Tangible User Interfaces und Barrierefreiheit

Tangible User Interfaces (TUI) können Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf an Computer und technische Systeme heranführen.
Wir sind beim Thema Mensch-Maschine-Interaktion noch lange nicht am Ende der Entwicklung angelangt. Eigentlich stehen wir eher am Anfang. Was heute als intuitive Bedienung bezeichnet wird, schließt eine ganze Reihe von Menschen aus: Menschen mit schweren Behinderungen, viele Menschen mit geistigen Behinderungen und Menschen, die noch nichts mit Computern zu tun hatten. Nicht nur für sie ist auch ein Smartphhone eine kognitive Herausforderung. Aus ihrer Perspektive sind unsere Geräte reine Expertensysteme.

Input und Output

Der Knackpunkt aller Systeme ist die Art, wie Anfragen eingegeben und Informationen ausgegeben werden. Nehmen wir das Thema intelligentes Haus – braucht keiner, ich weiß. Aber ich gehe davon aus, dass es sich nie auf breiter Front durchsetzen wird, solange man eine Konsole oder ein Tablet benötigt, um es zu steuern. Frei nach Murphys Law ist das Teil immer dort, wo man selbst grade nicht ist, es ist kaputt, weil jemand drauf getreten hat oder der Akku ist leer. Aber selbst, wenn es funktioniert ist das Interface zu kompliziert. Auch die einfachste App verlangt uns ein gewisses Abstraktionsvermögen ab, das viele Leute nicht besitzen.
Die Lösung bestünde darin, das Interface nur noch für Wartungszwecke zu verwenden und stattdessen andere Wege zur Kommunikation wie Sprach- oder Gestensteuerung zu verwenden. Feedback kann als nicht-störendes optisches oder akkustisches Signal erfolgen. Die Technik dafür gibt es schon, sie müsste nur entsprechend in die Räume integriert werden. So kann zum Beispiel eine Person, die ansonsten auf Unterstützung angewiesen ist von ihrem Bett aus kontrollieren, ob die Alarmanlage eingeschaltet, das Licht in allen Räumen ausgeschaltet oder die Rolläden unten sind. Input und Output müssen so gestaltet sein, dass eure Großmutter es bedienen könnte, denn sie ist es ja, die am ehesten davon profitiert, nicht der Bürohengst, der einfach zu faul zum Aufstehen ist.
Es gibt mittlerweile Systeme für ältere Menschen, die zum Beispiel einen Alarm auslösen, wenn der Mensch stürzt oder ein Herstillstand droht. Diese Systeme werden sich nur durchsetzen, wenn sie so einfach wie ein Toaster funktionieren.
An dieser Stelle wird häufig eingewendet, dass auch Großmütter mit Tablets umgehen können. Kein Zweifel, aber wieder gehen wir von einer gesunden und fitten Person aus. Was ist mit dem Menschen, der eine Demenz entwickelt hat? Symptome altersbedingter Erkrankungen können schwere Gedächtnisstörungen und Einschränkungen des Sehvermögens sein. Einer dementen Person kann man nicht zumuten, sich in die Arbeit mit Tablets und komplexer Hilfstechnik einzuarbeiten.

Tangible Benutzeroberflächen

Der nächste Schritt in der Evolution von Mensch-Computer-Interaktionen ist die Interaktion mit realen Objekten, mit denen Computer gesteuert werden können. Die Rede ist von tangible objects oder tangible user interfaces (TUI).
Stellen wir uns vor, wir hätten ein taktiles Modell unseres Hauses. Anhand des Modells können wir zum Beispiel sehen, wo die rolläden oben sind, wo das Licht eingeschaltet ist oder ob die Fenster offen oder geschlossen sind. Ziehen wir die Rolläden am Modell runter, werden sie auch im echten Haus heruntergefahren. Schalten wir das Licht im Modell-Badezimmer aus, wird es im realen Haus ausgeschaltet. Glüht unser Modell-Herd, wissen wir, dass wir vergessen haben, den Herd auszuschalten und können ihn am Modell ausschalten.
Zugegebenermaßen klingt das aktuell eher unrealistisch. Aber ist es möglich, solche Informationen und Interaktionen so in einer grafischen Benutzeroberfläche zu vermitteln, dass sie von jenen verstanden werden, denen sie am meisten zugute kommen würden? Ich kann es mir nicht vorstellen.
Die Einsatz-Möglichkeiten für tangible Objekte sind vor allem in Bereichen groß, in denen es um Menschen mit sprachlichen oder kognitiven Einschränkungen geht. Diese Menschen können eigene Wege der Kommunikation entwickeln, wie sie im Bereich Unterstützte Kommunikation teilweise schon eingesetzt werden.

Fazit

Das Problem ist, dass wir Computer nach wie vor aus einer elitären Perspektive betrachten. Uns fehlt vor allem der Blick für Menschen, für die selbst ein Handy eine kognitive Überforderung ist. Um diesen Menschen trotzdem den Zugang zu Computern zu ermöglichen, erscheint tangible computing als eine Möglichkeit.
Ein Nachteil heutiger TUIs besteht in ihrer starken Beschränktheit auf ein bestimmtes Themengebiet. Allerdings denke ich, dass sich da noch einiges machen lässt. Wenn man sich anschaut, wie kreativ die Leute mit Smartphones, Arduino, Raspberry Pi und 3D-Druckern unterwegs sind, scheinen die Möglichkeiten heute kaum ausgeschöpft. Vor zehn Jahren hätte auch niemand gedacht, dass man sein Handy als Fitness-Tracker benutzen könnte.
Vor allem benötigen wir aber auch Forschung in diesem Bereich. Wie ich an anderer Stelle schon ausgeführt habe, ist der Themenkomplex kognitive Behinderungen zu wenig untersucht, daher können wir oft nur raten, wenn es um ihre Anforderungen geht. Ich denke, dass wir alle davon profitieren könnten, denn auch wenn wir heute mit den Interfaces zurecht kommen, wirklich zufrieden mit der aktuellen Situation ist kaum jemand.

  • Tangible User Interfaces and digital Accessibility