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Home Office für Menschen mit Behinderung – Chancen und Risiken


Corona hat viele Prozesse ermöglicht oder beschleunigt, die sich Digitalisierungs-Fans wie ich schon immer gewünscht haben. Eine dieser Möglichkeiten ist die Arbeit von zuhause – Remote Work oder Home Office genannt.

Vorteile des Home Office für Behinderte

Für behinderte Menschen ergeben sich durch Home Office zahlreiche Vorteile, von denen ich einige kurz nennen möchte:

  • Der Arbeitsweg entfällt: Er ist etwa für Blinde oder gehbehinderte Menschen stets eine Herausforderung.
  • Es wird nur eine Hilfsmittel-Ausstattung benötigt. Ansonsten braucht man eine Ausstattung für zuhause und eine für den Arbeitsplatz.
  • Home Office zwingt zu digitalen abläufen. Goodbye zu Faxen, handgeschriebenen Notizen und Bergen an ausgedrucktem Papier, die etwa für Blinde nur schwer zugänglich sind.
  • Die Notwendigkeit zu Umzügen kann entfallen. Der Wohnungsmarkt ist generell angespannt, barrierefreier Wohnraum ist praktisch nicht vorhanden.

Zum Thema Digitalisierung und Chancen für Menschen mit Behinderung habe ich einen eigenen Beitrag geschrieben.

Neue Barrieren durch Technik

Allerdings können durch die Digitalisierung neue Barrieren entstehen. Zum Beispiel ist bei vielen Unternehmen eine Software vorgeschaltet, die den Zugriff auf das interne Netzwerk absichert. Viele dieser Programme sind nicht barrierefrei. Im Worst Case heißt das, dass der behinderte Mitarbeiter die Infrastruktur nicht nutzen kann.
Auch viele der Kommunikations- und Datenverwaltungssysteme sind in der Nutzung recht komplex. Google Docs und ähnliche komplexe Programme, die im Browser laufen mögen für eine sehende Person ähnlich nutzbar sein wie ein installiertes Office. Für eine blinde Person trifft das mit Sicherheit nicht zu. Meines Erachtens gab es in den letzten Jahren auch wenig Fortschritt.

Home Office kann zu Exklusion führen

Aus den Augen, aus dem Sinn, so geht es mit vielen Dingen. Es kann zur Inklusion beitragen, wenn man den behinderten Kollegen regelmäßig sieht. Doch ist das nicht der Fall, kann der gegenteilige Effekt auftreten. Es stellt sich die Frage, wofür man räumliche Barrierefreiheit braucht, schließlich kann der Kollege im Rollstuhl von zuhause aus arbeiten.
Für den behinderten Menschen besteht das Risiko der sozialen Isolation, insbesondere für Gehörlose oder Menschen mit Autismus oder für Personen, die soziale Kontakte vermeiden. Für sie ist der Arbeitsplatz manchmal die einzige Möglichkeit, soziale Kontakte zu haben.
Es besteht durchaus die Gefahr, dass der Arbeitgeber „schwierige“ Personen ins Home Office abdrängt, um deren Schwierigkeiten am Arbeitsplatz nicht lösen zu müssen.
Und natürlich gibt es Tätigkeiten, die sich nicht ohne Weiteres ins Home Office verlegen lassen. Eine Digitalisierung begünstigt generell Wissens- und Kommunikations-Arbeiter, während sie Körper-Arbeiter nicht unmittelbar zugute kommt.

Fazit

Zusammenfassend lassen sich zwei Aspekte beim Thema Behinderung und Home Office erkennen. Es ist eine Chance vor allem für technisch fite Personen, sofern die Lösungen im Wesentlichen barrierefrei sind. Es können aber auch neue Barrieren gerade für jene geschaffen werden, die technisch weniger fit sind. Ein weiteres Risiko besteht in einer möglichen sozialen Isolation und Exklusion.

Zum Weiterlesen

Barrierefreie PDFs mit Google Chrome

Seit Google Chrome Version 85 können mit dem Browser barrierefreie PDFs erzeugt werden. Voraussetzung ist natürlich, dass die ursprüngliche Seite bereits Barrierefreiheits-Informationen wie Überschriften und Alternativtexte enthält. Wie gut das PDF aussieht, hängt im Wesentlichen davon ab, ob der Ersteller ein Druck-Stylesheet vorgesehen und optimiert hat.
In der aktuellen Version ist das Feature experimentell und noch nicht für alle freigeschaltet. Um es zu aktivieren, gehen Sie folgendermaßen vor:
1. Geben Sie in die Adresszeile „chrome://flags/#export-“ ohne die Anführungszeichen ein.
2. Suchen Sie in der erscheinenden Liste nach „Export Tagged PDF“.
Screenshot der Funktion
3. Stellen Sie das Feature auf „enabled“.
Starten Sie Chrome zunächst neu. Rufen Sie dann eine Webseite Ihrer Wahl auf. Wählen Sie „Drucken“ aus dem Menü. Wählen Sie aus dem Auswahlmenü „Als PDF speichern“ und drücken Sie auf den Button „Speichern“.
Screenshot des Drucken-Dialogs
Standardmäßig wird das PDF im Download-Ordner gespeichert.
Chrome kann mittlerweile auch automatisch Überschriften in PDF einfügen. Er ist also auch als einfaches Leseprogramm geeignet, übrigens auch für nicht-barrierefrei getaggte PDF. Leider sind alle Überschriften als h2 getaggt.

Weiterführende Infos

Ein Blinder zwischen Android Talkback und iOS VoiceOver

emojiDieses Jahr habe ich meinen dritten Versuch mit Android als Blinder gestartet. Heißt, ich habe das Haupt-System gewechselt. In Betrieb habe ich immer beide Systeme, unter anderem, um Apps testen zu können.
Zunächst einmal ist dies hier kein objektiver Vergleich beider Systeme. Ich sehe ein Smartphone als Arbeitsgerät, nicht als Gadget oder Statussymbol. Ich habe mir alle iOS-Geräte gebraucht gekauft, weil mir die Preise trotz der zweifellos guten Leistungen von Apple übertrieben scheinen. Ich kann mich nicht entscheiden, ob mir Google mit seiner Datensammelei und der Verbreitung von Hass, Hetze und Verschwörungstheorien oder Apple mit seiner closed-Source-Politik unsympathischer ist. Leider ist Microsoft aus dem Rennen komplett ausgestiegen, ansonsten hätte das sehr spannend werden können. Insgesamt nerven die Konzerne mit ihrer PR für Barrierefreiheit, allerdings steckt bei Apple etwas dahinter, während Google vor allem PR und heiße Luft produziert.
Mein Fazit ist klar: iOS hat eindeutig die besseren Features für Blinde, sie sind sauberer implementiert und das Gesamtsystem funktioniert deutlich besser. Apple liegt mit seinen Smartphones Jahre vor Google. Würde ich Schulnoten verteilen, würde Apple eine 2 + und Google eine 4 minus erhalten.
Zugegeben habe ich iOS deutlich länger genutzt als Android. Talkback war bis zu Android 6 im Grunde unbrauchbar. Dadurch kenne ich das iPhone in jedem Fall besser als Android.
Blinde Android-Fans sagen, funktioniert alles. Es gibt eine gewisse Schönrederei, aber das kennen wir ja schon von den Applenutzern.
Mir persönlich ist meine Zeit aber zu schade, um sie mit dem Lesen von Handbüchern zu verschwenden. Und ich bin zu alt, mir hundert neue Gesten und Tastenkombinationen auswendig zu lernen.

Talkback geht irgendwie

Talkback stellt die wesentlichen Basis-Features eines mobilen Screenreaders bereit. Das Meiste funktioniert irgendwie, gerade die Google-eigenen und die Mainstream-Apps sind gut nutzbar.
Es ist allerdings unintuitiv. Ich habe relativ wenige Gesten bei Apple nachschlagen müssen. Bei Google habe ich bis heute nicht herausgefunden, wie man Text kopiert und einfügt oder Texte schnell und nicht buchstabenweise löscht.
Meine Vermutung ist, dass Google komplett aus dem Rennen ausgestiegen ist. Es gibt kaum neue Features seit Android 6, man konzentriert sich auf Bugfixes, aber auch das nicht effektiv. Beispiele gefällig?

  • Es gibt keine Standard-Funktion, um Android bei der Erst-Einrichtung oder im laufenden Betrieb ein- und auszuschalten. Ja, man kann Android nach der Einrichtung auf die Lautstärke-Tasten legen, das geht aber nur, wenn man das einmal in den Einstellungen aktiviert hat.
  • Es gibt Latenzen beim Scrollen in Chrome und in Apps, die offenbar Komponenten von Chrome verwenden. Scrollt man, macht Talkback eine mehrere Sekunden lange Denkpause, egal, wie komplex die Webseite ist. Im Firefox tritt das Problem nicht auf.
  • Die Google Sprachausgabe spricht seit einiger Zeit keine Emojis mehr und spricht die Überschriften Englisch.
  • Es gibt keine Standard-Geste für „Ab dem nächsten Element lesen“, ein Feature, dass man für Bücher oder Webseiten praktisch immer braucht.
  • Die Funktion „Ab dem nächsten Element lesen“ funktioniert in alternativen Browsern wie dem Firefox nicht, stattdessen liest er einfach von oben an.
  • Die Farbumkehr des Bildschirms wird im Stromsparmodus ausgeschaltet.
  • Weder in Google Mail noch im Chrome-Browser kann man Telefonnummern einfach anklicken und anrufen wie bei iOS

In den Apps geht es weiter: So wird in WhatsApp in einem Gruppen-Chat oft nicht klar, wer was geschrieben hat. Bei vielen Webseiten in egal welchem Browser werden Überschriften nicht vorgelesen, etwa bei der Google-Suche oder bei Spiegel Online auf der Startseite. Bei Twitter wird sowohl der angezeigte Name als auch der Twitter-Name vorgelesen, bei mir also Domingos @domingos2, eine dieser Infos wäre vollkommen ausreichend, möchte man mehr als antworten, liken oder retweeten, muss man in den Tweet absteigen. In der Google-eigenen App Fit werden Informationen einer Tabelle in einer falschen Reihenfolge vorgelesen. Die Stimm-Aktivierung von Google Assist habe ich nach endlosem Rumprobieren nicht zum Laufen bekommen.
Ich kann solche Probleme endlos aneinandereihen. Es funktioniert, aber komfortabel ist was Anderes.
Am schlimmsten finde ich die Google Tastatur GBoard. Bei Apple fokussiert man den Buchstaben und wählt ihn durch Doppeltippen aus. Bei Android wird der Buchstaben bei Fokussieren und Loslassen geschrieben. Oft wird der Buchstabe neben dem ausgewählt, den man eigentlich tippen wollte. Oftmals löst man eine Aktion aus, obwohl man nur scrollen wollte.
Wir erinnern uns: Apple ist ein Hardware-Konzern mit einer Software-Schmiede, Google ist ein Software-Konzern mit einer Hardware-Sparte. Heißt, Google hätte mehr Entwicklungs-Kompetenz, die aber ganz offenbar nicht in die Barrierefreiheit für Blinde gesteckt wird.
Das ist aber nur ein Symptom. Ich habe hier den direkten Vergleich zwischen Android 6 und Android 10. Es sind so gut wie keine Features dazu gekommen. Bei Apple darf man sich bei einem ohnehin sehr ausgereiftem System jedes Jahr über neue Features freuen. Google scheint nicht einmal die Basis-Funktionen richtig zu pflegen. Zumindest gibt es jetzt eine Möglichkeit, Brailleschrift direkt über das Display einzugeben, ein Feature, dass iOS schon lange hat.
Völlig versagt hat Google im übrigen bei Smartwatches. Meines Wissens gibt es nur wenige Geräte, bei denen Talkback überhaupt funktioniert und das auch nur mit viel Gebastel.
Das gleiche Trauerspiel finden wir bei Android-Tablets. Zumindest bei den günstigen Geräten scheint Talkback nicht immer vorinstalliert zu sein. Bei meinem letzten Versuch wurde Talkback nach einer Sekunde beendet. Ich konnte das Gerät nicht selbständig einrichten und habe es deshalb zurückgeschickt.
Traurig ist, dass Google das Potential eines Open-Source-Systems nie ausgenutzt hat. Es ist zum Beispiel nicht ersichtlich, warum es keine Erweiterungs-Möglichkeiten gibt. Könte man Erweiterungen für Talkback schreiben oder es mit der Sprachsteuerung von Google verknüpfen, wären unglaubliche Dinge machbar. Mir scheint aber, dass Google mit seiner 4 minus zufrieden ist.
Im Endeffekt benutze ich auf dem Android fast ausschließlich native Apps. Zum Surfen im Browser greife ich lieber zum iPhone.

VoiceOver

Über VoiceOver muss man nicht so viele Worte verlieren. Es funktioniert einfach sauber, bekommt regelmäßig neue Features und man hat nicht wie bei Talkback das Gefühl, das hier irgendwas zusammengefrickelt wurde. Es gibt Bugs, die Jahre mitgeschleppt werden und letztes Jahr gab es größere Probleme bei einem großen Update. Allerdings war nichts davon so schwerwiegend, dass man jetzt unbedingt wechseln müsste.

Ist VoiceOver besser als Talkback?

Besser oder schlechter ist im Zusammenhang mit komplexer Software selten eine sinnvolle Kategorie. Ist Frankreich besser als Italien? Ist Jupiter besser als der Mars? Sinnfreie Fragen, die am Ende Geschmackssache sind. Wie gesagt verwende ich nach wie vor Android als Hauptsystem. Es funktioniert also, aber der Wow-Effekt stellt sich nicht ein.
Eindeutig messen lässt sich die Zahl der Konfigurationsmöglichkeiten: Sie sind bei VoiceOver wesentlich zahlreicher. Es gibt mehr Stimmen zur Auswahl, mehr Möglichkeiten der Braille-Konfiguration uvm.
Nächste Frage: Würde ich einem Blinden Android oder iOS empfehlen? Auch hier keine eindeutige Antwort. Jemandem, der nicht fit in Technik ist oder keine Erfahrung hat und allen Vollblinden würde ich eindeutig ein iOS-Gerät empfehlen. Bei einem Sehrestler wäre die Entscheidung schwieriger.
VoiceOver ist eindeutig die Referenz, was mobile Screenreader angeht. Natürlich gibt es – wie bei allen komplexen Systemen – Luft nach oben. Allerdings ist bei Android deutlich mehr Luft als bei iOS.
Mit iOS 14 ist die Frage aber meines Erachtens endgültig entschieden: iOS ist für Blinde besser als Android. iOS hat zahlreiche Alleinstellungsmerkmale, Android hat keines.

Warum die Wirtschaft von Barrierefreiheit profitiert

einkaufswagenDer European Accessibility Act verpflichtet Teile der Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit, darunter Banken, Buchverlage und Online-Shops. Ob die schon von ihrem Glück wissen?
Da unsere Wirtschaft von kurzfristigem Denken geprägt ist, sehen sie die Vorteile der Barrierefreiheit für sich nicht. Gerade deswegen sind Verpflichtungen sinnvoller als Freiwilligkeit. Das möchte ich in diesem Beitrag näher ausführen.

Das Kosten-Dilemma

Im Grunde würde der Staat der Privatwirtschaft einen Gefallen tun, wenn er sie zur Barrierefreiheit verpflichtet. Ich muss zur Erklärung ein wenig ausholen.
Barrierefreiheit ist natürlich ein Kostenfaktor – das lässt sich nicht leugnen. Die bestehende Infrastruktur muss umgebaut werden. Die Kosten sind teils recht hoch, vor allem, wenn es um Umbaumaßnahmen geht. Es gibt aber keine Verpflichtung, Einzelne müssten also vorpreschen und es umsetzen. Die Kosten dafür müssen auf die Produkte umgelegt werden, anders geht es ja in der Wirtschaft nicht. Wenn ich aber anfange und meine Konkurrenten nicht nachziehen, werden meine Produkte teurer. Die kostenbewussten Käufer gehen aber dorthin, wo die Produkte am billigsten sind. Diesbezüglich brauchen wir uns nichts vorzumachen, Barrierefreiheit ist real genau so wenig ein Attraktor wie Bio.
Wenn aber alle Barrierefreiheit umsetzen müssen, relativiert sich das Ganze. Alle Produkte werden ein wenig teurer, aber der nicht-barrierefreie Konkurrent hat keinen Kostenvorteil. Erforderlich sind dafür aber einheitliche Standards.
Klar ist aber auch: Ohne eine kräftige Förderung wird es nicht gehen. Kleinbetriebe wie Arztpraxen können die Kosten eines barrierefreien Umbaus kaum stämmen. Wenn es aber nur eine oder gar keine barrierefreie Arztpraxis gibt, schränkt das die Wahlfreiheit von gehbehinderten Menschen ein. Wobei Arztpraxis durch einen beliebigen anderen Begriff wie Arbeitsplatz, Apotheke oder Restaurant ersetzt werden kann. Und Gehbehinderte sind das anschaulichste Beispiel, wir können jede andere Behindertengruppe nehmen.

Der Vorteil für die Anbieter

Längerfristig betrachtet haben die Anbieter Vorteile, die auf Barrierefreiheit setzen. Der demografische Wandel ist oft thematisiert worden, aber die Folgen scheinen den Beteiligten nicht klar. Ein Großteil der Bevölkerung kommt in ein Alter, wo sie Einschränkungen in der Beweglichkeit, in den Sinneswahrnehmungen und in der kognitiven Verarbeitungsfähigkeit haben werden. Die Schwelle, wo das zu leichten Einschränkungen führt beginnt weit vor dem, was amtlich als Behinderung anerkannt wird. Diese Menschen werden Probleme haben, Produktbeschriftungen, Speisekarten oder Bedienungsanleitungen zu lesen. Die Beipackzettel von Medikamenten sahen ja schon immer so aus, als ob sie für die Lektüre durch Ameisen ausgelegt waren, irgedwann wird sie keiner mehr ohne Lupe lesen können.
Heißt konkret, auch wenn man keinen Rollstuhl oder Rollator braucht, wird man Probleme haben, eine Treppe hochzukommen. Im Zweifelsfall wird man also das Café vorziehen, wo man keine Treppe steigen muss und die Speisekarte ohne 200 Prozent Zoom lesen kann. Das gilt im übrigen auch, wenn man ansonsten noch relativ fit ist und längere treppenfreie Strecken problemlos laufen könnte.
Übrigens sind das – bei aller berechtigten Kritik an der Altersarmut – die Personen, die mehr Geld und mehr Freizeit haben als die hippen Jugendlichen und jungen Familien, die als bevorzugte Zielgruppe gelten. Teile der Tourismusbranche haben das zumindest schon erkannt.
Die Wirtschaft spürt das sicherlich auch schon, sie sind ja nicht dumm. Doch dürfte hier das Kostendilemma durchschlagen, das ich oben beschrieben habe. Leider taugen Apple und Co. hier nicht als Beispiel. Sie spielen gewinn- und umsatzmäßig in der höchsten Liga.
Ein schönes Beispiel in der Corona-Krise: Diegitale Kommunikationslösungen fallen durch, wenn sie nicht barrierefrei sind. Dazu gehören die Platzhirschen Adobe Connect, GoToMeeting oder WebEx. Profitieren können Lösungen, die barrierefreier sind wie BigBlueButton, Zoom oder Teams.

Barrierefreiheit spart auf lange Sicht Geld

Der Wohnungsmarkt ist für gehbehinderte Menschen eine Katastrophe. Rollstuhlgeeignete Wohnungen müssen häufig bundesweit gesucht werden. Der Umbau einer bestehenden Wohnung ist wenn überhaupt möglich für eine Privatperson mit durchschnittlichem Einkommen kaum zu stämmen. Denken wir an Rollatoren, wird der Bedarf in den nächsten Jahren stark steigen. Wohnungen, die jetzt nicht barrierefrei sind müssen teuer nachgerüstet werden.
Krankenkassen und andere Träger stöhnen schon heute über die Kosten, die sie für Reha und Hilfsmittel übernehmen müssen. Wie wird das aber aussehen, wenn ein Viertel der Bevölkerung darauf angewiesen ist?
Anderes Beispiel: Es ist nicht recht nachvollziehbar, warum die neuen ICEs nicht mit schwellenlosen Zugängen oder integrierten Rampen versehen sind. Die Mobilitätszentrale ist zweifellos bemüht, doch schränkt sie am Ende des Tages die Wahlfreiheit und Flexibilität gehbehinderter Menschen auf eine Weise ein, die nicht tolerierbar ist.
Ich könnte auf diese Weise noch viele Beispiele aneinander reihen. Die Kosten durch mangelnde Barrierefreiheit sind enorm, nur dass sie heute im Wesentlichen nicht durch die Firmen, sondern durch den Staat und die Sozialversicherungen, also durch uns alle getragen werden. Wie ich oben gezeigt habe, wird das nicht mehr lange gut gehen, deshalb sollte der Staat einheitliche Vorschriften zur Barrierefreiheit schaffen.
Why Companies benefits from being accessible

Die Un-Experten – Betrüger in der Barrierefreiheit

Schild mit AusrufezeichenLeider treiben sich auch in der Barrierefreiheits-Szene Menschen herum, die hier nichts zu suchen haben. Immerhin ist in der Barrierefreiheit mittlerweile viel Geld zu holen. In diesem Beitrag möchten wir uns diese Spezies genauer anschauen.
Generell lassen sich drei Typen von Un-Experten unterscheiden: Die Glauber, die Ignoranten und die Betrüger.

Die Glauber

Die Glauber glauben, etwas von Barrierefreiheit zu verstehen. Dabei beschränken sich ihre Fähigkeiten darauf, PDFs mit dem PAC zu prüfen, HTML zu validieren oder wenn es hoch kommt den WAVE-Test durchzuführen.
Die Glauber integrieren fleißig Vorlesefunktionen, Magnifier und Styleswitcher auf ihren Webseiten. Wenn es vor 20 Jahren richtig war, kann es ja heute nicht schlecht sein. Und wo man schon dabei ist, wie wärs mit einer Textversion unserer Website für Blinde?
Die Glauber wissen oft über bestimmte Bereiche der Web-Entwicklung Bescheid. Sie können etwa Kontraste richtig bewerten oder sogar barrierefreie Formulare gestalten. Das wäre ausreichend, wenn sich das Thema Barrierefreiheit bei der Screenreader-Kompatibilität erschöpfen würde. Daran glauben sie fest, deshal hat sich der Blick in die WCAG für sie erledigt.

Die Ignoranten

Die Ignoranten sind häufig sogar namhafte Personen aus der Barrierefreiheits-Szene, ich nenne mal keine Namen. Die Ignoranten sind häufig hochqualifiziert in dem was sie tun, verpassen aber dabei den Blick nach links und rechts.
Zu den Ignoranten gehören etwa Blinde, die sagen, X sei nicht barrierefrei, weil sie X nicht bedienen könnten. Oder eben X sei barrierefrei, weil sie es bedienen könnten. Barrierefreiheit beschränkt sich für sie auf Kompatibilität für Screenreader und Sprachausgaben. Aber wir können problemlos eine App oder Website erstellen, die für Blinde funktioniert und für alle anderen nicht.
Sicherlich ist Funktionalität für Blinde ein wichtiges Thema. Es deckt auch die Bedienbarkeit mit Tastatur relativ gut ab. Im Endeffekt ist es aber ignorant, denn es gibt iel mehr Leute, denen die Bedienbarkeit für Blinde nicht immer weiterhilft. Dazu gehört die wesentlich größere Zahl der Sehbehinderten.
Wohlgemerkt: Ich habe nichts dagegen, wenn ein Blinder sagt, etwas funktioniert für ihn persönlich oder für die Blinden generell nicht. Aber ein Vollblinder kann selbst mit Programmier- und Test-Fähigkeiten nur eingeschränkt die Barrierefreiheit einer Anwendung beurteilen. Blindengerecht und barrierefrei sind zwei verschiedene Dinge. Und Blindengerecht ist eine Teilmenge von Barrierefreiheit, wer das nicht versteht ist meines Erachtens ignorant.

Die Betrüger

Leider muss man auch über die dunkle Seite sprechen: Personen, die mit krimineller Energie zu Gange sind. Mir lag von einem Auftraggeber ein Screenshot der Adobe Barrierefreiheitsprüfung vor, der offensichtlich gefälscht war. Diese Person wusste also, dass sie die Leistung nicht erbracht hat und statt dies einzuräumen hat sie das Spiel weitergetrieben. Man muss also von geradezu krimineller Energie ausgehen.
Wie häufig so etwas vorkommt, wissen wir leider nicht. Allerdings sind viele Faker in der Szene unterwegs:

  • Die grafikerin, die von sich fälschlicherweise behauptet, barrierefreie PDFs erstellen zu können und deswegen eingestellt wird.
  • Der Bauträger, der Barrierefreiheit nicht umsetzen kann, obwohl es in seinem Auftrag steht.
  • Der Museums-Einrichter, der wirklich gar keine Ahnung hat und die Barrierefreiheit sogar aktiv behindert.
  • Der Web- oder App-Entwickler, der genau das Gegenteil von Barrierefreiheit macht.

Das sind alles Fälle, die mir bekannt sind oder von unterschiedlichen Stellen zugetragen wurden.
Die Abgrenzung zwischen Glauber und Faker ist nicht immer eindeutig zu machen. Manche Leute glauben tatsächlich, etwas von Barrierefreiheit zu verstehen, obwohl das nicht der Fall ist. Doch muss man befürchten, dass ein großer Teil hier absichtsvoll vorgeht.

Der menschliche Faktor in der Barrierefreiheit

Nachdem ich mich in den letzten Blogbeiträgen etwas mehr mit meiner Blindheit beschäftigt habe, möchte ich mich wieder verstärkt dem Thema Barrierefreiheit widmen.
Wenn es um Barrierefreiheit geht, lassen sich drei ausschlaggebende Faktoren unterscheiden.

  • Die objektiv überprüfbare Barrierefreiheit
  • die individuellen Fähigkeiten und Möglickeiten des einzelnen Behinderten
  • Der menschliche Faktor

Faktor 1: Die objektiv prüfbare Barrierefreiheit

Heute gibt es für viele Bereiche Normen, Standards und Richtlinien zur Barrierefreiheit, zum Beispiel fürs Internet, für Gebäude, für PDF-Dokumente und so weiter.
In weiteren Bereichen gibt es Maßnahmen-Kataloge, die jeweils auf ein Projekt zugeschnitten werden müssen. Ob ein Kurs in der Erwachsenenbildung oder eine Kunstausstellung barrierefrei sind, lässt sich anhand dieser Maßnahmen und ihrer Umsetzung beurteilen.
Das Problem bei diesem Faktor ist, dass er einen Grad an Absolutheit vortäuscht, der in der Realität nicht möglich ist. Auch wenn wir WCAG 2.0 AAA erfüllen, wird es immer noch Leute geben, die mit der Website nicht zurecht kommen. Der Standard PDF UA kümmert sich nicht um die Bedürfnisse lernbehinderter Personen. In den meisten barrierefreien Zimmern wird man mit einem Liegerollstuhl Probleme haben. Das heißt, Barrierefreiheit nach Checklisten schließt auch immer Personen aus, aber man spricht dennoch von Barrierefreiheit, wenn diese Standards erfüllt wurden.

Faktor 2: Die Fähigkeiten des Einzelnen

Es ist kein Geheimnis, dass die Fähigkeiten der Behinderten auch innerhalb der einzelnen Behinderungsgruppen extrem unterschiedlich sind. Der eine Blinde pflügt schneller als jeder Sehende durchs Netz, der Nächste braucht fünf Minuten, um eine Bahnverbindung herauszufinden. Der Eine tourt durch das gebirgige Tibet, der Nächste verirrt sich in der eigenen Wohnung.
Für diese Fähigkeiten spielen eine ganze Reihe von Faktoren eine wichtige Rolle:

  • Es gibt die kognitiven oder physiologischen Grenzen, die der Körper selbst setzt. Und natürlich sind auch die Behinderungen selbst sehr unterschiedlich ausgeprägt.
  • Dann ist die Frage, wie lange jemand behindert ist. Geburtsbehinderte sind in der Regel wesentlich angepasster an ihre Behinderung als Spät-Behindderte.
  • Die Persönlichkeit ist wichtig. Ängstliche Personen probieren ungern Neues aus. Andere können es gar nicht abwarten, die Grenzen auszutesten und zu überschreiten.
  • Ein weiterer limitierender Faktor sind die Hilfsmittel. Wer veraltete oder halbdefekte Technik einsetzt wird wahrscheinlich nicht mit jemandem mithalten können, der auf dem neuesten Stand ist.
  • Dann reicht es nicht aus, die neueste Technik zu besitzen. Man muss auch in der Lage sein, sie zu bedienen. Das ist ein Faktor, der häufig übersehen wird.

Zu den sinnvollen Fähigkeiten eines Behinderten gehört im übrigen auch, sich Hilfe zu holen, wenn man sie benötigt. Oft genug erlebe ich, dass die Leute die Hände in den Schoß legen, wenn sie etwas nicht hinbekommen. Oder sie unternehmen erst gar nichts, wenn es mit Schwierigkeiten verbunden sein könnte. Womit wir zum letzten Faktor kommen.

Der dritte Faktor: Menschliche Hilfe

Last not least gibt es Probleme, die man als Behinderter partout nicht ohne die Hilfe Dritter lösen kann. Ein blinder Redakteur wie ich zum Beispiel kann keine Bilder recherchieren und nur in Grenzen bearbeiten. Ich kann meine Präsentationen nur begrenzt selbst erstellen und visuell überprüfen. Ich kann meine Unterrichtsarbeit nicht ohne Assistenz durchführen.
Allgemein gilt die Barrierefreiheit als erreicht, wenn etwas grundsätzlich ohne fremde Hilfe möglich ist. Es gibt aber einige Bereiche, in denen zumindest die meisten Blinden nie ohne fremde Hilfe auskommen werden. Daran ist im übrigen nichts verwerfliches. Menschliche Hilfe ist nichts Negatives und es ist kein Wert an sich, vollkommen ohne sie auskommen zu wollen. Alle Menschen sind gelegentlich auf die Unterstützung durch andere Personen angewiesen. Ich nenne das den sozialen Faktor in der Barrierefreiheit.

Warum thematisiere ich das nun?

Da ich mich in letzter Zeit mit nicht-digitaler Barrierefreiheit beschäftigt habe, stoße ich gelegentlich auch auf die Grenzen der Technik.
Dabei gibt es sehr unterschiedliche Grenzen. Eine Großstadt kann theoretisch zu einem sehr hohem Grad blindengerecht gemacht werden. Aber mal im Ernst: Die Milliarden, die dafür notwendig sind wird keine Stadt aufbringen wollen. Und selbst wenn das passiert, wird es immer noch viele Blinde geben, die Probleme haben werden. Es ist also egal, wie viel Geld wir investieren, wir Blinde werden immer zu einem gewissen Grad auf fremde Hilfe angewiesen sein.
In der erwachsenen-Bildung wird von den Dozenten gefordert, dass er auf jeden Teilnehmer individuell eingehen soll. Hier stoßen wir auf zwei Grenzzen:

  1. Die Resource Zeit ist knapp
  2. Die Ressource Geduld ist knapp

Einerseits hat natürlich jeder Teilnehmer Aufmerksamkeit verdient, andererseits muss jeder Dozent ein gewisses Maß an Mindest-Bildungsleistung für alle Teilnehmer erbringen. Als Dozent verspreche ich ein bestimmtes Lernziel und wenn ich das nicht erbringe, fällt das nicht auf den Teilnehmer, sondern auf mich zurück.
Der behinderte Teilnehmer muss in gewissem Maße bereit sein, eine Eigenleistung zu erbringen. Ganz ohne geht es nicht. Ich kann ihn dabei so weit wie möglich unterstützen. Ich kann aber nicht ihm zu Liebe die gesamte Gruppe vernachlässigen.
In vielen Fällen ist es am sinnvollsten, wenn sich der Behinderte eine Assistenz organisiert. SSie kann ihn bei den Aufgaben unterstützen, die von mir als Dienstleister nicht oder nicht ausreichend erbracht werden können.
Wie ich unter Punkt 1 schon ausgeführt habe, ist eine absolute Barrierefreiheit nicht möglich. Eine Behinderung ist – Punkt 2 – in gewissen Grenzen kompensierbar. Wir stoßen aber an Grenzen, wenn es etwa um neu erworbene Behinderung, Mehrfachbehinderung oder weitere Einschränkungen geht.
Natürlich sollte größtmögliche Barrierefreiheit hergestellt werden. Wenn ich eine Software nicht bedienen kann, die ich benötige, dann kann ich meinen Job nicht machen.
Auf der anderen Seite sollte der menschliche Faktor nicht vernachlässigt werden. Die Menschen brauchen menschliche Unterstützung, falls unsere Roboter nicht bald lernen, soziale Empathie zu entwickeln und auch komplexere Aufgaben zu übernehmen.
Ein wichtiger Faktor ist auch eine vernünftige Bezahlung der Assistenten. Je nach dem, welche Hilfestellung sie erbringen, müssen sie teils hohe Ansprüche erfüllen. Gleichzeitig werden gerade im sozialen Sektor – da, wo es um Menschen geht – die Betroffenen am schlechtesten bezahlt. Kellnern oder Putzen gehen wäre kaum weniger anstrengend, aber besser entlohnt. Vielleicht sollten wir , statt 700 Euro für ein iPhone auszugeben uns einmal darum bemühen, dass unsere Unterstütze vernünftig bezahlt werden. Die Technik ist eben nicht alles.

Qualitätssicherung als regelmäßige Anforderung in der Barrierefreiheit

Ich werde in meinen Workshops häufig nach Best-Practice-Beispielen für barrierefreie Websites gefragt. Ich muss dann die Zuhörer enttäuschen. Das hat unterschiedliche Gründe. Eine Website kann für eine Gruppe wunderbar funktionieren und für eine andere unbrauchbar sein. Ich habe noch keine Website gesehen, die mich komplett überzeugt hätte.
Der andere Grund ist, dass die Barrierefreiheit von Websites sich tatsächlich täglich ändern kann. Deswegen kann man auch nicht sagen, dass die Barrierefreiheit stetig Fortschritte macht. Zwar hat sich Vieles verbessert. Doch die zunehmende Komplexität von Websites trägt auch dazu bei, dass Barrieren eher zu- als abnehmen. Schauen wir uns dazu ein paar Beispiele an.
Vorneweg: Es liegt mir fern, jemanden an den Pranger zu stellen. Jedoch handelt es sich bei den genannten Firmen um Quasi-Monopolisten auf ihrem Gebiet. Zudem bin ich jeweils Kunde und ich sehe nicht ein, warum ein blinder Kunde offenbar weniger wert ist als ein sehender. Ich habe jeweils Kontakt mit den Firmen aufgenommen und keine oder nur halbgare Antworten erhalten.

Deutsche Bahn

Als Vielfahrer kaufe ich regelmäßig Tickets bei der DB. Der Kaufprozess, ohnehin für Blinde schon komplex, wird aber ständig verändert. Beim letzten Kauf musste man entscheiden, ob man Flexpreis oder Sparpreis auswählen wollte. Nun gab es aber kein Element in diesem Bereich, das für Blinde als anklickbar erkennbar gewesen wäre. Nur durch Ausprobieren konnte man herausfinden, dass man ganz unten im jeweiligen Element die Leertaste drücken musste, um das Element auszuwählen.
Noch schlimmer war, dass man auf der letzten Seite vor dem Abschicken der Bestellung eine Checkbox aktivieren sollte. Leider war die Checkbox für den Screenreader vollkommen unsichtbar.
Das Problem bestand einige Wochen, ist aber mittlerweile behoben. Es stellt sich aber die Frage, warum die Bahn keinen öffentlich sichtbaren Ansprechpartner für Barrierefreiheit hat. Ich hatte noch eine überflüssige Unterhaltung mit @DB_Bahn. Nach dem mich der Social-Media-Mensch minutenlang über das Problem ausgefragt hatte, verwies er mich an irgendeine E-Mail-Adresse, an die ich mich wenden sollte. Das ist Service bei der Deutschen Bahn: Erst ausquetschen, dann auf jemand Anderen verweisen, statt die Meldung direkt weiterzuleiten oder mich von Anfang an auf den korrekten Ansprechpartner hinzuweisen.

DHL/Deutsche Post

Bei der Deutschen Post/DHL finden wir ähnliche Probleme. CAPTCHAs ohne alternnatives Audio, um ein Passwort zurückzusetzen, falsch ausgezeichnete Formularelemente und hyperkomplexe Bestellseiten für Paketmarken.
Ein Negativ-Beispiel ist auch die Packstation, ist zwar keine Website, aber hier werden die Probleme recht deutlich. Früher konnte man den PIN über den haptischen 10er-Block eingeben. Mittlerweile müssen sowohl die Postnummer als auch der PIN über eine Bildschirmtastatur eingegeben werden. Ein Spaß für stark sehbehinderte Menschen. Für Blinde sind die Packstationen gar nicht zugänglich. DHL schafft es also, die Zugänglichkeit wirklich stetig zu verschlechtern. Auch hier weit und breit kein Feedback-Mechanismus oder ein Ansprechpartner für Barrierefreiheit. Bei der Post habe ich deshalb gleich auf eine Kontaktaufnahme verzichtet, auch weil ich nicht den Eindruck habe, dass sie das Thema Barrierefreiheit besonders interessiert.
Barrierefreiheit bei der Deutschen Post/DHL

Deutsche Telekom

Ein leider extrem negatives Beispiel ist die Deutsche Telekom. Die App Connect, die das Einloggen in Hotspots ermöglicht, ist seit dem letzten Update null barrierefrei. Im Ernst, wenn ihr ein Paradebeispiel dafür braucht, wie eine App nicht sein sollte, schaut euch Connect an. Praktisch keine der Informationen ist mit VoiceOver auslesbar. Dieses Kunststück bringt auf iOS sonst kaum jemand fertig. Offenbar hat man sämtliche Guidelines ignoriert, die Apple den Entwicklern zur Hand gibt. Dem Vernehmen nach sind auch andere Apps der Telekom schlecht zugänglich.
Nun habe ich öffentlich und privat an die Telekom geschrieben. Öffentlich gab es keine Reaktion. Auf @Telekom hilft wurde mir mitgeteilt, dass das Problem bekannt sei und mit einem der nächsten Updates behoben wird. Das war am 21. März und bis heute hat sich nichts getan. Das genannte Update erfolgte Anfang des Jahres, wir warten jetzt also fast ein halbes Jahr darauf, dass die App wieder nutzbar ist. Barrierefreiheit ist offenbar ein Beta- oder Gamma-Feature bei der Telekom, vielleicht kümmert man sich morgen drum, vielleicht aber auch nicht. Und natürlich gibts auch bei der Telekom keine Feedbackmöglichkeit oder einen Ansprechpartner für Barrierefreiheit.

Fazit: Das kann es nicht sein

Nun handelt es sich um große Unternehmen, die komplex und träge sind. Doch haben sie dank ihrer Größe auch die ressourcen, um eine vernünftige Qualitätssicherung zu betreiben. Was gehört dazu?

  • Ein Feedback-Mechanismus, bei dem Fragen zur Barrierefreiheit in angemessener Zeit kompetent bearbeitet werden können.
  • die Bereitschaft, Barrierefreiheit als wichtiges Feature zu betrachten, kein großes Unternehmen würde eine fehlerhafte app ein halbes Jahr lang ohne Korrekturen bestehen lassen, aber ohne Barrierefreiheit, das ist halb so schlimm.
  • Ein Prozess der laufenden Qualitätssicherung. Dazu gehört strukturiertes Testing durch automatische Prüfverfahren, qualifizierte Entwickler und behinderte Mitarbeiter sowohl entwicklungsbegleitend als auch im laufenden Betreib.
  • Ein Monitoring von Anpassungen/Veränderung in Hinsicht auf Barrierefreiheit

Natürlich lassen sich Fehler nicht vermeiden. Doch man kann ihre Wahrscheinlichkeit reduzieren und sie bei einer passenden Meldung schnell beheben. Tut man das nicht, nimmt man die Barrierefreiheit nicht wirklich ernst.
Quality Management for digital Accessibility

Wie der Datenschutz die Barrierefreiheit behindert


Nachtrag: 2 Sachen vorneweg, weil sie von den Kritiker:Innen bewusst oder unbewusst falsch verstanden werden:

  • Die Umsetzung des Datenschutzes zu kritisieren heißt nicht, gegen Datenschutz zu sein. Es gibt viele kritische Bereiche wie medizinische Daten, wo das durchaus sinnvoll ist. Die Idee der DSGVO ist durchaus lobenswert, nur schießt man über das Ziel hinaus.
  • Datenschutz und Barrierefreiheit widersprechen sich in der Theorie meistens nicht. Defacto entsteht aber ein Konflikt, weil jetzt, in diesem Moment, datenschutz-konforme UND barrierefreie Lösungen kaum zu finden sind, die für das jeweilige Problem passen. Und weil man für mangelnden Datenschutz bestraft wird, für Barrierefreiheit aber nicht, gibt es in der Praxis einen Widerspruch. Weil viele Anbieter das Thema Barrierefreiheit bewusst oder unabsichtlich ignorieren, zwingen sie uns, eine Entscheidung zwischen Barrierefreiheit und Datenschutz-konform zu treffen.

Deutschland hat viele Probleme, was das Thema Digitalisierung angeht, ein großes Problem wird aber häufig übersehen, die DSGVO und der bürokratische Wasserkopf, der sich darum herum entwickelt hat. Leider bremst der Datenschutz auch häufig genug die Barrierefreiheit aus.
Beispiel: Durch die durch Corona forcierte Digitalisierung hat sich ein Wildwuchs an digitalen Kommunikationslösungen ergeben. Zoom hat WhatsApp als Buhmann Nr. 1 abgelöst. Allerdings wird auch so ziemlich jede andere Lösung wie Teams, Skype oder Jitsy kritisiert. Nur ein Wirrkopf könnte auf die Idee kommen, dass es vielleicht nicht nur an den Lösungen, sondern auch an der DSGVO selbst liegen könnte. Da wird lang und breit über potentielle Mängel beim Datenschutz diskutiert. Aber in keiner der zahlreichen Listen von Kommunikationstools und deren Vor- und Nachteilen findet man Hinweise zu deren Barrierefreiheit.

Der Primat des Datenschutzes ist fragwürdig

Irgendwann muss die Gesellschaft entschieden haben, dass der Datenschutz wichtiger ist als alles Andere: Wichtiger als Benutzerfreundlichkeit, wichtiger als Barrierefreiheit, wichtiger als der Preis, wichtiger als die Kompatibilität mit verschiedenen Endgeräten. Wenn keine Lösung die Anforderungen des Datenschutzes erfüllt, dann kommunizieren wir halt per Rauchsignal. Und ist niemandem aufgefallen, dass man problemlos den Datenschutzbeauftragten einer Organisation findet, aber der Barrierefreiheits-Beauftragte nicht existiert? Kann man noch deutlicher machen, dass Barrierefreiheit für den öffentlichen Dienst egal ist?
Die DSGVO kann unter „gut gemeint“ abgeheftet werden. Wie so vieles begünstigt sie eher die großen Datenfresser wie Google oder Facebook, denn nur die haben das Geld und die Power, die Richtlinien umzusetzen – oder eher sie ungestraft zu ignorieren. Sie ist leider ein weiteres Musterbeispiel an unverständlichen Regelungen und Bürokratie, wie sie für Deutschland leider üblich ist. Es fällt auf, dass sie vor allem von Personen verteidigt wird, die sie nicht umsetzen müssen.

Datenschutz bremst Barrierefreiheit und Benutzbarkeit aus

Ruft man heute eine Website auf, muss man häufig mindestens zwei Mal klicken, um überhaupt irgendwelchen Inhalt zu bekommen. Bei der Google-Suchmaschine sind es eher vier Mal.
Die Wenigsten werden den juristischen Prosa-Roman aka Datenschutzerklärung lesen, der ihnen da vorgesetzt wird. Das liegt unter anderem daran, dass er völlig unverständlich und die Angaben nicht überprüfbar sind. Das ist wohl die Transparenz, die uns die DSGVO versprochen hat.
Die Themen Barrierefreiheit und Benutzerfreundlichkeit bleiben auf der Strecke: Viele der Cookie-Messages sind per Tastatur oder assistiver Technologie nicht zugänglich. Und was passiert mit den Menschen, die keine Ahnung haben, was dieser Cookie sein soll und die auch nach den seitenlangen Erklärungen nicht schlauer sondern eher besorgter sind?
Und warum müssen die Datenschutz-Erklärungen nicht in einer allgemein-verständlichen Sprache verfasst sein? Werden sie nicht mit Absicht mit juristischem und technischem Kauderwelsch gepropft, damit die Betroffenen ihre Rechte eben nicht verstehen oder gar einfordern?

Datenschutz gefährdet die Digitalisierung

Der Erfolg von Zoom hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Lösung gerade aus der Perspektive der Nutzer sehr einfach und relativ intuitiv ist. Das kann man von den meisten anderen Lösungen nicht behaupten. Adobe Connect oder GoToMeeting etwa verlangen kategorisch das Installieren eines zusätzlichen Clients oder Plugins. Was der tut, bleibt deren Geheimnis. Wer keine Installationsrechte hat, der hat Pech gehabt. Dass diese Clients nicht barrierefrei sind, ist dann auch nur ein Neben-Aspekt.
Der Primat des Datenschutzes verhindert, dass sich digitale Lösungen etablieren. Viele der Lösungen, die den Datenschutz angeblich erfüllen können von der Benutzerfreundlichkeit oder Barrierefreiheit nicht überzeugen. Deswegen wird sie kaum jemand nutzen, wenn er nicht muss.
Natürlich kann ich die Anliegen der Datenschützer verstehen. Aber wie so oft im Leben kommt es darauf an, ein Gleichgewicht unterschiedlicher Anforderungen zu finden. Was sonst passiert, liegt auf der Hand, die Nutzer stimmen mit den Füßen ab: Entweder nutzen sie trotz Bedenken die für sie einfachste Lösung oder eben gar keine.

Barrierefreie Online-Seminare – Hilfsmittel und Lösungen

Computermonitor zeigt TextverarbeitungOnline-Seminare sind nicht erst seit Corona häufig anzutreffen. Damit Webinare barrierefrei von behinderten Menschen genutzt werden können, ist jedoch einiges zu beachten.

technische Plattformen

Der erste und wichtigste Faktor ist die technische Plattform. Ist diese nicht barrierefrei, ist das Seminar für Blinde, Sehbehinderte und Tastaturnutzer nicht verwendbar.
Leider taugen die Marktführer in diesem Bereich nichts. Sowohl WebEx, GoToMeeting als auch Adobe Connect sind Musterbeispiele für schlechte Barrierefreiheit. Sie sind durch Screenreader nicht bedienbar. Alle drei Programme haben außerdem einen miserablen Kontrast bei den Bedien-Elementen und sind daher nicht zu empfehlen. Wenn Sie möchten, dass behinderte Menschen an Ihren Webinaren teilnehmen, scheiden Adobe Connect und GoToMeeting sowie dessen Ableger wie GoToWebinar und co. aus.
Gute Alternativen in diesem Bereich sind Big Blue Button, Zoom und Microsoft Teams. Sie sind alle gut mit Tastatur und Screenreader bedienbar und das sowohl auf dem Desktop als auch auf dem Smartphone oder Tablet.

Kommunikation

Tipps zu einer barrierefreien Online-Kommunikation finden Sie in einem eigenen Beitrag.
Generell sollte eine gute Sprach-Qualität angestrebt werden. Wird der Sprecher angezeigt, sollte sich das Fenster durch den Nutzer größer ziehen lassen, so dass Gestik und Mundbild besser verfolgt werden können.
Weitere Möglichkeiten sind Gebärdensprache, Live-Captions, Live-Übersetzung in Leichte Sprache. Generell sollte natürlich der Inhalt auch so gestaltet sein, dass er möglichst verständlich ist.

PDF UA, EN 301549, WCAG oder BITV für barrierefreie PDF – was ist der Standard

Dieses Dokument soll eine Entscheidungshilfe für die Frage bieten, ob und welcher Standard bei der Bereitstellung barrierefreier Dokumente bzw. PDFs erfüllt werden sollte.

Die Möglichkeiten von Microsoft Office und Libre Office

Seit der Version 2007 bietet MS Office die Möglichkeit, relativ barrierefreie Dokumente zu erstellen. Unter anderem bietet es folgende Möglichkeiten:

  • Die Auszeichnung von Überschriften und Listen, um blinden Menschen die Orientierung in Dokumenten zu erleichtern.
  • Die alternative Beschreibung von Bildern für Blinde.
  • Den Export in strukturierten PDF – sogenannten tagged PDF – eine Voraussetzung dafür, dass Blinde sinnvoll mit PDFs arbeiten können.

Der Standard PDF UA

PDF Universal Accessibility (PDF UA) ist seit 2012 der technische Standard für barrierefreie PDF-Dokumente. Allerdings geht der eigentliche Standard für barrierefreie PDF-Dokumente über PDF UA hinaus. Für alle öffentlichen Körperschaften der EU ist das die EU-Norm 301 549. EN 301549 ist vor allem im Bezug auf Dokumente und Webseiten eine Adaption der WCAG 2.1 AA.
PDF UA enthält keine Anforderungen an Kontraste, die WCAG aber durchaus.
PDF UA ist im Wesentlichen ein Standard, der technische Anforderungen formuliert. Auf inhaltliche Anforderungen wie Leichte Sprache oder Verständlichkeit geht er nicht ein. Diese spielen aber auch in der WCAG erst ab der höchsten Stufe AAA eine Rolle.
PDF UA ist also eher als technische Umsetzungshilfe für Software-Anbieter zu verstehen. Die eigentlichen Standards sind in der EU die WCAG 2.1 AA sowie die EN 301549 für öffentliche Einrichtungen.

Möglichkeiten PDF UA zu erfüllen

Es gibt nur wenige Programme, um vollkommen pPDF-UA-standardkonforme PDF-Dokumente zu erstellen. Eines davon ist Acrobat Pro von Adobe.
Acrobat Professional ist ein Tool, um PDFs professionell zu bearbeiten. Es richtet sich in erster Linie an Grafiker und Desktop Publisher.
Mit Acrobat können Dokumente nachträglich getaggt – also barrierefrei – gemacht werden.
Unter anderem bietet Acrobat folgende Möglichkeiten, die es in MS Office derzeit nicht gibt:

  • Das Auszeichnen von Dokument-Bestandteilen als „artefact“. Das bedeutet, dass diese Elemente von Screenreadern ignoriert werden. Das ist sinnvoll zum Beispiel bei Kopf- und Fußzeilen, Seitenzahlen und anderen Elementen, die für Screenreader-Nutzer beim Vorlesen nicht wichtig sind.
  • – Das nachträgliche Bearbeiten der Struktur-Tags. Dadurch können kleinere Fehler korrigiert werden, die durch die Office-Programme bei der Umwandlung in PDF entstehen.

Das Problem mit den Standards für barrierefreie PDFs

Kommuniziert man aktiv, dass man barrierefreie PDFs zur Verfügung stellt, wird von den Kennern der Materie erwartet, dass PDF UA erfüllt wird. Das ist auf absehbare Zeit mit MS Office nicht möglich. Qua Definition kann ein PDF nur dann als barrierefrei bezeichnet werden, wenn ein öffentlicher Standard erfüllt wird.
Das Tool PDF Accessibility Checker zeigt bei aus MS Office erzeugten Dokumenten einige Fehler an, die aber in der Praxis keine schwerwiegenden Folgen haben.

Handlungsmöglichkeiten

Die folgenden Vorgehensweisen sind denkbar:

  1. Es wird angestrebt, den PDF-UA-Standard vollständig zu erfüllen. In diesem Fall ist es notwendig, entweder mehrere – oder alle – Mitarbeiter im Umgang mit Adobe Acrobat Pro zu schulen oder die Dokumente an einen Dienstleister herauszugeben. Die Herausgabe erscheint aufgrund des hohen Zeitaufwands und der teils erheblichen Kosten nicht realistisch. Der Vorteil ist, dass die Erfüllung des Standards am leichtesten zu kommunizieren ist.
  2. Die Organisation kommuniziert, dass die Dokumente mit den Möglichkeiten barrierefrei gestaltet wurden, die MS Office bietet. Es kann auch konkret kommuniziert werden, welche Maßnahmen getroffen wurden, zum Beispiel das Einfügen von alternativtexten und anderen Struktur-Tags. Es wird also nicht gesagt, dass ein bestimmter Standard erfüllt wurde, sondern nur, was gemacht wurde, um das Dokument zugänglicher zu machen. Genau genommen könnte ohnehin nur kommuniziert werden, dass ein bestimmter Standard erfüllt wurde. Auch ein Dokument, dass PDF UA erfüllt ist für Menschen mit Lernbehinderung oder eingeschränkter Sprachkompetenz nicht barrierefrei. Die Formulierung „barrierefreie Dokumente“ könnte daher falsche Erwartungen wecken.
  3. Das Dokument kann im Original-Microsoft-Format herausgegeben werden. Fast alle Geräte verfügen über die Möglichkeit, Office-Dokumente anzuzeigen. Es bleibt dann dem Nutzer überlassen, ob er es in PDF umwandelt oder nicht. In diesem Fall entfällt die Befolgung von PDF UA, da es ja kein PDF ist. Für Office-Dokumente gibt es derzeit keinen Standard. Der einzige Vorteil von PDF besteht darin, dass es sich als Quasi-Standard zur Weitergabe von Dokumenten etabliert hat. Darüber hinaus bietet es auch für Menschen mit Behinderung keine Vorteile gegenüber Office-Formaten. PDFs sollen dafür sorgen, dass Dokumente auf allen Betriebssystemen gleich dargestellt werden. Die Anpassbarkeit an unterschiedliche Darstellungsmöglichkeiten ist hingegen eine Basisanforderung der digitalen Barrierefreiheit. Tagged PDFs sollen dieses Problem lösen. Das funktioniert allerdings nur, wenn das Anzeigeprogramm tagged PDF unterstützt. Derzeit tut das nur der Adobe Reader.
  4. Empfehlung

    Unsere Empfehlung lautet, PDF-Dokumente mit Office zu erstellen und dies klar zu kommunizieren. In der Praxis bringt PDF UA wenige Vorteile. Die meisten Dokumente, die mit Office erstellt wurden sind in diesem Format auch völlig ausreichend.
    Für die interne Kommunikation ist die Erfüllung eines bestimmten Standards nicht notwendig. Analoges gilt für Dokumente, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht sind, sondern an Kooperationspartner gehen. Für Broschüren und weitere Dokumente für die breite Öffentlichkeit kann weiterhin der geltende Standard erfüllt werden.