ChatGPT und Co. für Barrierefreiheits-Recherchen nutzen

Ich gebe es zu, ich bin auch dem Hype verfallen und probiere mich ChatGPT herum. Neben dem üblichen Small Talk (Wie geht’s dir, wie ist das Wetter bei euch, wann wird die Menschheit sich selbst vernichten) kann man es auch für nützliche Dinge verwenden, zum Beispiel für Recherchen zur digitalen Barrierefreiheit. ChatGPT steht hier stellvertretend für generative Technologien, Sie können ebenso Gemini verwenden (nach meiner Erfahrung bisher wenig zuverlässig) oder Perplexity.ai oder eine andere generative Technologie Ihres Vertrauens.

Generell sind zwei Szenarien zu unterscheiden:

  • Richtige Kriterien und Anforderungen zu bestimmten Problemen finden
  • Sich komplizierte Anforderungen erklären lassen

Passende Kriterien und Anforderungen finden

Für einfache Elemente wie Select-Boxen ist es recht einfach, die entsprechenden Informationen zu finden. Ich greife meistens auf das Mozilla Developer Network zurück, aber es gibt zahlreiche weitere zuverlässige Quellen wie Stack Overflow oder die W3 Schools. Schwierig wird es für komplexe Elemente wie Multiselect Dropdowns oder ähnliche zusammengesetzte Elemente, für die es kein HTML-Äquivalent oder einfaches ARIA gibt. Eine einfache Google-Recherche hilft manchmal nicht weiter, weil hier oft wenige bis keine oder veraltete Artikel angezeigt werden.

Man fragt also ChatGPT oder die GenAI des Vertrauens: „Worauf muss ich achten, wenn ich Multiselect Dropdowns“ barrierefrei gestalten will?“. Bitte beachten Sie dabei, dass zumindest die kostenlose Version von ChatGPT aktuell auf Anfang 2022 eingefroren ist und somit zum Beispiel keine Anforderungen aus der endgültigen WCAG 2.2 aus Herbst 2023 berücksichtigen kann.

Ich erspare Ihnen die Antwort von ChatGPT, das können Sie gerne selbst ausprobieren. Praktisch dabei ist, dass direkt auch ein beispielhafter Code angezeigt wird. Den Code bitte nicht einfach übernehmen, da er generisch ist, enthält er eine Menge DIVs.

Im zweiten Schritt können Sie optional eine weitere GenAI befragen, zum Beispiel Gemini von Google oder perplexity.ai. Die Antworten sollten Sie abgleichen. Sind die Antworten gleich, sind wir auf einem guten Weg. Manche GenAIs geben auch Quellen zu den Ergebnissen aus, die Sie studieren können. Das tut zum Beispiel der Copilot von Bing oder Perplexity.

Im dritten Schritt würde ich nach Fach-Artikeln zum Thema recherchieren und die Antworten der GenAIs damit abgleichen. Achten Sie darauf, dass die Artikel aktuell sind, von namhaften Quellen stammen und auf die angewendeten WCAG-Kriterien eingehen.

Haben wir wirklich Zeit gespart, wenn wir all diese Schritte gehen, stupid? Nicht unbedingt, aber die Chance, korrekte Antworten zu bekommen und das Element richtig umzusetzen sind gestiegen. Die Alternative wäre gewesen, den erstbesten Artikel von Google zu nehmen und ihn zu verwenden. Als Novize kann ich aber nicht wissen, inwiefern dieser Artikel korrekt oder aktuell ist.

Auch bei ARIA kann GenAI sinnvolle Antworten liefern. Allerdings würde ich auch bei diesem Thema die Recherche nach aktuellen Beiträgen empfehlen. Bei ARIA ist die Entwicklungs-Dynamik größer als bei der WCAG,, die relativ wenig geändert wird.

GenAIs lassen sich natürlich auch dafür verwenden, sich Artikel zusammenfassen zu lassen. Die Zusammenfassung ist dabei umso besser, je kürzer der Artikel ist. So ab 6000 Zeichen wird die Zusammenfassung nach meiner Erfahrung sehr rudimentär. Auch hier können Sie natürlich tricksen, indem Sie eine bestimmte Teilmenge des Textes in das Chat-Fenster kopieren, 3000 Zeichen sollten nach meiner Erfahrung gut funktionieren.

Eine weitere Möglichkeit, die ich gerne für die Vor-Recherche verwende ist, ChatGPT nach den WCAG-Kriterien zu fragen, die für ein bestimmtes Element gelten. Auch hierbei ist es meiner Erfahrung nach recht zuverlässig, auch wenn man wie gesagt die Antworten immer prüfen sollte. Bei der EN 301549 funktioniert es leider aktuell nicht, auch hier werden nur die WCAG-Kriterien genannt, nicht aber die Anforderungen aus anderen Kapiteln.

Wie immer bei GenAIs gilt, dass spezifische Fragen besser beantwortet werden als generische. Fragen Sie zum Beispiel nicht: „Was soll ich bei barrierefreiem Design“ beachten, diese Frage könnte auch ein Mensch kaum sinnvoll beantworten. Fragen Sie liber: Was sollte ich bei Farben in der barrierefreien Gestaltung beachten“. Die Konversation kann mit den Antworten von ChatGPT weiter vertieft werden, wenn Sie zu einzelnen Aspekten mehr Informationen benötigen. Oder lassen Sie sich gleich passende Artikel empfehlen. Für diesen Zweck funktioniert Perplexity.ai recht gut.

Relativ nervig ist die Geschwätzigkeit der GenAIs, die meistens bei der ersten Antwort zum Tragen kommt. Wenn man nach Farben in der Barrierefreiheit fragt muss man wohl nicht mehr erfahren, warum barrierefreies Webdesign wichtig ist.

Über Barrierefreiheits-Probleme diskutieren

Sie kennen das sicher: Sie haben eine Frage zur Barrierefreiheit einer speziellen Komponente – zum Beispiel einer eingebundenen Karte – und haben niemanden, mit dem Sie darüber diskutieren können oder brauchen schnell mal um Mitternacht einen Rat bzw. verschiedene Argumente pro und contra. Dafür sind GPTs tatsächlich perfekt geeignet. Stellen Sie Ihre Frage und lassen Sie sich die verschiedenen Argumente auflisten.

Wohlgemerkt sagen wir nicht, dass Sie sich auf die Einschätzung Ihrer Lieblings-GPT verlassen sollten. Das könnte Ihnen oder dem Kunden schaden. Aber Sie können sich wie gesagt Argumente holen und eventuell Artikel empfehlen lassen, die das Thema diskutieren. Auf dieser Basis können Sie dann eine Entscheidung treffen. Wie immer kann auch hier hilfreich sein, sich die Quellen für die Aussagen/Diskussionen nennen zu lassen.

Regeln erklären lassen

ChatGPT kann ebenfalls dabei helfen, komplizierte Regeln erklären zu lassen. Es gibt Regeln, die man bisher selten anwenden muss wie etwa 2.5.4 Motion Actuation. Hier kann ChatGPT helfen, indem man etwa um eine Erklärung dieser Regel bittet und sich vielleicht Beispiele nennen lässt. Daneben ist es auch hilfreich, um zwei Regeln zu vergleichen und voneinander abzugrenzen, die von der Begrifflichkeit sehr ähnlich klingen. Zum Beispiel habe ich mir einmal 3.3.8 Accessible Authentication und 3.3.9 Accessible Authentication (Enhanced) erklären und vergleichen lassen. Wie nicht oft genug erwähnt werden kann sollte man die Antworten überprüfen.

Wie oben gesagt kann es sein, dass ChatGPT die aktuellen Regeln aus der EN 301549 nicht kennt. Dabei und auch bei anderen Verordnungen oder Gesetzen kann ChatGPT helfen, indem man einfach den Text des jeweiligen Absatzes reinkopiert und um eine verständliche Erklärung bittet. Dabei muss man sich allerdings darauf verlassen, dass die Erklärung plausibel klingt, da es bislang kaum vertieftes Material zum BFSG oder zur EN gibt, zumindest ist mir noch nichts untergekommen, was nicht sehr oberflächlich ist. Aus meiner Sicht wäre ein ChatGPT für digitale Barrierefreiheit sehr wünschenswert.

Interne und beschränkte Ressourcen

Die kommerzielle Version von GenAIs erlaubt häufig zwei Dinge, die für die interne Anwendung interessant sein können. Zum Einen gibt es die Möglichkeit, dass auf interne Ressourcen zugegriffen wird. Nehmen wir an, Sie haben ein internes Wiki sowie eine Bibliothek, dann könnte die GenAI so eingestellt werden, dass sie spezifische Antworten für die jeweilige Organisation gibt. Das ist wichtig für große Organisationen mit komplexen Designs oder mehreren Bibliotheken. Für die BF-Profis mag das nicht relevant sein, weil sie diese Dokumente kennen oder vielleicht sogar selbst erstellt haben. Aber wir wollen ja auch andere Personen oder vielleicht sogar externe Dienstleisterinnen die Arbeit erleichtern.

Es kann aber auch eine Überlegung wert sein, die externen Ressourcen, die für die Generierung verwendet werden zu begrenzen. Wenn Sie zum Beispiel sagen, Sie wollen nur seriöse oder frei zugängliche Ressourcen für die GenAI heranziehen, dann ist auch das möglich. Der Index kann ja bei Bedarf erweitert oder reduziert werden.

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