Barrierefreiheit für kognitiv behinderte Menschen


Im Bereich Barrierefreiheit für digitale Systeme wird nach wie vor in erster Linie an Körperbehinderte gedacht. Für diese sehr große Gruppe besteht großer Handlungs- und Forschungsbedarf. Wir wissen, dass Gehörlose in der Regel besser klar kommen, wenn Videos mit Gebärdensprache eingesetzt werden. Wir wissen auch, dass Menschen mit geistiger Behinderung von Inhalten in Leichter Sprache profitieren. Dass beides heute nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt wird, steht auf einem anderen Blatt. Wir wissen aber noch nicht genau genug, wie wir Menschen mit kognitiven Behinderungen unterstützen können.

Was sind kognitive Behinderungen?

Die Definition kognitiver Behinderungen ist aus vielen Gründen schwierig. Das liegt nicht nur daran, dass sich viele Betroffene selbst nicht als Behinderte bezeichnen würden. Andere Begriffe wie Störung, Einschränkung oder Erkrankung sind noch unschärfer, also schauen wir uns einfach einmal an, was eine kognitive Einschränkung ausmacht.
Man kann sehr grob zwei Formen von Einschränkung unterscheiden: Die körperliche oder sinnliche Behinderung schränkt die Sinneswahrnehmung oder Bewegungsfähigkeit des Betroffenen ein. Die kognitive Behinderung schränkt die Fähigkeit des Betroffenen ein, Informationen im Gehirn zu verarbeiten. In unserem Zusammenhang spielt es keine Rolle, ob diese Einschränkung angeboren oder erworben wurde.
Dieser Bereich kann eine ganze Reihe von Erkrankungen einschließen. Genannt seien zum Beispiel bestimmte Formen von Autismus, dementielle Erkrankungen, Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS), Lernstörungen oder auch bestimmte Formen psychischer Erkrankungen wie Angststörungen. Gerade alters-typische Erkrankungen wie die Demenz nehmen immer mehr zu.
Natürlich handelt es sich um sehr unterschiedliche Ausformungen von Behinderungen, Krankheiten, Störungen oder wie auch immer man das nennen möchte. Die Ergebnisse bei der Mensch-Computer-Interaktion sind aber recht ähnlich. Hier einige wichtige Aspekte:

  • schlechtes Kurz- und Langzeitgedächtnis
  • geringes Abstraktionsvermögen
  • eingeschränktes sprachlich-verbales oder visuelles Verständnis
  • eingeschränkte Fähigkeit, mit unvorhergesehen Ereignissen wie Fehlermeldungen umzugehen
  • damit verbunden Schwierigkeiten bei der Entwicklung komplexer Problemlöse-Strategien

Einige Lösungsansätze

Abgeleitet aus diesen Problemlagen lassen sich ein paar Lösungsansätze beschreiben.
Eine Website muss aus der Sicht eines Außenstehenden gedacht werden, wenn sie tatsächlich benutzerfreundlich sein soll. Ein Außenstehender ist thematisch orientiert und ihn interessiert nicht, wie das Unternehmen strukturiert ist, wenn er sich nicht gerade dort bewerben oder es ausspionieren will.
Eine Website muss logisch und konsistent aufgebaut sein. Der Besucher muss immer wissen, wo er gerade ist, wie er wieder zurückkommt und wo er am besten als nächstes hingehen sollte. Untersuchungen zeigen, dass erfahrene Nutzer Websites und ihre Suchmaschinen gar nicht mehr benutzen, sondern immer zu Google zurückkehren, um etwas auf einer bestimmten Website zu finden. Es spricht für sich, dass das wesentlich schneller geht als etwas auf der Website selbst zu finden.
Es muss verschiedene Wege zur Erschließung des Inhalts geben. Möchte man wissen, wie gut eine Website ist, probiert man ihre Suchmaschine aus. Wie hochwertig sind die Ergebnisse, die sie auswirft? Sind die Ergebnisse nach Relevanz gewichtet oder einfach nur sinnfrei aufgelistet. Reicht der angezeigte Schnipsel aus, um festzustellen, ob ein Ergebnis relevant ist oder nicht? Auch eine Sitemap bietet oft mehr Übersichtlichkeit als eine Navigation.
Die Texte müssen kürzer und verständlicher werden. Es gibt gelegentlich Versuche für eine bürgernahe Verwaltungssprache, die aber meistens über Pilotprojekte nicht hinausgehen. Banken sind gar keine Behörden, scheinen aber die Behördensprache mit Finanzjargon angereichert für sich entdeckt zu haben.
Visualisierung ist ein weiterer Mosaikstein, um mehr Verständlichkeit in Texte zu zaubern. Sie sind ein Bestandteil der Leichten Sprache und der Unterstützten Kommunikation. Menschen, die Probleme beim Textverständnis haben profitieren häufig von visuellen Illustrationen.

Fazit

Von diesen Maßnahmen profitieren alle Nutzer mit und ohne Behinderung. So ist die Aufmerksamkeit eines mobilen Website-Nutzers geringer als bei einem stationären Gerät, er hat weniger Überblick und profitiert daher von einem einfachen Seitenaufbau. Gut gemachte Visualisierungen helfen visuell orientierten Nutzern.
Sehbehinderte und Blinde müssen sich den Seitenaufbau einprägen, weil sie zu keinem Zeitpunkt eine Webseite komplett überblicken können. Mit anderen Worten, wir alle sind von Zeit zu Zeit von kognitiven Einschränkungen betroffen. Alle Nutzer profitieren von Maßnahmen, die kognitiv Behinderten zugute kommen.
Nach wie vor besteht hoher Forschungsbedarf. So hat die Initiative des W3C für Barrierefreiheit eine Taskforce zu diesem Thema gestartet. Vor allem dementielle Erkrankungen werden voraussichtlich aufgrund des demographischen wandelst zunehmen. Daher ist es wünschenswert, dass wir klarere Erkenntnisse zu dem Thema gewinnen.
Inzwischen gibt es Empfehlungen des W3Cs für kognitiv Behinderte, es handelt sich noch um einen Arbeitsentwurf, der aber im Wesentlichen unverändert verabschiedet werden dürfte. Viele der Empfehlungen entsprechen den Anforderungen an Usability und nutzer-orientierte Gestaltung, so dass wir uns kaum neue Anforderungen merken müssen.
Digital Accessibility for Cognitive disabled people