Als Blinde vegan leben – warum auch hier Barrierefreiheit entscheidend ist


Heute gehts einmal um die Barrierefreiheit beim Lebensstil. Ich spreche mit der vollblinden Dani darüber, wie es ist, als Blinde vegan zu leben. Dani hat darum gebeten, anonym zu bleiben, daher gibt es hier keine persönlichen Informationen über sie.

Domingos: Erst mal vielen Dank, dass du dir die Zeit für das Interview nimmst. Du hast entschieden, vegan zu leben, was heute ja erst mal unspektakulär ist, aber du bist auch vollblind, was ja eine große zusätzliche Herausforderung ist.
Ich habe die leichte Variante gewählt und bin Vegetarier. Veganismus schien mir nicht machbar, vor allem, weil das vegane Einkaufen für uns Blinde ja praktisch unmöglich ist. Alles fühlt sich gleich an und man weiß weder ob noch, wo wenn überhaupt vegane Produkte vorhanden sind.

Dani: Ja, vielen Dank für die Einladung. Das hat mich auch lange abgehalten. Allerdings habe ich angefangen, bei Rewe online zu bestellen. Ich möchte aber vorneweg sagen, dass ich keine lupenreine Veganerin bin. Ich studiere nicht die Rezeptur der Hygiene-Artikel oder verhöre die Leute, die mich bekochen, ob da wirklich kein tierisches Produkt in der Nähe war. Meine Schuhe sind nach wie vor aus Leder. Deswegen war ich auch nicht sicher, ob ich die Richtige bin, um Deine Fragen zu beantworten.

Domingos: Ich denke schon, dass deine Geschichte interessant ist und es geht ja darum, dass man deinen Weg ein wenig nachvollziehen kann. Gleich die erste Frage: Ist das nicht unökologisch, online zu bestellen?

Dani: Die perfekte Lösung ist es nicht. Aber ich vermute, dass Rewe lokale Lager nutzt. Außerdem bin ich nicht die Einzige, an diesem Ort hier beliefert wird. Es ist mit Sicherheit ökologischer als Individuen, die mit dem Auto drei Mal die Woche beim Discounter vorfahren. Außerdem diszipliniere ich mich und kaufe nur einmal die Woche ein, dann halt für die ganze Woche. Es ist also nicht das Gleiche wie etwas bei Amazon zu bestellen, was aus irgendeinem Zentrallager durch das halbe Land gefahren wird und wo der Paketbote extra zu mir kommt.

Domingos: Was sind die konkreten Herausforderungen, als Blinde sagen wir im Biomarkt einzukaufen, du wohnst ja in einer Großstadt und hast keine Probleme mit der Nutzung von Bus und Bahn?

Dani: Tatsächlich gibt es hier alles an Märkten. Die Discounter haben ein sehr eingeschränktes Angebot, die Supermärkte haben zwar häufig viel, aber sind unübersichtlich, gleiches gilt für die Biomärkte. Das Problem ist aber, dass sich alles gleich anfühlt. Milch kann man nicht aus der Verpackung herausriechen. Hat man einmal die Ecke entdeckt, wo die Produkte stehen, wird sie wieder verschoben. Außerdem sind die nicht immer sauber sortiert. Man kann mit SeeingAI den Text scannen, aber das finde ich anstrengend.
Als Vollblinde kannst du auch keinen Einkaufswagen schieben, das geht mit dem Stock nicht. Als ich noch selbst eingekauft habe, hatte ich immer einen Korb dabei, wo ich die Sachen reingepackt habe, aber das ist auch nicht ganz unproblematisch.
Es sind ja überwiegend die gekühlten Produkte, die auf Milch basieren. Wenn man die nicht braucht, kann man glaube ich sogar relativ unproblematisch im Supermarkt einkaufen. Da sie aber zumindest in meiner Ernährung eine große Rolle spielen, ist der Supermarkt zu kompliziert für mich.
Natürlich kann man eine der Angestellten fragen, aber um ehrlich zu sein sind die nicht immer besonders freundlich oder zuverlässig. Das ist kein Vorwurf, ich würde deren Job nicht machen wollen. Aber man möchte nicht den Eindruck haben, dass man anderen Leuten lästig ist.
Für mich ist leider auch das Thema Übergewicht eine wichtige Frage. Ich versuche, Zucker zu reduzieren und das kann ich online leichter, weil ich da die Zutaten und Nährwerte sehen kann. Im Laden kann man da kräftig auf die Nase fallen, weil sogar in normalen Brotaufstrichen oder im Natur-Jogurt Zucker ist.

Domingos: Der Discounter hat dich also als Kundin verloren?

Dani: Ja, ich gehe nur noch gelegentlich hin, wenn ich etwas vergessen habe. Ich brauche nicht viel, aber meine 300 € im Monat gehen jetzt an den Rewe.

Domingos: Wie barrierefrei ist der Online-Supermarkt?

Dani: Ich nutze die Rewe-App auf dem iPhone, die funktioniert ganz gut. Über die anderen Bestell-Möglichkeiten oder Online-Supermärkte kann ich nichts sagen.

Domingos: Wie ist mittlerweile die geschmackliche Qualität veganer Ersatz-Produkte?

Dani: Es hängt natürlich vom konkreten Produkt ab und es ist natürlich eine Geschmacksfrage. Meines Erachtens können vegane Ersatz-Produkte aber nicht überall überzeugen. Mein Schwachpunkt ist Schokolade. Der Geschmack und das Mundgefühl sind nicht rund. Bei Frischkäse und Jogurt passt die Konsistenz nicht so ganz. Was mittlerweile recht gut ist, ist Schafskäse. Fleisch-Ersatz ist mittlerweile glaube ich recht gut, aber den brauche ich nicht so. Die Auswahl ist aber sehr gut, man hat bei Frischkäse etwa drei verschiedene Anbieter und verschiedene Geschmacks-Richtungen. Solange Milch nicht künstlich erzeugt werden kann und man Produkte versucht zu kopieren, wird die Original-Version wahrscheinlich immer die Nase vorne haben. Aber das stört mich nicht so sehr.

Domingos: Wie ist das preislich heutzutage?

Dani: Mittlerweile ist es okay. Man muss sich bewusst sein, dass es deutlich teurer sein kann, wobei das sich durch die Inflation ein wenig angeglichen hat. Teils werden teure Zutaten wie Mandeln oder Cashews verwendet. Allerdings bin ich auch die Eigen-Produkte der Discounter gewöhnt und die Preise spiegeln ja lange nicht mehr die Realität wider. Andere Dinge wie Gemüse, Bohnen, Ajvar und so weiter kann man nach wie vor essen. Auf mittlere Sicht möchte ich mich mehr von den Ersatzprodukten wegbewegen, nicht weil sie nicht schmecken, sondern weil ich es für Nonsens halte, etwas nachzuahmen. In der asiatischen Küche sind sie auch häufig ohne Milch ausgekommen, weil viele dort allergisch sind, warum sollen wir an solchen Produkten kleben? Also ja, es kann teurer sein, je nachdem, was man nimmt.
Aber auch hier ist der Vorteil bei online, dass man den Preis sehen und vergleichen kann, das geht im Supermarkt nicht. Auch da gibts böse Überraschungen. Es sind aber vor allem die Fertigprodukte und die Nachahmer, die ins Geld gehen. Wie gesagt, die meisten ungekühlten Produkte kann man nach wie vor kaufen, die sind meistens nicht auf tierischer Basis. Man muss sich vor Augen halten, dass Fleisch, Eier und Milch 1. hochsubventioniert sind und 2. in so einer Masse produziert werden, dass sie natürlich billiger sind als vegane Produkte, die in geringeren Stückzahlen produziert und nicht subventioniert werden.

Domingos: Ja, das Problem kenne ich auch. Was nervt dich am meisten am Veganismus?

Dani: Die Auswahl in den Restaurants außerhalb der Großstadt ist überschaubar. Pommes mit Ketchup oder Nudeln ohne alles scheinen für Manche vegan genug zu sein.
Es ist aber auch tragikomisch, dass eigentlich alle Fleisch-Esser sich glauben rechtfertigen zu müssen, wenn man ihnen sagt, dass man selbst vegan lebt. Ich sage das nicht so, sondern es geht meistens darum, dass mir etwas zu essen angeboten wird. Ich bin gar nicht missionarisch, wenn überhaupt, möchte ich durch das positive Vorbild überzeugen.
Aber kaum erzählt man, man sei Veganerin fangen die Fleisch-Essenden an zu sagen, sie könnten das ja gar nicht, Fleisch und Milch seien lebensnotwendig, vegan schmecke nicht, Schweine würden uns essen, wenn sie könnten, und überhaupt hätte das, was eine einzelne Person tut, ja keinen Einfluss auf irgendwas.

Domingos: Das Problem kenne ich in der Tat, ein paar von den Argumenten hört man auch ähnlich beim Thema Barrierefreiheit. Aber generell gesprochen: Ist das letzte Argument nicht korrekt, hat die Einzelne einen nennenswerten Einfluss?

Dani: Ja und nein. Natürlich macht eine einzelne Veganerin nicht den Riesen-Unterschied. Aber ich nehme mich selbst als Beispiel. Ich habe viele Milchprodukte gegessen, pro Jahr sicherlich so um die 300 große Jogurts und 100 Packungen Frischkäse, dazu Scheibenkäse, Schokolade und diverse andere Dinge. Wenn man das hochrechnet, sind da sicherlich 2000 bis 3000 Liter Milch pro Jahr gewesen.
Das läuft dann rückwärts durch die Logistik: Der Supermarkt merkt, dass ein Produkt ein bisschen weniger gekauft wird und bestellt weniger bei der Molkerei. Die Molkerei bestellt weniger bei den Milchbetrieben. Die Milchbetriebe produzieren am Ende weniger. Gleichzeitig merkt der Supermarkt, dass vegan mehr nachgefragt wird und erhöht die Bestellungen für diese Produkte.
Am Ende glaube ich aber, dass einfach jede Person ihren Beitrag in ihrem Rahmen leisten muss. Ich würde von einer Bürgergeld-Empfängerin nicht erwarten, dass sie bei knapper Kasse vegan wird, weil das sehr teuer sein kann. Aber diese Person fliegt dafür nicht in Urlaub oder fährt mit dem Auto und leistet damit einen größeren Beitrag als einige Veganerinnen, die für den Marathon nach New York oder Südafrika fliegen. Der Impact des Essens sollte nicht überschätzt werden.

Domingos: Was hälst du von der veganen Szene, hast du dir da Hilfe geholt?

Dani: Das hat mich tatsächlich nie so interessiert. Ich bin grundsätzlich allergisch gegen jede Form von Messianismus, Sektentum und dem Hantieren mit falschen Informationen, auch wenn es um eine gute Sache geht. Es gibt die entspannten Veganerinnen und es gibt die Leute, die sich auf die Straße kleben und so klingen, als ob sie gleich losheulen. Ich sehe teilweise auch antidemokratische oder rechte Einstellungen, sie sind selten, aber es gibt sie. Auch wenn die Ziele richtig sind, überzeugt mich das nicht. Es gibt auch viel Esoterik in der Szene, viele wollen sich nicht impfen lassen, weil das ja so ungesund ist und so weiter. Deswegen habe ich mich da nie eingebracht. Mein Freundeskreis ist unverändert, es sind Vegane, es sind Fleisch-Essende und es sind Leute, bei denen ich keine Ahnung habe, was sie essen. Im Grunde gibt es auch keine Fragen, die ich mit anderen diskutieren muss. Als Blinde findet man alle Informationen, vor allem wissenschaftlich valide, im Internet, Eisen, B12 und so weiter.
Es grassiert auch viel Unsinn in der Szene: Vegan sei gesund, Milch sei giftig, Chemie ist böse und so weiter. Insofern bringt ein Austausch nicht so viel.
Wie gesagt, die Mehrheit ist wahrscheinlich ganz vernünftig, aber man trifft vor allem viele der eher unsympathischen Sorte.
Andererseits sehe ich in der Szene auch unheimlich viel Kreativität. Man gibt sich sehr viel Mühe zum Beispiel, um bestimmte Gerichte schmackhafter zu machen. Im Westen hält man Milch, Eier oder Fleisch für unverzichtbar, aber es ist nicht so lange her, dass auch diese Produkte teuer oder zeitweise nicht zu bekommen waren und in anderen Regionen kommt man schon immer ohne aus.

Domingos: Du missionierst ja nicht, aber trotzdem die abschließende Frage. Ist es schwierig, heute als Blinde vegan zu leben?

Dani: Ich möchte das nicht für Andere beurteilen. Wenn es einem generell egal ist, dann ist es halt so. Auch wenn man auf dem Dorf lebt und nicht die städtischen Möglichkeiten nutzen, kann ist es auf jeden Fall schwierig.
Wenn man aber nur für sich selbst verantwortlich ist, einen Online-Bestellservice nutzen kann, dann ist es heute machbar. Die Qualität und die Vielzahl der Produkte machen den Umstieg leichter als früher. Für Blinde ist es nicht ganz einfach, Sachen nachzukochen. Ich schaue mir manchmal Rezepte an, die fünf Minuten dauern sollen, als Blinde ist es dann eher eine Stunde und man benötigt trotzdem noch Dinge, die man nicht in jedem Supermarkt so einfach findet. Ich würde jeder, die das möchte empfehlen, einfach mal loszulegen.