Nachtrag: 2 Sachen vorneweg, weil sie von den Kritiker:Innen bewusst oder unbewusst falsch verstanden werden:
- Die Umsetzung des Datenschutzes zu kritisieren heißt nicht, gegen Datenschutz zu sein. Es gibt viele kritische Bereiche wie medizinische Daten, wo das durchaus sinnvoll ist. Die Idee der DSGVO ist durchaus lobenswert, nur schießt man über das Ziel hinaus.
- Datenschutz und Barrierefreiheit widersprechen sich in der Theorie meistens nicht. Defacto entsteht aber ein Konflikt, weil jetzt, in diesem Moment, datenschutz-konforme UND barrierefreie Lösungen kaum zu finden sind, die für das jeweilige Problem passen. Und weil man für mangelnden Datenschutz bestraft wird, für Barrierefreiheit aber nicht, gibt es in der Praxis einen Widerspruch. Weil viele Anbieter das Thema Barrierefreiheit bewusst oder unabsichtlich ignorieren, zwingen sie uns, eine Entscheidung zwischen Barrierefreiheit und Datenschutz-konform zu treffen.
Deutschland hat viele Probleme, was das Thema Digitalisierung angeht, ein großes Problem wird aber häufig übersehen, die DSGVO und der bürokratische Wasserkopf, der sich darum herum entwickelt hat. Leider bremst der Datenschutz auch häufig genug die Barrierefreiheit aus.
Beispiel: Durch die durch Corona forcierte Digitalisierung hat sich ein Wildwuchs an digitalen Kommunikationslösungen ergeben. Zoom hat WhatsApp als Buhmann Nr. 1 abgelöst. Allerdings wird auch so ziemlich jede andere Lösung wie Teams, Skype oder Jitsy kritisiert. Nur ein Wirrkopf könnte auf die Idee kommen, dass es vielleicht nicht nur an den Lösungen, sondern auch an der DSGVO selbst liegen könnte. Da wird lang und breit über potentielle Mängel beim Datenschutz diskutiert. Aber in keiner der zahlreichen Listen von Kommunikationstools und deren Vor- und Nachteilen findet man Hinweise zu deren Barrierefreiheit.
Der Primat des Datenschutzes ist fragwürdig
Irgendwann muss die Gesellschaft entschieden haben, dass der Datenschutz wichtiger ist als alles Andere: Wichtiger als Benutzerfreundlichkeit, wichtiger als Barrierefreiheit, wichtiger als der Preis, wichtiger als die Kompatibilität mit verschiedenen Endgeräten. Wenn keine Lösung die Anforderungen des Datenschutzes erfüllt, dann kommunizieren wir halt per Rauchsignal. Und ist niemandem aufgefallen, dass man problemlos den Datenschutzbeauftragten einer Organisation findet, aber der Barrierefreiheits-Beauftragte nicht existiert? Kann man noch deutlicher machen, dass Barrierefreiheit für den öffentlichen Dienst egal ist?
Die DSGVO kann unter „gut gemeint“ abgeheftet werden. Wie so vieles begünstigt sie eher die großen Datenfresser wie Google oder Facebook, denn nur die haben das Geld und die Power, die Richtlinien umzusetzen – oder eher sie ungestraft zu ignorieren. Sie ist leider ein weiteres Musterbeispiel an unverständlichen Regelungen und Bürokratie, wie sie für Deutschland leider üblich ist. Es fällt auf, dass sie vor allem von Personen verteidigt wird, die sie nicht umsetzen müssen.
Datenschutz bremst Barrierefreiheit und Benutzbarkeit aus
Ruft man heute eine Website auf, muss man häufig mindestens zwei Mal klicken, um überhaupt irgendwelchen Inhalt zu bekommen. Bei der Google-Suchmaschine sind es eher vier Mal.
Die Wenigsten werden den juristischen Prosa-Roman aka Datenschutzerklärung lesen, der ihnen da vorgesetzt wird. Das liegt unter anderem daran, dass er völlig unverständlich und die Angaben nicht überprüfbar sind. Das ist wohl die Transparenz, die uns die DSGVO versprochen hat.
Die Themen Barrierefreiheit und Benutzerfreundlichkeit bleiben auf der Strecke: Viele der Cookie-Messages sind per Tastatur oder assistiver Technologie nicht zugänglich. Und was passiert mit den Menschen, die keine Ahnung haben, was dieser Cookie sein soll und die auch nach den seitenlangen Erklärungen nicht schlauer sondern eher besorgter sind?
Und warum müssen die Datenschutz-Erklärungen nicht in einer allgemein-verständlichen Sprache verfasst sein? Werden sie nicht mit Absicht mit juristischem und technischem Kauderwelsch gepropft, damit die Betroffenen ihre Rechte eben nicht verstehen oder gar einfordern?
Datenschutz gefährdet die Digitalisierung
Der Erfolg von Zoom hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Lösung gerade aus der Perspektive der Nutzer sehr einfach und relativ intuitiv ist. Das kann man von den meisten anderen Lösungen nicht behaupten. Adobe Connect oder GoToMeeting etwa verlangen kategorisch das Installieren eines zusätzlichen Clients oder Plugins. Was der tut, bleibt deren Geheimnis. Wer keine Installationsrechte hat, der hat Pech gehabt. Dass diese Clients nicht barrierefrei sind, ist dann auch nur ein Neben-Aspekt.
Der Primat des Datenschutzes verhindert, dass sich digitale Lösungen etablieren. Viele der Lösungen, die den Datenschutz angeblich erfüllen können von der Benutzerfreundlichkeit oder Barrierefreiheit nicht überzeugen. Deswegen wird sie kaum jemand nutzen, wenn er nicht muss.
Natürlich kann ich die Anliegen der Datenschützer verstehen. Aber wie so oft im Leben kommt es darauf an, ein Gleichgewicht unterschiedlicher Anforderungen zu finden. Was sonst passiert, liegt auf der Hand, die Nutzer stimmen mit den Füßen ab: Entweder nutzen sie trotz Bedenken die für sie einfachste Lösung oder eben gar keine.