Sich mit digitaler Barrierefreiheit selbständig machen – so kann es gehen


Digitale Barrierefreiheit ist ein spannendes Feld für Freelancer. Es gibt genügend Nachfrage, so dass man auf jeden Fall wirtschaftlich zurecht kommen sollte, sobald man erste Aufträge akquiriert hat.
Dennoch sollte man einige Dinge beachten, bevor man diesen Weg geht. Generell: Meines Erachtens ist nichts Anstößiges daran, mit einer „guten Sache“ wie Barrierefreiheit Geld verdienen zu wollen. Die Ausnahme ist dann, wenn man den Leuten nutzlose Dinge wie eine Vorlesefunktion oder ein Overlay verkauft oder falsch berät, weil man keine Ahnung von Barrierefreiheit hat. Was macht einen Spezialisten für Barrierefreiheit aus?.
Ich lasse mal das Ganze Drumherum weg, das generell mit Freelancertum verbunden ist, also Steuern, Umsatzsteuer-ID, Abrechnung, Berufs-Haftpflicht und so weiter, das würde hier zu weit führen. Nur so viel: Wenn ihr die Möglichkeit habt, lasst euch von jemandem mentoren, der schon Erfahrung damit hat und euch dabei unterstützen kann. Das spart einiges an Frust. Generell ist Freelancertum keine so große Herausforderung, anders als UG oder GmbH, die tatsächlich ohne entsprechende Fähigkeiten schwierig sein können.

Solide Basis haben

Frisch von der Hochschule kann man nicht erwarten, sofort als Freelancer durchstarten zu können. Das ist auch halb so schlimm, schließlich hat man in dieser Phase in der Regel noch keine großen Verbindlichkeiten wie eine hohe Miete oder eine zu versorgende Familie. Hat man solche Verbindlichkeiten und noch keine Stammkunden, würde ich von der Freiberuflichkeit erst mal abraten.
Wichtig ist in jedem Fall, eine solide Basis zu haben, auf der man aufbauen kann. Das heißt in der Regel, eine technische Ausbildung oder ein Studium durchlaufen zu haben. Es ist korrekt, dass man auch mit anderen Hintergründen reinkommt – unzählige Web-Entwickler:Innen beweisen es. Andererseits haben die meisten dieser Menschen Erfahrungen durch Praxis-Projekte sammeln können, sie haben also bewiesen, dass sie das Fachliche drauf haben. Das ist für Newbies schwieriger. Ohne Referenzen oder persönliche Kontakte ist es fast nicht möglich, an Aufträge zu kommen.
Ich selbst habe trotz eines Buches und gewisser Bekanntheit sehr lange gebraucht, um Aufträge zu bekommen. Es kamen nur vereinzelt Anfragen von Kontakten vermittelt zustande. Erst als ich selbst Schulungen anbot, schaffte ich den Durchbruch.
Meine Empfehlung wäre, sich tatsächlich erst mit einem breiteren Thema wie etwa UX, Software-Entwicklung oder was auch immer man bereits kann die ersten Erfahrungen zu beschaffen und erst danach auf Barrierefreiheits-Projekte zu gehen. Den Stammkunden kann man dann auch immer Barrierefreiheit anbieten, womit man auch die ersten praktischen Erfahrungen sammeln und Referenzen aufbauen kann. Seid ihr zum Beispiel Web-Entwickler, könnt ihr die Website des Kunden, die ihr entwickelt, einfach kostenlos barrierefrei machen – sollte bei einer Content-lastigen Website ohne Mehr-Aufwand möglich sein – und das als Referenz-Projekt verwenden.
Eine andere Möglichkeit wäre, sich erst Mal als Angestellter eines Unternehmens Erfahrungen zu holen und erst später als Freelancer durchzustarten. Das heißt, man liest sich Wissen an oder macht einen der vielen kostenlosen oder kostenpflichtigen Kurse und bewirbt sich mit diesem Wissen bei einem Unternehmen. Da gerade viel gesucht wird, sollte man mit entsprechendem Background gute Chancen auf eine Stelle haben. Wichtig wäre hier allerdings zumindest nachgewiesenes Wissen etwa über ein Zertifikat.
Wie so oft ist die reine Lehre das Eine, die Praxis sieht anders aus. Klar kann man ein Formular nach Lehrbuch perfekt barrierefrei gestalten. In der Praxis trifft man aber auf komplexe fertige Lösungen, die eine andere Herangehensweise erfordern. Auch deshalb ist Praxis-Erfahrung so wichtig.
So oder so sollte man sich darauf einstellen, dass es einige Jahre dauert, bis das Geschäft mit Barrierefreiheit sich selbst trägt. Auch deshalb die Empfehlung, Barrierefreiheit eher als zusätzliche Leistung im Portfolio zu haben und nicht von Anfang an voll darauf zu sezen.

Vernetzung

Vernetzung ist das A und O für Freelancer. Es geht allerdings nicht darum, einfach nur möglichst viele Kontakte zu sammeln. Wichtig ist eher, relevante Kontakte zu bekommen. Das kann man sowohl digital als auch lokal machen – zu empfehlen ist beides. Gerade ohne praktische Erfahrung werdet ihr eher Kunden für euch gewinnen, wenn sie euch schon persönlich kennen. Bei digitaler Barrierefreiheit bieten sich natürlich Veranstaltungen mit Digital-Bezug an. Sie finden in jeder größeren Stadt statt, selbst das provinzielle Bonn hat welche davon. Bei kleinen und mittelgroßen Agenturen aus der Region kann man gute Chancen für eine Kooperation haben.
Lokal gibt es auch gute Chancen, selbst bekannt zu werden, zum Beispiel mit Vorträgen auf Barcamps oder bei Meetups. Auch Coworking-Spaces oder IHK-Veranstaltungen sind gute Gelegenheiten zum Netzwerken.
Was auch recht gut funktioniert sind Blog- und Fach-Beiträge, die man in der eigenen Community streuen kann. Am Anfang sind die Aufrufzahlen bescheiden, aber es geht erst mal darum, überhaupt auf sich aufmerksam zu machen. Ich habe in den letzten Jahren ein recht gut besuchtes Portal aufgebaut und darüber auch Aufträge akquiriert, das kann aber Jahre dauern und würde ich deshalb nicht weiterempfehlen. Blog-Beiträge müssen nicht hochspeziell sein, das würde ohnehin nur die Profis interessieren.
Last not least geht es tatsächlich darum, Kompetenz-Netzwerke aufzubauen. D.h. man schließt sich mit anderen Leuten zusammen, die komplementäre Dienstleistungen anbieten können: Du kannst Barrierefreiheit, eine andere Person kann Design, die nächste Web-Entwicklung und so weiter. Über Websites wie „Das Auge“ kann man recht schnell passende Leute finden. Für die einfachere Abrechnung bietet es sich dann an, eine GbR zu gründen, das muss aber nicht sein.

Preise allmählich steigern

Das heißeste Thema unter Freelancern sind die Preise. Hier also meine Meinung dazu: Man sollte am Anfang nicht zu hoch gehen. Die absoluten Profis können 1000 € und mehr pro Tag nehmen, aber dazu gehörst Du wahrscheinlich am Anfang nicht.
Das heißt natürlich nicht, dass man mit 300 € pro Tag zufrieden sein sollte. Ich würde schauen, was andere Freelancer in ähnlichen Themenbereichen und mit ähnlicher Erfahrung nehmen und diesen Betrag veranschlagen. Ist man viel zu niedrig, macht das den Kunden mißtrauisch. Ist man viel teurer als die Konkurrenz, kriegt man den Auftrag ebenfalls nicht. Meines Erachtens ist ein Betrag zwischen 400 und 600 € pro Tag realistisch. Hat man erste Erfahrungen gesammelt bzw. kann man komplexere Projekte annehmen, kann es dann allmählich gesteigert werden. Wie oben gesagt hängt das natürlich vom eigenen Fachbereich ab: Software- oder App-Entwickler können durchaus mehr nehmen, während Redakteure eher am unteren Ende dieses Spektrums stehen.
Als Einzel-Unternehmen kann man nicht erwarten, an Aufträge mit mehr als 10 Personentagen zu kommen. Die Auftraggeber gehen damit eher zu Agenturen oder Mehr-Personen-Gesellschaften, weil es da eine größere Ausfall-Sicherheit gibt. Ausnahmen bestätigen die Regel, ich zumindest kontte einen Auftrag im Volumen von 10.000 € bekommen, der größte Auftrag, den ich je bekommen habe und eine absolute Ausnahme. Die anderen Aufträge waren eher im Bereich von 1500 bis 3000 € und die meisten waren deutlich unter 1000 €. Kleine Aufträge machen im Verhältnis zur Größe mehr Aufwand.

Nische oder Mainstream

Je länger es ein Berufsfeld gibt, desto mehr Nischen bilden sich heraus, zu sehen am Bereich UX. Bei der Barrierefreiheit ist das noch nicht in dem Maße so. Dennoch gibt es natürlich unterschiedliche Möglichkeiten der Positionierung. Als Selbst-Betroffene kann man sich als Experte für diese Gruppe positionieren. Daneben gibt es spezielle Bereiche wie etwa Software- oder App-Entwicklung, die noch nicht so stark besetzt sind wie PDF und Internet.
Man muss sich allerdings bewusst sein, dass die Nischen oft so klein sind, dass sie nicht so viel an Einkommen abwerfen, deswegen sind es ja Nischen. Meines Erachtens hat man hier bessere Chancen, wenn man gleich international startet. Dann sollte man verhandlungssicher Englisch sprechen und verstehen und natürlich auch schreiben können. International gibt es nichts, was nicht von irgendwem nachgefragt wird.

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