Als Blinder präsentieren und Vorträge halten

Noch gibt es relativ wenige Blinde und Sehbehinderte, die als Vortragende auftreten. Eine kleine Liste blinder Experten gibts allerdings schon. Viele Blinde scheinen Hemmungen bei öffentlichen Auftritten zu haben. Ich möchte hier ein paar Tipps geben, die euch dazu ermutigen sollen, mehr Vorträge zu halten.
Tipps zum inhaltlichen Aufbau oder zur Rhetorik eines Vortrags – gebe ich hier nicht. Da gibt es bei Blindheit keine Besonderheiten. Außerdem bietet jede Volkshochschule entsprechende Kurse an.

Warum Blinde sich oft nicht trauen

Es hängt an mehreren Faktoren:

  • Für Blinde und hochgradig Sehbehinderte ist es nicht möglich, visuelles Feedback vom Publikum zu bekommen. Ob die Leute aufmerksam zuhören, einnicken oder ob überhaupt jemand da ist – als Blinder weiß man das nicht. Das hat allerdings auch einen Vorteil, man ist weniger schnell durch visuelle Reize irritiert. Wenn jemand gähnt, in der Nase purpelt oder ein Nickerchen macht, ist das für den sehenden Vortragenden irritierend, aber wir kriegen das nicht mit, manchmal ist die Blindheit doch ein Segen.
  • Akustische Ablenkungen lassen sich schwer interpretieren. Wenn sich die Leute unterhalten oder in ihren Taschen wühlen, soll ich darauf reagieren oder nicht? Liest er gerade gelangweilt seine Mails oder twittert er fleißig über meinen Vortrag? Das kann man allerdings auch als Sehender kaum wissen und zählt bei einem digital-affinen Publikum heute nicht mehr als schlechtes Benehmen.
  • Fragen und Feedback lassen sich schwerer einholen. Die meisten Leute zögern, den Sprecher zu unterbrechen. Aber als Blinder hat man ansonsten wenig Möglichkeiten zu erkennen, dass es Fragen oder Diskussionsbedarf gibt.
  • Der Umgang mit Redenotizen, Overhead-Folien und PowerPoint ist für Blinde und Sehbehinderte nicht ganz trivial.

Kommen wir also zu den Tipps.

Sehende Assistenz nutzen

Ein Sehender, der das Publikum im Blick hat ist ganz praktisch. Zur Not ernennt man einfach eine Person aus dem Publikum oder den gastgeber dazu.
Zur Not können sich Sehende via Blickkontakt und Gestik auch gegenseitig koordinieren. Das geht aber nur, wenn sie sich gegenseitig im Blick haben, also nicht bei Theaterbestuhlung, wo alle nach vorne schauen.
Einfacher ist es, regelmäßig Pausen für Zwischenfragen zu lassen und auch dazu aufzufordern, fragen zu stellen. Auch hier gilt: Ohne Sehende Assistenz müssen sich die Fragesteller untereinander koordinieren. Das sollte man ihnen klar machen.
Bei einer kleineren Runde mit U-Bestuhlung solltet ihr zulassen, dass die teilnehmer den Redner für Fragen auch ins Wort fallen dürfen. Ihr müsst das ausdrücklich erlauben, da das in Sehendenkreisen als unhöflich gilt. Dort würde man das über Gesten oder Blickkontakt regeln, was aber bei uns wie geschrieben nicht möglich ist.
Im Übrigen: In der Regel vergisst das Publikum relativ schnell, dass ihr blind seid und das selbst, wenn eure Behinderung nicht zu übersehen ist. Das heißt, auch wenn ihr Unterbrechungen erlaubt, solltet ihr Gelegenheiten zu Zwischenfragen geben.

Notizen/Merkhilfen

Es gibt schon verschiedene Tipps dazu, wie Blinde PowerPoint als Kommunikationsunterstützung verwenden können.
Notizen können z.B. in Braille auf kleine Karten geschrieben werden. Ich empfehle hierbei, so kurz wie möglich zu bleiben. Ein bis zwei Schlagworte pro Karte sollten reichen. Braillezeile geht natürlich auch.
Andere Geräte wie Smartphones, Tablets oder Notebooks können ebenfalls für die Notizen verwendet werden. Bei Geräten mit Tastatur hat man den Vorteil, dass man durch den Cursor immer eine eindeutige Position im Text hat. Und natürlich kann man auch bei Touchscreen-Devices externe Tastaturen verwenden. Die Sprachausgabe kann so laut eingestellt werden, dass sie für den Vortragenden hörbar ist. Generell empfiehlt sich, die Vortragsnotizen so kurz wie möglich zu halten.
Ich persönlich verwende meistens meine Präsentation als Redemanuskript. Mir reicht es, wenn ich den Titel der jeweiligen Folie höre, um zu wissen, was ich erzählen will.
Auch das Smartphone kann entsprechend verwendet werden. Lät man seine Präsentation in eine App wie Keynote und startet den Präsentationsmodus, kann man die einzelnen Folien mit der Drei-Finger-Wisch-Geste durchglättern. Das funktioniert auch bei Google Präsentationen, hier tippt man zum Weiterblättern zwei Mal auf das Display.

Der Körper im Vortrag

Die Körpersprache sollte immer zur Person passen, heißt, wenn ihr eher langsam sprecht, solltet ihr keine übertrieben aufgeregte Gestik einsetzen und umgekehrt. Bis auf ein paar Ausnahmen, dazu gehört etwa die Schauspielerei, macht es für Blinde meines Erachtens keinen Sinn, eine bestimmte Gestik anzutrainieren oder einzustudieren. Das gilt umso mehr für die Mimik. Die Gesichtsausdrücke sollten immer natürlich sein.
In der regel macht es keinen guten Eindruck, die Hände die ganze Zeit in den Hosentaschen oder hinter dem Rücken zu haben. Man daf die Hände uhig bewegen oder auf das Pult legen.
Gehört ihr zu den Gehern, also könnt ihr nicht still stehen, solltet ihr euch ein relativ kleines Areal suchen, auf dem ihr gefahrlos entlanggehen könnt. Achtet auf Stolperkanten, Kabel, Tische, Stuhlbeine und so weiter.
Positioniert alle Dinge, die ihr während des Vortrages benötigt strategisch sinnvoll und nehmt alles andere aus eurem Einzugsbereich. Dazu gehören insbesondere Flaschen, Gläser oder Tassen. Ich rate zu Plastikflaschen, hier macht es nichts, wenn sie umkippen oder gar auf den Boden fallen. Ein Getränk sollte aber auf jeden Fall immer griffbereit sein.

Blickkontakt

Natürlich kann man als Blinder, in der Regel auch nicht als Sehrestler, einen Blickkontakt herstellen. Dennoch sollte man als Blinder versuchen,den Blick über das Publikum schweifen zu lassen. Es ist für den Sehenden einfach unangenehm, wenn er nicht das Gefühl hat, dass er vom Redner wahrgenommen wird. Wenn jemand eine Frage stellt, sollte man in dessen Richtung schauen. Während man Gestik tatsächlich nicht trainieren kann, kann man das Schweifen des Blickes sowie den Blickkontakt mit Gesprächspartnern durchaus trainieren und sollte es auch tun, wenn man die Möglichkeit dazu hat. Es macht auch nichts, wenn man in die falsche Richtung guckt oder den Blick über den Zuschauerkreis hinaus schweifen lässt. Trägt jemand eine Sonnenbrille, kann man ohnehin nicht genau sehen, wo er hinschaut.

Stehen oder Sitzen

In der Regel ist es sinnvoll, in einer Redesituation zu stehen, wenn das aus praktischen und physischen Gründen möglich ist. Durch einen aufrechten Stand ist der gesamte Oberkörper beweeglicher. Es besteht weniger die Gefahr, dass man wie ein Waschlappen auf dem Stuhl hängt, das Zwerchfell zusammengequetscht wird und man dadurch an Atemvolumen und Stimmkraft verliert. Und es hat natürlich eine gewisse symbolische Bedeutung, wenn die Sitzenden zu einem hochschauen müssen. Klingt albern, ist es sicherlich auch, stimmt aber.
Sitzen schränkt automatisch die beweglichkeit ein. Während ich beim stehen ein wenig hin und her laufe kann, wirkt Herumgewackel beim sitzen schnell unruhig und unsicher. Zudem kann bei Gesten schnell mal etwas vom Tisch gefegt werden.
Last not least gibt es eine Theorie in der Kommunikationsforschung, wonach sich unsere Emotionen auf unsere Körperhaltung auswirken. Umgekehrt soll sich auch die Körperhaltung auf die Emotionen auswirken können. Schauspieler bestätigen, dass sie sich besser in eine Rolle hineinversetzen können, wenn sie sie auch körperlich nachempfinden. Also, Schultern zurück, Kopf aufrecht, gerade Körperhaltung, wenn ihr nicht wie ein Trauerkloß rüberkommen wollt.

Ein Vortrag muss nicht rhetorisch perfekt sein

Es ist den wenigsten Menschen vergönnt, druckreif zu sprechen. Das fällt einem häufig erst auf, wenn man gezielt darauf achtet oder sich die Aufnahme oder Transkription eines aufgenommenen Gesprächs anhört. Sätze werden grammatikalisch falsch gebildet, es gibt die ganzen Ähs und Ähms, Das ist aber vollkommen egal, weil der Zuhörer das in der konkreten Situation nicht merkt. Er bewundert den Redner eher dafür, dass er sich traut, sich da vorne hinzustellen. Wir setzen natürlich immer voraus, dass der Zuhörer sich für den Inhalt interessiert, ansonsten sollte man ihn einfach eine Runde schlafen lassen.
Situationen, in denen man sich gefahrlos ausprobieren kann sind etwa Barcamps und ähnliche Treffen. Wichtig ist dabei nur, dass man irgendwas zu sagen hat, was irgendjemand hören will. Wenn man ein paar von diesen Vorträgen gehalten hat, macht es dann auch keinen Unterschied mehr, ob man vor 3 oder 200 Menschen redet.
Es gibt einen Zustand, den ich Tiefenentspannung ennen möchte. Wenn man ein paar Mal auf Podien gesessen oder vor einem Publikum gestanden hat, stellt sich dieser Zustand automatisch ein. Irgendwann macht es dir einfach nichts mehr aus, dass dir 300 Leute beim Nichtstun zuschauen, jede deiner Bewegungen und vielleicht sogar den Staub auf deiner Hose sehen können. Und hier hat es tatsächlich auch Vorteile, dass man die Zuschauer nicht sehen kann, man bemerkt zum beispiel mißbilligende Blicke, gelangweilte Gesichter und böse Mienen nicht.

Lautstärke des Vortrages

Man kann zwar trainieren, lauter zu sprechen, aber bei einer größeren Zuhörerschaft ist ein Mikrofon vorzuziehen. Dabei sind Mikrofone vorzuziehen, die am Kopf befestigt werden. Handmikrofone schränken zumindest einen Arm von der Bewegung her ein, sollten im richtigen Abstand gehalten werden und können natürlich auch einfach runterfallen, wenn man sie nicht richtig festhält. Fest montierte Tischmikrofone sind ein bisschen besser, aber auch hier muss man auf den richtigen Abstand achten.
Im Allgemeinen ist es besser, das Handheld-Mikro möglichst nah am Mund zu halten, stellt euch ein Waffeleis vor, in das ihr gleich reinbeißen werdet, und dann weniger laut zu sprechen statt umgekehrt, also das Mikro weiter weg zu halten und dafür lauter zu sprechen. Ich spreche auch mit Mikro ein wenig lauter als in einer normalen Sprechsituation. Generell solltet ihr darauf achten, dass ihr euch nicht überanstrengt, um laut oder mit einer tieferen Stimme zu sprechen, das kann auf lange Sicht den Sprechorganen schaden, zumindest macht es aber heiser. Im Zweifelsfall ist es immer besser, langsamer und deutlicher zu sprechen.
Da wir die Größe eines Raumes schwer einschätzen können, ist es manchmal schwierig, die sinnvolle Stimmlautstärke richtig einzuschätzen. Eine bestimmte Grundlautstärke ist auch in einer kleinen Runde sinnvoll, damit auch die Zuschauer in den hinteren Reihen entspannt zuhören können. Bei einer größeren Runde sollte man um Feedback aus den hinteren Reihen bitten, ob man noch gut zu hören ist.
Ein gutes Training ist es, vor Kindern vorzutragen bzw. ihnen vorzulesen. Sie sind das kritischste, aber auch interessierteste Publikum. Und ab einer bestimmten Zahl von Kindern ist es niemals still. Wir lernen also mit Kindern, entspannt zu bleiben und Nebengeräusche zu ignorieren.

Präsentationen

Ich finde es immer gut, etwas zum Sehen oder Anfassen zu haben. Es gibt brillante Redner wie Gregor Gysi, die rein mit ihrer Redekunst beeindrucken können. In diesen rehtorischen Olymp werden aber die Wenigsten von uns aufsteigen.
Ob man mit PowerPoint oder einem ähnlichen Tool arbeitet, ist erst mal Geschmackssache. Als Blinder kennt man die PowerPoint-Ästhetik in der Regel nicht. Zwar kann man die Texte schreiben und die Folien aufbereiten. Am Ende muss aber immer ein Sehender drauf gucken, weil PowerPoint unberechenbar ist. Da sind Bilder an einer ganz falschen Stelle oder völlig verzerrt, da sind Fußzeilen, wo keine sein sollten und der Text ist zu groß, zu klein oder rutscht aus dem sichtbaren Bereich. Keine PowerPoint ist also besser als eine schlechte, weil das schnell unprofessionell wirkt.
Doch gibt es natürlich andere Möglichkeiten, die vom konkreten Thema abhängen: Man kann Gegenstände mitbringen, die man hochhält oder durch das Publikum gehen lässt. Man kann ein paar Tanzschritte vorführen oder einen Kopfstand. Wichtig ist natürlich, dass es zum Thema und zum Publikum passt. Was immer gut ankommt sind passende Geschichten oder Anekdoten.
Für kurze Vorträge von bis zu 20 Ninuten benötigt man in jedem Fall keine Präsentation. Bei längeren Vorträgen kann das Publikum schnell unkonzentriert werden, weil Sehende an visuelle Reize gewöhnt ist. Wenn ihr also Ideen habt, wie ihr das Publikum ansonsten ablenken könnt, dann soltet ihr das tun.

Auf Fragen zur Blindheit vorbereitet sein

Es spielt keine Rolle, zu welchem Thema man vorträgt, man sollte immer darauf vorbereitet sein, dass man Fragen zur Blindheit bekommt, die teils auch persönlich werden können. Hier bleibt es jedem selbst überlassen, ob man diese beantworten möchte oder nicht. Im Zweifelsfall bietet man dem Fragesteller ein persönliches Gespräch nach dem Vortrag an. Das ist sinnvoll, wenn Blindheit im Grunde nichts mit dem eigentlichen Vortrag zu tun hat.