Soeben ist der aktuelle WebAim-Screenreader-Survey 2019 veröffentlicht worden. Er bringt einige überraschende Erkenntnisse.
Der WebAIM Survey ist eine Online-Umfrage, die seit 2009 mit unterschiedlichen Schwerpunkten durchgeführt wird. Der Screenreader-Survey findet sehr regelmäßig etwa alle zwei Jahre statt und ist die einzige mir bekannte Erhebung dieser Art. Interessant sind weniger die absoluten Zahlen als die Veränderungen, die im Laufe der Zeit stattfinden. Um den Survey zu verstehen, muss man nicht großartig Englisch können, es reicht, wenn man – als Sehender – die Tabellen und Diagramme betrachten kann.
Es sei gesagt, dass die Umfrage nicht repräsentativ ist oder sein will. Dafür ist die Stichprobe zu klein, der Survey zu unbekannt und vor allem zu sehr auf den angloamerikanischen Raum konzentriert. Dennoch gibt es ein paar interessante erkenntnisse. Aus Urheberrechts-Gründen kann ich weder die Tabellen noch die Diagramme von WebAIM übernehmen, bitte schauen Sie direkt auf der oben verlinkten Seite nach, wenn Sie sich für die Details interessieren.
NVDA ist die Nummer 1
Der Screenreader NVDA hat mit einem Anteil von 40,7 % den Platzhirschen Jaws (40,2 %) überholt. Es sind zwar nur 0,5 Prozent unterschied. Interessant ist aber der eindeutige Abwärtstrend, den Jaws in den letzten 10 Jahren genommen hat. Jaws hat seitdem mehr als 30 Prozent seines Marktanteiles verloren, obwohl die Zahl der Konkurrenten seitdem zurückgegangen ist. In einem anderen Beitrag werfe ich einen genaueren Blick auf den Screenreader-Markt.
Freedom Scientific konnte kaum davon profitieren, dass der Mutterkonzern die konkurrenzfähige Alternative Window Eyes aufgekauft und kurzerhand dicht gemacht hat.
Viele ehemalige Window-Eyes und Cobra-Nutzer dürften zu NVDA gewechselt haben. Es dominieren die kostenlosen bzw. integrierten Screenreader wie VoiceOver. Sie machen mehr als die Hälfte des Marktes aus. Alternativen wie Dolphin oder System Access scheinen kaum eine Rolle zu spielen. Da sich Windows mit den großen Updates sehr schnell verändert, ist man heute häufig schon mit einem Screenreader aufgeschmissen, der seit einem Jahr nicht aktualisiert wurde. Das Geschäftsmodell von Freedom Scientific, für jedes kleine Update kräftig zur Kasse zu bitten, stößt allmählich an seine Grenzen – so scheint es. Der Microsoft-eigene Screenreader Narrator spielt nach wie vor keine Rolle.
Chrome schlägt Firefox
Überraschend war für mich die Dominanz von Chrome (44,4 %) unter Blinden. Bisher wurde vor allem der Firefox (27,4 %) genutzt. Wenn ich raten dürfte: Ursache für den Wechsel dürfte das Quantum-Update gewesen sein. Zum Einen gab es gerade am Anfang große Latenzen beim Laden von Webseiten. Zum Anderen haben viele für Blinde nützliche Plugins wie WebVisum nicht mehr funktioniert.
Weitere interessante Ergebnisse
3/4 der Befragten fanden die Barrierefreiheit von PDFs ausbaufähig. Hier hat sich leider nicht besonders viel getan.
Überrascht hat mich, dass native Apps nicht vor Web-Apps bevorzugt werden. Es hält sich die Waage mit 50:50.
40 Prozent der behinderten Nutzer meint, dass das Web im letzten Jahr barrierefreier geworden sei. Immerhin ein Fünftel meint, dass sich die Barrierefreiheit verschlechtert habe.
Nur ein Zehntel der Befragten geht vor allem mobil ins Internet. 90 Prozent nutzen entweder einen Computer oder verteilen ihre Nutzung gleichmäßig auf Computer und Mobil. Das widerspricht meiner Erfahrung, wonach blinde Personen vor allem mobil online gehen. Eine Erklärung dafür habe ich leider nicht.
70 Prozent gaben an, dass sie ihren Screenreader stark oder sehr stark angepasst haben. Sowohl mobile als auch Desktop-Screenreader erlauben es, die Ausgabe in Sprache und Braille sehr stark anzupassen. Was starke Anpassung konkret bedeutet, bleibt offen, wäre allerdings interessant gewesen.
Fast 70 Prozent nutzen HTML-Überschriften, um sich auf einer Webseite zu orientieren. Andere Möglichkeiten wie Landmarks oder Links spielen für die Navigation auf einer Unterseite eine untergeordnete Rolle.