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Barrierefreiheit: Nutzen und Gefahren von Nutzer-Tests


Ich plädiere ja immer für Tests mit echten behinderten Nutzenden – mit einer Einschränkung: Hat man nicht gerade eine Expert:In vor sich, sollte man immer gewichten.
Anlass für diesen Beitrag sind gleich zwei schlechte Praxisbeispiele, die ich in letzter Zeit sammeln durfte: Da ging es einmal um eine Blinde, die meinte, dass Akkordeons nicht barrierefrei seien. Akkordeons sind Text-Boxen, die sich dynamisch ein- und zuklappen lassen. Sie gehören zu den Standard-Techniken im Web und lassen sich ohne großen Aufwand barrierefrei umsetzen. Bei der anderen Meinung hat ein Entwickler das Burger-Menü einer Website angepasst, weil eine blinde Person ihm das Feedback gegeben hatte, dass seine Umsetzung nicht erwartungskonform sei. Es ging – wenn ich mich recht entsinne – um die Frage, ob der Fokus im ausgeklappten Burger-Menü bleiben sollte, bis das Menü geschlossen ist oder ob er in den Inhalt weiter wandert. Meines Erachtens wäre beides in Ordnung, solange der Blinde etwa über HTML oder ARIA mitgeteilt bekommt, dass er das Menü verlassen hat. Nehmen wir an, ich habe eines dieser komplexen Burger-Menüs, dann müsste ich ansonsten wieder nach oben scrollen, um das Menü zu schließen.
Das sind sicher keine Einzelfälle. Ich lese gelegentlich etwas wie „Ich habe da meine blinde Expertin, die ich immer frage“. Zumindest bei einer dieser Personen weiß ich, dass sie im Bereich Kommunikation arbeitet und technish nicht besonders bewandert ist. Das wäre kein Problem, wenn sie nicht weitreichende falsche Aussagen machen und diese falschen Aussagen durch die konsultierende Person weiter verbreitet würden. Vielleicht sollte man hier genügend selbstkritisch sein, um die eigenen begrenzten Kenntnisse einschätzen zu können.
Einschätzungen können unter zwei Optionen sinnvoll sein:

  • begründete Experten-Meinung
  • Einschätzung mehrerer Personen ohne Expertise, dann muss man im Zweifellsfall selber gewichten

Mein Tipp: Wenn man nur eine Einzelperson ohne Expertise zu Rate ziehen kann, sollte man ihre Einschätzung immer kritisch gewichten. Natürlich darf man auch die Meinung einer Expert:In kritisch hinterfragen – ich habe auch schon von Barrierefreiheits-Experten genügend Blödsinn gehört. Die Befragten sollten sich ihrerseits ihrer Verantwortung bewusst sein und ihre Einschätzung mit Bedacht formulieren.

Warum ich nicht kostenlos arbeite

Bei Kobinet ist die nicht ganz neue Diskussion aufgekommen, warum behinderte Menschen nicht immer kostenlos arbeiten möchten. Ich nutze einmal die Gelegenheit, da auch mich immer wieder solche Anfragen erreichen.
Da mein Webportal – ich sage es mal ganz unbescheiden – zu den großen deutschsprachigen Portalen zur digitalen Barrierefreiheit gehört, erreichen mich regelmäßige Anfragen wie „Ich würde mich gerne zum Thema X“ mit Ihnen austauschen. „Austauschen“ ist dabei als Synonym für kostenlose Beratung zu verstehen. Es ist so, als ob ich zu meinem Friseur gehe, er mir die Haare schneidet und mir währendessen über sein Handwerk berichtet und das Glück, dass er mir über sein Fach berichten kann wäre seine Bezahlung für den Haarschnitt. Der lustigste Vorfall war, als ein Bereichsleiter aus einem Bundesministerium die kostenlose Teilnahme an meinen Schulungen für seinen ganzen Ausbildungsgang schnorren wollte. Ein Bundesministerium dürfte ein fünstelliges Budget für Weiterbildungen haben.
Bitte nicht mißverstehen: Es gibt natürlich in einer sich anbahnenden Geschäftsbeziehung immer einen Punkt, an dem etwas kostenlos erfolgen muss. Das Erst-Gespräch oder ein einfaches Angebot – dafür nimmt man in der Regel kein Geld. Auch Interviews oder Fachbeiträge etwa in Zeitschriften werden meistens nicht bezahlt.
Das Problem ist, dass Barrierefreiheit, Inklusion und weitere Themen aus diesem Bereich immer noch als Gedöns verstanden werden. Es sind übrigens ganz selten Privat-Personen, sondern Unternehmen und Agenturen, gerne auch Behörden, die von mir kostenlose Beratung erwarten.
Oft wird argumentiert, es könne daraus ja eine Geschäftsbeziehung entstehen. Früher habe ich das auch gedacht. Nach etwas mehr als zehn Jahren im Bereich kann ich sagen, dass das so gut wie nie passiert. Ich kann mich an keinen einzigen Auftrag oder auch nur Empfehlung aus solchen Kontexten erinnern. Im Gegenteil: Vielfach habe ich mitbekommen, dass andere Dienstleister beauftragt wurden, wahrscheinlich solche, die weniger blauäugig als ich waren.
Richtig ist, dass es Möglichkeiten für in das Thema Einsteigende geben sollte. Aber bekanntermaßen haben wir eine nette Erfindung namens Bücher, Internet und zahlreiche Foren, in denen man sich informieren und kostenlos austauschen kann. Wer des Englischen mächtig ist oder den Google-Übersetzer bedienen kann, findet einen Ozean voller Informationen und Foren. Man kann auch von jeder Person erwartet, dass sie dazu in der Lage ist, selbst einmal zu recherchieren und nicht einfach die Zeit anderer Leute zu beanspruchen.
Nun lohnt es sich nicht, sich darüber lange aufzuregen. Was mich vor allem ärgert ist die zutage tretende Respektlosigkeit. Die Anfragenden erwarten selbstverständlich, für ihre Arbeit bezahlt zu werden. Genau so selbstverständlich erwarten sie von mir, dass ich für meine Tätigkeit nicht bezahlt werde.

Meldung und Schlichtungsverfahren zur Barrierefreiheit – ein ernüchterndes Fazit

Stilisierte Figuren sitzen um einen ReferierendenSeit einigen Jahren ist es möglich, gegen öffentliche Stellen ein Schlichtungsverfahren einzuleiten, wenn sie gegen die Barrierefreiheit/BITV verstoßen. Leider ist das Verfahren nicht zielführend.
Zunächst einmal muss man die Barrieren melden. Schon daran kann man scheitern, wenn das entsprechende Formular nicht barrierefrei ist – so gesehen bei einem Dachverband einer Handelskammer.
Das Amt muss dann innerhalb einer angemessenen Frist antworten. Schon da geht das Problem los, denn was ist eine angemessene Zeit, wenn man eine Information oder Dienstleistung jetzt benötigt? Es gibt meines Wissens keine Verpflichtung, in kurzer Zeit eine barrierefreie Alternative bereitzustellen.
Ich habe im letzten Jahr ein par Schlichtungsverfahren angestoßen. Unter anderem hatte die Bundeszentrale für politische Bildung zahlreiche Verstöße zu verantworten: So fehlten auf den Social-Media-Auftritten sämtlich Bildbeschreibungen. Das Bundesamt für soziale Sicherung hatte eine fehlerhafte Erklärung zur Barrierefreiheit veröffentlicht. Beide haben auf meine Hinweise gar nicht reagiert.
Nach einem halben Jahr hatte ich die Ergebnisse vorliegen. Im Ernst: Ein halbes Jahr für so einen Pipifax. Das zeigt, wie ernst diese Bundes-Einrichtungen das Thema digitale Barrierefreiheit nehmen – gar nicht. Da der Prozess nicht transparent ist, weiß ich allerdings auch nicht, an welcher Stelle die Verzögerungen aufgetreten sind – also bei der Schlichtungsstelle oder bei dem „Beklagten“.
Das Kernproblem ist m.E., dass den Einrichtungen anders als beim Verstoß gegen die DSGVO keine Sanktionen drohen. Viele Ämter setzen das Thema Barrierefreiheit schlecht um, siehe die Bundeszentrale für politische Bildung. Ich greife die BPB gerne heraus, da sie sich ja anders als die meisten Bundes-Einrichtungen an eine breite Öffentlichkeit wenden. Wann habe ich als Privatperson mal mit dem BMAS oder dem Bundeskanzleramt zu tun?
Das Schlichtungsverfahren ist ein sinnvolles Instrument, wenn die Barrierefreiheit im Wesentlichen umgesetzt wird und nur kleine Verstöße zu finden sind, zudem die Verantwortlichen nicht bereit sind, diese Verstöße zu beheben. Ich hatte zum Beispiel die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZGA darauf aufmerksam gemacht, dass ihre aktuell produzierten PDFs nicht barrierefrei seien. Die PR-Dame antwortete mir etwas wie, das Problem sei ihnen bekannt. Das hilft mir total weiter. Im Grunde heißt das „Na und, ist uns doch egal“, bitte leite ein Schlichtungsverfahren gegen uns ein, das kostet uns nix.
Bei systematischen Verstößen wie sie leider allzu häufig zu finden sind wird die Verantwortung auf das Individuum übertragen. Dazu kommt die ewige Wartezeit. Vielleicht brauche ich die Info aber jetzt und nicht im Jahr 2030 barrierefrei.
Und was ist, wenn das Amt sich weigert? Bin ich wirklich bereit, zu klagen? Ein klares Nein. Weder habe ich die Zeit noch die rechtliche Expertise und mein Geld gebe ich lieber für andere Dinge als für Anwält:Innen aus. Beim LVR zum Beispiel habe ich mein Recht auf barrierefreie Dokumente eingefordert und nach einem Jahr eine Antwort bekommen. Es ist bekannt, dass viele Ämter es gerne mal darauf ankommen lassen, dazu können wir uns einfach mal die zahllosen Urteile vor dem Bundessozialgericht anschauen.
Mein Fazit: Solange es keine Sanktions-Mechanismen gegen Verstöße gibt, die Vorschriften im Wesentlichen erfüllt werden und es kurze Fristen für Schlichtungsverfahren gibt, ist das Verfahren nicht sinnvoll. Hier wird die Verantwortung auf die Individuen verlagert, die eigentlich durch die Überwachungsstellen zu übernehmen wäre.

Wie Blinde das Internet erkunden – die Haus-Metapher

Es ist immer schwierig, Sehenden zu erklären, wie Blinde das Internet erkunden. Meine aktuelle Idee ist, ein unbekanntes Haus als Metapher zu verwenden. Ich arbeite gerne mit Metaphern, weil selbst das Zeigen manchmal zu abstrakt ist.
Stellen Sie sich vor, Sie betreten ein Ihnen unbekanntes Gebäude. Sie suchen etwas Bestimmtes, wissen aber nicht genau, wo es ist und wie es aussieht. Sie stehen also im Eingangsbereich und haben keine Vorstellung, wie das Haus aufgebaut ist. Sie dürfen aber überall reinschauen und alles aufmachen, der Besitzer ist nicht da und Sie sind mal so frei. Die Räume sind die Metapher für Unterseiten, die Kartons sind die einzelnen Bereiche der Seite.
Bevor Sie reinkommen, müssen Sie aber eine bestimmte Stelle an der Hauswand drücken (Cookie-Meldung). Aber wo ist diese Stelle? Tja, jetzt ist rumprobieren angesagt. Sie wollen entnervt aufgeben, dann haben Sie endlich eine etwas abgetakelte Fläche gefunden, die muss es wohl sein und die war es auch.
Wenn Sie Glück haben, sind die einzelnen Kartons beschriftet: Navigation, Content, Fußzeile und Seiten-Bereich. Wenn Sie Pech haben, müssen Sie den Karton aber erst mal erkunden, um herauszufinden, was darin ist. Stellen Sie sich für jeden Raum einen Haufen verschlossener Kartons vor: Sie müssen in jeden Karton schauen, um herauszufinden, was er enthält.
Jeder Raum/jede Unterseite sieht ein wenig anders aus. Sie müssen ihn also jedes Mal, wenn Sie ihn betreten neu erkunden. Auch müssen Sie aktiv zu jedem Karton hingehen und ihn öffnen, um zu erfahren, was drin ist. Ebenso kann eine blinde Person eine Webseite nicht einfach visuell überblicken und dort „hinkommen“, wo sie hin will.
Mist, bei diesem Raum ist das Licht ausgeschaltet. Sie können am Eingang einen Haufen Schalter und Regler ertasten. Bei einigen Elementen wissen Sie gar nicht, ob sie eine Funktion haben oder nicht. Leider wissen Sie nicht, wofür die einzelnen Elemente da sind, probieren Sie es also mal auf gut Glück aus. Mist, jetzt haben Sie sich aus dem Raum gebeamt und stehen wieder im Eingangsbereich. Welchen Raum haben Sie sich noch mal gerade angeschaut?
Jippy, Sie haben den Content-Raum gefunden und den Karton mit dem Inhalt, den Sie gesucht haben. Leider hat irgendein Blödmann lauter Sachen reingeworfen, die nicht reingehören. Während Sie also den Inhalt anschauen, taucht immer wieder etwas auf, was nicht reingehört: Werbung, abonnnieren Sie unseren langweiligen Newsletter, Machen Sie bei unserer furzlangweiligen Umfrage mit. Und so ein Mist, der Inhalt ist auf mehrere Kartons aufgeteilt, der zweite Karton ist im nächsten Raum, dann viel Spaß beim Suchen.
Nachdem Sie eine Voodoo-Puppe des Hausbesitzers gebastelt und selbige mit reichlich Holzpflöcken durchbohrt haben, stolpern Sie entnervt zum Ausgang. Aber halt, leider müssen Sie noch ein Formular ausfüllen, wir sind ja in Deutschland. Aber irgendein Witzbold, wahrscheinlich der Häuslebauer, hat den Teil des Blattes abgerissen, auf dem steht, was in die jeweiligen Felder eingetragen werden soll. Pech gehabt, ohne korrekt ausgefüllten Passierschein A38 kommen Sie halt nicht weiter. Leider gibt es kein Happy End.
How do blind Persons uses the Web?

Bitte einfacher – für ein Grundrecht auf Verständlichkeit

Es ist paradox: Wir hatten wohl nie so vielfältigen Zugang zu Informationen: Einerseits haben wir dank Smartphones jederzeit Zugang zum Internet. Andererseits ist die Vielfalt der Informationen gestiegen. Statt Text-Wüsten haben wir jetzt Videos und Podcasts zu beliebigen Themen. Eine gute Sache für Informations-Junkies.
Aber die Informationen sind nicht verständlicher geworden. Es ist schön, dass uns Expert:Innen wie Brinkmann und Drossten Corona erklären. Aber wer ohne Studium versteht eigentlich, was sie da erzählen? Das ist kein Vorwurf an Brinkmann und Drossten, sie sind in gewisser Weise Nerds, ihre primäre Aufgabe ist die Forschung und nicht das Erklären der selbigen für Andere. Man merkt auch durchaus, dass sie sich Mühe geben. Es ist aber durchaus ein Vorwurf an die Macher:Innen des Podcasts. Sie sind Wissenschafts-Redakteure und ihre originäre Aufgabe ist es, komplexe Inhalte verständlich zu machen. Leider machen sie diesen Job nicht besonders gut.
Wer versteht eigentlich, was sie da erzählen? Wahrscheinlich Personen, die studiert haben und viel Zeit und Musse haben, sich mit Corona zu beschäftigen.
Wir kennen das Trauerspiel, dass sich bei vielen komplexen Themen wiederholt. Wir hatten das bei der letzten Finanzkrise, bei der mit vielen komplexen Begriffen um sich geworfen wurde. Wir kennen das von der Steuererklärung, die genauso gut auf Alt-Griechisch sein könnte. Und wir kennen es von der Bundeszentrale für politische Bildung. Vielleicht nennt sie sich irgendwann Bundeszentrale für elitäre Bildung, denn die meisten Bücher und Hefte, die sie herausgibt sind nichts anderes als Bildungs-Popkorn für Leute, die gut gebildet sind und sich die regulären Ausgaben der Bücher kaufen könnten.
Leider finden wir das quer durch die Bank in Politik, Verwaltung und vor allem den Medien. Eigentlich werden Medienmachende dahin gehend ausgebildet, sich möglichst verständlich auszudrücken. Irgendwann zwischen Volontariat und Berufs-Tätigkeit scheint diese Fähigkeit auf der Strecke geblieben zu sein. Das ist schade, denn eigentlich wollen ja die meisten Leute ihren Job gut machen. Der ist aber nicht gut gemacht, wenn man genauso kompliziert kommuniziert wie Personen aus Politik und Verwaltung.
Nein, leider sind die Talkshows keine Lösung, es sei denn, man betrachtet Polit-Theater als verständliche Kommunikation. Ich fand schon als Student, dass die Talkshows eher etwas von unfreiwilligem Kabarett haben.
Ich denke, da jetzt so gut wie jeder Haushalt Rundfunkgebühren bezahlt, haben wir auch ein Recht auf verständliche Kommunikation in den Medien. Immerhin könnte das den Öffentlich-Rechtlichen helfen, aus ihrer Legitimationskrise herauszukommen. Selbst die Privatsender haben verstanden, dass sie die Nachrichten nicht komplett abschaffen können und sie bekommen es auch hin, verständlich zu kommunizieren.

Werden Blinde von der modernen Arbeitswelt ausgeschlossen?

fragezeichenFür viele Menschen ist die Digitalisierung ein Segen. Für Blinde und Sehbehinderte gilt das tatsächlich nicht immer. Das zeigt eine aktuelle Studie der American Foundation for the Blind’s.
Die Studie verfolgte mehrere Ansätze: Es wurde eine Literatur-Recheche durchgeführt, es wurden Interviews mit Einlzelpersonen und Fokusgruppen sowie Umfragen durchgeführt.
Ein Drittel der Befragten hatte Probleme, zum Bewerbungsprozess gehörige Tests durchzuführen, ein Viertel konnte für ihren Job notwendige Trainings nicht durchführen. rund die Hälfte konnte gedruckte oder digitale Formulare nicht ausfüllen, die für das Job-Onboarding notwendig waren. Ein Fünftel der Befragten fragte aus Furcht vor negativen Konsequenzen nicht nach behinderungs-notwendigen Anpassungen.
Aus meiner eigenen und der Erfahrung befreundeter Blinder/Sehbehinderter kann ich die Erfahrungen bestätigen. Der Druck hat in den letzten Jahren zugenommen, sich schnell mit neuen Tools zu beschäftigen. Die meisten dieser Tools arbeiten rein visuell bzw. hat man eklatante Nachteile, wenn man nicht mit der grafischen Benutzeroberfläche arbeiten kann.
Hinzu kommt, dass das Arbeitstempo und die Erwartungen immer mehr zugenommen haben. Ich würde zum Beispiel keinem jungen Blinden mehr empfehlen, in die Online-Redaktion zu gehen. Wer kann schon im Tempo eines Sehenden Videos drehen, Audio-Dateien bearbeiten, seine Redaktionspläne über Trello einsehen, mit X Redaktionssystemen gleichzeitig arbeiten und zugleich ein angemessenes Arbeitstempo einhalten? Ja, es gibt Assistenz, aber sie soll ja eben keine fachlichen Aufgaben wie Videoschnitt oder das Pflegen grafischer Boards übernehmen. Wenn sie das macht, wofür braucht es mich dann noch?
Probleme sehe ich auch beim Thema berufliche Vernetzung.: Wir haben die Wahl zwischen der Katastrophe XING und der Katastrophe Linkedin. Ich leide körperliche Schmerzen, während ich die Minuten abwarte, dass sich die Oberfläche aufbaut. Bisher habe ich nicht herausgefunden, ob oder wie man sich mit Screenreadern strukturiert dadurch bewegen kann. Auch Firmen, die angeblich das Thema Barrierefreiheit im Blick haben sind schlichtweg unfähig: GoogleMail im Browser ist mit Screenreadern eine reine Pein. Der glücklichste Tag meines Lebens wird sein, wenn ich den Adobe Reader deinstallieren kann, wenn man „barrierefreie“ PDF in die Hölle schickt, aus der sie offenbar geboren wurden.
Das Verständnis bzw. die Bereitschaft, sich auf diese Herausforderungen einzulassen ist von Seiten Sehender zwischen solala und Nicht-Vorhanden. Das ist insofern verständlich, weil sie natürlich ihre eigene Arbeit haben, die auch gemacht werden muss.
Ich muss sagen, dass mein Optimismus in den letzten Jahren nachgelassen hat, dass sich die Situation in absehbarer Zeit verbessern wird. Bisher ist es eher schlimmer geworden. Wir werden uns später um Barrierefreiheit kümmern ist der häufigste Satz der letzten Jahre. Klar Leute, wir warten dann einfach, bis ihr damit fertig seid.
Are blind people excluded from the modern world of digital work?

Barrierefreiheit – Konformität wird überschätzt

Fast jeden Monat gibt es eine größere Analyse von Websites auf Barrierefreiheit. WebAIM ist sicherlich die Bekannteste, aber nicht die Einzige. Meine Kritik an der WebAIM-Studie habe ich bereits anderswo zusammengefasst. Kurzgefasst geht es um die mangelhafte Aussagefähigkeit dieser automatischen Prüftools. Sie sind eine Erleichterung für Personen, die eine Website evaluieren oder das Qualitätsmanagement für zahlreiche Seiten verantworten. Als Analyse-Tool für große Datenmengen sind sie aufgrund ihrer strukturellen Schwächen und mangelnder Analyse-Tiefe unzureichend. Es ist wie beim Body Mass Index, hilfreich für einen Durchschnittswert, belanglos für den Einzelfall.
Simples Beispiel: Ich mache meine große MedienSeite barrierefrei, binde aber Inhalte über Dritte ein, die ich nicht beeinflussen kann. Werbung wird oft über Dritt-Services eingebunden und diese Networks werden mit Sicherheit nie erlauben, den Mindest-Kontrast oder die Blink-Frequenz zu steuern geschweige denn, dass man da Alternativtexte einsetzt. Heißt, der Kern der Website ist an sich nutzbar, aber wegen der nicht-steuerbaren Inhalte fällt man durch.
Richtig ist, dass diese Websites nicht konform im Sinne der WCAG sind, denn Konformität heißt, dass man einen gewissen Grad an Barrierefreiheit erfüllt. Allerdings wird hier mit den Begriffen unsauber gearbeitet. Als Beispiel nehme ich mal diese Studie“, man kann aber im Prinzip jede Studie nehmen, die auf rein quantitativen Methoden beruht.
Die Gleichungen:
Konformität mit einer Stufe der WCAG = barrierefrei – darüber kann man streiten. Es ist Konsens, dass Barrierefreiheit mehr ist als Konformität mit der WCAG, allerdings wird darüber gestritten, was dieses „mehr“ tatsächlich ist.
Aus dieser Gleichung folgt: Nicht-Konformität = Nicht-Barrierefreiheit. Das können wir einmal so hinnehmen.
Daraus wird gefolgert: Nicht-konform = Nicht-Benutzbarkeit für behinderte Menschen. Das ist leider falsch, wird aber häufig suggeriert.
Es mag sein, dass man gewisse Teile der Webseite nicht benutzen kann, wenn man eine bestimmte Behinderung hat. Ein simples Beispiel dafür ist der Mindest-Kontrast. Ich und andere Sehrestler kennen das Phänomen, dass der Kontrast einer dunklen Farbe auf einem hellen Grund schlechter wahrgenommen wird als der Kontrast bei umgedrehten Farben, also der Ton der Hintergrundfarbe als Schriftfarbe und die Schriftfarbe als Hintergrundfarbe. Der Kontrast wäre exakt gleich, aber das eine kann man noch lesen, das andere nimmt man nicht wahr. Oder wenn ich die in Windows integrierte Bedienungshilfen einsetze, kann ich ebenfalls Verbesserungen herbeiführen. Es wird aus gutem Grund gesagt, dass man als Web-Anbieter solche Dinge nicht einkalkulieren darf. Worauf ich hinauswill ist, dass schlechte Kontraste ein Problem sind, aber kein so schwerwiegendes. Ebensowenig interessiert mich, ob Insta oder Facebook überall Bildbeschreibungen bereit stellt. Das interessiert mich nur bei den Seiten bzw. Leuten, denen ich folge. Bei solchen Websites – insofern man sie überhaupt so nennen möchte – hängt es extrem vom geprüften Sample ab. Manche Betreiber werden extrem auf Bild-Beschreibungen und andere Faktoren achten und andere nicht. Wenn ich Letztere als Sample für meine automatische Analyse nehme, stellt sich die Frage, ob diese Daten repräsentativ für das gesamt Angebot sind. Hinzu kommt die Herausforderung von user-generiertem Content bei solch großen Portalen. Automatische Bildbeschreibungen werden nicht akzeptiert, aber die meisten Leute sind nicht bereit oder verfügen nicht über das Bewusstsein, Bild-Beschreibungen hinzuzufügen. Ist es der richtige Weg, das den Betreibern anzulasten? Wie viele Leute würden wohl Quatsch reinschreiben, wenn Bildbeschreibungen obligatorisch wären? Automatische Prüftools würden das aber honorieren, Hauptsache, es ist eine Beschreibung vorhanden.
Meines Erachtens, das habe ich oben zur Webbaim-Studie schon geschrieben, sind diese Analysen im Grunde gar nicht aussagekräftig. Sie werden weder den Anbietern noch den Nutzer:Innen gerecht. Ein Kuriosom am Rande, das Digital Journal, das auf besagte Studie verweist hat das Copyright in den Alternativtext geschrieben. So tappt man in die eigene Falle.
Die Gleichung nicht-konform = nicht-barrierefrei = nicht benutzbar für behinderte Menschen stimmt so einfach nicht. Dass wird mit diesen großen Zahlen aber impliziert, deshalb rezipiere ich diese Studien nur kritisch oder gar nicht.
Klar ist: Diese großen Samples lassen sich nicht mit vernünftigen Mitteln qualitativ analysieren, zumindest in absehbarer Zeit nicht. Meines Erachtens sind aber diese automatischen Prüftools, was die jetzige Qualität angeht, absolut unzureichend.
Was sie liefern können sind Vergleichswerte, ebenso wie der Body Mass Index hervorragend geeignet ist, Übergewicht im Schnitt zu ermitteln, aber wenig über das Übergewicht einzelner Personen aussagt. Wir können also ausgezeichnet Vergleiche sagen wir zwischen bestimmten Arten von Websites oder zwischen verschiedenen Ländern mit diesen Tools erstellen. Für qualitative Aussagen sind die Tools ungeeignet.
Die große Schwäche des Konzepts Konformität liegt darin, dass die Fehler nicht gewichtet werden. Ein fehlelnder Alternativtext, eine doppelt vergebene ID, fehlende Labels – aus der Sicht der Tools ist das alles das Gleiche.

Ausschreibungen zur Barrierefreiheit – realitätsfremde Erwartungen des öffentlichen Dienstes

Ihr merkt es, ich bin in Schimpflaune auf den öffentlichen Dienst. Nachdem der Staat die Barrierefreiheit entdeckt hat – die erste BITV ist ja erst 20 Jahre alt – kommen jetzt nach und nach die ganz großen Brötchen: Millionenschwere Ausschreibungen für Tests zur Barrierefreiheit von Webseiten, Erstellung Leichter oder Gebärdensprache und noch einiges mehr.
Ich hatte in einem anderen Beitrag geschildert, wie die Barrierefreiheits-Consulting-Struktur in der DACH-Region aufgestellt ist: Es sind vor allem Kleinnst-Agenturen, die solche Volumen wahrscheinlich nicht einmal dann stemmen könnten, wenn sie nicht ohnehin gut ausgelastet wären. Die Einzelunternehmer bleiben ohnehin außen vor.
Allerdings sind diese Unternehmen durch die Klauseln ohnehin ausgeschlossen: Da wird häufig ein Mindest-Umsatz oder Mitarbeitenden-Zahl eingefordert, die man nur bei großen Unternehmen findet.
Jüngstes Beispiel ist eine Ausschreibung der Knappschaft Bahnsee, dem Träger der Überwachungsstelle des Bundes. Da gab es ein Volumen von 800 Schnelltests über vier Jahre, kurze Zeit vorher schrieb der Bund ein Volumen von 25000 Seiten Leichte Sprache über vier Jahre aus. Es gibt in ganz Deutschland kein Leichte-Sprache-Büro, welches ein solches Volumen bewältigen kann. Den Vogel abgeschossen hat die IT NRW: Dort wollte man Schulungen, Tests und Consulting in hoher Zahl einkaufen. Gefordert wurden meiner Erinnerung nach mindestens 10 zertifizierte Software-Tester, Fachpublikationen, Präsenz auf Fachkonferenzen (in Deutschland?) und noch einiges mehr. Für mich las sich das so, als ob man im Prinzip alle kleinen und mittelständischen Unternehmen von Vorneherein ausschließen wollte.
Das traurige Spiel ist bekannt: Große Agenturen werfen sich mit Dumpingpreisen drauf und kaufen die Leistung dann billig ein: Die Tests werden in Ländern mit geringeren Löhnen durchgeführt – die Auslandstochter ist schnell gegründet, dann bleibt alles in der Firma. Behinderte Menschen müssen nicht eingebunden sein – die haben uns ja den Mist eingebrockt. Alternativ werden ein paar Studierende kurz eingelernt. Ich habe einige Barrierefreiheits-Berichte großer Agenturen gesehen: Sie sind künstlich aufgebläht, um Kompetenz vorzutäuschen, die Testqualität ist mangelhaft.
Das Tragische an der Geschichte ist, dass die ausgeschriebenen Volumen oft nicht annähernd abgefragt werden. Irgendwo in der Abstimmung zwischen den Bundes-Einrichtungen und dem Beschaffungsamt scheinen die Informationen verloren zu gehen. Die Idee ist einfach: Man kauft große Volumen gemeinsam ein, um den Gesamtpreis zu senken. Aber die Bundesbehörden nutzen diese Rahmenverträge anscheinend nicht, sondern beschaffen sich die Leistungen einfach selbst. Ob das billiger oder teurer ist, ist eine andere Frage.
Durch diese Politik schadet sich der Bund langfristig selbst. Natürlich kann ich günstigere Preise anbieten, wenn jemand große Volumen abnimmt. Wenn jemand aber große Volumen anfragt und Rabatte bekommt, diese Volumen aber nicht annähernd abgerufen werden, ist man kein guter Geschäftspartner. Zudem verhindert man auf diese Weise eine vernünftige Planbarkeit. Für ein großes Unternehmen spielt das keine so große Rolle. Für einen Freelancer ist der Bund ein unberechenbarer Kunde.
Wie kann man es besser machen?
1. Die Ausschreibungen müssen barrierefrei sein. Das ist leider oft nicht gegeben, ist aber gesetzlich gefordert.
2. Die Ausschreibungen müssen kleinere Volumen aufweisen. Ich denke, es ist dem Bund zumutbar, die Ausschreibungen bei 200.000 € pro Jahr zu deckeln, das gibt auch kleineren Agenturen die Chance, sich zu bewerben.
3. Es müssen zwingend Menschen mit Behinderung in den Barrierefreiheits-Projekten beteiligt sein. Vergessen wir mal nicht, dass es sich hier um öffentliches Geld handelt. Im Augenblick bezahlt man Nicht-Behinderte dafür, dass sie die Fehler von NIcht-Behinderten ausbügeln und das ohne die Beteiligung behinderter Menschen.

Jobs zur Barrierefreiheit – die realitätsfremden Erwartungen im öffentlichen Dienst

Ich beobachte ja seit einigen Jahren den Jobmarkt für Barrierefreiheits-Expert:Innen. Während im angloamerikanischen Raum ein gewisser Anstieg zu sehen ist, sieht es in Deutschland anders aus. Nach meinem subjektiven Gefühl, es fehlt die Daten-Basis, sind es vielleicht ein halbes Dutzend Stellen, die aktuell real verfügbar sind. Man muss dabei die Pseudo-Stellen wie etwa die von Materna abziehen, es ist kaum wahrscheinlich, dass ein großes Unternehmen so lange an so vielen Standorten nach Barrierefreiheits-Consultants sucht. Anlass für diesen Beitrag ist der Artikel The crisis is real: Where are the web accessibility professionals? bei WebAIM.
Nun gibt es diesen Mangel an Expert:Innen, vor allem, weil es bis heute weder in ausbildung noch im Studium vorkommt. Man muss sich das autodidaktisch aneignen oder gut Englisch können, weil es da reichlich Kurse zur Auswahl gibt.
Interessant ist aber, welch unrealistische Erwartungen gerade der öffentliche Dienst hat. Da wird tatsächlich ein Studium der Informatik oder vergleichbar eingefordert, als ob es nicht Informatiker:Innen gäbe, die nie mit HTML in Berührung gekommen sind. Und als ob das Testen auf Barrierefreiheit für diese Personen ein interessantes Betätigungsfeld wäre.
Aber nehmen wir an, wir haben so einen Wunderknaben: Warum sollte er sich im öffentlichen Dienst auf eine Stelle bewerben, die ähnlich wie eine Online-Redakteur:In besoldet ist? Nach meiner Beobachtung sind für solche Stellen TVÖD 12 bis 13 üblich. Das bekommen häufiger Menschen aus der Kommunikation, der einzige Bereich, den ich kenne. Das Gehalt ist für den öffentlichen Dienst durchaus nicht schlecht. Aber es ist weit weg von dem, was eine IT-Absolvent:In verdienen kann, die direkt in die IT geht oder gar in die Privat-Wirtschaft.
Faktisch hätten die meisten Leute, die heute in der Barrierefreiheit arbeiten keine Chancen auf diese Stellen, weil sie die formalen Voraussetzungen nicht erfüllen. Die meisten Consultants und Web-Entwickler:Innen, die ich kenne sind Quereinsteigende aus anderen Bereichen. Keiner hat eine bodenständige Informatik-Ausbildung gemacht. Andersherum ist die Web-Entwicklung für die meisten Informatiker:Innen nicht interessant: Wenn überhaupt, kann man in der regulären Software-Entwicklung deutlich mehr verdienen.
Fassen wir zusammen: Der ÖD hat nicht nur unrealistische Erwartungen, sondern zahlt auch zu schlecht. Meiner Erfahrung nach ist es auch mit der Inklusion oder der Nicht-Diskriminierung Behinderter im ÖD auch nicht so weit her. Ich kenne einige blinde mit IT-Ausbildung, die trotz Berufserfahrung nicht genommen wurden – wo ist wohl der Fachkräftemangel geblieben? Viele große Unternehmen und manch Mittelständler ist deutlich weiter, was Diversität und Inklusion angeht. Die Behörden sind vor allem ab der Führungsebene weiß, überweigend männlich, eher Müller und Schmitz statt Öztürk oder Wischnewski.
Mit der Barrierefreiheits-Kultur innerhalb der Behörden ist es Berichten Befreundeter auch nicht so weit her: So dauert es ewig, bis man die assistiven Technologien eingerichtet bekommt, gerne werden auch Systeme wie Citrix eingesetzt, welche die assistiven Technologien aushebeln. Die IT ist vor allem, was assistive Technologien angeht in der Steinzeit verblieben, übrigens auch bei den ansonsten gut ausgestattteten Bundesbehörden, in den Kommunen und Kreisen sieht es noch schlechter aus. Ausgerechnet der ÖD hat teils wesentlich schlechtere Arbeitsbedingungen für Behinderte als große Teile der Privat-Wirtschaft. Insgesamt würde ich keinem jungen Menschen, erst Recht keinem Behindertem, empfehlen, eine Karriere im ÖD zu starten. Die unglaublich langsamen, formalistischen und verkrusteten Prozesse findet man in vielen großen Organisationen, doch im ÖD sind sie noch hartnäckiger.
Es ist also kein Wunder, dass der ÖD keine Barrierefreiheits-Kompetenz aufbauen kann. Eventuell ist es sogar besser, dass er sie von Fremden einkauft.
Zu Beginn meiner Karriere hatte ich mich tatsächlich viel auf Stellen im ÖD beworben im irrigen Glauben, diese würden es mit der Anti-Diskriminierung ernst meinen. Heute bin ich froh, dass es damals nicht geklappt hat. Unabhängig von der Barrierefreiheit hat der ÖD, also die Verwaltung einfach die moderne Zeit verpasst. Im Privat-Unternehmen verdient man mehr, als Freelancer hat man mehr Freiheiten. Der ÖD ist für Barrierefreiheits-Profis schlicht nicht attraktiv.

Komponenten- statt Seiten-Tests – warum der BITV-Test nicht mehr ausreicht

Webseiten können heute aus tausenden von Unterseiten bestehen. Bislang ist der BITV-Test das bevorzugte Testverfahren in Deutschland. In Zukunft wird er in der jetzigen Form nicht mehr ausreichen.
Websites bestehen im Prinzip aus wenigen Modulen: Navigationen, Content, Seiten-Bereiche, die Suche und eventuell noch eingebette Inhalte. Dafür reicht der BITV-Test heute aus. Man nimmt sich die Navigation in verschiedenen Zuständen vor, die paar wichtigsten Templates, eventuell noch ein Formular – das wars. Mehr schafft man im Prinzip auch nicht. Auch wenn ein Großteil der 91 Prüfschritte ohnehin nicht anwendbar sind, so ist der Test doch sehr zeitaufwendig.
Die große Herausforderung besteht aber in komplexen Websites, die eventuell sogar aus unterschiedlichen Redaktionssystemen gespeist werden oder auf denen mehrere Module ähnliche Aufgaben erfüllen. Bei großen Körperschaften kann man sich etwa gut vorstellen, dass einzelne Abteilungen ihr persönliches Lieblings-Modul haben, um Formulare zu erstellen.
Und dann sind da natürlich noch komplexe Web-Anwendungen. Single Page Applikationen wie Google Docs erfordern meines Erachtens eine andere Herangehensweise als statische, auf Information ausgelegte Websites.
Für große Websites scheint ein Remmediationsservice wie Siteimprove am sinnvollsten zu sein. Niemand ist in der Lage oder hat die Ressourcen, für so viele Websites die Qualitätssicherung zu machen. Hier kann man mit einer Mischung aus automatischer Remediation und Nutzer:Innen-Feedback arbeiten.
Was den Test durch Menschen angeht, müssen wir hingegen priorisieren. Mein Vorschlag ist, sich zum Einen, die Anwendung in Komponenten zu zerleegen. Die einzelnen Komponenten werden dann auf Barrierefreiheit geprüft und die Verantwortlichen müssen sicherstellen, dass nur noch geprüfte Komponenten verwendet werden dürfen.
Zum Anderen sollte man aber auch einen exemplarischen Use Case von Anfang bis Ende durchtesten. Dabei sollten natürlich auch Falsch-Eingaben geprüft werden. Das heißt, wir testen nur den Teil, der vollständig zum Use Case gehört, nicht den „Rahmen“ der Website, den wir oben bereits geprüft haben.
Vorstellbar ist, dass die verantwortliche Einrichtung eine spezielle Evaluations-Anwendung erstellt, in welcher alle exemplarischen Module vorhanden sind. Besser ist es aber, wenn man Komponenten prüft, wie sie tatsächlich erstellt wurden. Das hat de Vorteil, dass man nicht auf Komponenten trifft, die extra für den Test optimiert wurden.