Werbung und Barrierefreiheit


In einem älteren beitrag hatte ich schon darauf hingewiesen, dass Skript- und Flash-blocker unabdingbar für ein angenehmes Surferlebnis auch für Blinde sind. Jenseits aller Bedenken und Datenschutz und Sicherheit will ich diesen Gedanken sogar noch ausdehnen. Ich behaupte, dass Werbung an sich eine der großen Barrieren im heutigen Web sind.

Das große Chaos

Auf diesen Gedanken kam ich, als mein Firefox anfing herumzuspinnen und ich alle Erweiterungen und damit auch den AdBlock ausschalten musste. Auf einer Seite, wo ich bisher problemlos einen Download-Link gefunden hatte, sah ich auf einmal nur noch Kraut und Rüben.
Genauer gesagt: ein buntes Gemisch aus Google-Anzeigen, Affiliate und anderen Dingen, die ich gar nicht einordnen konnte. Irgendwo dazwischen war der Download-Link.
Hoffen die Seitenbetreiber, dass man aus lauter Panik versehentlich einen dieser Links anklickt, damit sie ein paar Cent mehr einnehmen? Oder glauben sie, dass wir kognitive Hochleistungen vollbringen können, indem wir ein Dutzend Werbe-Anzeigen auf einmal aufnehmen. Oder ist es nicht so, dass wir nach jahrelanger Surferfahrung solche Dinge automatisch ausblenden, weil wir schon ahnen, dass da nichts Interessantes angeboten wird?

Der verlorene Focus

Wie dem auch sei: Sehende und Mausbenutzer können dieser Werbeflut vielleicht nicht ganz entkommen, doch sie sind in der Lage, auch versteckte Elemente in diesem visuellen Chaos aufzuspüren.
Tastaturbenutzer hingegen müssen eine Seite linear durchwandern. Bei vielen Websites findet sich der erste Werbeblock bereits über dem eigentlichen Artikel vor oder hinter der Navigation. Der zweite Block – meistens eine Gif- oder Flash-Animation ist mitten im Text. Der dritte Block ist dann zwischen dem Ende des Artikels und den Kommentaren oder was dem Artikel auch immer folgt. Weitere Werbung ist dann auf dem Rest der seite bunt gestreut. Für die Nutzer der Tastatur bedeutet das, dass sie diese Hindernisse irgendwie umschiffen müssen.
Bei Blinden stört das vor allem den Lesefluß. Es tauchen mitten in einen Artikel wildfremde Elemente auf, die den Leser verwirren und ihn seiner Konzentration berauben. Für Sehbehinderte oder Menschen mit kognitiven Einschränkungen kann die Vielfalt unterschiedlicher farbenfroher, flackernder und nicht in das Konzept der Seite passender Elemente der Seite verwirrend sein, im schlimmsten Fall ist die Seite unbenutzbar.
Ob das alles ästhetisch noch ansprechend ist, scheint zunächst nebensächlich. Tatsächlich sind aber Usability und optische Attraktivität Eckpfeiler des Webdesigns. Da geben sich die Leute echte Mühe, eine Seite ansprechend nach firmeneigenen Styleguides und im Corporate Design zu gestalten und lassen es dann zu, dass Werbung, die farblich und ästhetisch nicht zum Konzept passt ihr Layout zerflückt.

Werbung für Sehbehinderte und Blinde

Menschen mit Sehschwäche werden normalerweise bei Werbekampagnen nicht beachtet. Das mag für Menschen mit Hörschwäche auch gelten, das kann ich allerdings nicht beurteilen. Die ganze Fanfare von Plakaten, Litfaßsäulen, Schaufenstern, Werbeprospekten, Bannerwerbung und Flashanimationen im Netz, aber oft auch Fernsehwerbung gehen spurlos an uns vorbei. Die Ausnahme ist Werbung im Radio.
Ich selber besitze keinen Fernseher. Die Werbung im Internet ging mir mit ihrem permanenten Geflacker dermaßen auf die Nerven, dass ich sie abstellen musste. Aber auch ohne Werbeblocker wusste ich nicht, wofür da eigentlich geworben wird. Wenn es mich interessiert hätte, könnte ich es nicht herausfinden, da das bunte Geflacker von GIF- und Flashanimationen auf Alternativtext oder generell auf textliche Botschaften verzichtet. Wir wissen also in der Regel weder welche Marke beworben wird noch um was für ein Produkt es sich handelt.
Eine Ausnahme sind die Google-Textanzeigen, die wir im Gegensatz zu den Sehenden nicht einfach überspringen können. Obwohl Google mit sehr cleveren Algorithmen arbeiten soll passen die Anzeigen nur selten zu dem Inhalt der Website. Man kann sich kaum vorstellen, dass da tatsächlich jemand absichtlich draufklickt. Bei der Fernsehwerbung sieht es ähnlich aus: sie arbeitet vor allem mit Bildbotschaften. Versuche einmal, ohne hinzuschauen herauszufinden, welches Produkt oder welche Marke beworben wird. Oft wird nämlich weder der Name der Marke noch das Produkt genannt. Abgesehen davon entwickelt jeder Zuschauer seine eigenen Strategien, um die Werbepausen zu überbrücken: ein Toilettengang, Snacks aus der Küche holen, Zappen…
Ich kann mich gut an die Debatten über die „Du bist Deutschland“-Kampagne erinnern, wo ich vielleicht der einzige Mensch war und bin, der keinen derartigen Werbespot gesehen oder gehört und keines der Plakate gesehen hat. Das hat mich persönlich nicht gestört, ich will nur deutlich machen, dass viele Leute wie ich heute durch Werbung gar nicht mehr erreicht werden. Die Zahl der blinden und schlecht sehenden Personen in Deutschland ist durchaus so hoch, dass die Unternehmen sich hier eine Zielgruppe entgehen lassen.
Eine weitere Gruppe, die durch Werbung gestört wird sind alle Personen, die durch solche Dinge getriggert werden: Autistinnen, kognitiv Behinderte und Menschen mit Lernstörungen wie ADHS oder Legasthenie. Insgesamt also durchaus eine große Gruppe von Betroffenen.
Natürlich hat noch niemand eine Kampagne für barrierefreie Werbung vom Stapel gelassen, das wäre wohl ein wenig zynisch. Aber eine Situation, in der wir völlig ignoriert werden, kann uns nicht kalt lassen. Denn die gleichen Denkfehler könnten dazu geführt haben, dass auch viele Kauf- und Auktionsseiten nicht barrierefrei sind.
How accessible is digital advertising