Laut oder groß hilft nicht immer – Missverständnisse in der Barrierefreiheit

Ein häufiges Missverständnis in der Barrierefreiheit besteht darin, dass man Text möglichst groß und Ton möglichst laut anbieten sollte, damit Hör- und Sehbehinderte glücklich sind.
Bei diesen Behinderungen lässt sich wenig verallgemeinern, da die konkreten Auswirkungen von Seh- und Hörbehinderungen sehr unterschiedlich sind. Ein wichtiger Faktor ist aber, dass die Adaptionsfähigkeit häufig eingeschränkt ist. Auge und Ohr können sich normalerweise recht schnell an Wechsel der Helligkeit oder Lautstärke anpassen. Bei Behinderten ist diese Fähigkeit oft eingeschränkt. Sie brauchen wesentlich länger für die Anpassung. Das ist dann ärgerlich, wenn diese Anpassung häufig notwendig ist.
Extrem wird das Ganze, wenn man mit Verstärkung arbeitet. In der klassischen Musik etwa gibt es häufig Wechsel zwischen lauten und leisen Passagen. Ein Hörbehinderter müsste bei jedem Wechsel den Lautstärkeregler anpassen. Das ist dann schwierig, wenn er die Lautstärke ohnehin schon stärker aufgedreht hat, als ein Hörender das machen würde. Wer mit einer starken Textvergrößerung am Bildschirm arbeitet, müsste bei jeder Änderung der Schriftgröße die Darstellungsgröße anpassen.

Was heißt das konkret?

Für Designer bedeutet das, dass wir mit möglichst geringen Größenänderungen schriftlicher Inhalte arbeiten sollten, insbesondere bei Fließtext. Die Größenänderungen sollten möglichst graduell sein, natürlich noch erkennbar, aber mit geringer Varianz.
Für die Toningenieure heißt das, sie sollten möglichst wenig Dynamik bei der Lautstärke einsetzen. Leise Stimmen können natürlich hochgepegelt und laute runtergepegelt werden, insgesamt sollte aber ein gleichmäßiges Niveau angestrebt werden. Schlimmer als verrauschte Aufnahmen sind Aufnahmen, bei denen sich die Tonqualität ständig ändert, weil etwa unterschiedlich gute Mikrofone verwendet wurden.

An Hilfsmitteln führt leider kein Weg vorbei

Nun ist es bei der Bandbreite an Sinneseinschränkungen schlicht nicht möglich, eine Lösung zu schaffen, die allen gerecht wird. Ich wiederhole das noch mal: Es ist nicht möglich, eine Lösung zu schaffen, mit der alle zurechtkommen. Zwei Aspekte helfen uns aus dieser Klemme.
Das ist zum Einen die Anpassbarkeit zumindest auf digitalen Interfaces. Die Schrift muss nicht riesig sein, aber es muss einfach möglich sein, sie zu vergrößern oder zu verkleinern oder vielleicht auch Kontraste einzustellen. Mit einfach meine ich, das solche Möglichkeiten zu jederzeit aktivierbar sein sollen.
Zum Zweiten sind das die Hilfsmittel. Da es schlicht nicht möglich ist, alle möglichen Größen bzw. Lautstärken anzubieten, führt kein Weg an passenden Hör- bzw. Vergrößerungshilfen vorbei. Dabei ist es wünschenswert, dass diese Geräte besser in der Lage sind, sich automatisch an die Gegebenheiten anzupassen.