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Sich mit digitaler Barrierefreiheit selbständig machen – so kann es gehen


Digitale Barrierefreiheit ist ein spannendes Feld für Freelancer. Es gibt genügend Nachfrage, so dass man auf jeden Fall wirtschaftlich zurecht kommen sollte, sobald man erste Aufträge akquiriert hat.
Dennoch sollte man einige Dinge beachten, bevor man diesen Weg geht. Generell: Meines Erachtens ist nichts Anstößiges daran, mit einer „guten Sache“ wie Barrierefreiheit Geld verdienen zu wollen. Die Ausnahme ist dann, wenn man den Leuten nutzlose Dinge wie eine Vorlesefunktion oder ein Overlay verkauft oder falsch berät, weil man keine Ahnung von Barrierefreiheit hat. Was macht einen Spezialisten für Barrierefreiheit aus?.
Ich lasse mal das Ganze Drumherum weg, das generell mit Freelancertum verbunden ist, also Steuern, Umsatzsteuer-ID, Abrechnung, Berufs-Haftpflicht und so weiter, das würde hier zu weit führen. Nur so viel: Wenn ihr die Möglichkeit habt, lasst euch von jemandem mentoren, der schon Erfahrung damit hat und euch dabei unterstützen kann. Das spart einiges an Frust. Generell ist Freelancertum keine so große Herausforderung, anders als UG oder GmbH, die tatsächlich ohne entsprechende Fähigkeiten schwierig sein können.

Solide Basis haben

Frisch von der Hochschule kann man nicht erwarten, sofort als Freelancer durchstarten zu können. Das ist auch halb so schlimm, schließlich hat man in dieser Phase in der Regel noch keine großen Verbindlichkeiten wie eine hohe Miete oder eine zu versorgende Familie. Hat man solche Verbindlichkeiten und noch keine Stammkunden, würde ich von der Freiberuflichkeit erst mal abraten.
Wichtig ist in jedem Fall, eine solide Basis zu haben, auf der man aufbauen kann. Das heißt in der Regel, eine technische Ausbildung oder ein Studium durchlaufen zu haben. Es ist korrekt, dass man auch mit anderen Hintergründen reinkommt – unzählige Web-Entwickler:Innen beweisen es. Andererseits haben die meisten dieser Menschen Erfahrungen durch Praxis-Projekte sammeln können, sie haben also bewiesen, dass sie das Fachliche drauf haben. Das ist für Newbies schwieriger. Ohne Referenzen oder persönliche Kontakte ist es fast nicht möglich, an Aufträge zu kommen.
Ich selbst habe trotz eines Buches und gewisser Bekanntheit sehr lange gebraucht, um Aufträge zu bekommen. Es kamen nur vereinzelt Anfragen von Kontakten vermittelt zustande. Erst als ich selbst Schulungen anbot, schaffte ich den Durchbruch.
Meine Empfehlung wäre, sich tatsächlich erst mit einem breiteren Thema wie etwa UX, Software-Entwicklung oder was auch immer man bereits kann die ersten Erfahrungen zu beschaffen und erst danach auf Barrierefreiheits-Projekte zu gehen. Den Stammkunden kann man dann auch immer Barrierefreiheit anbieten, womit man auch die ersten praktischen Erfahrungen sammeln und Referenzen aufbauen kann. Seid ihr zum Beispiel Web-Entwickler, könnt ihr die Website des Kunden, die ihr entwickelt, einfach kostenlos barrierefrei machen – sollte bei einer Content-lastigen Website ohne Mehr-Aufwand möglich sein – und das als Referenz-Projekt verwenden.
Eine andere Möglichkeit wäre, sich erst Mal als Angestellter eines Unternehmens Erfahrungen zu holen und erst später als Freelancer durchzustarten. Das heißt, man liest sich Wissen an oder macht einen der vielen kostenlosen oder kostenpflichtigen Kurse und bewirbt sich mit diesem Wissen bei einem Unternehmen. Da gerade viel gesucht wird, sollte man mit entsprechendem Background gute Chancen auf eine Stelle haben. Wichtig wäre hier allerdings zumindest nachgewiesenes Wissen etwa über ein Zertifikat.
Wie so oft ist die reine Lehre das Eine, die Praxis sieht anders aus. Klar kann man ein Formular nach Lehrbuch perfekt barrierefrei gestalten. In der Praxis trifft man aber auf komplexe fertige Lösungen, die eine andere Herangehensweise erfordern. Auch deshalb ist Praxis-Erfahrung so wichtig.
So oder so sollte man sich darauf einstellen, dass es einige Jahre dauert, bis das Geschäft mit Barrierefreiheit sich selbst trägt. Auch deshalb die Empfehlung, Barrierefreiheit eher als zusätzliche Leistung im Portfolio zu haben und nicht von Anfang an voll darauf zu sezen.

Vernetzung

Vernetzung ist das A und O für Freelancer. Es geht allerdings nicht darum, einfach nur möglichst viele Kontakte zu sammeln. Wichtig ist eher, relevante Kontakte zu bekommen. Das kann man sowohl digital als auch lokal machen – zu empfehlen ist beides. Gerade ohne praktische Erfahrung werdet ihr eher Kunden für euch gewinnen, wenn sie euch schon persönlich kennen. Bei digitaler Barrierefreiheit bieten sich natürlich Veranstaltungen mit Digital-Bezug an. Sie finden in jeder größeren Stadt statt, selbst das provinzielle Bonn hat welche davon. Bei kleinen und mittelgroßen Agenturen aus der Region kann man gute Chancen für eine Kooperation haben.
Lokal gibt es auch gute Chancen, selbst bekannt zu werden, zum Beispiel mit Vorträgen auf Barcamps oder bei Meetups. Auch Coworking-Spaces oder IHK-Veranstaltungen sind gute Gelegenheiten zum Netzwerken.
Was auch recht gut funktioniert sind Blog- und Fach-Beiträge, die man in der eigenen Community streuen kann. Am Anfang sind die Aufrufzahlen bescheiden, aber es geht erst mal darum, überhaupt auf sich aufmerksam zu machen. Ich habe in den letzten Jahren ein recht gut besuchtes Portal aufgebaut und darüber auch Aufträge akquiriert, das kann aber Jahre dauern und würde ich deshalb nicht weiterempfehlen. Blog-Beiträge müssen nicht hochspeziell sein, das würde ohnehin nur die Profis interessieren.
Last not least geht es tatsächlich darum, Kompetenz-Netzwerke aufzubauen. D.h. man schließt sich mit anderen Leuten zusammen, die komplementäre Dienstleistungen anbieten können: Du kannst Barrierefreiheit, eine andere Person kann Design, die nächste Web-Entwicklung und so weiter. Über Websites wie „Das Auge“ kann man recht schnell passende Leute finden. Für die einfachere Abrechnung bietet es sich dann an, eine GbR zu gründen, das muss aber nicht sein.

Preise allmählich steigern

Das heißeste Thema unter Freelancern sind die Preise. Hier also meine Meinung dazu: Man sollte am Anfang nicht zu hoch gehen. Die absoluten Profis können 1000 € und mehr pro Tag nehmen, aber dazu gehörst Du wahrscheinlich am Anfang nicht.
Das heißt natürlich nicht, dass man mit 300 € pro Tag zufrieden sein sollte. Ich würde schauen, was andere Freelancer in ähnlichen Themenbereichen und mit ähnlicher Erfahrung nehmen und diesen Betrag veranschlagen. Ist man viel zu niedrig, macht das den Kunden mißtrauisch. Ist man viel teurer als die Konkurrenz, kriegt man den Auftrag ebenfalls nicht. Meines Erachtens ist ein Betrag zwischen 400 und 600 € pro Tag realistisch. Hat man erste Erfahrungen gesammelt bzw. kann man komplexere Projekte annehmen, kann es dann allmählich gesteigert werden. Wie oben gesagt hängt das natürlich vom eigenen Fachbereich ab: Software- oder App-Entwickler können durchaus mehr nehmen, während Redakteure eher am unteren Ende dieses Spektrums stehen.
Als Einzel-Unternehmen kann man nicht erwarten, an Aufträge mit mehr als 10 Personentagen zu kommen. Die Auftraggeber gehen damit eher zu Agenturen oder Mehr-Personen-Gesellschaften, weil es da eine größere Ausfall-Sicherheit gibt. Ausnahmen bestätigen die Regel, ich zumindest kontte einen Auftrag im Volumen von 10.000 € bekommen, der größte Auftrag, den ich je bekommen habe und eine absolute Ausnahme. Die anderen Aufträge waren eher im Bereich von 1500 bis 3000 € und die meisten waren deutlich unter 1000 €. Kleine Aufträge machen im Verhältnis zur Größe mehr Aufwand.

Nische oder Mainstream

Je länger es ein Berufsfeld gibt, desto mehr Nischen bilden sich heraus, zu sehen am Bereich UX. Bei der Barrierefreiheit ist das noch nicht in dem Maße so. Dennoch gibt es natürlich unterschiedliche Möglichkeiten der Positionierung. Als Selbst-Betroffene kann man sich als Experte für diese Gruppe positionieren. Daneben gibt es spezielle Bereiche wie etwa Software- oder App-Entwicklung, die noch nicht so stark besetzt sind wie PDF und Internet.
Man muss sich allerdings bewusst sein, dass die Nischen oft so klein sind, dass sie nicht so viel an Einkommen abwerfen, deswegen sind es ja Nischen. Meines Erachtens hat man hier bessere Chancen, wenn man gleich international startet. Dann sollte man verhandlungssicher Englisch sprechen und verstehen und natürlich auch schreiben können. International gibt es nichts, was nicht von irgendwem nachgefragt wird.

Zum Weiterlesen

Barrierefreiheit

Deutsche Bahn – mangelnde Barrierefreiheit als Strategie

Screenshot des Bahn-CaptchasDie Deutsche Bahn ist legendär für ihre mangelnde Barrierefreiheit für motorisch Behinderte, also Personen, die keine Treppen steigen können. Meine Theorie ist ja, dass es irgendwo im Bahn-Vorstand fanatische Liebhaber von Treppenstufen gibt. Aber auch bei der digitalen Barrierefreiheit schafft es die Bahn nicht, endlich mal einen aktuellen Status zu erreichen. Einige Hinweise deuten darauf hin, dass das kein – vielleicht verzeihliches – Versehen ist, es gibt keine stringente Strategie, um digital barrierefrei zu sein. Das Gegenteil ist der Fall, die DB verfolgt aktiv und bewusst eine Strategie der mangelnden Barrierefreiheit, wie ich hier belegen möchte.

Blinde vom Login ausgeschlossen

So wird für den Login auf der Website sowie bei der App mittlerweile ein Captcha eingesetzt, obwohl die Probleme damit bekannt sind. Captchas sind nicht barrierefrei und eine schlechte UX vor allem auf mobilen Geräten, aber vielleicht ist einem Quasi-Monopolisten die UX seiner App/Website ohnehin egal.
Damit nicht genug ist das Captcha auch noch auf eine Weise eingebunden, dass es mit Screenreadern nicht bedienbar ist. Mit NVDA unter Firefox kann es per Tab erreicht werden, wird aber nicht vorgelesen, bei Talkback unter Android habe ich es geschafft, das Bilderrätsel zu aktivieren – das Häkchen wurde, wie soll es anders sein, nicht als menschlich erkannt. Ob das Problem bei der Bahn oder dem Captcha-Anbieter HCaptcha liegt, kann ich nicht sagen. HCaptcha spricht von einem Accessibility-Cookie – klar, wir wollen doch alle, dass die wissen, welche Seiten wir angesurft haben. Eine Audio-Version des CAPTCHAs hat man sich gespart, die würde wahrscheinlich der Bahn extra was kosten.
Meines Erachtens könnte dieses Verhalten der Bahn auch ein Verstoß gegen den Datenschutz sein. HCAPTCHA ist ein US-amerikanischer Anbieter, das heißt, man weiß nicht, welche Informationen hier nach Hause telefoniert werden. Ein Barrierefreiheits-Cookie würde zusätzlich bei behinderten Nutzenden ermöglichen festzustellen, auf welchen Seiten die Leute gesurft sind.
Damit schließt die Bahn defacto blinde und sehbehinderte Nutzer:Innen von Services wie der Ticketbuchung oder dem Verspätungsalarm aus.
Es gibt noch viele weitere Probleme: So ist der Mechanismus zur Eingabe der Abfahrtszeit in der Android-Version der App nicht für Blinde zugänglich. Es ist eine dieser Drehschalter, die wahrscheinlich schick aussehen, für Blinde aber nur sehr hakelig bedienbar sind. Außerdem ist der eine oder andere Button nicht beschriftet, Blinde wissen also nicht, was sie mit diesem Button auslösen.
Auch erinnere ich mich an einige Bugs auf der Website zum Ticket-Erwerb: Man bekommt relativ früh die Auswahl zwischen verschiedenen Ticket-Optionen angezeigt, die nicht per Tastatur bedienbar war. Beim Abschließen des Kaufs gab es einen Tastaturbug, der den Abschluss des Kaufes durch Blinde verhindert hat. Da ich lange keine Tickets mehr gekauft habe, kenne ich den aktuellen Stand nicht.

Die vermuteten Ursachen

Die Deutsche Bahn ist, zumindest was die digitale Barrierefreiheit angeht eine Blackbox. Meine Anfragen auf Twitter wurden ignoriert oder kryptisch beantwortet. Während öffentliche Stellen zumindest einen Alibi-Kontakt zur digitalen Barrierefreiheit angeben, gibt es bei der Deutschen Bahn gar keine Informationen dazu und auch keinen öffentlich auffindbaren Kontakt.
Dem Hörensagen nach gibt es bei der Deutschen Bahn ein Team, welches sich mit digitaler Barrierefreiheit beschäftigt. Die scheinen aber nichts zu sagen zu haben, ansonsten gäbe es kein Captcha und die Android-App wäre nicht so unbrauchbar. Ich würde mich schämen, für ein solches Unternehmen zu arbeiten.
Auch scheint es bei der Bahn keine blinden Mitarbeiter:Innen zu geben – oder es gibt sie und sie ziehen es vor, keine Services zu nutzen, die einen Login erfordern.
Das Elend wird deutlich, schaut man sich die Bewertungen im Android-Appstore an, die Bewertung liegt bei 2,5 von 5 Sternen. Es gibt zahlreiche Anmerkungen zu der schlechten UX. Viele Unternehmen antworten zumindest auf diese Hinweise im Appstore, die Bahn zieht es aber vor, sie komplett zu ignorieren und das bei einer für viele Personen so wichtigen App. Ich ziehe den Schluss, dass der Bahn ihre Kunden – ob behindert oder nicht – schlicht egal sind.
Die App DB barrierefrei – vor wenigen Jahren mit großem Tamtam gestartet – ist irgendwann ohne viele Kommentare eingestellt worden. Meines Wissens sollen die Infos jetzt in einer anderen DB-App zur Verfügung gestellt werden. Aber wer möchte schon noch eine Extra-App für ein paar mickrige Barrierefreiheits-Infos installieren?
Zwischendurch denke ich immer mal, das Unternehmen müsste doch einmal Fortschritte bei der Barrierefreiheit machen. Man scheint aber gerne mal zwei Schritte vorwärts und 1,5 zurück zu machen.

Nicht-Barrierefreiheit als Strategie

Mittlerweile habe ich leider einige Stimmen aus der DB gehört, die meine schlimmsten Vermutungen bestätigen: Die Deutsche Bahn verfehlt das Thema Barrierefreiheit nicht, weil es da ab und an Konflikte gibt. Vielmehr ist der Mangel an Barrierefreiheit Teil der Strategie des Unternehmens. Es befürchtet, dass wenn man den Betroffenen entgegenkommt man noch stärkere Forderungen zur Barrierefreiheit bekommt.
Das klingt unsinnig, mag aber in der internen Logik des Molochs Sinn machen. Bisher ist die DB nicht gerade als modernes Unternehmen aufgefallen. Tatsächlich gelten Leute wie Hartmut Mehdorn – einer der Haupt-Verantwortlichen für die schlechte Infrastruktur – nach wie vor als fähige Manager. Diversity Strategie oder Aktionspläne zur Inklusion sucht man vergeblich. Obwohl die Herausforderungen des demografischen Wandels selbst im Bahn-Tower angekommen sein sollten, baut man immer noch Züge, die für ältere Menschen mit Rollator ungeeignet sind – versuchen Sie mal mit einem Rollator in die Toilette des ICE zu kommen, ganz abgesehen davon, ihn in der Nähe eines Sitzplatzes abzustellen. Obwohl behinderte Menschen seit Jahren auf die Problematik mit Treppen hinweisen, kauft die Bahn munter weiter Züge mit Treppen ein. Fahrstühle werden monatelang nicht repariert, was sogar zu Verletzungen und Todesfällen geführt haben soll, weil gehbehinderte Menschen die Rolltreppe heruntergefallen sind. Für Rollstühle geeignete Sitzplätze sind Mangelware, rollstuhlgerechte WCs und Zugänge sind häufig defekt.
Obwohl ein halbstaatlicher Konzern weigert sich die DB, sich an deutsches Recht zu halten. So verstößt sie gegen die BITV 2.0, indem sie die vorgeschriebene Erklärung zur Barrierefreiheit und den Feedback-Mechannismus nicht bereitstellt. Mit dem oben erwähnten CAPTCHA verstößt sie zusätzlich gegen den in Kraft getretenen European Accessibility Act aka Barrierefreiheits-Stärkungs-Gesetz. Statt mit gutem Beispiel voranzugehen ist die DB schlimmer als manches Privat-Unternehmen. Wenn ein solch vital wichtiges Unternehmen keine Strategie für alters- und behinderten-gerechte Gestaltung hat, spricht alles für eine systematische Verweigerung. Wir dürfen die Bahn mit Recht als behinderten- und alters-feindliches Unternehmen bezeichnen.
Diese Beobachtungen deuten auf eine Sache hin: Die DB verhindert systematisch mehr Barrierefreiheit. Das ist wirklich armselig für einen Konzern, der durch die Öffentlichkeit finanziert wird. Sicherlich gibt es einzelne engagierte Leute bei der DB, die gerne mehr Barrierefreiheit umsetzen würden. Aber bei einem solchen Koloß kommt es vor allem auf den Vorstand an und auf unsere Politiker, von denen aber eben so wenig zu erwarten ist, seien sie nun von der CSU oder der FDP.
Leider zwingt uns die DB, sie zu ihrem Glück zu zwingen: Beschwert euch so viel wie möglich, so laut wie möglich und so öffentlich wie möglich. Das scheint die einzige Sprache zu sein, auf die dieses Unternehmen reagiert.

Technik wird nicht alle Probleme der Barrierefreiheit lösen


Es ist schon erstaunlich: Je weniger man von Technik versteht, desto größer scheint der naive Technik-Optimismus zu sein. Man könnte davon ausgehen, dass die Leute einfach naiv sind. Die Technik-Optimisten sind ganz überwiegend Leute aus Jura oder BWL, die also bei aller Antipathie noch nie etwas programmiert oder erfunden haben.
In Wirklichkeit geht es aber meistens darum, die Hände in den Schoß zu legen und das eigene Nichtstun zu rechtfertigen, vor allem zu finden bei den C-Parteien, der FDP, weniger stark, aber leider auch bei den meisten anderen Parteien, wenn es etwa um Klima- und Umweltschutz geht. Barrierefreiheit interessiert diese Leute ja nicht, ansonsten würde man dazu wahrscheinlich ähnliches von ihnen hören.
Bezüglich der Barrierefreiheit hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan und aktuell sieht es so aus, als ob es einen größeren Sprung geben könnte, das Stichwort ChatGPT darf hier natürlich nicht fehlen. Hier einige Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • maschinell erzeugte Bildbeschreibungen auf Facebook, Instagram, Chrome, Edge und Office
  • automatisch generierte Untertitel und Captions etwa auf YouTube, in Zoom, Teams und Co.
  • Leichte Sprache-Übersetzungen etwa von Summ AI
  • Verbesserungen bei automatisierten Tests

Die neue Version von ChatGPT ist bereits in der Lage, grafische Benutzeroberflächen oder komplexe Informationsgrafiken rudimentär zu beschreiben. Mit iOS kann man Einzelteile von Bildern oder UI-Elemente identifizieren lassen und vieles mehr.
Bei allem, was wir bisher gesehen haben, gibt es noch ordentlich Luft nach oben. Allerdings sind die entscheidenden Algorithmen bereits entwickelt, sie müssen vor allem weiterentwickelt, verbessert und verfeinert werden. Man braucht kein Prohet zu sein, um zu sehen, dass sie in den nächsten Jahren immer weiter verbessert werden, einfach aus dem monetären Eigen-Interesse der Unternehmen dahinter. Sie wollen ihre Anwendungen verkaufen und stehen in Konkurrenz zueinander, einer der wenigen Fälle, in denen die Marktwirtschaft etwas Sinnvolles bewirkt.
Man kann die technische Entwicklung in zwei Abstufungen einteilen: Die stetige Weiter-Entwicklung verläuft evolutionär. Es werden Dinge ausprobiert, manche davon führen zu einer Verbesserung, die sich dann allgemein ausbreitet.
Daneben gibt es mehr oder weniger komplett neue Innovationen, die man als revolutionär bezeichnen kann: Das Rad, die Dampfmaschine, das Telefon, der Computer und so weiter. Manche Entwicklungen wie das Handy, das Smartphone, das Internet und so weiter hätte man ohne Weiteres voraussagen können. Aber Voraussagen sind etwas anderes, als etwas wirklich zu erfinden. Jules Verne hat über U-Boote geschrieben, aber es hat noch eine Weile gedauert, bis sie tatsächlich jemand entwickelt hat. Science Fiction und Science sind halt zwei Paar Schuhe.
Der Kern der Sache ist, dass man Evolution in gewissem Maße einplanen kann. Technische Revolutionen hingegen sind selten und man kann sie sicher nicht einplanen, vor allem nicht in einem Land wie Deutschland, dass bis auf ein paar Leuchttürme seine Forschungs-Einrichtungen wie die Hochschulen weder besonders schätzt noch ausreichend finanziert.
Natürlich sollte man systematisch weiterforschen, ich würde sogar sagen, die Forschung muss intensiviert werden. Man wird all das, woran es heute in der Barrierefreiheit mangelt aufgrund der hohen Kosten und dem Mangel an Fachkräften nicht durch menschliche Arbeitskraft erledigen können. Wer soll Millionen von Websites reparieren, PDFs taggen, Texte in Leichte und Gebärdensprache übersetzen und so weiter?
Aber das heißt nicht, dass man die Dinge jetzt vernachlässigen sollte. Naturgemäß kann man technische Revolutionen nicht planen oder gar einplanen, wie es manche Partei beim Klimaschutz zu tun scheint. Ein simples Beispiel ist die Medikamentenforschung: Tausende von Stoffen werden erforscht, damit am Ende vielleicht ein Medikament rauskommt. Würden wir der Logik einiger Politiker folgen, bräuchten wir Krebs nicht mehr zu therapieren, wir warten einfach, bis das Heilmittel gefunden ist. Tut natürlich keiner, wir sind ja keine Idioten.
Es ist wahrscheinlich, dass die Themen, über die wir uns heute in der digitalen Barrierefreiheit unterhalten in 50 Jahren keine Rolle mehr spielen werden. Entweder wird die technische Basis eine ganz andere sein oder wir werden die meisten dieser Probleme durch Algorithmen gelöst haben. Das hilft aber nicht den Leuten weiter, die gerade vor dem Computer sitzen, deren Probleme müssen heute, morgen und übermorgen angegangen werden.
Andere Probleme wie die Barrierefreiheit von Treppen kann man auf absehbare Zeit gar nicht technisch lösen. Ja, ich kann mir eine Art flexiblen günstigen Treppenlift vorstellen, welcher gehbehinderte Menschen samt Rollstuhl oder Rollator nach oben oder unten transportiert und sich ansonsten irgendwo verstaut, wo er nicht im Weg ist. So was wünscht sich auch jeder für den nächsten Umzug. Ist so was denkbar? Sicher. Ist es absehbar? Meines Wissens nicht.
Wir dürfen die Lösung der heutigen Probleme nicht verschleppen, nur weil es irgendwann eine technische Lösung geben könnte. Im schlimmsten Fall kommt diese Lösung einfach nicht. Auf jeden Fall können wir nicht sagen, wann sie kommt und sie wird uns heute nicht helfen.

Why Technology will not solve all accessibility problems

Interview mit dem Screenreader NVDA

Dieses Pseudo-Interview inklusive der Antworten ist natürlich auf meinen schrägen Humor zurückzuführen und drückt lediglich meine persönliche Meinung aus.
Domingos: Hallo NVDA, erst einmal herzlich willkommen. Stell Dich doch einmal den Leser:Innen vor.

NVDA: Hallo, ich freue mich, dabei zu sein. Mein Name ist NVDA. Das steht für Nonvisual Desktop Access. Ich bin ein Screenreader. Ich wurde maßgeblich von zwei blinden Australiern entwickelt und bin anders als mein Konkurrent Jaws kostenlos und Open Source. Ich bin der einzige Screenreader, der konsequent von der Community entwickelt wird. Scheiß auf Dich, Jaws.

Domingos: Das ist sehr interessant. Was ist denn ein Screenreader, erklär das doch mal?

NVDA: Ich freue mich, dass Du fragst. Ein Screenreader ist eine Software, die Informationen aus grafischen Benutzeroberflächen so aufbereitet, dass Blinde sie verstehen können.

Domingos: Das klingt spannend. Bevor wir aber ins Thema einsteigen, warum klingt Deine Stimme eigentlich so künstlich?

NVDA: Es tut mir leid. Ich würde gerne so sexy klingen wie Siri und Co. Meine Stimme stammt noch aus einer Zeit, als Speicher in Megabyte gemessen wurde und 200 Megahertz als superschnell galt. Die Stimme wurde mit Phonemen synthetisch erzeugt und ist auf schnelle Reaktionszeiten ausgelegt. So wie Sehende wollen Blinde schnelle Reaktionen der Sprachausgabe, das ist bei modernen natürlicher klingenden Sprachausgaben aktuell schwierig. Abgesehen davon sind diese Sprachausgaben lizenzpflichtig und das ist mit OpenSource nicht vereinbar. Außerdem meinen einige Blinde, zum Beispiel Du, dass künstliche Stimmen bei hohen Geschwindigkeiten verständlicher klingen. Du zum Beispiel hast mich meistens auf ca. 300 Wörter pro Minute eingestellt, also doppelt so schnell, wie ein Mensch sprechen würde.

Domingos: Das stimmt und damit habe ich auch einige Sehende in den Wahnsinn getrieben. Wobei ich behaupten würde, sie waren vorher schon verrückt. Erklär doch mal genauer, wie ein Screenreader funktioniert.

NVDA: Aus meiner Sicht seid ihr Menschen ohnehin alle kurz vor dem Durchdrehen, Klimawandel, Artensterben, mangelnde Barrierefreiheit und so, aber darüber können wir ein andermal sprechen. Der Screenreader bekommt Informationen aus der sogenannten Accessibility API. Das ist ein Protokoll für das Hinterlegen von Barrierefreiheits-Informationen in Programmen und Dokumenten. Da werden zum Beispiel semantische Informationen wie die Funktion eines UI-Elements, eine Bildbeschreibung oder andere Dinge hinterlegt. Diese werden dann von dem Screenreader als Sprache oder Blindenschrift ausgegeben.

Domingos: Das ist interessant. Diese Informationen müssen also wirklich von den Verantwortlichen hinterlegt werden und Du kriegst sie nicht über magische Schwingungen heraus?

NVDA: So ist es. Vielleicht werden wir in einigen Jahren durch Mustererkennung bzw. andere Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz auch selbst solche Dinge erkennen können. Das ist aber nicht absehbar. Deswegen ist es extrem wichtig, dass die Verantwortlichen solche Dinge selbst hinterlegen.

Domingos: Welche Aspekte sind noch wichtig, wenn es um Barrierefreiheit für Blinde geht?

NVDA: Da gibt es ja einige Dinge, die Du in Deinen anderen Beiträgen schon erwähnt hast: Die Bedienbarkeit per Tastatur, die sinnvolle Beschriftung von Formularen und Buttons, Alternativtexte für inhaltliche Bilder oder der konsequente Einsatz von semantischen Informationen wie Text-Formatierungen.

Domingos: Ja, das ist extrem wichtig. Was ist eigentlich Dein Vorteil gegenüber kommerziellen Screenreadern wie Jaws?

NVDA: Da sind drei Dinge: Ich bin OpenSource und dadurch schnell mit Erweiterungen anpassbar, gerade was Internet-Technologien angeht ist Jaws meines Erachtens nicht sehr dynamisch. Zudem bin ich kostenlos. Und ich kann mit dem Sprach-Synthesizer eSpeak, die ebenfalls OpenSource ist, sehr viele Sprachräume unterstützen, die von Jaws und den Herstellern von kommerziellen Sprachausgaben ignoriert werden.
Die meisten Blinden leben in Ländern, wo man sich keine teuren Geräte und Programme leisten kann und die deshalb von den Hilfsmittel-Herstellern ignoriert werden. Es ist also eine Frage der Kosten, aber auch der Muttersprache, die von Jaws und den Herstellern von Sprachausgaben nicht behandelt wird. Sprichst Du sagen wir Bengali oder Swahili und bist blind, bist Du als Kunde nicht interessant, weil Du wahrscheinlich kein Geld hast. Das Hilfsmittel-Business ist erzkapitalistisch und richtet sich an die vielleicht 10 Prozent Blinden, die das Glück haben, in relativ reichen Gesellschaften zu leben und einen Träger zu haben, der die Kosten übernimmt. Ich hingegen sorge dafür, dass viele 10.000 Blinde Zugang zu Computern und damit auch ein Stück Selbständigkeit und Bildung bekommen.

Domingos: Ja, meine Lieblings-FDP würde sagen, das ist halt die Marktwirtschaft, die da so großartig funktioniert und arme Leute sind eh selbst schuld an ihrem Schicksal,. Aber lassen wir das. Was hälst Du eigentlich davon, dass viele Sehende Dich einfach mal installieren, um Dich auszuprobieren.

NVDA: Ich freue mich einerseits darüber. Andererseits bin ich wie ein störrischer Esel. Es reicht nicht, mich einfach zu installieren, weil ich keine grafische Benutzeroberfläche und eine eingeschränkte Shell habe. Die Lernkurve ist für Sehende wie für frisch Erblindete sehr hoch, deswegen rätst Du ja auch von solchen Spielerein Sehender ab.

Domingos: Ja, bzw. sollte man an mögliche Erkenntnisse aus solchen Selbstversuchen einfach ein Fragezeichen machen. Ich bedanke mich dafür, dass Du uns Frage und Antwort gestanden hast und wünsche Dir einen schönen Tag. Wenn Du Gefühle hättest, wärst Du jetzt wahrscheinlich froh, meine nervigen Fragen nicht mehr beantworten zu müssen.

NVDA: So ist es. Ich wünsche den Lesenden alles Gute und hoffe, dass euch das Interview Spaß gemacht hat. Bis bald.

Barrierefreiheit bei Kontrasten – häufige Probleme und Lösungen

Screenshot des Webaim-Contrast-Checkers
Einer der häufigsten Fehler bei der digitalen Barrierefreiheit sind zu geringe Kontraste. In diesem Beitrag geht es darum, wie Sie mit diesem Problem umgehen können.

Anforderungen an Kontraste

Vor allem für sehbehinderte und ältere Menschen ist es wichtig, dass Texte und UI-Elemente ausreichend Kontrast haben. Ansonsten haben sie Probleme, die Elemente zu erkennen bzw. den Text zu lesen.
Im maßgeblichen Regelwerk, der WCAG 2.1 AA, gibt es zwei Richtlinien, die den Kontrast betreffen. Das Erfolgs-kriterium 1.4.3 Contrast Minimum gibt einen Kontrast von 4,5:1 für normalen Text vor. Normaler Text ist definiert als Text, der kleiner als 18 pt (24 Pixel) bzw. 14 pt (18,5 Pixel) gefettet ist. Ist Text größer als diese Werte, soll er einen Mindest-Kontrast von 3:1 haben. Für grafische Bedien-Elemente, die keinen Text enthalten, soll der Mindest-Kontrast 3:1 betragen (Erfolgskriterium 1.4.11 Non-text Contrast).
Der Kontrast ist das Verhältnis zwischen Vorder- und Hintergrundfarbe: Der rechte Wert ist dabei immer 1, je höher der linke Wert ist, desto höher ist der Kontrast. Es gibt eine ganze Reihe von Rechnern im Internet, um den Kontrast zu ermitteln.
Die Kontrast-Anforderungen müssen für alle Inhalte und UI-Elemente erfüllt werden. Ausgenommen sind Logos, reine Design-Elemente sowie inaktive UI-Elemente. Oft vergessen werden Informationsgrafiken, auch sie müssen die Mindest-Kontraste erfüllen. Auch wenn Sie Funktionalitäten von Dritt-Anbietern wie Cookie-Lösungen oder Media-Player verwenden, müssen sie den Kontrast-Anforderungen entsprechen.

Umgang mit Kontrasten

Optimal ist es, wenn die Farb-Palette von vorneherein so gestaltet wird, dass die Kontraste die Anforderungen erfüllen. Es gibt aber Fälle, in denen es schwieriger ist, die Minimal-Kontraste zu erfüllen. Das gilt vor allem, wenn das Corporate Design (CD) auf nicht geeigneten Farben basiert.
Weichen die Werte nur geringfügig ab, reicht es eventuell schon, die Farben leicht anzupassen. Kleine Unterschiede fallen häufig nur im direkten Vergleich auf. Die Kontrast-Werte dürfen übrigens nicht aufgerundet werden: 4,5:1 ist bestanden, 4,49:1 nicht. Eventuell ist es auch möglich, für die betroffene Komponente eine Ausnahme vom CD zu vereinbaren. Das CD kann sich im Logo und Schmuck-Elementen austoben, dafür gelten keine Mindest-Kontraste.
Eine Möglichkeit ist auch, die Textgröße oder die Fettung oder beides zu ändern. Ist der Text zum Beispiel 19 Pixel groß, könnte man ihn fetten und müsste dann den Wert von3:1 erfüllen. Ist der Text 22 Pixel groß, könnte man ihn auf 24 Pixel vergrößern, das sollte keinen großen Einfluss auf das Layout haben.
Ist das nicht möglich oder gewünscht, wird es komplizierter. Es kann sich anbieten, eine spezielle Version der Anwendung mit einem höheren Kontrast anzubieten. Der Dark Mode ist für diesen Zweck nicht geeignet, da er etwa für Sehbehinderte andere Probleme verursachen könnte. Auch sind beim Dark Mode die Kontraste nicht automatisch ausreichend. Bei Websites ist es aber dank CSS kein Problem, angepasste Versionen anzubieten.
Bietet man eine sogenannte Alternativ-Version an, muss sie zwei Anforderungen erfüllen:

  • Sie muss leicht auffindbar sein, zum Beispiel oben rechts auf jeder Seite bzw. auf jedem Screen. Und sie muss selbst barrierefrei sein, also angemessene Kontraste haben.
  • Einmal aktiviert, sollte sie im gesamten Auftritt beibehalten werden, also auch beim Aufrufen einer neuen Unterseite bzw. eines neuen Screens in einer App.

Ein weiteres häufiges Problem sind Hintergrundbilder oder unterschiedlich farbige Flächen mit Text oder UI-Elementen darauf. Bei Hintergrund-Bildern ist es nicht möglich, den Kontrast immer einzuhalten, wenn diese Bilder ausgetauscht werden, weil Bilder immer unterschiedlich helle Bereiche haben.
Texte und UI-Elemente sollten entweder nicht darauf platziert werden oder sie sollten ihrerseits einen gleichbleibenden Hintergrund erhalten, der sicherstellt, dass der Kontrast auch bei geänderten Hintergründen den Kontrast erfüllt.
Ein weiteres häufiges Problem sind transparente Elemente. Ein Beispiel dafür sind Multimedia-player, deren Bedien-Elemente auf einem halbtransparenten Hintergrund platziert sind, wo also Teile des Videos zu erkennen sind. Hier gilt das Gleiche wie für Hintergrund-Bilder. Sind die Bedien-Elemente zum Beispiel weiß und enthält das Video an dieser Stelle helle Elemente, reicht der Kontrast in der Regel nicht mehr aus. Die Empfehlung wäre, an dieser Stelle nicht mit transparenten Hintergründen zu arbeiten.

Sind Alternativ-Versionen nicht verboten

Alternativ-Versionen sollten generell als Ausnahme behandelt und nicht als Dauerlösung betrachtet werden. Im Endeffekt erhöhen sie den Arbeitsaufwand und die Anfälligkeit für fehlerhafte Darstellungen. Auch ist die Akzeptanz für Alternativ-Versionen eventuell nicht so hoch, wie man sich das als Anbieter wünscht. Auf mittlere Sicht ist es sinnvoller, die Farben für die Komponente bzw. das CD so anzupassen, dass die Kontraste generell erfüllt sind. Eigentlich sollen laut WCAG Alternativversionen nur eingesetzt werden, wenn Funktionalitäten mit aktueller Technik nicht barrierefrei gemacht werden können.
Auch haben Alternativversionen zu Recht einen schlechten Ruf. Ältere erinnern sich an die wenig brauchbaren Text-Versionen aus den Nuller-Jahren. Das gilt definitiv für extra programmierte Versionen von Websites. Heute ist es allerdings möglich, mit CSS inhalts- und funktions-äquivalente Websites zu bauen. Ein Styleswitcher würde in unserem Fall lediglich wie ein Dark Mode das Layout beeinflussen. Die Inhalte kommen nach wie vor aus der gleichen Datenbank, die Funktionalitäten aus HTML und JavaScript.
Aus meiner und der Sicht der Web Accessibility Initiative ist das CD kein ausreichender Grund für eine alternative Version der Website, wie oben gesagt ist es eine Übergangs-Lösung, bis das CD angepasst wurde. Schon gar nicht sollten solche Alternativversionen als Ausrede für andere Mängel in der Barrierefreiheit herhalten.

Warum die „Version in einfacher Sprache“ sterben muss

Die einfache Sprache oder Plain Language ist ein Konzept, um Texte allgemein-verständlich zu machen. In den USA spielt sie bereits eine größere Rolle, in Deutschland steht sie in den Startlöchern. Die alte BITV 2.0 schrieb noch vor, dass Texte in einer möglichst verständlichen Sprache angeboten werden sollten. Das aktuelle Barrierefreiheits-Stärkungs-Gesetz spricht ebenfalls davon, dass Informationen in verständlicher Sprache bereitgestellt werden sollen. Das Problem ist derzeit, dass es kein rechtlich verbindliches Regelwerk gibt. Ähnlich wie für die Leichte Sprache gibt es nur informelle und konkurrierende Regelwerke. In absehbarer Zeit, voraussichtlich in 2023 oder 2024 wird es DIN-Normen für diese Sprach-Varianten geben.
ES gibt bei immer mehr Texten auch eine Version in einfacher Sprache. Das ist doch eigentlich gut oder?
Aus meiner Sicht ist dieser Trend nicht nur positiv. Ja, wir brauchen mehr verständliche Texte. Was wir allerdings nicht brauchen sind immer mehr Versionen des gleichen Textes. Aus meiner 12-jährigen Erfahrung als Redakteur machen Zusatz-Versionen immer mehr Arbeit und gehen im Alltag unter. Stellen Sie sich vor, Sie haben drei Versionen eines Textes: Die Alltagssprache, die einfache und die Leichte Sprache. Sobald eine Änderung eintritt, etwa bei Zahlen oder defekten Links, muss drei mal das Gleiche geändert werden. Fun Fact: Natürlich gibt es dafür automatisierte Lösungen. Es gibt Linkchecker, die einen defekten Link auf der gesamten Website korrigieren und Zahlen können einfach über Shortcodes oder ähnliche Konzepte an einer Stelle zentral gepflegt werden. Wir reden hier aber überwiegend vom öffentlichen Dienst, wo Automatisierung als Zauberei gilt oder CMS aus der Steinzeit verwendet werden. Manchmal ändern sich aber auch Tatsachen, die tatsächlich dann händisch korrigiert werden müssen.
Doch es gibt auch einen konzeptionellen Grund, der sogar wichtiger ist: Kein Schwein weiß, was einfache Sprache ist und was der Unterschied zwischen einfacher und Leichter Sprache ist, vor allem nicht diejenigen, die man mit diesem Text erreichen möchte. Wir Textende befinden uns da in einer Informations-Blase. Man landet über Google auf der Alltagssprache-Version des Textes und bleibt wahrscheinlich dort, zum Beispiel aus Klick-Faulheit oder weil man die Terminologie bzw. die Icons nicht kennt. Man kann das deutlich an den Abrufzahlen und den Klickpfaden ablesen.
Die Lösung ist, einfach den Alltagssprache-Text in einfacher Sprache anzubieten. Zumindest, wenn sich der Text an Bürger:Innen wendet, gibt es keinen Grund, den komplizierten Text anzubieten. Dieses Versions-Wirrwarr ist nicht notwendig. Vielmehr sollte einfache Sprache alltäglich werden und die komplizierten Versionen kann man sich für die Profis aufsparen. Es ist wie bei der digitalen Barrierefreiheit: Es ist komplett witzlos, es einmal falsch – also nicht-barrierefrei – zu machen, um es hinterher besser – hoffentlich barrierefrei – zu machen. Ohnehin stellt sich die Frage, warum der komplizierte Text die Default-Version ist, obwohl sich die Einfache-Sprache-Version an die breite Allgemeinheit richtet. Warum macht man nicht die Einfache-Sprache-Version zur Haupt-Version?
Sicher ist, dass wir bessere Tools als heute benötigen. Die meisten Schreibenden sind 1. keine Text-Profis und 2. keine Einfache-Sprache-Profis. Mit einer Tages-Schulung ist es nicht getan. In der Regel sind die Verantwortlichen keine hauptberuflichen Schreibenden, deshalb brauchen sie entweder Werkzeuge, die ihnen helfen oder man braucht Verständlichkeits-Profis, die sich auf ihr Handwerk konzentrieren. So oder so werden Tools der Künstlichen Intelligenz den Prozess vereinfachen, so wie es Summ ai für die Leichte Sprache es heute bereits tut.

Gefangen in mangelnder Barrierefreiheit

Stilisierte Figur hinter GitternMan ist sich einig darüber, dass Barrierefreiheit ein Menschenrecht und eine Voraussetzung für Teilhabe ist. Manchmal scheinen diese Begriffe nicht plastisch genug: Barrierefreiheit ist eine Voraussetzung für Freiheit, das sollten wir uns bewusst machen.
Die Freiheit behinderter Menschen wird durch mangelhafte Barrierefreiheit eingeschränkt: Menschen mit Rollator oder Rollstuhl können nicht wohnen, wo sie wollen, nicht dorthin fahren, wo sie wollen oder das tun, was sie wollen.
Ich muss das hier nicht weiter ausführen, Leute wie Raul Krauthausen und viele andere haben das in hunderten Beiträgen ausführlich dargestellt. Selbst wenn man das Glück einer barrierefreien und angemessenen Wohnung, ein eigenes geeignetes Auto und Assistenzen hat, stößt man am Ziel oder auf dem Weg dorthin doch immer wieder auf Stufen.
Damit sind wir immer noch priviligiert gegenüber vielen älteren Menschen, die wegen mangelnder Barrierefreiheit ihre Wohnung nicht verlassen können. Über diese Menschen, die mangels Verwandten, die sich um sie kümmern komplett von fremder Hilfe abhängig sind, wird wenig berichtet. Bloggen oder Twittern können sie meistens nicht, sie sind also nicht nur gefangen, sondern auch stumm, was ihre Präsenz in Old und Social Media angeht. Sie sind unsichtbar und vergessen, aus den Augen, aus dem Sinn. Bleibt nur die Frage, warum wir das unseren Senior:Innen antun.
Wir machen uns nicht klar, wie viele Menschen davon betroffen sind und das die Zahl durch den demografischen Wandel drastisch zunehmen wird. Stellen wir uns vor, dass die Zahl der Personen mit Rollator oder jenen mit altersbedingten Augenerkrankungen in den nächsten Jahren drastisch zunehmen wird. Wir sind nicht so weit weg davon, dass 1 von 10 Menschen betroffen sein wird.
In den USA ist natürlich nicht alles toll. Aber mit dem Americans with Disabilities Act haben sie einen mittlerweile uneinholbaren Vorsprung, was barrierefreie Umgebungen angeht. Dieser Vorsprung wird immer größer, weil die EU sich standhaft weigert, ähnliche Vorschriften umzusetzen. Ja, öffentliche Gebäude sind mittlerweile recht gut zugänglich, aber außer den dort Arbeitenden möchte niemand mehr als ein paar Minuten seines Lebens dort verbringen.
Das Verrückte ist, dass die Verantwortlichen in der Politik irgendwann selbst von dem Problem betroffen sein werden. Sie oder ihre Bezugspersonen werden wahrscheinlich irgendwann eine Behinderung bekommen, die sie an ihrer Teilhabe behindert, im Gegensatz zu uns könnten sie aber etwas dagegen tun, stattdessen bleiben sie passiv oder haben allenfalls zaghafte Ansätze. Es scheint, dass sie an ihrer eigenen Zukunft kein Interesse haben oder ausblenden, dass sie selbst einmal betroffen sein könnten. Es ist das gleiche Trauerspiel wie in der Klimapolitik: Wir wissen eigentlich, was mittelfristig zu tun wäre, aber wir tun es nicht, weil wir nur die kurzfristigen Ziele anschauen. Ich fürchte, das ist ein strukturelles Problem unserer Demokratie, wobei das nicht heißen soll, dass eine gesteuerte Diktatur wie in anderen Ländern besser funktionieren würde: Das sieht man deutlich an China und Corona.
Es bleibt uns nichts übrig, als weiter dafür zu kämpfen, dass die Politik das Thema Barrierefreiheit langfristig ernster nimmt.
Caught in a lack of Accessibility

Suchmaschinenoptimierung und Barrierefreiheit – wie sie zusammenhängen und was sie trennt

Suchmaschinenoptimierung ist fast so alt wie das World Wide Web. Es gibt viele Querverbindungen zwischen Barrierefreiheit und SEO. Erfahren Sie, warum SEO-Verantwortliche sich auch um die Zugänglichkeit ihrer Webprojekte kümmern sollten. In diesem Beitrag gehe ich nur auf Google ein, weil Google fast synonym mit Suchmaschine ist und die Konkurrenten ähnliche Algorithmen verwenden.

Semantik/Maschinen-Lesbarkeit

Trotz allem Gerede über Künstliche Intelligenz sind Suchmaschinen und andere Technologien nach wie vor auf maschinen-lesbare Informationen angewiesen. Google kann wie ein Screenreader einen Text-Abschnitt nicht als Überschrift oder Absatz einordnen. Überschriften sind aber für Mensch und Maschine wichtig: Es geht darum, die Relevanz eines Textes zu einem bestimmten Thema zu gewichten. Je mehr wichtige Keywords in einer Überschrift vorkommen, desto wichtiger ist der Text zum jeweiligen Thema – so meint zumindest Google. Deswegen wird Text stärker gewichtet, wenn er in den HTML-Tags für Überschriften steht als wenn er im Fließtext ist.
Maschinen-Lesbarkeit wird immer wichtiger: Je besser Daten wie Adressen, Veranstaltungstermine und ähnliches von Google erkannt werden können, desto bessere Chancen hat die Website auf ein gutes Ranking.
Bei der Maschinen-Lesbarkeit werden Tabellen oft vergessen. Dabei sind sie ideales Datenfutter für Maschinen.
Komischerweise redet kaum einer der SEO-Gurus über die Verwendung von semantischen Auszeichnungen, wie sie von Schema.org propagiert werden. Auch assistive Technologien (AT) würden davon profitieren, obwohl mir zugegebenermaßen noch keine AT bekannt ist, die Schema-Daten verarbeitet.
ARIA und HTML5-Strukturen wie nav, footer, main und so weiter scheinen hingegen bisher keine Rolle für die Gewichtung durch Google zu haben – zumindest sagen sie das, es kann sich aber auch ändern.
Ein Vorteil von sauberem und konsequent eingesetztem HTML ist auch, das Informations-Einheiten besser maschinell unterschieden werden können. Die Makro-Semantik kennt Navigation, Content und Footer. In der Mikro-Semantik können Einheiten wie Absätze dazu beitragen, dass zusammenhängende Informationen besser erkannt werden.

Alternativtexte für SEO

Google stellt im haus-eigenen Browser Chrome mittlerweile automatisch generierte Bild-Beschreibungen für Bilder zur Verfügung, wenn sie keine Beschreibung für Blinde haben. Ich vermute, dass ist ein Abfall-Produkt des Crawlings: Google ist natürlich stark interessiert an den Inhalten von Bildern und trainiert so seine Bilderkennung. Es kann die von Menschen erstellten Alternativtexte mit dem abgleichen, was der Algorithmus erkannt hat – das ist klassisches Maschinen-Lernen.
Ein deutscher SEO hatte sich eine Zeitlang auf die Optimierung der Bilder für die Suchmaschine konzentriert. Weil Google heute oft nicht nur reine Text-Ergebnisse darstellt, sondern auch Bilder, spielen Text-Beschreibungen für die SEO eine gewichtige Rolle.

Sauberer und schlanker Code

Die Websites sind in den letzten Jahren immer größer im Sinne von Speicherplatz geworden. So manche Seite bringt mehrere Megabyte auf die virtuelle Waage – nebenbei gesagt ist das auch ein ökologisches Problem, es wird nämlich unnötig viel Speicherplatz und Bandbreite verbraucht. Eine optimierte Website kann mit HTML, CSS, Javascript und ein paar optimierten Bildern 200 Kilobyte groß sein. Das verringert die Ladezeit sowohl für Google als auch für assistive Technologien. Auch valider und moderner Code ist wichtig, um die Darstellung für die Browser sauber zu gestalten.
In der SEO-Szene ist man einhellig der Meinung, dass der Page Speed einer der wichtigsten On-Site-Faktoren für Google geworden ist. Das hat natürlich mit der Dominanz der Smartphones zu tun: Kein Mensch will mehrere Sekunden warten, bis die ersten Inhalte geladen wurden. Ein wichtiger Faktor für die Lade-Geschwindigkeit ist schlanker und sauberer Code. Das heißt unter anderem, dass man CSS und Javascript möglichst in eigene Dateien auslagert und nicht im Code jeder Unterseite unterbringt. Das ist auch eine Basis-Anforderung von Barrierefreiheit – die Trennung von Verhalten, Struktur und Gestaltung. Das verringert nicht nur die Ladezeit für AT, sondern ermöglicht auch eine flexiblere Darstellung der Inhalte.
Nebenbei bemerkt hat Google auch ein ökonomisches Interesse an schlanken Websites: Wer täglich mehrere hundert Millionen Webseiten crawlen muss, freut sich über jedes eingesparte Kilobyte. Zwar hat Google viel Rechen-Power am Start, aber natürlich freut man sich auch dort, wenn man ein paar große Rechenzentren einsparen oder für andere kostenpflichtige Dienste verwenden kann.
Die beiden bekanntesten Portale zur Web-Barrierefreiheit in Deutschland sind einfach-fuer-alle.de und barrierefreies-webdesign.de. Beide Seiten ranken für viele Suchbegriffe zur Barrierefreiheit weit oben und schneiden bei einem Speed-Test hervorragend ab, jeweils 91 von 100 Punkten im Test von Google Speed Insights. Auch wenn digitale Barrierefreiheit nicht zu den Mega-Themen gehört, gibt es durchaus alternative Portale.

Mobile first

Mobile First – also die bevorzugte Gestaltung von Webseiten unter dem Aspekt der Smartphone-Freundlichkeit – ist heute unter Web-Entwicklern angesagt. Kein Designer, der etwas auf sich hält, bastelt heute noch eine eigene Version für Smartphones und Desktops. One fits All ist also angesagt, die Website soll auf unterschiedlich großen Displays gut angezeigt werden. Google crawlt heute bevorzugt die mobile Version der Website und ihre Qualität ist einer der wichtigsten Faktoren für die Gewichtung bei der Anzeige der Such-Ergebnisse. Auch das ist in der Barrierefreiheit ein alter Hut. Schon seit Jahrzehnten wird gefordert, dass Webseiten sich auf unterschiedliche Displays problemlos anzeigen lassen und Zoomen sowie Textvergrößerung ist ja eine der Kern-Anforderungen der Barrierefreiheit. In der WCAG 2.1 ist die Anforderung hinzugekommen, dass eine Webseite sowohl vertikal als auch horizontal verwendbar sein sollte.

Informationsarchitektur und Benutzerfreundlichkeit

Was oben geschildert wurde ist in gewisser Weise ein alter Hut: Google hat lediglich die Gewichtung verschoben, weil viele Websites strukturell sehr ähnlich geworden sind. Der letzte Schritt war die Umstellung der Gewichtung auf Mobile First, aber auch das ist schon einige Jahre her. Der nächste Schritt wird es sein, die Informations-Architektur und Benutzerfreundlichkeit auf Websites maschinell zu analysieren. Zwar gibt es menschliche Quality Rater, die Webseiten manuell überprüfen. Das sind jedoch relativ wenige Personen und Webseiten. In den frei zugänglichen Google Playbooks lässt sich nachlesen, wie Google sich das vorstellt. Wahrscheinlich ist, dass auch hier Faktoren wie semantische Segmentierung, Lesbarkeit, Verständlichkeit der Inhalte, saubere Strukturierung eine gute maschinelle Übersetzbarkeit und eine schlanke Website eine große Rolle spielen werden.

Verständliche Sprache

Meines Wissens sind Google und Co. nach wie vor nicht annähernd in der Lage, einen Text zu „verstehen“, wie ihn ein Mensch verstehen würde. Das heißt, man setzt nach wie vor auf Statistik und Rechenpower. Doch auch damit lässt sich schon einiges erreichen. Man muss kein Stilist sein, um zu erkennen, dass ein Satz mit acht Wörtern tendenziell verständlicher ist als ein Satz mit 30 Wörtern und fünf Satzzeichen. Ein Text, der mit Absätzen, Überschriften, Tabellen und Listen in HTML strukturiert ist dürfte eher von einem Profi stammen als ein Text, der aus nur visuell unterschiedlich formatierten Texten besteht.
Das Thema Sprach-Verständlichkeit könnte eine steigende Bedeutung erlangen. Zum Einen erhöhen gut verständliche Texte die Verweildauer. Zum Anderen sind sie leichter automatisch übersetzbar.
Ein ganz simpler Faktor ist das Trennen von Wörtern mit Bindestrichen. Eine Herausforderung in der deutschen Sprache sind Komposita, also lange, zusammengesetzte Wörter. Dadurch entstehen sehr lange, neue Wörter, die Google eventuell nicht kennt. Der Bindestrich verbessert bei solchen Wörtern die Lesbarkeit für Menschen und Maschinen.

Vertrauenswürdigkeit und Autorität

Als weiterer Faktor ist die Vertrauenswürdigkeit und Autorität einer Website zu gewichten. Das ist besonders wichtig für heikle Themen wie Gesundheit und Finanzen, die SEO-Szene spricht auch von YMYL – Your Money, Your Life. So ziemlich alle großen Algorithmen-Updates der letzten Jahre haben auf Seiten zum Thema Gesundheit durchgeschlagen, teils sprechen wir von Schwankungen um die 30 Prozent bei Sichtbarkeit und Besucherzahlen.
Mit aktuellen Mitteln lässt sich die Vertrauenswürdigkeit und Autorität einer Website nur schwer automatisch analysieren – zumindest heute. Man wird wohl primär auf etablierte Marken wie Amazon, Wikipedia, Mercedes und so weiter schauen. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass Google die Webseiten öffentlicher Stellen zu einem Thema stärker gewichtet als Webseiten von Unternehmen oder NGOs. Nachlesen lässt sich das Ganze in den Quality Rater Guidelines von Google.
Die Vertrauenswürdigkeit ist ein weicher Faktor der Barrierefreiheit, wie ich es in meinem Buch genannt habe. Insbesondere Internet-Newbies drohen, auf betrügerische Websites hereinzufallen. Insofern wirkt sich auch indirekt positiv auf die Barrierefreiheit aus, dass fragwürdige oder betrügerische Websites geringer gewichtet werden bzw. aus dem Index fliegen. Bedauerlich ist das für kleinere Webportale, sie haben weniger Power, um eine Marke und die entsprechende Bekanntheit aufzubauen. Es wird spannend sein zu sehen, wie sich Googles Analysefähigkeiten bzgl. Informationsarchitektur, Usability, Vertrauenswürdigkeit und Autorität entwickeln werden. Und wie sich das Ganze auf die SEO-Szene und am Ende auf die Qualität der Website auswirken wird.

Geräte-unabhängige Eingaben

Google zwingt die Webmaster immer stärker, ihre mobilen Seiten zu optimieren. Wer die Search Console benutzt, bekommt häufiger Hinweise auf schlechte Usability, es wird etwa gesagt, dass Buttons zu klein oder zu eng nebeneinander sind.
Auch hier liegt die Verbindung zur Barrierefreiheit nahe. Eine Website soll unabhängig von einem bestimmten Eingabegerät sein: Es soll keine Rolle spielen, ob eine Website per Maus, Tastatur oder Touch gesteuert wird. Wer seine Website auf Maus-Klicks optimiert hat, wird früher oder später Probleme mit Smartphone-Usern bekommen.

Untertitel und Transkripte machen Video- und Audio-Inhalte zugänglich

Eine Herausforderung für Suchmaschinen sind Podcasts und Videos. Zwar hat die automatische Spracherkennung große Fortschritte gemacht. Doch optimal ist sie bei weitem nicht.
Wer jedoch geschlossene Untertitel oder Transkripte einsetzt, verschriftlicht das Gesagte und sorgt so dafür, dass Videos und Podcasts durch Suchmaschinen leichter gewichtet werden können. Es wäre einmal interessant zu untersuchen, ob Videos mit ähnlichem Inhalt bei YouTube besser ranken, wenn sie validierte Untertitel enthalten.

Könnte Barrierefreiheit ein SEO-Faktor werden?

Einige Elemente der Barrierefreiheit tragen zur SEO bei. Barrierefreiheit an sich ist aber noch kein Faktor für die Gewichtung einer Website, wie Google selbst verlautbarte.
Der Gedanke ist allerdings nicht so abwegig: Der Sprung zwischen Usability, Informationsarchitektur und Barrierefreiheit ist nicht so groß.
Da es außerdem im Heimatland von Google strengere Regeln zur Barrierefreiheit gibt, könnte Google aus Prestige-Gründen – Prestige für sich selbst versteht sich – barrierefreie Webseiten höher ranken. Es gibt neben den oben erwähnten einige weitere Faktoren wie das Vorhanden-Sein einer Barrierefreiheits-Erklärung, Gebärdensprach-Videos, Texte in Leichter Sprache und noch einige mehr, die sich algorithmisch leicht ermitteln und gewichten lassen.

Fazit

Dieser Artikel ist durchaus nicht als Lobhudelei auf Google gemeint. Die Macht dieses Privat-Unternehmens ist so groß, dass alle Website-Betreiber, die von Traffic abhängig sind, sich dessen Regeln unterwerfen müssen. Google kann also das Web nach seinen Vorstellungen umbauen. Zudem beinhaltet Googles Logik die Benachteiligung kleiner Website-Betreiber gegenüber großen Marken. Google und YouTube spielen auch eine unrühmliche Rolle bei der Verbreitung von Hass, Hetze, Mobbing und Verschwörungstheorien. Das Thema Datenschutz möchte ich gar nicht erst aufmachen.
Dennoch kann man nicht leugnen, dass Googles Vorstellungen einer guten Website positiv zur Web-Barrierefreiheit beitragen könnten. Möglicherweise wird Google irgendwann auch Barrierefreiheit als Rankingfaktor berücksichtigen.
Search engine optimization SEO and digital Accessibility

Barrierefreiheit ist nicht subjektiv – sie braucht Regeln

Neulich saß ich als selbst eingeladener Experte in einem Online-Seminar mit anderen Menschen zusammen, das Thema darf ich nicht verraten. Im Endeffekt ging es aber darum, die Barrierefreiheit von Webseiten von Web-Inhalten zu verbessern. Wie immer in solchen Runden hatten wir eine Person dabei, die ewig lange Monologe gehalten hat, ich kann ja Bodo Ramelow verstehen, wenn er in solchen Besprechungen lieber Tetris spielt. Im Endeffekt beschwerte sich dieser Herr aus der Selbsthilfe darüber, dass Anforderungen zur Barrierefreiheit häufig nicht umgesetzt würden, weil sie nicht in den Regelwerken stünden. Die Beschwerden einzelner Personen würden nicht ernstgenommen. Auch höre ichöfter, die Leute hätten einzelne Blinde, die sie bei Fragen ansprechen würden. Eine dieser blinden Personen äußerte, Akkordeons seien generell nicht barrierefrei, die Aussage ist und war schon immer falsch. An dieser Stelle möchte ich kurz erklären, warum Subjektivität in der Barrierefreiheit keine so große Rolle spielen darf.
Problem 1: Regeln sind zwangsläufig ein minimaler Kompromiss. Sie können und sollen nicht alle Szenarien abdecken, dann wären sie so dick wie das Telefonbuch von Berlin – und ungefähr so spannend zu lesen. Das ist übrigens einer der Gründe, warum deutsche Gesetze immer komplizierter werden.
Problem 2 ist, dass man an einem gewissen Maß an Komplexität nicht vorbeikommt, es sei denn, wir wollen in das Web der 90er Jahre zurück. Dann gibt es halt kein Onlinebanking, kein Amazon, kein Audible und so weiter. Man kann und sollte vieles einfacher machen, das habe ich auch schon öfter angemerkt. Die Usability vieler Mainstream-Anwendungen ist für Blinde von geht so bis Katastrophe. Aber wir müssen nun mal Adressen, Zahlungsdaten und so weiter in einem Onlineshop eingeben. Wer daran scheitert, hat sonst keine Chance im Internet.
Das dritte und wichtigste Problem ist aber, dass man Barrierefreiheit zu einer subjektiven Sache macht. X kommt mit Anwendung Y nicht zurecht, daher ist Y nicht barrierefrei. Das Chaos wäre vorprogrammiert, denn das hieße, dass jede einzelne Anmerkung in eine Handlungs-Anweisung für die Verpflichteten münden würde. X kommt mit weißem Text auf schwarzem Grund nicht zurecht, also ändern wir das in grau auf blau. Z kommt mit grau auf blau nicht zurecht, dann ändern wir das in grün auf braun. So kann das nicht funktionieren, aber darauf liefe es hinaus.
Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass manche Menschen an der Technik scheitern – ganz ehrlich, das passiert mir mehrmals am Tag. Ja, es ist total frustrierend. Dennoch ist es so, dass das Problem oft genug vor dem Bildschirm sitzt. Die Betroffenen Personen müssen so weit ertüchtigt werden, dass sie dazu in der Lage sind, die wichtigsten Aufgaben selbständig zu erfüllen, sofern die Website/Software barrierefrei programmiert wurde. Dafür gibt es die Regeln. Auch Feedback sollte berücksichtigt werden, aber nicht das Feedback einzelner Personen, sondern das gesamte Feedback einer größeren Zahl von Personen.
Accessibility is not subjective, it needs rules

Was wünscht sich ein Freiberufler von einem Auftraggeber?

Heute geht es ausnahmsweise nicht ausschließlich um Barrierefreiheit bzw. ist dieses Thema auf alle Freelancer übertragbar.
Freiberufler freuen sich natürlich über Aufträge. Dennoch habe ich ein paar Wünsche an Auftraggeber. Die Stichworte sind dabei Geld, Respekt und Verbindlichkeit.
Als Auftraggeber solltest du die Zeit des Auftragnehmers genau so wichtig nehmen wie deine eigene oder die deiner Kollegen: Last Minute Aufträge am 23.12. um 16.:59 Uhr, die am 26.12. fertig sein sollen ist nicht respektvoll – und das ist nur ein wenig übertrieben. Ja, manchmal ist es eilig, aber warum soll der Freiberufler dein schlechtes Zeitmanagement ausbaden? Wenn Fristen vereinbart wurden, sollte auch der Auftraggeber sich daran halten oder frühzeitig kommunizieren, wenn es nicht klappt. Auch sollte man bei Solo-Selbständigen respektieren, wenn sie manchmal wegen Krankheit, Kindern oder anderen Verpflichtungen ausfallen. Wir sind Menschen, keine Kaugummi-Automaten. Bei Freelancern erlauben sich Auftraggeber Schlampereien, die im normalen Berufsleben tödlich wären wie vereinbarte Telefon-Anrufe ohne Absage ausfallen lassen oder nie zurückzurufen.
Besonders stört der Ausschreibungs-Wahn der Verwaltungen. Mittlerweile werden auch Mini-Dienstleistungen wie ein Tages-Workshop oder die Übersetzung eines Dokuments mit 10000 Zeichen ausgeschrieben. Kaum jemand wird dafür mehr als 2000 € abrechnen, aber ist gezwungen, viele Seiten Ausschreibung zu verstehen. In der Regel fliegt man ohnehin raus, wenn man beim Ausfüllen der Formulare einen Fehler macht. Die Chancen sind überschaubar, die Ausschreibung zu gewinnen. Also lässt man es gleich sein. Bitte nur Leistungen ausschreiben, wenn das Volumen über 10000 € liegt.
Ein gewisses Maß an kostenloser Beratung ist in Ordnung. Sich aber zwei Stunden über Verfahren beraten zu lassen und dann jemand anderen zu beauftragen ist dreist. Ein weiteres Beispiel von Respektlosigkeit gegenüber dem Freiberufler. Das ist mir mehrfach passiert, deshalb bin ich mittlerweile weniger feizügig, wenn potentielle Kund:Innen eine Erst-Beratung haben wollen.
Rechnungen sollten innerhalb von vier Wochen bezahlt werden. Manche sind tatsächlich davon abhängig, gerade im 1. Quartal eines Jahres hat man viele Ausgaben, aber so gut wie keine Einnahmen. Mein Rekord waren vier Monate Wartezeit auf eine Bezahlung, die Kundin hat behauptet, krank gewesen zu sein, was offensichtlich nicht gestimmt hat. Welcher Angestellte würde vier Monate auf sein Gehalt warten? Wenn man krank ist und eine Rechnung erwartet, kümmert man sich um eine Vertretung.
Meines Erachtens muss man als Auftraggeber nicht absagen, wenn man ein Angebot eines Freelancers nicht annimmt. In der Regel schreibt man so viele Angebote, dass man es ohnehin irgendwann vergessen hat. Eine Ausnahme gilt dann, wenn bestimmte Fristen vereinbart wurden, wenn zum Beispiel ein Auftrag bis zu einer bestimmten Frist abgewickelt sein muss. Je nach Größe des Auftrags muss der Freelancer Ressourcen blocken, die er bei einer Absage des Angebots anderweitig nutzen kann. Mich rief mal eine Dame an, quatschte mir gefühlt 30 Minuten ein Ohr ab und meldete sich viele Monate, nachdem ich das Gespräch vollständig vergessen hatte, um mir mitzuteilen, dass jemand anderes den Auftrag übernehmen werde, das überflüssigste Gespräch aller Zeiten.
Kündige nur Beauftragungen an, wenn du tatsächlich etwas in der Pipeline hast. Es ist eine gängige Umgangs-Floskel gegenüber Freelancern, man werde sie weiterempfehlen oder für eine Beauftragung in Erwägung ziehen. Als junger Freelancer hatte ich das ernstgenommen, heute ignoriere ich solche Aussagen. Zumindest was die Beauftragungen angeht, ist da in 95 Prozent der Fälle nie etwas gekommen. Wahrscheinlich hat die Person mich zwei Minuten nach dem Gespräch vergessen. Natürlich folgt nicht auf jede unverbindliche Aussage auch tatsächlich ein Auftrag, aber diese Art von Höflichkeits-Floskeln führt dazu, dass zumindest ich die Leute dahinter nicht mehr ernst nehmen kann.
Kurz: Behandelt den Freelancer so, wie ihr selbst behandelt werden wollt. Die Mehrheit der Kunden ist tatsächlich nicht so. Leider macht die kleine Gruppe der schwierigen Kunden ein Mehrfaches an Ärger.
What a Freelancer in digital Accessibility expects from a Contractor