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Wie schnell können Blinde die Blindenschrift lesen?

Aus verschiedenen Gründen beschäftige ich mich gerade mit Fragen zum Thema lesen. Dabei geht es besonders um das Lesen von Braille. Leider muss ich ein wenig weiter ausholen und hoffe, dass ihr mir bis zum Ende folgt.

150 Wörter pro Minute

Forscher gehen davon aus, dass man mindestens 150 Wörter pro Minute lesen können muss, um von einer ausreichenden Lesegeschwindigkeit zum Lese-Verstehen sprechen zu können. Das klingt viel, aber tatsächlich dürften die meisten von euch deutlich schneller lesen. 150 Wörter pro Minute sollten Schüler bereits nach der vierten Klasse lesen können.
Diese 150 Wörter scheinen der durchschnittlichen Sprechgeschwindigkeit zu entsprechen. 150 Wörter entspricht also der Geschwindigkeit, in der unser Gehirn gesprochene Sprache gut verarbeiten kann.

Lesen ist nicht gleich Verstehen

Dabei muss man zwei Vorgänge unterscheiden:

  • Das Lesen ist an sich ein rein physischer Vorgang. Ich könnte auch einen italienischen Text problemlos lesen – eine Sprache, die ich nicht einmal im Ansatz beherrsche. Ebenso würde es mir aber auch mit einem Fachbeitrag aus der Mathematik ergehen. Ich kann zwar die Worte entziffern, grammatikalische Strukturen erkennen und vielleicht sogar erraten, worum es geht. Aber verstehen ist das nicht.
  • Der zweite Vorgang ist das eigentliche Verstehen des Gelesenen. Ich spreche deshalb von Lese-Verstehen.

Interessant daran ist, dass sowohl zu schnelles als auch zu langsames Lesen das Verstehen verhindern kann. Nehmen wir das oben genannte Beispiel eines Mathe-Textes. Klar kann ich die Zeichen schnell entziffern. Doch ob etwas hängen bleibt, ist fraglich.
Lese ich andererseits zu langsam – zum Beispiel Zeichen für Zeichen – werde ich den Text auf Wortebene erfassen, aber schon bei etwas komplexeren Sätzen werde ich schon den einzelnen Satz nicht mehr verstehen. Und das gilt im Prinzip für jeden Text, der über dem Niveau der zweiten Klasse liegt.
Um Vergnügen am Lesen zu haben, muss der physiologische Vorgang des Erfassens von Zeichen vollständig in den Hintergrund treten. Das heißt, ich muss mühelos lesen können, um mich komplett mit der Verarbeitung des Gelesenen beschäftigen zu können. Ist das nicht der Fall, werde ich nie etwas freiwillig lesen. Das heißt aber umgekehrt: Je weniger ich lese, desto weniger Routine kann ich entwickeln.

Das Scheitern am Verstehen

Ein Großteil der funktionalen Analphabeten kann tatsächlich auf Wortebene lesen, scheitert aber an komplexeren Strukturen wie Sätzen, Absätzen und Abschnitten. Versteht man diese nicht, versteht man den ganzen Text nicht. Interessant wäre in diesem Zusammenhang, ob die Betroffenen die gleichen Inhalte verstehen würden, wenn sie ihnen vorgelesen werden. Dazu habe ich leider keine Infos.
Wie ich schon mal erzählt habe, habe ich fast 20 Jahre lang kein Braille mehr gelesen. Vor ein paar Jahren habe ich wieder damit angefangen. Obwohl ich sowohl Braille als auch die Schwarzschrift im Grundsatz beherrsche, bin ich am Anfang meines Braille-Abenteuers zuerst auf Wort- und dann auf Satzebene gescheitert. Ich konnte die einzelnen Wörter lesen, aber ich hatte Probleme, den Satz zu einem Ganzen zusammen zu setzen. Ich kenne also das Problem aus eigener Erfahrung.
Für uns relevant ist, dass Sehbehinderte und Blinde aus ähnlichen Gründen vor dem gleichen Problem stehen. Fangen wir mit den Blinden an.

Lesen auf Zeichenebene

Blinde lesen bekanntlich mit dem Finger. Sehende erfassen Zeichengruppen, Worte und ganze Phrasen mit einer einzigen Augenbewegung. Nur deshalb sind hohe Lesegeschwindigkeiten möglich. Blinde hingegen sind nicht in der Lage, über den aktuellen Fokus ihres Fingers hinauszusehen. Die einzige Möglichkeit, die mir einfallen würde wäre, mit mehreren Lesefingern zu arbeiten. Bei mir zumindest hat das nicht funktioniert.
Vor allem für Braille-Lese-Anfänger ist die Schwelle sehr hoch. Sie müssen zum einen die Zeichen lernen. Parallel müssen sie die nötige Sensibilität in den Fingern ausbilden. Und sie müssen möglichst früh erste Erfolgserlebnisse haben, da sie sonst schnell frustriert sind.
Sind erst einmal alle Zeichen gelernt, müssen sie regelmäßig lesen, um eine halbwegs annehmbare Lesegeschwindigkeit zu erreichen.
Dennoch schaffen Blinde nur rund 60 bis 80 Wörter pro Minute. Geübte Braille-Leser schaffen zwischen 100 und 150 Wörter pro Minute. Sie erreichen also gerade einmal die Mindestschwelle dessen, was in der 4. Klasse als wünschenswert gilt. Die Studie entstand zu einer Zeit, wo Braille an den Schulen noch eine wesentlich größere Rolle gespielt hat als heute. Das heißt, die getesteten Personen dürften wesentlich mehr Leseerfahrung haben als heutige Schüler oder erwachsene Blinde.
Das Fatale an der Sache ist, dass Blinde wiederum mehr Zeit brauchen als Sehende. Ich habe als Schüler noch mit meinem kläglichen Sehrest und Schwarzschrift gearbeitet. Meine Lesegeschwindigkeit war nie besonders gut. Doch musste ich mich zumindest nicht mit meterhohen Papierstapeln abschleppen wie meine blinden Mitschüler. Unser Geschichtslehrer hatte ein großes Vergnügen daran, enorme Textmengen zu verteilen.
Die blinden Mitschüler mussten also viel mehr Zeit für das Lesen dieser Dokumente aufwenden als ihre sehbehinderten oder gar die sehenden Mitschüler. Im Studium oder Arbeitsleben schaut es nicht besser aus.
Sehbehinderte stehen aus anderen Gründen vor ähnlichen Problemen. Bei starker Vergrößerung oder bei einem kleinen Gesichtsfeld können sie oft nur kurze Worte oder Wortbestandteile auf einen Blick erfassen. Mit ein wenig Leseerfahrung können sie Wörter erraten oder andere Tricks anwenden. Aber schnelles oder angenehmes Lesen ist so kaum möglich.

Das Problem ist mit Braille nicht lösbar

Nun wissen wir, dass Lesen heute essentieller Teil fast jeder Jobbeschreibung ist. Jenseits von Höchstleistungen besonders effizienter Leser ist es aber schon physiologisch nicht möglich, als normaler Blinder Geschwindigkeiten wie ein Sehender zu erreichen.
Eine Möglichkeit ist theoretisch, die Brailleschrift weiter zu komprimieren. Wir haben ja schon die Kurzschrift, bei der geläufige Wörter und Texteile in einzelnen Zeichen zusammengefasst werden. Dadurch können bis zu 30 Prozent an Platz eingespart werden. Für geübte Leser erhöht das auch die Lesegeschwindigkeit. Daneben gibt es ein Braille-Steno, das wohl früher von blinden Schreibkräften verwendet wurde.
Das Problem dabei ist, dass natürlich der Lernaufwand noch einmal steigt. Im Prinzip muss eine neue Schrift gelernt und eingeprägt werden. Da es kaum Texte in Braille-Steno gibt, könnten die Leser auch nur auf elektronische Texte zurückgreifen, die von einem Programm automatisch in Braille-Steno übersetzt werden. Ob uns das die Lesegeschwindigkeit eines Sehenden bringt, weiß ich leider nicht.
Es bleibt uns also kaum etwas übrig, als die Sprachausgabe zu bevorzugen. Sie hat ihre eigenen Nachteile, die ich vielleicht ein anderes Mal behandeln werde. Sie ist aber tatsächlich die beste Möglichkeit, eine adäquate und alltagstaugliche Lesegeschwindigkeit zu erreichen. 300 Wörter pro Minute sind mit der Sprachausgabe mühelos erreichbar.

Smartphones in der Schule für Blinde und Sehbehinderte wichtig

Smartphones und Tablets im Unterricht sind ein kritisches Thema. Doch gerade für den inklusiven Unterricht für Blinde und Sehbehinderte bieten sie viele Vorteile.

Texte schnell erfassen

Probleme gibt es, wenn der Lehrer spontan einen Text verteilen möchte. Er kann dem Kind den Text vorher zuschicken, im Netzwerk bereit stellen oder das Kind digitalisiert ihn einfach mit der Kamera des Smartphone selber. Die Qualität der Texterkennung ist mit den aktuellen Geräten und einer App wie SeeingAI von Microsoft mittlerweile recht gut. Eine Einscannhilfe zur Positionierung der Kamera ist sinnvoll und immer noch wesentlich flexibler als ein Flachbettscanner.

Texte und Bücher immer dabei

Ab und zu sehe ich Kinder und fühle ich an meine Schulzeit erinnert. Ich sehe vor allem viel zu große, volle und wahrcheinlich auch schwere Schultaschen mit weiß Gott wie vielen Schulbüchern. Das Faible Sehender für bedrucktes Papier konnte ich noch nie nachvollziehen, aber muss das heutzutage noch sein?
Digital ist vieles einfacher. Ganze Bibiliotheken finden bequem auf einem Smartphone Platz. Ein Tablet macht es wesentlich einfacher, Texte zu vergrößern, sie strukturiert durchzugehen, sich Lesezeichen und Notizen zu machen und so weiter. Im Übrigen ist die Bildschirmqualität der aktuelleren iPads wesentlich besser als die Bildschirme der meisten Computer und Notebooks. Die Schlepperei von Büchern ist wirklich nicht mehr zeitgemäß.

Das Smart Device als Fernglas

Für Sehbehinderte ist die Situation häufig noch komplizierter. Sie brauchen vielleicht eine Lupe oder ein Bildschirm-Lesegerät. Wenn sie in unterschiedliche Klassenräume müssen, ist das natürlich schwierig, denn das Gerät müssten sie ja mitnehmen. Auch das könnte durch ein mobiles Gerät erleichtert werden. Sie können die Tafel einfach abfotografieren oder sich Texte digital zuschicken lassen.

Schreiben

Das Schreiben längerer Texte auf diesen Geräten ist aber auch mit der besten Bildschirm-Tastatur schwierig. Da zudem die Autokorrektur und automatische Vorschläge integriert sind, wird die Rechtschreibung nicht vernünftig überprüfbar. Das ist vor allem für Shulen wichtig. Diktieren geht in der Klasse eher nicht.
Das Problem lässt sich aber recht einfach mit einer externen Tastatur lösen.

Lesen

Da die blinden Kinder nicht alles per Sprachausgabe machen sollen, benötigen sie noch eine externe Braillezeile. Das ist wesentlich flexibler als einen eigenen Brailledrucker zu betreiben oder gar die Dokumente extern aufbereiten und ausdrucken zu lassen.
Ich kann schlecht einschätzen, wie viele Zeichen so eine Braillezeile darstellen sollte. Eine kleine Braillezeile mit 40 Zeichen sollte aber für die meisten Fälle reichen. Die 80er-Zeilen sind zu sperrig. Normalerweise ist es aber besser, je mehr Zeichen dargestellt werden können.
Für die Sehbehinderten ist das Lesen auf einem Gerät ohne Hintergrundbeleuchtung deutlich einfacher. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie anstrengend die Arbeit mit einem Bildschirmlesegerät ist. Ein eBook-Reader auf der Basis elektronischer Tinte mit eingebauter Beleuchtung ist deutlich angehmer. Die Displays sind mittlerweile von der Lesequalität her dem Papier überlegen – meiner Einschätzung nach. Die eBook-Reader erlauben eine fast beliebige Anpassung der Schriftgröße, Schriftart, der Textformatierung und so weiter.

Fazit

Das ganze Paket, also ein Tablet, eine große Brailletastatur, für die Blinden noch eine Braillezeile und für die Sehbehinderten noch eine Art Stütze, um das Tablet bequem positionieren zu können passt problemlos in einen Kinderrucksack, kann gut transportiert werden und ist insgesamt gesehen wesentlich billiger als das meiste, was heute von Hilfsmittelfirmen angeboten wird. Nur die Braillezeile geht wirklich ins Geld, aber mit dem Orbit-Reader scheint sich auch hier eine günstige Alternative zu entwickeln.
Das Schöne daran ist auch, dass es natürlich nicht auf die Schulbildung begrenzt bleibt. Auch die Erwachsenenbildung, die sich mit der Inklusion noch ein wenig schwer tut, kann natürlich mit den gleichen Mitteln funktionieren. Es sind natürlich erst einmal die Teilnehmer selbst gefordert, sich mit der Technik zu beschäftigen.

Laut oder groß hilft nicht immer – Missverständnisse in der Barrierefreiheit

Ein häufiges Missverständnis in der Barrierefreiheit besteht darin, dass man Text möglichst groß und Ton möglichst laut anbieten sollte, damit Hör- und Sehbehinderte glücklich sind.
Bei diesen Behinderungen lässt sich wenig verallgemeinern, da die konkreten Auswirkungen von Seh- und Hörbehinderungen sehr unterschiedlich sind. Ein wichtiger Faktor ist aber, dass die Adaptionsfähigkeit häufig eingeschränkt ist. Auge und Ohr können sich normalerweise recht schnell an Wechsel der Helligkeit oder Lautstärke anpassen. Bei Behinderten ist diese Fähigkeit oft eingeschränkt. Sie brauchen wesentlich länger für die Anpassung. Das ist dann ärgerlich, wenn diese Anpassung häufig notwendig ist.
Extrem wird das Ganze, wenn man mit Verstärkung arbeitet. In der klassischen Musik etwa gibt es häufig Wechsel zwischen lauten und leisen Passagen. Ein Hörbehinderter müsste bei jedem Wechsel den Lautstärkeregler anpassen. Das ist dann schwierig, wenn er die Lautstärke ohnehin schon stärker aufgedreht hat, als ein Hörender das machen würde. Wer mit einer starken Textvergrößerung am Bildschirm arbeitet, müsste bei jeder Änderung der Schriftgröße die Darstellungsgröße anpassen.

Was heißt das konkret?

Für Designer bedeutet das, dass wir mit möglichst geringen Größenänderungen schriftlicher Inhalte arbeiten sollten, insbesondere bei Fließtext. Die Größenänderungen sollten möglichst graduell sein, natürlich noch erkennbar, aber mit geringer Varianz.
Für die Toningenieure heißt das, sie sollten möglichst wenig Dynamik bei der Lautstärke einsetzen. Leise Stimmen können natürlich hochgepegelt und laute runtergepegelt werden, insgesamt sollte aber ein gleichmäßiges Niveau angestrebt werden. Schlimmer als verrauschte Aufnahmen sind Aufnahmen, bei denen sich die Tonqualität ständig ändert, weil etwa unterschiedlich gute Mikrofone verwendet wurden.

An Hilfsmitteln führt leider kein Weg vorbei

Nun ist es bei der Bandbreite an Sinneseinschränkungen schlicht nicht möglich, eine Lösung zu schaffen, die allen gerecht wird. Ich wiederhole das noch mal: Es ist nicht möglich, eine Lösung zu schaffen, mit der alle zurechtkommen. Zwei Aspekte helfen uns aus dieser Klemme.
Das ist zum Einen die Anpassbarkeit zumindest auf digitalen Interfaces. Die Schrift muss nicht riesig sein, aber es muss einfach möglich sein, sie zu vergrößern oder zu verkleinern oder vielleicht auch Kontraste einzustellen. Mit einfach meine ich, das solche Möglichkeiten zu jederzeit aktivierbar sein sollen.
Zum Zweiten sind das die Hilfsmittel. Da es schlicht nicht möglich ist, alle möglichen Größen bzw. Lautstärken anzubieten, führt kein Weg an passenden Hör- bzw. Vergrößerungshilfen vorbei. Dabei ist es wünschenswert, dass diese Geräte besser in der Lage sind, sich automatisch an die Gegebenheiten anzupassen.

Mein Rückblick – auf den Zukunftskongress der Aktion Mensch Inklusion 2025

Wer am 2. und 3. Dezember auf Twitter war und sich für Barrierefreiheit interessiert, hat sicher etwas vom Zukunftskongress Inklusion 2025 mitbekommen. Die Diskussionen waren recht vielfältig, so dass ich hier nur ein paar Gedankenfetzen auffangen möchte, mit denen wir als Accessibility-Experten und Interessierte uns schon heute beschäftigen werden müssen. Wenn die Videos im Internet stehen, werde ich hier darauf hinweisen.

Verschärft die Inklusion die Exklusion?

Wie so oft stellt sich auch bei der Barrierefreiheit die Frage, ob die Inklusion der Einen die Exklusion der Anderen verschärft.

So hat sich die Barrierefreiheit für blinde Menschen in den letzten 20 Jahren drastisch verbessert. Vor sechs Jahren hat noch niemand von einem ab Fabrik blindentauglichen Handy geträumt. Als ich 1996 das erste Mal alleine mit der Bahn fuhr, gab es kaum Durchsagen in den Bahnhöfen oder in den Zügen, heute gehören sie zum Standard.

Andererseits hat sich für Gehörlose, Lernbehinderte oder Taubblinde wesentlich weniger getan. In der BITV 2.0 werden sie kaum berücksichtigt, bei der Informationstechnik bleiben ihre Bedürfnisse im Wesentlichen unbeachtet und die Bahn scheint sie einfach zu ignorieren. Im Grunde befinden wir uns also in einer Situation, in der bestimmte Gruppen von Behinderten Anderen gegenüber privilegiert sind. Dafür werde wir Lösungen finden müssen.

Big Data – Geschenk oder Belastung?

Selbstvermessung und das Internet der Dinge versprechen den nächsten Schub bei der digitalen Barrierefreiheit.

So werden die Smartphones in der Lage sein, mit den Dingen in unserer Umgebung zu kommunizieren und so eine wesentlich genauere Standortbestimmung und Navigation zu ermöglichen. Jede Ampel und jeder Zebrastreifen kann seine eigene IP-Adresse bekommen und mich dadurch metergenau lotzen. Die Ampel sagt meinem Smartphone – oder was immer wir dann mit uns herumtragen – ob sie grün ist, Sensoren im Boden teilen mir mit, ob die Straße gerade frei ist. Die S-Bahn teilt mit, wohin sie fährt und das Gebäude, zu dem ich will beschreibt mir den schnellsten Weg, wie ich zu ihm komme. Das alles ist heute schon möglich und nur noch eine Frage des Aufbaus einer entsprechenden Infrastruktur und deren informationstechnischer Integration in ein Gesamtsystem.

Zugleich entsteht dadurch ein gewaltiger Berg an Daten, der dazu auch noch gespeichert werden kann. So wissen die Internet-Dinge, mit denen ich mich verbinde exakt, wo ich mich an einem bestimmten Zeitpunkt befinde, aus meiner Geschwindigkeit kann abgeleitet werden, ob ich es eilig habe oder eventuell krank bin und deshalb langsam gehe. Der Sexshop kann wissen, dass ich 20 Sekunden dort stehen geblieben bin und mir passende Werbung schicken etc. Dabei ist das einzelne Datum weniger wichtig als die sogenannten Meta-Daten und aggregierte statistische Daten, die Rüschlüsse auf die Motive des Einzelnen zulassen. Die Frage des Datenschutzes tut sich mehr denn je auf.

Ich muss sagen, dass ich da relativ unbedarft bin. Man kann natürlich datensparsam leben, nur noch ins Internet-Café gehen und Briefe statt Mails verschicken. Aber wenn Big Brother uns habe will, wird er auch unsere Briefe lesen, uns verwanzen und wir machen uns gerade dadurch verdächtig, dass wir dem digitalen Zeug aus dem Weg gehen. Die Frage ist nicht, ob wir Big Data wollen oder nicht, sondern nur noch, ob wir die Vorteile nutzen wollen, die daraus entstehen und ich werde diese Frage meistens mit „ja“ beantworten.

Mehr Barrierefreiheit bedeutet mehr Selbstbestimmung

Ein Projekt beschäftigt sich damit, wie man CNC-Maschinen für Lernbehinderte zugänglich machen kann.

Der Hintergrund ist recht schnell erklärt. Die Massenproduktion ist heute im kleinen Maßstab nicht mehr rentabel. An deren Stelle tritt die Just-in-Time-Produktion von einzelnen, passgenauen Teilen. Die Stückkosten sind einerseits höher, andererseits kann dadurch auch wesentlich mehr verdient werden. Die Massenproduktion lässt sich weitgehend automatisieren, während bei der Einzelstück-Produktion Menschen verlangt werden, eine interessante Möglichkeit für Behinderten-Werkstätten und andere Produktionsstätten, in denen Lernbehinderte beschäftigt werden. Damit das funktioniert, müssen die Maschinen so gestaltet sein, dass sie von ihnen bedient werden können.

Hier wird spannend sein zu sehen, wie sich die Selbstbestimmung verbessert. Schon heute hat der Chef in konventionellen Betrieben nur koordinierende Aufgaben, während das Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter steckt. In den Behindertenwerkstätten scheint das bisher nicht der Fall zu sein – das vermute ich zumindest, mir fehlt der tiefere Einblick in diese Strukturen.

Hier könnte die Machtverschiebung besonders interessant sein. Lernbehinderte bekommen über die Kontrolle der Maschinen die Kontrolle über den Produktionsprozess. Wenn sie noch die Qualitätssicherung übernehmen, haben die Werkleiter nur noch die Aufgabe, die Maschinen in Schuss zu halten oder sich um die Auftragsabwicklung zu kümmern. Abgesehen davon werden auch normale Gehälter für die Angestellten möglich. Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass die großen Träger heute von den Behindertenwerkstätten profitieren – ganz zu schweigen von anderen Behinderten-Einrichtungen – und genau besehen kein Interesse an der Inklusion und der Auflösung dieser Organisationen haben. Während die Verwaltungsangestellten aber gutes Geld verdienen, leben die Werkstatt-Angestellten auf dem Niveau der Grundsicherung.

Welchen Beitrag sollten Behinderte zur Inklusion leisten?

Im Abschluss-Plenum wurde die Frage gestellt, welchen Beitrag Behinderte zur Inklusion leisten können und müssen. Raul und andere Prominente aus der Behinderten-Szene vertreten die Ansicht, dass die Gesellschaft in der Bringschuld ist, eine Meinung, die ich bekanntermaßen nicht teile. Ich meine, dass jeder Behinderte das leisten muss, was in seinen Möglichkeiten liegt. Dass man diese Möglichkeiten von Seiten der Verantwortungsträger für viele Gruppen verbessern muss, steht außer Frage. Schaut man sich die teils miserable digitale Infrastruktur z.B. beim eGoverment an könnte man meinen, in der Prä-WCAG-Ära zu leben.

Wenn ich aber andererseits sehe, dass viele Behinderte vorhandene Möglichkeiten nicht nutzen, muss ich leider konstatieren, dass Viele das Inklusions-Angebot gar nicht wahrnehmen wollen. Das ist natürlich die Entscheidung jedes Einzelnen, man kann niemanden zur Inklusion zwingen, die Person kann sich dann aber auch nicht über mangelnde Exklusion beschweren.

Behinderte und Gamification

Ob Autorennen fahren, Zivilisationen aufbauen oder außerirdische Eindringlinge vertreiben, Computerspiele kommen gerne unpolitisch daher. Sie wollen vor allem unterhalten und selten eine Botschaft vermitteln. Aber sind sie tatsächlich unpolitisch?
Nicht, wenn es nach der amerikanischen Spieleentwicklerin Anna Anthropy geht. In ihrem in Spielerkreisen heiß diskutierten Buch „The Rise of the Videogame Zinesters“ kritisiert sie, dass Computerspiele vor allem von weißen, heterosexuellen Männern entwickelt werden und deshalb nur deren Wahrnehmung und Werte widerspiegeln. Anna tritt deshalb dafür ein, dass auch Amateure Spiele entwickeln und zeigt in ihrem Buch auch einige Werkzeuge, mit denen das möglich ist. Tatsächlich gibt es eine wachsende Independent-Szene an Spieleentwicklern und die Computergames könnten der nächste Bereich werden, der von der Do-It-Yourself-Bewegung erobert wird.
Auch Menschen mit Behinderung spielen
Natürlich zocken auch Menschen mit Behinderung gerne am Computer. Für Blinde gibt es zum Beispiel spezielle Audiogames, die nur über das Gehör gespielt werden können.
Zwei Entwicklungen der letzten Jahre haben es für Menschen mit Behinderung wesentlich erleichtert, Computerspiele zu spielen. Einige Smartphones und Tablet-PCs sind dank eingebauter Hilfstechnik und berührungsempfindlicher Displays auch für Blinde und Sehbehinderte sehr gut nutzbar. So können sie auch einige Spiele nutzen, die auch von Sehenden gespielt werden.
Die andere große Entwicklung sind die Bewegungssteuerungen, insbesondere die WII von Nintendo und die Kinect von Microsoft. Die Bewegungssteuerungen bringen zwei neue Aspekte ins Spiel: Zum einen sind viele Spiele mit einer Bewegungssteuerung intuitiver gestaltet und erleichtern so den Einstieg auch für Gelegenheitsspieler. Zum anderen erlauben sie auch das Spielen für Menschen, die sich nur eingeschränkt bewegen und weder Maus, Tastatur noch Joystick gut bedienen können. Viele ältere Menschen sind über die WII zum ersten Mal in ihrem Leben mit Computerspielen in Berührung gekommen. Viele Menschen entdecken durch diese Spiele ihre Freude an der Bewegung und gewinnen damit an Lebensqualität.
Spielend mehr über Behinderung erfahren
Computerspiele können nicht nur unterhalten, sie können auch ein Bewusstsein für Behinderung vermitteln. Ich kann jedem Spieleentwickler nur empfehlen, einmal ein Audiogame auszuprobieren, er wird überrascht sein, wie viel nur über Akustik vermittelt werden kann.
Spiele können auch genutzt werden, um auf Barrieren im Alltag aufmerksam zu machen. „Trapped Dead“ zum Beispiel ist ein Strategiespiel, bei dem der Spieler eine Gruppe von Menschen mit individuellen Stärken und Schwächen durch das Spiel steuern muss. Einer der Spielcharaktäre sitzt im Rollstuhl, so dass der Spieler darauf achten muss, dass zum Beispiel alle Gebäude, die er betreten möchte eine Rampe haben.
„Game Over!“ bezeichnet sich selbst augenzwinkernd als das wahrscheinlich unzugänglichste Spiel der Welt. Die Macher wollen Spieleentwicklern praktisch zeigen, welche Barrieren für Menschen mit Behinderung bestehen und damit die Richtlinien für barrierefreie Spiele anschaulicher machen.

Warum private Unternehmen zur Barrierefreiheit verpflichtet werden sollten

Besenbinder, Physiotherapeut, Arbeitsloser oder Frührentner – das sind leider bis heute die wesentlichen Bereiche, auf die sich die Erwerbstätigkeit – oder Nicht-Erwerbstätigkeit – blinder Menschen beschränkt. Dennoch hat sich in den letzten Jahren viel getan.

Die Vorleser

Blinde Juristen sind in Deutschland schon seit Jahrzehnten keine Seltenheit. Dabei ist es mir immer ein Rätsel geblieben, wie sie es im Prä-Computer-Zeitalter geschafft haben, die gewaltigen Mengen an Literatur zu bewältigen. Studieren in einer Geisteswissenschaft besteht im Wesentlichen aus drei Dingen: Lesen, lesen, lesen.
Natürlich gab es die Vorlesekräfte, die bis heute einen unverzichtbaren Job machen. Aber es ist dennoch eine ganz andere Sache, sich selbst in die Bibliothek zu stürzen. Es ist ein großes Talent an Organisation erforderlich, um alle nötige Literatur auflesen zu lassen. Was oft auch vergessen wird: Ein Sehender kann einen Text wesentlich schneller lesen als ihn vorzulesen. Ein geübter Leser kann mindestens vier Mal schneller lesen als vorlesen. Es geht also jede Menge Zeit verloren.
Durch die Technik ist das alles heute einfacher. Zwar haben Sehende immer noch ein für Blinde unerklärliches Faible für bedrucktes Papier. Dennoch kann heute im Business-Bereich fast alles digital erledigt werden. Im Behördenverkehr ist das leider noch nicht so, aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben.

Keine Hilfstechnik – kein Job
Mehr noch: Keine Gruppe hat von der Digitalisierung derart stark profitiert wie die Blinden. Viele kaufmännische Berufe ließen sich ohne Hilfstechnik nicht bewältigen. Der unterste Sachbearbeiter muss seine Tabellen mit Excel und nicht mit Tinte und Bleistift erledigen. Durch die Digitalisierung sind also berufliche Wege möglich geworden, die für die Meisten von uns früher schwierig oder gar nicht zu bewältigen wären.
Ich selbst könnte meinen Job als Online-Redakteur ohne Digitalisierung und Hilfstechnik gar nicht erledigen. Das Kaufmännische liegt mir nicht, das Handwerkliche sowieso nicht und kein Arzt wäre so verrückt, mich auf seine physiotherapiebedürftigen Patienten loszulassen.

Barriereunfreie Software = kein Job

Das merkt man vor allem, wenn man immer wieder auf Business-Lösungen trifft, die nicht barrierefrei programmiert wurden. CRM, ERP, DMS – ein Haufen Abkürzungen für teils sehr komplexe Programme. Faktisch wird es schwierig, wenn man in einer Firma arbeiten möchte, deren Anwendungen nicht barrierefrei programmiert wurden. In meinen Augen ist das eine klare Diskriminierung blinder Menschen am Arbeitsplatz. Im Business-Bereich sollten alle Programme von Anfang barrierefrei gestaltet sein. Da das mit der Freiwilligkeit nicht so richtig funktioniert hat, sollte das gesetzlich verpflichtend sein. Nur so können wir sicher stellen, dass zukünftige Arbeitsplätze für Blinde zugänglich sein werden.
Es ist kaum absehbar, wie sich die Arbeitswelt längerfristig entwickelt. Sicher ist, dass die Software eher wichtiger als unwichtiger wird. Sogar Google und Microsoft, die das Thema großteils verschlafen haben, geben sich jetzt mehr Mühe. Von den deutschen Software-Schmieden und Verbänden wie der IHK und der BITKOM hört man hingegen erschreckend wenig.
Viel wäre schon geholfen, wenn die öffentlichen Einrichtungen ihre Software-Richtlinien bei der Beschaffung entsprechend anpassen würden. Zählt man alle Behörden zusammen, hat man ein gewaltiges Volumen an Software-Nachfrage. Wenn all diese Software barrierefrei programmiert werden würde, würde der Markt gewaltig ins Rutschen geraten. Es gäbe mehr in Barrierefreiheit geschulte Software-Entwickler und nebenbei ein neues Betätigungsfeld für blinde Anwendungsentwickler. Ich stelle immer wieder erstaunt fest, wie schlecht barrierefrei Software sein kann, wenn kein behinderter Mensch an der Entwicklung beteiligt war. Manche Entwickler scheinen ernsthaft zu glauben, sie könnten einen anständigen Screenreader-Test durchführen, obwohl sie keine Ahnung haben, wie Blinde mit Software umgehen.
In diesem Zusammenhang darf eine Kritik an den Hilfsmittel-Anbieter nicht fehlen. Die Update-Politik von Freedom Scientific ist eine reine Unverschämtheit, weshalb mir Jaws nicht ins Haus kommt. Trotz des stolzen Preises bittet die Firma für Major-Updates ordentlich zur Kasse. Mitschuld daran sind die Blinden, die diese absonderliche Politik unterstützen, schließlich muss ja wer Anderes die Rechnung bezahlen. Da die Kostenträger nur rund alle fünf Jahre Neuanschaffungen finanzieren, kann es passieren, dass man einige Jahre mit veralteter Software allein gelassen wird. Im Business-Bereich kommen in fünf Jahren rund zwei neue Software-Versionen heraus. Jaws erweist sich somit als zusätzlicher Hemmschuh für den Fortschritt.

Fazit

In meinen Augen liegt deshalb der Schlüssel zur Verpflichtung privater Anbieter zumindest im Software-Bereich im Bereich Arbeit. Wer eine barrierefreie Arbeitswelt möchte, muss für barrierefreie Software sorgen.

Als Blinder mit Screenreader ungestärt arbeiten im Büro

Die Blinden kennen das sicherlich, da versucht man, im Büro oder im Zug zu arbeiten und pausenlos quatscht jemand im Hintergrund herum. Ich kann relativ gut Alltagsgeräusche wie normalen Verkehrslärm oder das undifferenzierte Grundrauschen eines Mittagstisches ausblenden, solange ich nicht direkt daneben sitze. Aber sobald jemand etwas sagt, was ich verstehen kann, bin ich automatisch abgelenkt.
Ich habe verschiedene Dinge ausprobiert: Schallisolierende Ohrhörer waren nicht ausreichend. Schallisolierende Übers-Ohr-Kopfhörer waren mir zu teuer. Ohropax sind ungeeignet, da sie den Screenreader zu stark dämpfen. Dann gibt es noch die Kopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung. Die scheinen aber eher für gleichmäßige Geräusche geeignet. Allerdings war mir der Preis zu hoch, um sie einfach mal auszuprobieren. Um nur mit der Braillezeile zu arbeiten, bin ich zu langsam.
Letztlich bin ich bei einem einfachen Gehörschutz gelandet. Er kostet im Baumarkt etwa 20 Euro.
Der Gehörschutz sieht aus wie ein großer Kopfhörer ohne Kabel. Der Bügel bewirkt, dass die Muscheln sehr stark auf das Ohr gedrückt werden. Wenn man ihn richtig aufsetzt, ist das kein Problem. Wenn man es falsch macht, tut es tierisch weh.
Die Hauptfunktion besteht darin, dass er das Ohr isoliert, so dass der Schall das Ohr nicht erreicht. Es ist nicht so, dass man nichts mehr hört, es sei denn, man befindet sich ohnehin in einer sehr leisen Umgebung. Man hört lautere Geräusche gedämpft. Man hört zum Beispiel, dass jemand redet, versteht aber nicht, was er sagt. Professioneller Ohrenschutz dämpft wahrscheinlich stärker, da ich mein Büro aber nicht neben dem Preßlufthammer betreibe, reicht mir der günstige Gehörschutz.
Ganz unproblematisch ist das aber auch nicht. Man kriegt eventuell nicht mit, wenn man angesprochen wird. Man hat zwar Ruhe vor dem üblichen Lärm einer Zugfahrt im Regionalzug am Wochenende, kriegt aber auch die Durchsagen im Zug nicht mit.
Ein weiteres Problem könnte sein, dass man keine Kopfhörer mit dem Gehörschutz verwenden kann. Liegt der Gehörschutz nicht direkt auf dem Ohr, ist er relativ wirkungslos. Man muss also Ohrhörer verwenden.
Ansonsten ist das aber eine gute Lösung. Man muss den Gehörschutz auch nicht immer tragen, sondern nur dann, wenn es tatsächlich laut ist.

Als Blinder mit Screenreader präsentieren

Präsentationen gehören ja in vielen Berufen heute zum Standard. Nur blöd, dass Blinde die Leinwand nicht sehen können. Nun haben alle Blinden – außer mir – ein gutes Gedächtnis und lernen die Präsentation einfach auswendig. Die Assistenz darf dann die undankbare Aufgabe übernehmen, weiterzuklicken und durchzusagen, auf welcher Folie man sich gerade befindet. Wirklich glücklich war ich mit dieser Lösung nicht.
Eher zufällig habe ich dann entdeckt, dass NVDA den Folien-Inhalt vorliest, wenn man sich im Präsentations-Modus befindet. Selbiger wird in MS Office mit F5 aktiviert. Ärgerlicherweise sagt NVDA bei jedem Folienwechsel „Präsentation Folie X“, aber damit kann ich leben. NVDA liest anschließend den Titel vor, dann den kompletten Text-Inhalt der Folie, was man aber den Zuhörern nicht antun sollte, ein beherztes Drücken von STRG beendet den Lese-Fluss. Mir ist es ausreichend, den Folien-Titel zu hören, um zu wissen, was ich erzählen muss. Wer sich in seinem Stoff auskennt, sollte das auch mit 200 Folien schaffen, zumindest ist mir das gelungen. Natürlich sollte dann jede Folie nur eine Information enthalten.
Mit Return blättert man eine Folie weiter, mit Löschen eine Folie zurück. Das geht auch mit den Bild-Auf-und-Ab-Tasten.
Das Ganze funktioniert ab Office 2003 aufwärts, leider bisher nicht mit Libre und OpenOffice, überhaupt ist die Zugänglichkeit von Impress mit NVDA derzeit noch – hm – ausbaufähig.
Das Ganze funktioniert auch mit Jaws. Natürlich braucht man immer noch einen Sehenden, der reinschreit, wenn irgendwas nicht funktioniert wie es sollte. Für mich ist das aber ein großer Schritt Richtung Unabhängigkeit.
Eine textlastige Präsentation zu erstellen ist ebenfalls mit Screenreadern möglich. Dazu müsst ihr in der normalen Folienansicht in die Folie tabben und Return drücken, dann könnt ihr zum Beispiel den Titel oder den Inhalt editieren. Wenn ihr fertig seid, drückt Escape, um zur Ansicht zurückzukehren.
Allerdings ist es für Blinde nicht möglich, Grafiken oder Bilder korrekt einzufügen, dass wird soweit ich das sehe ohnehin nie möglich sein. Überhaupt stoßen Powerpoint und auch Word dort an ihre Grenzen, wenn es um die fehlerfreie Gestaltung von Dokumenten geht. Gewiss, man kann Fehler bei der Schrift, leere Zeilen und Tabulatoren und so weiter korrigieren. Die Schlusskorrektur muss aber immer ein Sehender machen.
Wir hatten neulich auf Facebook diskutiert, ob Blinde Präsentationen erstellen können. Die meisten Blinden, die sich dort meldeten meinten, sie würden den Text vorschreiben und den visuellen Rest von sehenden Assistenten erledigen lassen. Das mag im Studium okay sein, aber spätestens, wenn es ums Berufliche geht, stößt man bei dieser Strategie an Grenzen. Der Wissensabstand zwischen Berufstätigen und ihren Assistenten wächst stetig, so dass die Assistenten zwar in der Lage sind, eine Folie zur erstellen. Die inhaltliche Verantwortung liegt aber eindeutig beim Blinden selbst. Er muss entscheiden können, wie viele Infos auf eine Folie passen, welche Grafiken das visualisieren können und so weiter. Kann er das nicht, erfüllt er genau genommen nicht die Qualifikation für seinen Job. Sorry, wenn ich das so hart sagen muss. Dass auch Sehende schlechte Folien machen, ist keine Entschuldigung.
Mir ist bei der Gelegenheit mal wieder aufgefallen, wie mangelnde Barrierefreiheit ganz praktisch die Karriere-Chancen verbauen kann. Nicht, dass ich für einen Führungsposten taugen würde. Aber faktisch ist es doch so: Assistenz hin, Assistenz her, wenn du bestimmte Sachen nicht machen kannst, wirst du nicht nur beruflich nicht aufsteigen. Es wird sogar schwierig für dich, deinen aktuellen Posten zu behalten. Der Job bleibt der Gleiche, aber die Anforderungen ändern sich stetig. Heute gibt es praktisch keinen Job mehr, der ohne die Bedienung von Software auskommt. Dabei ist vieles keine Standard-Software mehr, sondern Programme, die nebenbei von Entwicklern zusammengestoppelt wurden, ohne Rücksicht auf Barrierefreiheit. Ich hatte schon häufiger den Fall, dass selbstentwickelte Software nicht mit angemessenem Aufwand barrierefrei zu machen war, wobei „angemessen“ natürlich dem Maßstab des Auftraggebers folgt. Die Ausdifferenzierung der Software-Landschaft durch die zahlreichen Windows-Versionen, Browser, Screenreader und Mobile haben das Problem eher noch verschärft. Früher reichten ein paar Jaws-Skripte für Windows XP, um ein Programm bedienbar zu machen. Heute brauchen wir plattform-unabhängige Barrierefreiheit.

Vorträge vor Schwerhörigen halten – darauf solltet ihr achten

Regelmäßige Leser meines Blogs wissen, dass ich auf einem Ohr praktisch taub bin und auf dem anderen nur eingeschränkt höre. Da ich daneben auch viele Vorträge und Workshops halte, finde ich das Thema hörgerechte Vorträge aus jeder Perspektive wichtig.

Gehörlos im Gottesdienst

Als Hörgeschädigter ist man halligen Räumen abgeneigt. Das Ohr kann Stimmen nicht vernünftig herausfiltern, so dass man nur Gebrabel hört. Zwar ist man als ungläubiger Kirchenbesucher fast dankbar, die Predigt nicht zu verstehen. Angesichts des demografischen Wandels, der in der Kirche noch wesentlich schneller statt findet bleibt aber die Frage,ob die Kirche mit Leuten umgehen kann, die weder gut sehen noch hören können. Kirchen sind schummrige Räume, also nicht optimal, um Gesangstexte mitzulesen. Das nur nebenbei. Die Kirche ist kein Ort für alte Männer – und Frauen.

Das größte Problem sind Nebengeräusche

Schwierig sind vor allem auch Situationen mit einem hohen Anteil an Nebengeräuschen. Da reicht schon das schlecht isolierte Fenster, durch das die Verkehrsstraße durchschallt. Oder, was ich auch schon häufiger hatte, man hört nicht nur den eigenen Vortragenden, sondern auch den von nebenan.
Ganz unangenehm sind Mensen und Kantinen. Der Pegel an Nebengeräuschen ist extrem, hinzu kommen die Geräusche , die durch Besteck und Geschirr ausgelöst werden. Und natürlich haben diese Räume durch die oft hohen Decken einen unheimlichen Hall. Für einen Schwerhörigen ist es das Worst Case. Leider ist die Situation bei vielen Veranstaltungen ähnlich, denn auch hier sind Mahlzeiten in großen Sälen üblich. Ob das tatsächlich die Kommunikation fördert, möchte ich mal dahin gestellt sein lassen.

Raum checken

Zunächst einmal solltet ihr den Raum rechtzeitig vor dem Vortrag in Augenschein nehmen. Wichtig ist die Größe des Raums sowie die Entfernung zum am weitesten entfernt sitzenden Teilnehmer.
Zu prüfen sind die Lautstärke von Heizung und Klimaanlage. Letztere verursachen oft ein unangenehmes Rauschen.
Ist keine Soundanlage vorhanden, sollten die Leute möglichst nahe zusammen und am Redner sitzen. Nötigenfalls stellt die Tische und Stühle so auf, dass sich das nicht vermeiden lässt. Aus irgend einem Grund mögen es die Deutschen, sich möglichst weit voneinander wegzusetzen als ob der Sitzer eine ansteckende Krankheit hätte. Wenn sich aber 30 Leute in einem Raum verteilen, der für 100 Personen ausgelegt ist, macht das weder für sie noch für den Vortragenden die Situation einfacher.
Von Vorteil sind Vorhänge, Teppiche und andere weiche Materialien. Sie schlucken störende Nebengeräusche wie Stühlerücken und ähnliches. Das kann man sich nicht immer aussuchen, aber manchmal schon.
Liegen die Fenster an einer Hauptverkehrsader, sollte das zu der entsprechenden Zeit überprüft werden. Man kann da im Prinzip nichts machen, sollte aber solche Räume nicht bevorzugen.

Tipps für den Redner

Zunächst ist es von Vorteil, eine tiefe Stimme zu haben. Leider sind wir nicht alle mit einem Bariton gesegnet, aber ein bißchen was lässt sich durch Stimmtraining machen.
Die Grundregel für jeden Redner ist: Langsam und deutlich sprechen. Nicht jedes Wort muss roboterhaft artikuliert werden. Allerdings sollten Dialekte und andere Sprach-Eigenheiten zurückgefahren werden.
Natürlich sollten wir Tempo und so weiter variieren, schließlich soll das Publikum nicht einschlafen. Alles sollte aber in einem bestimmten Rahmen bleiben.
Der Redner sollte sich immer dem Publikum zuwenden. Vieles lässt sich von den Lippen ablesen sowie aus Gestik und Mimik ableiten. Sorgt dafür, dass ihr auch in den hinteren Reihen gut gesehen werdet und gut ausgeleuchtet seid. Man ist kein guter Redner, wenn man seine Notizen verliebt anguckt oder sich ständig zur Präsentation umdreht.
Sorgt für zusätzlichen Input. Ich fasse die wichtigsten Infos jeweils auf einer Folie zusammen, die parallel angezeigt wird. Wer mich also nicht versteht, kann kurz nachlesen. Der Nachteil ist, dass die Folien recht textlastig sind. Aber das ist ein in meinen Augen sinnvoller Kompromiss.
In Räumen ohne Sound-Anlage sollte Getuschel im Publikum möglichst sofort unterbunden werden. Das ist ohnehin kein gutes Zeichen, stört aber die Umsitzenden.
Für sehende Redner ist es ganz hilfreich, sofortiges Feedback zu bekommen. Wenn ihm die Leute einschlafen kann das an dem unspannenden Thema liegen. Oder daran, dass das Zuhören zu anstrengend ist.
Mein Vorschlag wäre, verschieden farbige Karten zu verteilen, mit denen die Zuhörer winken können. Zum Beispiel grün für „du redest zu schnell“, blau für „bitte lauter“ oder rot für „kapier ich nicht“. Es ist ein guter Service des Redners. Bei blinden Rednern funktioniert das natürlich nicht, aber dafür gibts die Assistenz. Die Hemmschwelle, etwas hoch zu halten ist geringer als das laute Aussprechen eines Problems.

Auch Hörende profitieren

Der Redner mag noch so gut sein, wenn er zu leise spricht, wird er sein Publikum verlieren. Wer sich darauf konzentrieren muss, jedes Wort zu verstehen hat weniger Ressourcen zum Verstehen und Einprägen des Gesagten. Nervosität breitet sich aus und die Leute gehen sich einen Kaffee holen und kommen nicht mehr wieder.
Nun kann man trainieren, laut zu sprechen. Bei Manchen ist das aber schwierig. Gerade helle Stimmen sind schnell schlecht zu verstehen, wenn sie laut sind. Vor allem Frauen scheint es schwer zu fallen, die Stimme zu erheben. Und wenn sie es tun, sind sie oft trotzdem schwer zu verstehen.

Höranlage im Eigenbau

Nun verfügen nicht alle Räume über Mikrofon und Lautsprecheranlage. Mit der heutigen Technik kann man sich aber relativ gut selbst helfen.
Die Technik ist schnell zusammengestellt. Gebraucht wird ein guter Bluetooth- oder anderer Funkkopfhörer für den Schwerhörigen. Der Kopfhörer sollte den Sprecher möglichst ohne Verzögerung übertragen können. Schließlich müssen Mimik, Gestik und das Gesagte zusammenpassen. Der Sprecher verwendet ein Headset, welches entweder seperat funktioniert oder an den Computer angeschlossen ist. Der Computer überträgt das Gesprochene per Kabel oder Funk an den schwerhörigen Zuhörer. Das nötige Equipment sollte nicht mehr als 150 Euro kosten.
Da viele Leute heutzutage mit Smartphones oder Tablets ausgestattet sind, kann man eventuell auch mit diesen Geräten arbeiten. Eventuell lässt sich der Sound per W-LAN oder Bluetooth übertragen. Leider bin ich nicht wirklich tief in der Sound-Technik drin. Aber nach meiner Einschätzung sollte das technisch machbar sein. Wenn man sich die Sprachqualität von Skype, WhatsApp oder Facebook anschaut, ist die Sprachqualität schon besser als im Mobilfunknetz. Nur die Latenz bei der Übertragung könnte noch ein Problem sein.
Ist der Raum ein wenig größer und der Sprecher stimmlich vielleicht nicht so laut, bietet sich ein funkbasiertes Surround-System an. Natürlich sollte es nicht das Billigste sein, schließlich ist die Sprachverständlichkeit extrem wichtig. Funkbasiert, weil man so Probleme mit der Verlage von Kabeln vermeidet und beim Aufstellen viel Freiheit hat. Die Positionierung der Boxen sollte von einer damit erfahrenen Person vorgenommen werden.
Wenn man solche Technik einsetzt, muss sie qualitativ ausreichend sein und einwandfrei funktionieren. Es hilft weder dem Sprecher noch dem Veranstalter oder den Teilnehmern, wenn die Anlage rauscht, Puff-Geräusche nicht filtern kann oder Rückkopplungen verursacht.

Schwerhörige nach vorn

Nun möchte ich den Schwerhörigen die Verantwortung nicht ganz absprechen. Wer sich nicht traut, dem Veranstalter oder Redner vorher mitzuteilen, dass spezielle Vorkehrungen für ihn notwendig sind, muss Probleme in Kauf nehmen. Unsere hellseherischen Fähigkeiten sind begrenzt.
Zudem sollte man sich natürlich bei einer Hörschädigung nicht ausgerechnet in die letzte Reihe setzen. Niemand muss sich öffentlich bekennen, wenn er nicht möchte. Aber auch wir können nicht erraten, was das Problem sein könnte, wenn uns jemand entflieht.

Demokratie und digitale Inklusion

In diesem Blogbeitrag möchte ich das Thema Demokratie aus der Perspektive der Inklusion betrachten. Das ist ein Beitrag zur BLOGPARADE WAS BEDEUTET MIR DIE DEMOKRATIE? #DHMDEMOKRATIE.

Keine Inklusion ohne Demokratie

Ohne Demokratie gibt es keine Inklusion. In allen politischen Systemen jenseits der Demokratie werden die Menschen bevormundet. Oft mit einer väterlichen, wohlwollenden Attitüde, aber in jedem Fall bevormundet.
Dies gilt insbesondere für Menschen mit Behinderung. Nur in der Demokratie sind wir in der Lage, uns offen und frei zu äußern und eine Öffentlichkeit für unsere Situation zu gewinnen. Nur in der Demokratie können wir auch die Regierung und die öffentlichen Stellen kritisieren, unsere Rechte einklagen und auch Recht bekommen.

Minderheiten sind unterrepräsentiert

Leider sind in allen politischen Gremien sowie in den Parteien die Minderheiten unterrepräsentiert – dazu gehören auch Menschen mit Behinderung.
Für die Lebendigkeit und Repräsentativität der Demokratie ist es aber wichtig, dass Menschen aus allen Schichten und mit unterschiedlichen Hintergründen in den Gremien präsent sind. Das erhöht die Legitimation der Entscheidungen und sorgt für eine höhere Akzeptanz in diesen Gruppen. Denn gerade dort finden wir viele Menschen, die der Demokratie kritisch gegenüber stehen, die nicht wählen gehen und von der Politik frustriert sind.
Es bringt aber auch neben der Legitimität einen anderen Vorteil: Wenn Menschen mit Behinderung präsent sind und beteiligt sind, werden die Themen Inklusion und Barrierefreiheit automatisch mitgedacht. Schon durch ihre Anwesenheit, vielmehr aber auch durch ihre aktive Beteiligung bringen sie diese Themen zur Sprache.

Nichts ohne uns

Ein bekannter Slogan der Behindertenbewegung lautet „Nichts über uns ohne uns“. Das bedeutet, dass wir in allen Angelegenheiten beteiligt werden müssen, die uns betreffen.
Ich würde aber noch weiter gehen und den Slogan auf „Nichts ohne uns“ verkürzen. Wir müssen und sollten uns in allen Bereichen beteiligen, in denen wir kompetent sind. Denn es ist wichtig, dass unsere Stimme überall gehört wird, wenn wir wollen, dass Inklusion überall umgesetzt wird.

Ohne Inklusion keine Demokratie

Die Demokratie als politisches System muss stetig weiter entwickelt werden. Heute gehört dazu, dass Menschen aus Minderheiten-Gruppen aktiv eingebunden werden. Und wie oben dargestellt vor allem, aber nicht nur in Angelegenheiten, die sie selbst betreffen. Sie sollen in allen Bereichen präsent sein.
In diesem Sinne meint Inklusion die Einschließung der größtmöglichen Zahl an unterschiedlichen Personen. Es hilft dabei, auch unpopuläre Entscheidungen wie etwa zum Klimaschutz auch in anderen Bevölkerungsgruppen zu legitimieren.
Am Ende profitieren alle, denn Inklusion heißt nicht, dass Menschen aus Minderheiten gewinnen. Inklusion heißt, dass alle gewinnen.