Nachdem der Staat die Barrierefreiheit entdeckt hat – die erste BITV ist ja erst 20 Jahre alt – kommen jetzt nach und nach die ganz großen Brötchen: Millionenschwere Ausschreibungen für Tests zur Barrierefreiheit von Webseiten, Erstellung Leichter oder Gebärdensprache und noch einiges mehr.
Ich hatte in einem anderen Beitrag geschildert, wie die Barrierefreiheits-Consulting-Struktur in der DACH-Region aufgestellt ist: Es sind vor allem Kleinnst-Agenturen, die solche Volumen wahrscheinlich nicht einmal dann stemmen könnten, wenn sie nicht ohnehin gut ausgelastet wären. Die Einzelunternehmer bleiben ohnehin außen vor.
Allerdings sind diese Unternehmen durch die Klauseln ohnehin ausgeschlossen: Da wird häufig ein Mindest-Umsatz oder Mitarbeitenden-Zahl eingefordert, die man nur bei großen Unternehmen findet.
Jüngstes Beispiel ist eine Ausschreibung der Knappschaft Bahnsee, dem Träger der Überwachungsstelle des Bundes. Da gab es ein Volumen von 800 Schnelltests über vier Jahre, kurze Zeit vorher schrieb der Bund ein Volumen von 25000 Seiten Leichte Sprache über vier Jahre aus. Es gibt in ganz Deutschland kein Leichte-Sprache-Büro, welches ein solches Volumen bewältigen kann. Den Vogel abgeschossen hat die IT NRW: Dort wollte man Schulungen, Tests und Consulting in hoher Zahl einkaufen. Gefordert wurden meiner Erinnerung nach mindestens 10 zertifizierte Software-Tester, Fachpublikationen, Präsenz auf Fachkonferenzen (in Deutschland?) und noch einiges mehr. Für mich las sich das so, als ob man im Prinzip alle kleinen und mittelständischen Unternehmen von Vorneherein ausschließen wollte.
Das traurige Spiel ist bekannt: Große Agenturen werfen sich mit Dumpingpreisen drauf und kaufen die Leistung dann billig ein: Die Tests werden in Ländern mit geringeren Löhnen durchgeführt – die Auslandstochter ist schnell gegründet, dann bleibt alles in der Firma. Behinderte Menschen müssen nicht eingebunden sein – die haben uns ja den Mist eingebrockt. Alternativ werden ein paar Studierende kurz eingelernt. Ich habe einige Barrierefreiheits-Berichte großer Agenturen gesehen: Sie sind künstlich aufgebläht, um Kompetenz vorzutäuschen, die Testqualität ist mangelhaft.
Das Tragische an der Geschichte ist, dass die ausgeschriebenen Volumen oft nicht annähernd abgefragt werden. Irgendwo in der Abstimmung zwischen den Bundes-Einrichtungen und dem Beschaffungsamt scheinen die Informationen verloren zu gehen. Die Idee ist einfach: Man kauft große Volumen gemeinsam ein, um den Gesamtpreis zu senken. Aber die Bundesbehörden nutzen diese Rahmenverträge anscheinend nicht, sondern beschaffen sich die Leistungen einfach selbst. Ob das billiger oder teurer ist, ist eine andere Frage.
Durch diese Politik schadet sich der Bund langfristig selbst. Natürlich kann ich günstigere Preise anbieten, wenn jemand große Volumen abnimmt. Wenn jemand aber große Volumen anfragt und Rabatte bekommt, diese Volumen aber nicht annähernd abgerufen werden, ist man kein guter Geschäftspartner. Zudem verhindert man auf diese Weise eine vernünftige Planbarkeit. Für ein großes Unternehmen spielt das keine so große Rolle. Für einen Freelancer ist der Bund ein unberechenbarer Kunde.
Wie kann man es besser machen?
1. Die Ausschreibungen müssen barrierefrei sein. Das ist leider oft nicht gegeben, ist aber gesetzlich gefordert.
2. Die Ausschreibungen müssen kleinere Volumen aufweisen. Ich denke, es ist dem Bund zumutbar, die Ausschreibungen bei 200.000 € pro Jahr zu deckeln, das gibt auch kleineren Agenturen die Chance, sich zu bewerben.
3. Es müssen zwingend Menschen mit Behinderung in den Barrierefreiheits-Projekten beteiligt sein. Vergessen wir mal nicht, dass es sich hier um öffentliches Geld handelt. Im Augenblick bezahlt man Nicht-Behinderte dafür, dass sie die Fehler von NIcht-Behinderten ausbügeln und das ohne die Beteiligung behinderter Menschen.