Tastatur – warum Blinde oft schneller am Computer sind

Ich beschäftige mich gerade aus beruflichen Gründen und aus privatem Interesse mit Usability-Tests. Dabei schauen sich Testpersonen eine Website an, während sie mit weitgehend standarditisierten Methoden wie Eyetracking, Mouse-Tracking, und Kameraaufzeichnung beobachtet werden. Dabei sollen sie ganz allgemein die Website erkunden, bestimmte Aufgaben erfüllen und so feststellen, wie usable die Webseiten sind. So kann man etwa herausfinden, ob sie auf ein bestimmtes Element zu klicken versuchen, welches gar keine Funktion hat, ob sie die Navigation verstehen oder sich an flackernden Filmchen erfreuen.

Wie in diesem Film teilen die Tester ihre Gedanken zur Website spontan mit. So ein Test könnte vielen Websites nicht schaden.
Kurioserweise können sich Blinde oft einen besseren und schnelleren Überblick über eine Website verschaffen als Sehende. Wie das geht, habe ich hier geschildert. Blinde können sich recht flott einen Überblick über Überschriften, Listen, Bilder, Formulare, Links und andere Elemente einer Website mit dem Screenreader verschaffen. Sollten sich HTML5 und/oder WAI ARIA allgemein durchsetzen, dürfte es noch ein wenig schneller gehen. Wenn man es etwa nur auf den Artikel einer Website abgesehen hat, muss man dann nicht einmal die komplette Website durchgehen, um zum Beginn des Artikels zu gelangen.
Ich hatte beruflich einige Websites mit einem Webtool zu testen und konnte mit dem Tool, das auf den normalen HTML-Formularen aufbaute sehr flott arbeiten. Ich war auf jeden Fall schneller als ein Sehbehinderter mit Bildschirm-Vergrößerung. Und ich vermute zumindest, dass ich schneller als die meisten Sehenden bin. Mit dem Mausgeschubse kann man doch recht viel Zeit verbringen. Bedenkt man noch, dass zum Ausfüllen eines Formulars zwischen Tastatur und Maus gewechselt werden muss, wird man diesen Gedanken wohl nachvollziehen können. Der versierte Nutzer eines Screenreaders kann verschiedene Elemente eines Formulars mit der Tastatur direkt anspringen, er drückt z.B. „E“, um zu Eingabefeldern zu gelangen oder „C“, um sich Auswahlfelder anzeigen zu lassen. Ein beherztes Return reicht meistens aus, um ein Formular abzusenden. Ich muss immer lachen, wenn ich mitbekomme, dass jemand zum Springen von einem Eingabefeld zum Nächsten zur Maus greift anstatt einfach die Tab-Taste zu benutzen.
Das setzt allerdings voraus, dass die Websites auf die Standards im HTML setzen. Obwohl die Websites (und die Screenreader) allgemein besser werden, was Webstandards angeht, bleiben doch erstaunlich viele Seiten auf einem Stand, wie er vor zehn Jahren üblich war. Ich stoße jeden Tag auf Websites, die keine fünf Jahre alt sind und auf Tabellendesign basieren, Spacer-Gifs einsetzen und von headern und Listen nie etwas gehört haben. Für einen Blinden ist es der reine Horror, auf einer tabellenbasierten Seite nach einer Datentabelle zu suchen. Liebe Webdesigner und Agenturen, Tabellendesigns zeugen bestenfalls von der Unfähigkeit des Erstellers und gehören ins Jahr 1999, wo sie auch bleiben sollten. Wenn ihr mit dem Begriff CSS nichts anfangen könnt, habt ihr offenbar doch den Beruf verfehlt.