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Komponenten- statt Seiten-Tests – warum der BITV-Test nicht mehr ausreicht

Webseiten können heute aus tausenden von Unterseiten bestehen. Bislang ist der BITV-Test das bevorzugte Testverfahren in Deutschland. In Zukunft wird er in der jetzigen Form nicht mehr ausreichen.
Websites bestehen im Prinzip aus wenigen Modulen: Navigationen, Content, Seiten-Bereiche, die Suche und eventuell noch eingebette Inhalte. Dafür reicht der BITV-Test heute aus. Man nimmt sich die Navigation in verschiedenen Zuständen vor, die paar wichtigsten Templates, eventuell noch ein Formular – das wars. Mehr schafft man im Prinzip auch nicht. Auch wenn ein Großteil der 91 Prüfschritte ohnehin nicht anwendbar sind, so ist der Test doch sehr zeitaufwendig.
Die große Herausforderung besteht aber in komplexen Websites, die eventuell sogar aus unterschiedlichen Redaktionssystemen gespeist werden oder auf denen mehrere Module ähnliche Aufgaben erfüllen. Bei großen Körperschaften kann man sich etwa gut vorstellen, dass einzelne Abteilungen ihr persönliches Lieblings-Modul haben, um Formulare zu erstellen.
Und dann sind da natürlich noch komplexe Web-Anwendungen. Single Page Applikationen wie Google Docs erfordern meines Erachtens eine andere Herangehensweise als statische, auf Information ausgelegte Websites.
Für große Websites scheint ein Remmediationsservice wie Siteimprove am sinnvollsten zu sein. Niemand ist in der Lage oder hat die Ressourcen, für so viele Websites die Qualitätssicherung zu machen. Hier kann man mit einer Mischung aus automatischer Remediation und Nutzer:Innen-Feedback arbeiten.
Was den Test durch Menschen angeht, müssen wir hingegen priorisieren. Mein Vorschlag ist, sich zum Einen, die Anwendung in Komponenten zu zerleegen. Die einzelnen Komponenten werden dann auf Barrierefreiheit geprüft und die Verantwortlichen müssen sicherstellen, dass nur noch geprüfte Komponenten verwendet werden dürfen.
Zum Anderen sollte man aber auch einen exemplarischen Use Case von Anfang bis Ende durchtesten. Dabei sollten natürlich auch Falsch-Eingaben geprüft werden. Das heißt, wir testen nur den Teil, der vollständig zum Use Case gehört, nicht den „Rahmen“ der Website, den wir oben bereits geprüft haben.
Vorstellbar ist, dass die verantwortliche Einrichtung eine spezielle Evaluations-Anwendung erstellt, in welcher alle exemplarischen Module vorhanden sind. Besser ist es aber, wenn man Komponenten prüft, wie sie tatsächlich erstellt wurden. Das hat de Vorteil, dass man nicht auf Komponenten trifft, die extra für den Test optimiert wurden.

XING – Barrierefreiheit und User Experience können sie nicht

Xing und die BarrierefreiheitIrgendwann hat sich die Firma Xing in New Work SE umbenannt. Es bleibt zu hoffen, dass die Plattform kein Beispiel dafür ist, wie New Work aussehen soll. Die Plattform ist trotz mehrfacher Hinweise von unterschiedlichen Personen nicht auf die Idee gekommen, die Barrierefreiheit der Plattform zu verbessern. Auch die User Experience ist eine reine Katastrophe.
Als Quasi-Monopolist bei Karriere-Netzwerken in Deutschland sollte XING hier meiner Ansicht nach mehr tun. Ansonsten bleiben behinderten Menschen Möglichkeiten der Vernetzung verschlossen. LinkedIn spielt in Deutschland noch nicht die zentrale Rolle und hat seine Hausaufgaben im Übrigen auch besser gemacht. Ja, es handelt sich um ein Privat-Unternehmen. Aber das ist heute kein Argument mehr, die Barrierefreiheit vollständig zu ignorieren.
Insgesamt ist das Portal natürlich sehr umfangreich. Ich gehe deshalb nur auf die Bereiche ein, die ich persönlich kenne. Auch beziehen sich alle Aussagen in erster Linie auf blinde Nutzer.

Nachrichten

Das Erstellen und beantworten von Nachrichten ist mit XING für Blinde leider nicht möglich. Die Eingabefelder sowie die diversen Optionen sind nicht sinnvoll oder gar nicht benannt.

Die roten Felder korrigieren

Wer zum Beispiel ein Event im Event-Markt anlegt, erhält gelegentlich die Fehlermeldung, er solle die roten Felder korrigieren. Ein toller Service, warum wird in der Fehlermeldung nicht direkt auf die Fehlerquelle verwiesen? Das würde auch die Usability deutlich verbessern.
Insgesamt sind leider alle Formulare teilweise nicht zugänglich. Bei einigen Feldern ist die Zuordnung zwischen Beschriftung und Eintrag nicht eindeutig.
Man hält sich bei Xing nicht an die simpelsten UX Patterns. Ein Beispiel: Wenn ich einen Button drücke, erwarte ich eine Erfolgs- oder Fehler-Meldung. Bei XING verändert sich der Button kurz, man wird aber nicht darüber informiert, ob die Änderungen gespeichert wurden oder ob es Einggabefehler gab. Die Änderung ist auch rein visuell, also nicht für Blinde.
Die schlechte User Experience entsteht dadurch, dass offenbar der Event Markt aus der Plattform ausgelagert wurde. Man erstellt und bearbeitet kostenlose Events auf xing.de, wird das Event kostenpflichtig, wird man auf eine andere Plattform umgeleitet, bei der man sich erneut einloggen soll. Diese Plattform wiederum war so unübersichtlich, dass ich gleich darauf verzichtet habe, mich damit zu beschäftigen.

Keine Alternativtexte für Grafiken

Zwar können Grafiken hochgeladen werden. Doch gibt es nicht die Möglichkeit, alternative Beschreibungen für Blinde zu hinterlegen.
Das ist auch deshalb dumm, weil dass sowohl Google als auch die XING-eigene Suchmaschine daran hindert, den Inhalt der Bilder zu indexieren.

Dialogboxen

Der exzessive Einsatz von Lightboxen ist eine der größten Barrieren auf XING. Für Tastaturnutzer und Screenreader-Nutzer poppen sie einfach irgendwo innerhalb der Seite auf, etwa dann, wenn ein Kontakt bestätigt oder eine Anzeige erstellt wird. Die initiale Cookie-Message befindet sich für Blinde am Ende der Tastatur-Reihenfolge. Die Cookie-Meldung war wohl als modaler Dialog gedacht, mit der Maus kann man außerhalb nichts aktivieren, mit der Tastatur allerdings schon.

Gruppen-Administration

Leider sind auch die Funktionen zur Gruppen-Administration für Blinde absolut unzugänglich. Die Funktionen etwa zum Löschen oder Melden von Beiträgen werden blinden Nutzern gar nicht angezeigt.

XING Events ist nicht barrierefrei

Leider ist auch XING Events sowie der Ticket-Shop von XING bezüglich der Buchung von Tickets nicht barrierefrei. Bei diesem Status möchte ich dringend davon abraten, diesen Service für die eigenen Veranstaltungen zu nutzen.

Fazit: XING hat in drei Jahren nichts dazu gelernt

Die ursprüngliche Version dieses Artikels erschien im März 2019. Ich habe ein wenig Verständnis dafür, wenn kleine Plattformen ihre Plattform nicht barrierefrei machen können. Da fehlt schlicht Zeit und Ressourcen. Beides dürfte auf XING nicht zutreffen.
Die beschriebenen Probleme zu beheben ist nun wirklich kein Hexenwerk. Focus Trap für modale Dialoge, ARIA Expanded und Collapsed, anständiges Focus Management, korrekte Beschriftungen, XING ist wirklich keine komplexe Website. Ein paar Dutzend Entwickler:Innen-Stunden dürften reichen. Mir zeigt das Verhalten, dass XING das Thema Barrierefreiheit vollkommen egal ist.

Das Problem ist nicht die Barrierefreiheit, sondern der Prozess

Mookup zur DigitalisierungSagen wir es offen: So, wie Barrierefreiheit heute umgesetzt wird, ist sie teuer, suboptimal und wir werden vielleicht erst in vielen Jahren durchschlagende Erfolge sehen. Nun kostet es Geld, vor allem, weil man es jahrzehntelang verschlafen hat. Die USA haben – im übrigen unter einer konservativen Regierung – vor über 30 Jahren große Teile der Privat-Wirtschaft zur Barrierefreiheit verpflichtet. Auch in den USA gibt es viele Probleme, doch Deutschland hängt nach wie vor weit hinterher. Obwohl wir wissen, dass wir viele 10000 barrierefreie Wohnungen und Häuser brauchen, obwohl die alternde Bevölkerung auf stufenfreie Zugänge bei Kultur und Verkehr angewiesen ist, obwohl viele Ärzt:Innen-Praxen nicht barrierefrei sind, passiert relativ wenig.
Mir scheint die Ursache des Problems aber relativ klar zu sein. Es ist nicht die Barrierefreiheit an sich, sondern die Art, wie die Prozesse gestaltet sind.
Ein Beispiel: Eine Behörde möchte eine Broschüre erstellen. Person X schreibt den Text, Agentur Y erstellt ein druckbares PDF darauf, Agentur Y macht es barrierefrei. Das für den Druck optimierte, halbwegs barrierefreie PDF wird dann ins Internet gestellt. So banal, so blöd. Würde man eine Stufe früher ansetzen und das Dokument mit einer flexiblen Sprache wie XML gestalten, könnte man das Dokument in einem Schritt für den Druck, für die Website und zum Herunterladen optimieren. Ich bin ja ein bekennender PDF-Hasser, aber selbst ich wäre mit so einem Prozess einverstanden. Nur Sehende glauben an perfekt barrierefreie PDFs, sie müssen sie ja nicht nutzen.
Oder: Behörde druckt Formular aus, Blinder muss es mit fremder Hilfe ausfüllen und an Behörde schicken, Behörde scannt es ein.
Ein weiteres Beispiel: Es gibt ein Set an Corona-Regeln. Würde man einmal das komplette Set in einfache Sprache, Leichte Sprache und Gebärdensprache übersetzen und den Ländern zur Verfügung stellen, könnten die Gesetzgeber:Innen exakt die Regeln in diesen Formaten veröffentlichen, die in ihren jeweiligen Gebieten gelten. Stattdessen wird wenig bis gar nichts in verständlichen Formaten umgesetzt – das Argument, Geld. Es gibt aber ein Menschenrecht auf verständliche Informationen.
Die Kern-Botschaft jedes Barrierefreiheits-Vortrags lautet: Denken Sie Barrierefreiheit von Anfang an mit. Das wird meiner Erfahrung nach kaum beherzigt. Vielleicht sollten wir unsere Botschaft so ändern: Denken Sie Ihre Prozesse auf die Art neu, dass Barrierefreiheit immer von Anfang an mitgemacht und mitgedacht wird.
Ähnlich wie bei der Digitalisierung hängt das Problem wohl damit zusammen, dass große Organisationen und vor allem der öffentliche Dienst sich extrem schwer damit tun, bestehende Prozesse destruktiv anzugehen, also einmal komplett zu überdenken. Es gibt keine Fleißpunkte für Barrierefreiheit und es gibt auch keine Oskars dafür, besonders viel Geld investiert zu haben. Das Ergebnis zählt.
Das führt dazu, dass täglich hundertfach gegen Barrierefreiheit verstoßen wird. Ausschreibungs-Unterlagen müssen barrierefrei sein, sind es aber nach wie vor vielfach nicht, weil die verwendeten Programme keine barrierefreien PDFs erzeugen können. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich geschützte, vom Screenreader nicht lesbare oder gar eingescannte Bilder im PDF erhalte.

Ist Jaws besser als NVDA – Screenreader Wars

Ich nutze jetzt seit rund 20 Jahren Screenreader. Und eine Tendenz ist eindeutig: Die Monopolisierung. Pro Plattform gibt es nur noch ein bis zwei konkurrenzfähige Produkte. Der Rest ist pleite gegangen oder aufgekauft worden, jüngstes Beispiel ist Window Eyes. Es wurde aufgekauft und dicht gemacht. Bis dato war dessen Marktanteil gegenüber Jaws stetig am Steigen.

Jaws – die Wundertüte

Für die einen ist Jaws voller nützlicher Funktionen. Für die anderen ist da eine Menge aufgeblasenes Zeug, das man nie im Leben benötigt. Jaws ist das Microsoft Office unter den Screenreadern. Irgendwas müssen sie ja tun, um die 3000 € pro Jaws-Lizenz zu rechtfertigen. Interessant auch, dass Jaws in den USA wesentlich günstiger ist. In Deutschland hingegen darf man auch für jedes größere Update zahlen.
Leider haben die meisten Blinden nicht verstanden, was der Hauptgrund dafür ist: NVDA ist gewollt schlank. Viele Funktionen sind in die Erweiterungen ausgelagert. Bei den meisten Funktionen von Jaws dürfte es so sein, dass sie vielleicht von einer Promille Blinder verwendet werden. Jede Funktion kann aber auch Bugs mit sich bringen und die Software verlangsamen und unübersichtlich machen. Legendär ist ob seiner Unübersichtlichkeit der Konfigurationsmanager von Jaws.

Jaws frisst die Barrierefreiheit

Eine der schlechtesten Nachrichten für die Barrierefreiheit war meines Erachtens die Übernahme der Paciello Group durch Whispero. Whispero ist der Mutterkonzern von Jaws, Zoomtext und vielen anderen Unternehmen aus diesem Kontext. Jaws und Zoomtext sind übrigens auch nur zugekauft, man fragt sich, ob Whispero irgendwas selbst gemacht hat.
Seit dieser Akquisition kann man TPGi, wie sie sich jetzt nennen eigentlich nicht mehr ernst nehmen. Alles, was man liest ist Jaws hier und Jaws da. Es gibt ernsthaft ein kostenpflichtiges Tool, mit dem man Anwendungen auf Jaws-Kompatibilität testen kann. Die wollen also Geld dafür haben, dass man eine Software auf ihren Screenreader optimiert. Weiter geht der Unsinn mit Jaws Connect – damit sollen Jaws-Nutzer mitteilen können, wenn sie Probleme mit der Barrierefreiheit haben. Das ist so ziemlich das überflüssigste Tool, von dem ich bisher gehört habe.
Nebenbei bemerkt ist Jaws leider für Barrierefreiheits-Tests ungeeignet. Es hält sich nicht an Barrierefreiheits-Standards. Ist ein Formularfeld zum Beispiel nicht gelabelt, versucht Jaws das Label zu erraten. Das funktioniert oft gut und freut die Nutzer. Nur blöd für jene, die kein Jaws nutzen und als Argument hören „Mit Jaws funktioniert es“.

Die Kostenlos-Mentalität der Blinden

Man sieht einmal mehr, wie weit verbreitet die Kostenlos-Haltung unter Blinden ist. Man bekommt beides umsonst: NVDA, weil es eh kostenlos ist, Jaws, weil es die Krankenkasse bezahlt.
Gleichzeitig erwartet man, dass das vielleicht 15 Jahre alte NVDA, das im Wesentlichen von Freiwilligen entwickelt wird die gleichen Leistungen bringt wie ein gut 25 Jahre alter Screenreader, der von einem großen Team entwickelt wird und wahrscheinlich ein zweistelliges Millionenbudget pro Jahr hat. Scheiß drauf, dass das für die meisten Blinden der Welt nicht leistbar ist.
Ein großer Vorteil von NVDA bzw. dem Sprach-Synthesizer eSpeak ist, dass es zahlreiche verschiedene Sprachen gibt. Während die großen Hersteller von Sprachausgaben nur die Sprachen großer oder reicher Länder unterstützen, findet man in eSpeak auch indische oder afrikanische Sprachen, die wie das Leben so ist die großen Hersteller nicht interessieren, weil man mit diesen Regionen nicht genug Geld verdienen kann. Sprachen, die von Dutzenden Millionen Menschen gesprochen werden, abgesehen davon, dass hier die meisten Blinden leben.
Meine Antwort ist also nein: Jaws ist nicht besser. Nicht wegen der Preis- und Update-Politik, nicht wegen des Aufkaufens und Plattmachens der Konkurrenten, nicht wegen der Barrierefreiheit, nicht wegen der schlechten Software-Qualität. Wenn die Leute glücklich mit Jaws sind, dann sollen sie es nutzen, aber daraus generelle Aussagen abzuleiten, halte ich für falsch.

Accessibility Challenge – werden Sie grau

FarbkreisIch bin ja ein Freund von Maßnahmen zur Sensibilisierung. Deswegen starte ich eine kleine Reihe von Challenges, die Interessierte für Barrierefreiheit sensibilisieren sollen. Unsere erste Challenge ist, eine Zeit lang mit Graustufen zu arbeiten.
Hintergrund ist, dass Farbe nach wie vor ein zentrales Merkmal der Kommunikation ist. Der Status eines Elements, Herhorhebungen, Links und so weiter werden häufig ausschließlich über Farbe kommuniziert. Dessen werden wir uns nur bewusst, wenn wir die Farbe ausschalten.
Farb-Fehlsichtigkeit dürfte eine der am weitesten verbreiteten Probleme der Barrierefreiheit sein. Rund 8 Prozent aller Männer und ein Prozent aller Frauen haben damit zu kämpfen. Gleichzeitig dürfte aber Farbe eines der wichtisten Kommunikationsmittel sein.
Das Schöne ist, dass die Graustufen sehr einfach aktiviert und deaktiviert werden können. Legen wir also los. Wir starten mit Windows 10.

Windows 10 in Graustufen

Rufen Sie zunächst das Start-Menü von Windows auf. Geben Sie dann in der Suche „Farbfilter“ ohne Anführungszeichen ein. Rufen sie den entsprechenden Punkt auf.
Screenshot der Farbfilter
Bei der Funktion Farbfilter einschalten aktivieren Sie den Schalter. Darunter können Sie dann den Farbfilter Graustufen aufrufen. Um die Graustufen-Darstellung wieder zu aktivieren, deaktivieren Sie einfach den Farbfilter wieder.
Die unter den Graustufen angezeigten Farbfilter richten sich speziell an Farbenblinde. Sie sollen bestimmte Farben verstärken, die von den Betroffenen nicht erkannt oder unterschieden werden können, sind also für unsere Zwecke nicht sinnvoll.

Für andere Systeme

Graustufen-Filter gibt es auch für andere Betriebssysteme.

Der Sinn der Übung

Natürlich werden wir die Welt nie so wahrnehmen wie jemand mit einer echten Farb-Fehlsichtigkeit. Das Ziel ist lediglich, Sie für das Thema zu sensibiilisieren und außerdem eine leichte Prüf-Möglichkeit an die Hand zu geben.

Die Kluft zwischen Barrierefreiheits-Spezialist:Innen und Betroffenen


In den letzten Jahren beobachte ich, dass die Kluft zwischen Betroffenen und Barrierefreiheits-Spezialist:Innen weiter auseinander geht. In diesem Beitrag möchte ich das an einigen konkreten Beispielen zeigen. Ich lasse mal den Fakt außen vor, dass es auch betroffene Spezialist:Innen gibt.

Nicht-barrierefreie PDFs

PDF können ebenso barrierefrei sein wie barrierefreie Webseiten. Die Betonung liegt auf können. Es ist kein Zufall, dass HTML die Referenz für barrierefreie PDF ist und nicht umgekehrt. In meiner langen Karriere habe ich wenige PDFs gesehen, welche die Qualität einer mittelmäßig barrierefreien Webseite erreicht hatten – bei vergleichbarer Komplexität versteht sich.
Das Problem lässt sich sehr einfach zusammenfassen: PDF ist nicht für Barrierefreiheit ausgelegt und im übrigen auch nicht für Responsivität. Neben Cookie-Bannern sind PDFs eine der nervigsten Usability-Bugs auf Webseiten. Man setzt am falschen Ende an: Statt bereits im Produktions-Prozess das Thema Barrierefreiheit vorzusehen, wird zunächst ein für den Druck optimiertes PDF erzeugt, das hinterher barrierefrei gemacht und ins Internet gestellt wird. Ein teurer und blödsinniger Prozess. Aber alle sind glücklich. Die Anbieter:In muss ihre Prozesse nicht optimieren und die Spezialist:In verdient an jedem Fehler, den die Gestalter:Innen im PDF gemacht haben. Der Betroffene kommt in dieser Geschichte leider nicht vor. Wäre die Barrierefreiheit ein Whodunit-Krimi, wäre der Betroffene das Mordopfer, über ihn wird gesprochen, aber nicht mit ihm.
Den Wenigen, die es hören wollen sage ich, dass ich eine Webseite oder ein Office-Format jedem barrierefreien PDF vorziehe.
Aus User:Innen–Perspektive ist es im übrigen egal, ob es an der assistiven Technologie, am Lese-Programm oder am PDF liegt. Als Nutzer:In möchte man ein Dokument lesen oder damit arbeiten, nicht sich mit Standards und deren Problemen herumschlagen.

Das Language-Attribut

Das Language-Attribut dient dazu, dem Screenreader oder anderen Vorlese-Tools mitzuteilen, in welcher Sprache ein Inhalt vorgelesen werden möchte. Die meisten fortgeschrittenen Sprachausgaben-Nutzer:Innen, die ich dazu befragt habe, schalten den automatischen Sprachwechsel ab. Den Hintergrund habe ich an anderer Stelle ausführlich dargestellt. Sicherlich gibt es Blinde, die mehrsprachig unterwegs sind und denen es nichts ausmacht, wenn der Screenreader ständig die Sprache ändert. Das ist allerdings eine Minderheit. Jeder mir bekannte Screenreader erlaubt das manuelle Umschalten der Synthesizer-Sprache, aber nicht alle erlauben die Abschaltung des automatischen Sprachwechsels.
Bei den Spezialist:Innen, etwa bei den Verantwortlichen des BITV-Tests, geht das in einem Ohr rein und zum anderen raus. Sie verlangen, dass jedes Fremdwort mit der entsprechenden Sprache ausgezeichnet wird.

Alternativtexte

Die meisten Diskurse mit Spezialist:Innen habe ich bezüglich Bild-Beschreibungen. Die Seite X erzeugt aus dynamischen Daten Diagramme. Das verwendete Framework erzeugt automatisch eine Bild-Beschreibung, in welche etwa die Zahl der Säulen oder Balken und deren Werte zusammengefasst werden. Dazu auch noch auf Englisch auf einer deutschen Webseite.
Ich sage, hier ist eine – vorhandene – CSV tatsächlich die bessere Alternative. Es mag Fälle geben, in denen die Form des Diagramms und deren visuelles Aussehen für einen Blinden relevant ist – mir fällt allerdings keiner ein. Der Spezialist sagt mir aber, die Richtlinie XY schreibt einen Alternativtext vor.

Barrierefrei, aber eine Usability-Katastrophe

Viele Anwendungen sind auf dem Papier barrierefrei, aber eine reine Katastrophe, was die Usability angeht. Mein Lieblings-Beispiel ist hier Microsoft Teams sowohl auf dem Desktop als auch auf dem Browser. Microsoft hat hier das schlechteste aus zwei Welten – Desktop und Mobil – zusammengenommen und daraus eine schicke Anwendung für Sehende gemacht. Für Blinde ist die Anwendung eine reine Katastrophe. Das schnelle Bewegen innerhalb der App erofrdert das Auswendig-Lernen zahlloser Tasten-Kombinationen. Die App ist dermaßen verschachtelt, dass man häufig 10 mal klicken muss, um einen gewünschten Bereich zu erreichen.
Und das gilt auch für zahlreiche andere Anwendungen. Sollte sich, wie absehbar, ein großer Teil der Software in den Browser oder halbe Web-Apps verlagern wird es immer schwieriger.
Mir graut ein wenig vor der Zukunft, in der wir solche Programme nutzen müssen. Wenn sich nicht drastisch etwas in der Software-Entwicklung oder in den assistiven Technologien ändert, sehe ich für Blinde mit IT-Bezug keine effiziente Arbeits-Möglichkeit mehr.

Fazit

Ich bin ja eigentlich ein lösungs-orientierter Mensch. Leider kann ich in diesem Fall keine Lösung anbieten. Vielleicht gehört es auch zum Spezialistennentum,, sich für allwissend zu halten und sich für die Meinung Betroffener nicht mehr zu interessieren. Es ist ja auch interessant, dass man Millionen für formale Tests aufwendet, aber Nutzer:Innen-Tests angeblich zu teuer sind.
Für mich persönlich habe ich die Konsequenz gezogen, mich mit vielen Spezialist:Innen gar nicht mehr zu unterhalten. Ich setze auf Personen, die neu in das Thema einsteigen bzw. sich nicht hauptsächlich mit Barrierefreiheit beschäftigen. Dort bin ich auf deutlich mehr Offenheit gestoßen.

Zum Weiterlesen

Die perfekte Hindernis-Erkennung für Blinde

TreppenaufgangFür Blinde ist die Erkennung von Hindernissen eine große Herausforderung. Große Hindernisse von der Hüfte bis zum Fuß lassen sich mit dem Blindenstock überwiegend gut ausmachen. Kopf und Oberleib hingegen sind vom Stock überhaupt nicht erfasst. Dazu kommt das Problem, das manche Hindernisse zu spät erfasst werden. Natürlich käme auch ein Blindenführhund als Hilfe in Frage, das ist aber nicht für jeden Blinden das Richtige.
In den letzteJahren haben sich diverse Zusatz-Geräte entwickelt, die bei der Erkennung von Hindernissen helfen sollen. Sie basieren auf Infrarot oder Ultraschall und informieren per Vibration oder Ton über Hindernisse. Die Geräte verbergen sich in Schuhen, als Erweiterung des Blindenstocks oder als anderes Wearable. Große Begeisterung hat keines dieser Geräte ausgelöst, soweit ich die Situation kenne. Hier also ein paar Ideen, wie eine Hindernis-Erkennung perfektioniert werden kann. Ich sage ausdrücklich dazu, dass ich von den bisher verfügbaren Geräten noch keines ausprobiert habe und deren Fähigkeiten daher nicht beurteilen kann.

Anpassbarkeit ist entscheidend

Es gibt große, kleine, schmale und breite Menschen. Eine Hindernis-Erkennung kann nur etwas taugen, wenn sie an die diversen Körpergrößen angepasst werden kann. Ansonsten sendet sie zu viele irrelevante Warnungen aus.
Bei Blinden arbeitet man in der Regel mit der Analogie einer Analog-Uhr, um die Position eines Hindernisses anzusagen. 3 Uhr ist rechts, 6 Uhr ist links, 12 Uhr ist geradeaus und so weiter. Daneben wäre noch die Position eines nicht-massiven Hindernisses wie eines Rückspiegels oder eines Astes interessant. Auch das müsste ein entsprechendes Tool ansagen, dafür ist wiederum die Körpergröße und -Breite einer Person wichtig. Dazu reicht die Ansage des Körperteils, also zum Beispiel: „Ast auf Kopfhöhe rechts“, „Rückspiegel auf Hufthöhe links“ etc.
Daneben wäre es sinnvoll, wenn eine lernende Software-Lösung verwendet wird. Menschen laufen unterschiedlich schnell, das ist ein wichtiger Faktor. Wird man zu spät vor einem Hindernis gewarnt, stolpert man darüber, wird man zu früh gewarnt, weiß man nicht, was man tun soll.
Die Krux aller Lösungen ist der Grad an Warn-Genauigkeit. Werden zu wenige Warnungen ausgesendet, kann man im Zweifelsfall auf das Gerät verzichten. Werden zu viele Warnungen ausgesendet, verunsichert das die tragende Person und hilft ebenfalls nicht weiter. Nun ist das natürlich auch eine Frage der persönlichen Vorlieben, auch deshalb wäre ein lernender Algorithmus wichtig.

Intelligente Objekt-Erkennung

Eine intelligente Objekt-Erkennung wäre sinnvoll. Das klingt komplizierter als es ist. Es gibt im Straßenverkehr eine Handvoll Objekte, die immer wiederkehrt: Pfähle von Schildern und Laternen, Fahrräder, Roller, Autos, Mülltonnen, Aufsteller, Tische und Stühle von Cafés, Hauswände, Stufen von Treppen, Zuäune oder Absperrungen von Baustellen, niedrige Mauern… Daneben gibt es natürlich noch lebendige, also sich eventuell bewegende Dinge wie Menschen, Hunde bzw. bewegte Objekte wie Fahrräder, Roller und Autos. Eine Objekt-Erkennung könnte einem sagen, was man vor sich hat, wo es sich ungefähr befindet und ob sich das Objekt bewegt.
Bei beweglichen Hindernissen wäre es natürlich toll, wenn die Software in etwa ermitteln kann, wohin sich das Objekt bewegt. Für einen Blinden ist wichtig, ob die Person ihm entgegenkommt, den Weg kreuzt oder ganz woanders hingeht, selbiges natürlich bei Fahrrädern, Autos etc.
Eine Objekt-Erkennung im weiteren Sinne gibt es bereits. So kann die iPhone-App SeeingAI bereits Szenen beschreiben.
Weiß der Blinde, was für ein Hindernis er vor sich hat und kennt seine ungefähre Position, kann er sich sein Verhalten zurechtlegen. Ein Roller erfordert ein anderes Verhalten als ein Fahrrad oder eine Person, die im Weg steht.
Ein Problem bisheriger Lösungen ist, dass sie nur aufragende Hindernisse erkennen können. Das gilt insbesondere für Geräte, die nicht am Oberkörper befestigt sind. Nun sind aufragende Hindernisse natürlich wichtig, gefährlich sind aber auch Hindernisse wie nach unten führende Treppen oder gar Gruben. Solche Objekte können meines Erachtens nur mit intelligenter Objekterkennung erkannt und beschrieben werden.

Integrierte Gesamt-Lösung

Im Augenblick bin ich tatsächlich abgeneigt, mir weitere Geräte zuzulegen. Stand-Alone-Geräte haben sicherlich ihre Berechtigung. Aber gerade für die Besitzer von Smartphones wären integrierte Gesamt-Lösungen besser. Besitzt man ohnehin eine smarte Kamera, die etwa Text erfassen kann, sollte diese auch die Hindernis-Erkennung übernehmen.
Für das oben dargestellte Szenario wäre ohnehin ein Computer notwendig. Zwar kann man im Prinzip überall ein kleines Betriebssystem einbauen. Aber die Software aktuell zu halten ist mit solchen Geräten eher schwierig. Und es wäre auch Ressourcen-Verschwendung. Wozu zwei Computer, wenn das Smartphone ohnehin die nötige Rechenpower hat?

Fazit

Wir haben gesehen, dass das Thema extrem komplex und nicht einfach zu lösen sein wird. Wir haben zum Beispiel gar nicht über das Thema Beleuchtung gesprochen. Bei Infrarot-Strahlung oder Ultraschall spielt es keine Rolle, ob es hell oder dunkel ist. Bei den hier vorgeschlagenen Systemen geht es aber eher um Kamera-basierte Geräte, die auf ausreichend Beleuchtung angewiesen sind.
Klar ist, die Basis der Orientierung wird bis auf absehbare Zeit der Blindenstock und das persönliche Orientierungsvermögen bleiben. Ein Blindenführhund kann den Blinden auf dem Hund bekannten Wegen führen oder Hindernissen ausweichen, aber er kann keine Umgebungen erkunden oder komplexere Ausweich-Routen herausfinden. Alle Geräte haben die Neigung, im unpassenden Moment kaputt zu gehen oder entladen zu sein. Die Klicksonar-Technik und ähnliche Methoden haben vielen Menschen geholfen, vielen Anderen aber nicht.

Lohnt sich eine Mitgliedschaft in der International Association of Accessibility Professionals (IAAP)?

Normalerweise bin ich ein Freund von Zusammenschlüssen. Man kann sich fachlich austauschen, neue Kontakte bekommen und eventuell sogar Auftraggeber gewinnen. Seit die International Association of Accessibility Professionals (IAAP) ihren deutschen Ableger gegründet hat, bin ich tatsächlich auch Mitglied geworden. Ich habe mich allerdings entschlossen, meine Mitgliedschaft auslaufen zu lassen und möchte hier die Gründe darlegen.

Die IAAP ist eine Zertifizierungs-Organisation

Es war wohl ein Geburtsfehler der IAAP, dass sie von Anfang an ein Zwitter ist. Sie möchte zugleich eine Mitglieder-Organisation und eine Zertifizierungs-Organisation für Barrierefreiheits-Expertise sein.
Und wie das so ist, man kann beidem nicht gerecht werden. Der Mitglieder-Bereich ist sowohl in der Haupt-Organisation als auch in Deutschland irrelevant. Die gleichen Disskussionen findet man auf der WAI-Liste oder auf Slack-Channels. Die Webinare sind vollkommen uninteressant. Die Weiterbildungen, die man teils vergünstigt oder kostenlos bekommt, sind in Ordnung, aber dafür brauche ich die Mitgliedschaft nicht.
Interessant ist nebenbei, dass keiner der Granden der nationalen oder internationalen Barrierefreiheits-Szene sich zu einer Mitgliedschaft in der IAAP bekennt. Sie halten wohl die Organisationfür überflüssig.

IAAP DACH und BIK – Brüder im Geiste

Kommen wir zum deutschen Ableger. Man kann einen Newsletter abonnieren, kaum bespielt wurde. Auf dem Twitter-Kanal werden seltsames Zeug und Informationen von BIK-Leuten verbreitet. Ich bin weiß Gott kein PR-Mensch, aber ich könnte das mit meiner knappen Zeit besser machen.
Die Organisation wird praktisch von BIK-Leuten beherrscht, also Personen, die den BITV-Test maßgeblich entwickeln. Und genau so verhalten sie sich auch. Intransparent und nicht-kommunikativ. Außer der Anfrage, ob man sich an den Übersetzungen der Prüfungen beteiligen möchte habe ich bis heute kaum etwas gehört.
Das passt auch insgesamt gut zusammen. Sowohl die BIK als auch die IAAP haben meine Kritik an den BITV-Prüfverfahren bzw. den IAAP-Zertifikaten ignoriert. Mein Hinweis darauf, dass es bei der IAAP an behinderten Menschen in vorderster Reihe fehlt, dass die Zertifikate Informationen und nicht konzeptionelles Wissen abfragen und der Fakt, dass der ganze Spaß mit den Zertifizierungen enorm teuer ist.
Mein Schluss ist, dass sich hier zwei gefunden haben: Für Barrierefreiheit zu sein heißt eben nicht, dass man behinderte Menschen als Akteure ernst nimmt. Wie so oft sehe ich bei den IAAP-Leuten eine paternalistische Grundhaltung, ebenso wie bei den BIK-Verantwortlichen.
Gemeinsam ist der IAAP und dem BIK die große Beratungs-Resistenz. Man interessiert sich weder für die Kritik aus der Community noch nimmt man sie überhaupt wahr. Das hat nichts mit Barrierefreiheit zu tun.
Die Zertifikate halte ich, wie erwähnt, nicht für aussagekräftig. Abgesehen davon haben solche Verfahren den Trend, sich zu Selbstläufern zu entwickeln. Irgendwann geht es nur noch darum, möglichst viele Leute durch die Prüfung zu schicken – oder durchfallen zu lassen – einfach, weil man die Einnahmen braucht. Das ist eine Gelddruckmaschine und das muss man nicht unterstützen.
Man sieht es auch an anderen IAAP-DACH-Veranstaltungen: Unter den Referierenden sind behinderte Menschen praktisch nicht präsent, Ausnahmen sind staatliche Funktionäre, aber die zählen meines Erachtens nicht.

Die IAAP ist weder inklusiv noch barrierefrei

Es ist merkwürdig, dass die IAAP anderen erzählt, wie sie barrierefrei und inklusiv werden. Man hört aber nichts darüber, was die IAAP tut, um barrierefrei und inklusiv zu werden. Die IAAP hat keine öffentlich zugängliche Strategie, um die Zahl behinderter Menschen zu erhöhen, die an ihren Prozessen teilhaben. Sie selbst ist kein Beispiel für Barrierefreiheit: Die öffentlich zugänglichen PDFs sind zwar getaggt, aber es gibt zahlreiche offensichtliche Fehler, die eine blinde Mitarbeiterin oder eine QS hätten aufspüren können (Stand Februar 2024, Beispiel Syllabus zum CPACC-Eam): So sind etwa zahlreiche Aufzählungs-Texte als Überschriften ausgezeichnet, während die eigentlichen Überschriften gar nicht ausgezeichnet sind. Vielleicht sollten die IAAP-Mitarbeiter mal die von ihnen formulierten Anforderungen erfüllen und mit gutem Beispiel vorangehen. Auch von Plain Language kann bei der IAAP keine Rede sein.
Dafür werden aber destruktive Organisationen wie Overlay-Anbieter mit offenen Armen aufgenommen und dürfen sogar Panels unter der Marke IAAP ausrichten, zum Beispiel auf der Zero Con 2024.

Fazit

Ich habe daraus den Schluss gezogen, dass ich diese Organisation nicht mit meiner Mitgliedschaft adeln möchte. Ich werde die 200 Dollar Mitgliedsgebühr an NVDA spenden, sie kümmern sich wirklich um Barrierefreiheit.

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Wie findet man einen kompetenten Dienstleister für digitale Barrierefreiheit

Stilisierter Sherlock Holmes mit LupeDa mir die Frage häufig gestellt wird, möchte ich heute gerne darauf eingehen, wie Sie einen kompetenten Dienstleister in Sachen barrierefreie Webseiten und barrierefreie PDF finden. Leider gibt es auch schlechte Dienstleister zur Barrierefreiheit wie Sapera Studios.

Barrierefreiheit ist ein Thema wie jedes Andere

Zunächst einmal sollten Sie genau so vorgehen wie in jedem anderen Bereich auch. Das heißt: Marketing-Bla-Bla ignorieren, Referenzen prüfen und vor allem auf konkrete Informationen achten. Je wager die Informationen zur Barrierefreiheit sind und je tiefer das Thema auf der Webseite vergraben ist, desto weniger wichtig scheint es dem Dienstleister zu sein. Außerdem sollten Sie einmal bei anderen Einrichtungen aus Ihrer Branche fragen, ob dort bereits gute Erfahrungen mit einem bestimmten Dienstleister gemacht wurden.
Es macht auch Sinn, ein automatisches Prüftool über die Website des Anbieters oder seine PDF-Dokumente laufen zu lassen. Oder alternativ eine behinderte Person die Inhalte prüfen zu lassen. Fehler können immer gemacht werden. Häufen sich diese aber, ist das kein gutes Zeichen. Bekommt man die eigenen Inhalte nicht barrierefrei, wie soll man das dann mit den Inhalten Anderer machen?
Hinweis: Automatische Testtools sind nur eingeschränkt für die Messung der Barrierefreiheit geeignet. Hier sind sie lediglich ein Anhaltspunkt für die Professionalität eines Dienstleistenden.

Anbieter-Struktur in der DACH-Region

Unabhängig vom konkreten Portfolio lassen sich vier Arten von Dienstleistern bzw. Unternehmens-Strukturen in der DACH-Region unterscheiden:

  • Einzel- bzw. Kleinst-Unternehmen, bestehend aus einer Person bzw. aus einzelnen Freiberufler:Innen
  • kleine Agenturen, die sich auf Barrierefreiheit spezialisiert haben, das sind in Deutschland Agenturen mit vielleicht 10 bis 15 Mitarbeiter:Innen
  • mittelgroße oder große Full-Service-Agenturen, die insbesondere für den öffentlichen Dienst tätig sind und Barrierefreiheit mit im Angebot haben
  • Non-Profit-Organisationen

In der DACH-Region gibt es meines Wissens keine mittelgroßen oder großen Agenturen, die sich ausschließlich mit Barrierefreiheit beschäftigen. Auch kommt es selten vor, dass ein kleinerer Dienstleister sowohl barrierefreie Webseiten als auch barrierefreie PDF abdecken kann. So etwas machen eher große Full-Service-Agenturen mit Schwerpunkt auf den öffentlichen Sektor.
Daneben gibt es natürlich unzählige Freiberuflerinnen, kleinere und größere Unternehmen, die Barrierefreiheit als eines von vielen Themen im Portfolio haben. Hier kann man nicht generell sagen oder prüfen, inwieweit sie das Thema beherrschen.
Vereinzelt findet man auch nicht-profit-orientierte Organisationen, die Dienstleistungen zur Barrierefreiheit anbieten.

Expertise erkennen

Es gibt viele „hidden heroes“, also Personen, die ein wenig unter dem Radar der Öffentlichkeit bleiben. Die findet man eher in den Arbeitskreisen und weniger auf Konferenzen. Dadurch sind sie auch recht schwer über eine Web-Suchmaschine zu finden. Ich stolpere immer wieder einmal über Personen, die jahrelang in dem Bereich arbeiten, sich hervorragend auskennen und von denen ich vorher nie bewusst gehört habe.
Abraten möchten wir von Dienstleister-Verzeichnissen. Da kann sich in der Regel jeder eintragen, ohne das eine Qualitätskontrolle stattfindet. Wie oben beschrieben sollte man sich immer deren Web-Auftritt und Referenzen anschauen.
Interessant ist die Frage, ob der Dienstleister auf Fach-Konferenzen präsent war oder ob er publiziert hat – egal ob in öffentlichen Publikationen oder auf der eigenen Website. Fachliche Publikationen kann man in der Regel auch erkennen, ohne tief in der Materie zu sein.
Daneben gibt es eine Reihe von Fragen, die Sie an Dienstleister bezüglich Barrierefreiheit stellen können. Dazu gehören:

  • Wie viele Projekte wurden bisher umgesetzt?
  • Wie viele Mitarbeiter:Innen sind auf Barrierefreiheit spezialisiert, wie bilden sie sich fort bzw. bleiben auf dem Laufenden?
  • Wie findet eine Qualitätssicherung der Ergebnisse eines Projekts statt? (Testverfahren, Nutzertests, automatische Prüfung etc.
  • sind behinderte Menschen etwa bei Tests eingebunden

Bleiben die Antworten wage, muss man von einer mangelnden Erfahrung des dienstleisters ausgehen und sollte ihn aus der näheren Auswahl nehmen.
Es gibt aktuell vor allem die Zertifikate der IAAP zur Barrierefreiheit als formalen Nachweis für Expertise. Diese sind in Deutschland aber wenig verbreitet und werden ohnehin nur an Einzelpersonen und nicht an Organisationen vergeben. Meines Erachtens taugen diese Zertifikate nicht als Qualifikationsnachweis für Barrierefreiheit.

Warum ich manche Kunden ablehne

Natürlich steht es jeder Dienstleisterin auch frei, sich ihre Kunden selbst auszusuchen bzw. auch Kunden abzulehnen. Aktuell ist die Nachfrage nach Barrierefreiheits-Expertise recht groß, auch wenn ich davon ausgehe, dass das ab dem nächsten Jahr wieder nachlassen wird.
Ich habe in der Vergangenheit mehrfach Kunden abgelehnt. Wenn ich für den Job generell geeignet war, der Kunde realistische Preis-Erwartungen und ich Ressourcen hatte, waren es vor allem folgende Gründe in absteigender Wichtigkeit:

  • Unzuverlässigkeit, das heißt, zu spät abgelieferte Inhalte, nicht eingehaltene Absprachen oder Termine
  • unhöfliches oder unangemessenes Verhalten, dazu zählen auch Anrufe jenseits der üblichen Büro-Zeiten, unfreundliche Mails, mangelnde Transparenz etc.
  • der Job war für mich nicht interessant
  • wenn es persönlich nicht gepasst hat

Der erste Grund ist recht häufig. Angestellte verstehen oft nicht, dass man als Freiberufler seine Ressourcen oft auf Wochen hinaus verplant hat. Wenn dann Absprachen nicht eingehalten werden, hat man eine Woche nichts zu tun und die nächste Woche ist voll. Man merkt häufig schon bei der Kontakt-Aufnahme, dass jemand unzuverlässig ist, etwa wenn er abgesprochene Termine nicht einhält oder sich sehr spät zurückmeldet.
Ruppiges Verhalten oder unrealistische Erwartungen muss man sich ein Stück weit gefallen lassen. Es gibt hier aber auch Grenzen, die der Kunde gezeigt haben muss. Mangelnde Transparenz beginnt für mich schon damit, wenn man in einer Anfrage nicht kommuniziert, dass man mehrere Dienstleister anfragt. Oder wenn man sich einen bestimmten Termin freihalten soll und dieser Termin dann nicht abgesagt wird, obwohl man ihn als Dienstleister fest verplant hat und der Kunde sich doch anderweitig entschieden hat.
Uninteressante Jobs sind Tätigkeiten, die mich für den Moment nicht interessieren oder viel unbezahlte Einarbeitung erfordern.
Der letzte Grund ist selten. Auf professioneller Ebene muss man auch zusammenarbeiten können, wenn man sich nicht zu 100 % sympathisch ist. Andererseits hat man manchmal als Dienstleisterin den Luxus, sich die Kunden aussuchen zu können. Da wählt man im Zweifelsfall eher diejenigen, die man sympathisch findet oder mit denen man gut zusammenarbeiten kann.
Ich persönlich lehne tatsächlich Kunden ab, wenn sie eine Anfrage stellen und einmal ein Angebot von mir abgelehnt haben. Kunden ist häufig nicht bewusst, dass auch das Erstellen von Angeboten Arbeit bedeutet. Viele Kunden lehnen auch ein Angebot ab, nachdem sie sich unbezahlte Beratung geholt haben.
Natürlich kann es viele Gründe geben, warum ein Angebot abgelehnt wurde. Häufig ist es aber der Preis oder Zweifel an der Kompetenz. Das heißt, dass man so oder so keine Chance hätte und die Anfrage rein formaler Natur ist. Häufig hat sich der Kunde schon für einen Anbieter entschieden und muss nur für die Akte weitere Angebote abfragen.

Entscheidend ist eine gute Zusammenarbeit

Last not least zählt natürlich der persönliche Eindruck. Meines Erachtens sollte man das nicht überbewerten. Wenn jemand aber eine konkrete Frage nicht angemessen beantworten oder eine verständliche Erklärung geben kann, wird die Zusammenarbeit schwierig.
Dabei ist auch wichtig, dass man miteinander gut klarkommt, ansonsten wird die Zusammenarbeit schwierig.

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Wie werde ich Spezialistin für digitale Barrierefreiheit?


In angloamerikanischen Ländern gehören sie vielerorts dazu, in Deutschland sind sie seltener als Einhörner: Expertinnen für digitale Barrierefreiheit. Aber was sollte so ein Accessibility Specialist eigentlich mitbringen? Das wollen wir uns in diesem Beitrag anschauen. Wenn Sie eine Barrierefreiheits-Expert:In einstellen möchten, hilft Ihnen vielleicht das Accessibility Skills Hiring Toolkit. Oder suchen Sie einen kompetenten Dienstleister zu barrierefreien PDF und Webseiten?

Generelle Anforderungen

Es gibt Fähigkeiten, die jeder Mensch benötigt, der im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik arbeitet. Die Fähigkeit, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten, sich Fachbegriffe anzueignen, die Qualität von Informationen zu beurteilen und natürlich auf dem Laufenden zu sein, was Entwicklungen angeht. Der Wandel der Technik hat sich in den letzten Jahren rasant beschleunigt – außerhalb der Barrierefreiheit, versteht sich. Aber das muss man natürlich mitbekommen, wenn man sich mit barrierefreier Technik beschäftigt.
Ein gutes Verständnis von technischem Englisch ist unabdingbar. Nur wenige relevante Informationen erscheinen – zumeist mit Verspätung – auf Deutsch. Die meisten relevanten Diskurse finden auf Englisch statt.

Besondere Anforderungen der digitalen Barrierefreiheit

ein konzeptionelles Verständnis von Behinderungen und den daraus erwachsenen Barrieren ist wichtig. Barrierefreiheit ist mehr als Sprachausgabe, Bildschirm-Lupe, Kontraste und Alternativtexte.
Erforderlich ist ein solides Grundwissen der Gesetzgebung und der Richtlinien. Der Wust aus nationalen und Länder-Gesetzen, Industrie-Normen und informellen Vorgaben ist schwer zu durchschauen.
Ein technisches Grundwissen ist wichtig, z.B. ein Grundverständnis von HTMl und seiner Funktionsweise, ohne HTML versteht man weder Screenreader noch ARIA. In der SoftwareEntwicklung muss man die Accessibility APIs kennen, zumindest für das Betriebssystem, für welches man entwickelt.

Besonderes Fachwissen

Wichtig ist, in welchem Bereich man arbeitet, ein Entwickler benötigt anderes Wissen als eine Projektmanagerin, ein Kommunikations-Verantwortlicher anderes Wissen als eine Redakteurin. Wer wiederum Dokumente barrierefrei machen möchte, muss über ARIA oder CSS weniger gut Bescheid wissen.
Erfüllt man Schnittstellen-Funktionen, etwa als Projektmanagerin oder Berater für Kunden, muss man vor allem übersetzen können. Der Kunde möchte – manchmal – verstehen, warum etwas auf eine bestimmte Weise gemacht werden soll oder warum eine bestimmte Weise problematisch sein kann. Die Entwickler:Innen benötigen klare Hinweise auf die Umsetzung oder zumindest darauf, was falsch läuft und was das erwartete Verhalten ist.
Je nach Organisation muss man sich auch darauf einstellen, der Buhmensch zu sein. Man muss etwa intervenieren, wenn das fein austarierte grafische Konzept unzureichende Kontraste aufweist oder die Tastatur-Bedienung in einer bestimmten Ecke nicht funktioniert. Manche kommen mit dieser Rolle besser klar als Andere. Auf jeden Fall ist das einfacher, wenn man außerhalb einer Organisation steht.
Hier stellt sich die Frage, ob man eine Art Universalgenie in all diesen Dingen sein muss. Ich selbst kenne nur eine Handvoll Leute, die sich mit Internet und PDF gleichermaßen gut auskennen. Das Ganze wird auch dadurch erschwert, dass alle Themen für sich immer spezieller werden. Das Universal-Genie wird auch in der Barrierefreiheit eine aussterbende Gattung.

Wie werde ich Accessibility Specialist

Aktuell gibt es in Deutschland und auch international nur wenige Fortbildungs-Möglichkeiten und keinen vollständigen Studiengang Zu diesem Thema. In der Regel absolviert man eine Ausbildung oder ein Studium in einem bestimmten Fach und eignet sich danach das Fachwissen über Barrierefreiheit an.
Beispiel: In aktuellen Stellenausschreibungen zur Barrierefreiheit aus den USA werden vor allem User Experience-Personen gesucht. In Deutschland sind es primär IT Consultants und Software-Entwickler.

Was verdiene ich als Barrierefreiheits-Specialist

Weil das Fach sehr vielfältig ist, sind auch die Verdienste sehr unterschiedlich. Da man in der Regel ein Fachstudium oder eine Ausbildung absolviert hat, orientieren sich die Gehälter an dem, was man mit dem Studium oder der Ausbildung ohnehin verdienen würde. Zwar sind die Specialists noch Mangelware, aber noch nicht so stark, dass man hierfür hohe Aufschläge verlangen kann.
Danach hängt es vom Grad der Spezialisierung ab. Tester:Innen mit entsprechender Qualifikation rangieren etwa auf dem Niveau von technischen Redakteur:Innen oder UX Specialists. Erfahrene Web-Entwickler:Innen können schon ein wenig mehr verdienen.
Der Gold-Standard sind Software-Entwickler:Innen, insbesondere, wenn sie exotische Produkte oder Programmiersprachen beherrschen. Es gibt einfach zu wenige Programmier:Innen mit Barrierefreiheits-Fähigkeiten, deshalb kann man hier durchaus noch mal ordentlich drauflegen auf ein ohnehin schon üppiges Software-Entwickler-Einkommen.

Expert:Innen in eigener Sache – aber auch nicht mehr

Ein häufig anzutreffendes Mißverständnis gerade bei vielen Blinden ist der Irrglaube, man kenne sich mit Barrierefreiheit aus, weil man blind sei. Nach der Argumentation sind alle Weintrinker Wein-Experten und ein Supermarkt-Kunde ist ein Experte für Waren-Logistik.
Sicher ist jede Behinderte Expert:In in eigener Sache. Darüber hinaus wird es aber schwierig. Es gibt Blinde, die recht gut die Situation anderer Blinder einschätzen können. Anderseits sehe ich nur bei wenigen Blinden, die über Barrierefreiheit schreiben, dass sie sich mit anderen Behinderungen beschäftigt haben. Für einen Geburts-Blinden dürfte es recht schwierig sein, die Situation einer Sehbehinderten oder Autist:Innen einzuschätzen.
Deshalb sollte man bei der Einschätzung durch Expert:Innen in eigener Sache stets vorsichtig sein. Das ist kein Plädoyer gegen Tests durch Nutzer:Innen, aber man muss solche Einschätzungen stets gewichten. Eine Behinderung macht einen nicht automatisch zum Spezialisten für Barrierefreiheit.

Was gehört nicht zum Experten für Barrierefreiheit?

Eine Expert:In für Barrierefreiheit muss meines Erachtens vor allem ein Grundverständnis über die Funktionsweise assistiver Technologien und deren Grenzen haben. Sie muss aber nicht in der Lage sein, einen Screenreader oder eine Spracheingabe flüssig bedienen zu können.
Eine Expert:In für Barrierefreiheit muss selbst nicht behindert sein. Im Gegenteil, in einigen Fällen kann das sogar hinderlich sein, weil man dann die eigenen Anforderungen überbewertet, so gesehen bei vielen Blinden, die zumindest von sich selbst glauben, von Barrierefreiheit Ahnung zu haben, während sie nur von Screenreadern und Sprachausgaben sprechen.
Natürlich heißt das nicht, dass ein behinderter Mensch kein Experte sein kann, es geht nur darum, dass eine Behinderung zu haben nicht automatisch dazu qualifiziert. Ich suche aktuell nach Möglichkeiten, um behinderte Menschen zu Barrierefreiheits-Expert:Innen zu qualifizieren. Ich freue mich, wenn da jemand Hinweise hat.
Im anglo-amerikanischen Raum gibt es im übrigen viel mehr behinderte Menschen in der Barrierefreiheits-Szene, In Deutschland bleiben sie in aller Regel außen vor.
Meines Erachtens gehört es auch nicht dazu, die Barrierefreiheits-Richtlinien auswendig zu kennen. Die WCAG formulieren einen Minimal-Standard und laufen der technischen Entwicklung leider hinterher.
Wie ich an anderer Stelle schrieb, ist konzeptionelles Wissen wichtiger als die Fähigkeit, Infos auswendig zu lernen. Das kritisiere ich auch an den IAAP-Zertifikaten.

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